Mein Leben, mein Fußball, mein Verein.
E-Book, Deutsch, 240 Seiten
ISBN: 978-3-86774-768-4
Verlag: Murmann Publishers
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Mannschaft, Verein und Region leben das Prinzip: Gemeinschaft schlägt Egoismus. Wichtig ist das unbedingte Miteinander – vom Kioskbetreiber Sever auf der Gegentribüne bis hin zu den vielen Sponsoren aus der Region und Zigtausenden von Fans. Im Heidenheimer Kosmos zählen Nahbarkeit, Authentizität und Fleiß. In seinem 'Life-Ticker' nimmt er die Leser/innen mit in eine Fußballwelt, die jeder echte Fan mittlerweile vermisst. Wo Bratwurstgeruch über den Rängen hängt, jeder Gegner unbändig angelaufen wird, gelungene Grätschen frenetisch bejubelt werden und das in Flutlicht gleißende Stadion einer Trutzburg gleicht.
Der Gegenentwurf zur großen Fußball-Glitzerwelt!
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»Unkaputtbar«. Das hat Lukas Kwasniok, Trainer vom SC Paderborn, über uns gesagt. Der 1. FC Heidenheim 1846 e. V. sei »unkaputtbar«. Oder im O-Ton: »Wenn du ein Synonym für Heidenheim suchst, dann ist es ›unkaputtbar‹.« Das hat mir sehr gefallen, diese Anerkennung und diese Erkenntnis, dass wir nicht kaputtgehen. Es fasst unser Spiel, unsere Leidenschaft, unsere Einstellung, unsere Strategie, unser Selbstverständnis, ja unseren Weg am besten zusammen. Unkaputtbar – das entspricht vor allem dem, was wir als Verein bisher erreicht und geleistet haben, und dass uns nichts aus der Bahn wirft, kein Gegner, keine Umstände, kein gar nix. »Unkaputtbar« ist auch deshalb so treffend, weil der Begriff nach bald 30 Jahren im bezahlten Fußball auch meinen Weg am besten charakterisiert. Ich hätte mich zurückziehen, ein ruhiges Leben führen können, ich war sogar kurz davor – stattdessen bin ich nahezu komplett, von morgens bis abends, erfasst von einem Gedanken: Wie kann meine Mannschaft das Spiel am Wochenende gewinnen? Und das Spiel danach? Und das danach? Das klingt simpel, ist aber enorm komplex und die Antwort kostet fast alle meine Energiereserven. Diese Energie kannst du nur aufbringen, wenn du unkaputtbar bist, wenn du Stärke zeigst. Sollte man meinen. Tatsächlich geht es jedoch nur so lange gut, bis die Oberärztin auf der Intensivstation vor einem steht und sagt: »Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für Sie, welche wollen sie zuerst hören?« Passiert war Folgendes: Im Training haben wir »5 gegen 2« gespielt, eine der beliebtesten Aufwärmübungen im Fußball. »5 gegen 2« heißt, je nach Region, auch »Ecke«, »Rondo« oder »Schweinchen«, zwei Leute sind in der Mitte und versuchen den Ball zu bekommen. Es ist superbeliebt, aber ein bisschen riskant, weil man oft noch nicht richtig aufgewärmt ist. Wenn man es zu engagiert spielt und anfängt zu grätschen, können Muskeln zerren und reißen. Aber um im Training in Schwung zu kommen, ist das Spiel optimal. Auch für das Trainerteam. Ich habe also beim »5 gegen 2« mitgemacht, die Saison 2017/2018 war fast vorbei. Unser Reservetorwart spielt den Ball etwas zu lang, ich versuche den Ball zu bekommen, trete auf ihn, rutsche ab und komme in eine Art Spagat. Dabei reißt mir ein Muskel im Oberschenkel, es sind wahnsinnige Schmerzen. Fast 20 Minuten bleibe ich auf dem Rasen liegen, es tut höllisch weh, ich bin nicht in der Lage aufzustehen. Die Spieler stehen betroffen um mich herum, ihr Trainer liegt mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Boden und keiner weiß so genau, was zu tun ist. Und das ist erst der Anfang. Mit Tränen in den Augen Mithilfe der Co-Trainer gelingt es mir aufzustehen, sie bringen mich zum Orthopäden, der schickt mich in die Röhre und im MRT ist zu sehen, wie der Muskel gerissen ist und herunterhängt. Der Semimembranosus, der kräftigste der medizinisch genannten ischiocruralen Muskeln, ist abgerissen und hängt jetzt oberhalb vom Knie, eine Kugel so groß wie ein Tennisball. Eine Operation scheint wohl nicht notwendig. Das werde schon wieder, brauche halt etwas Ruhe. Und überhaupt: Wir sind Heidenheim, wir sind unkaputtbar. Ich bin unkaputtbar. In meiner Zeit bei Alemannia Aachen bin ich einmal als Spieler sieben Monate nach einem doppelten Knöchelbruch viel zu früh wieder in einem Zweitligaspiel auf dem Platz gestanden, vor Schmerzen hatte ich Tränen in den Augen. Es war ein wichtiges Spiel damals, als Kapitän musste ich auflaufen und der Mannschaft helfen, auch weil der Trainer mich brauchte. Kaum wurde das Spiel angepfiffen, war der Schmerz weg und ich spielte durch. Natürlich half das Adrenalin – und auch meine ausgeprägte Fähigkeit zur Selbstmanipulation: »So schlimm ist es doch gar nicht.« Also wird mich ein Muskelabriss in der Oberschenkelmuskulatur auch nicht umhauen. Zudem begann ein paar Tage später unser Familienurlaub, dort würde ich mich schon erholen, Beine hoch und gut. Wir sind mit dem Campingwagen zum Gardasee gefahren. Ich mit dem kaputten Muskel, aber eben nicht unterzukriegen, saß meistens am Steuer. »Das wird schon wieder«, beruhigte ich meine Frau Nadine. Und ehrlich, ich bin überzeugt gewesen, es wird schon, wenn ich aktiv bleibe. Es ist mir fast ein wenig peinlich, die Geschichte weiterzuerzählen, aber was soll’s? Anstatt Ruhe zu geben, spiele ich mit meinem Freund Ralf eine Runde Tennis, ein Match, das erst im letzten Satz im Tie-Break entschieden wird, bei 30 Grad im Schatten natürlich. Als ich ihm hinterher sage, dass meine Wade immer noch höllisch schmerzt, antwortet er nur: »Das liegt daran, dass ich dich so viel habe laufen lassen.« Klingt einleuchtend – vor allem, wenn man dazu neigt, sich selbst zu manipulieren: »Klar tut die Wade weh, aber das Tennismatch war ja auch ziemlich anstrengend.« Auf dem Campingplatz kann ich mich fast nicht bewegen, ich habe ständig das Gefühl, mein Wadenmuskel explodiere. Dabei müsste ich eigentlich im Oberschenkel Schmerzen haben. Über den Campingplatz schleppe ich mich mit meinen Crocs, mir gelingt es fast nicht, mich normal zu bewegen, trotzdem stehe ich hinterm Grill. Und wie alle vermeintlich Unkaputtbaren neige ich zur gewagten Selbsttherapie. Vom Gardasee fahren wir weiter nach Meran in Südtirol, dort setze ich mich aufs Mountainbike und fahre einen der schönsten MTB-Trails, hoch auf Meran 2000, ein wunderschönes Sonnenplateau – oder, wie ich es nennen würde: »Die Verletzung rausradeln.« Die Muskelverhärtung einfach herausradeln, wie ich das oft in meiner Karriere als Fußballprofi gemacht habe. In bester Absicht setze ich mich aufs Bike. So ganz klappt es nicht, der Schmerz will nicht weichen. Das Gehen fällt mir ebenso schwer, aber wie heißt es so schön: »Das wird schon.« Schweißausbrüche und Atemnot Kurz den Film vorspulen: Wieder zurück aus dem Urlaub, gehe ich am Mittag mit meiner Frau spazieren, plötzlich wird mir schwindelig, ich weiß kaum noch, wo oben und unten ist, schaffe es aber noch bis nach Hause. »Es lag wahrscheinlich an der Hitze«, sagt meine Frau. »Mir ging es hier auch schon mal so«, schob sie hinterher. Und der Selbstmanipulator in mir meldet sich umgehend zu Wort: »Klar, klingt logisch!« Über 30 Grad im Schatten, wem wird da nicht schwindelig? Und überhaupt: »Ich habe viel zu wenig getrunken, klar, dass es einem da schwindelig wird.« Auf meinen Selbstmanipulator ist Verlass. Also trinke ich ordentlich, ein paar Tage später stehen die ersten Trainingseinheiten für die neue Saison an, wir befinden uns in der ersten Phase der Vorbereitung. Außerdem soll am Anfang der Vorbereitung eine Vorstands- und Aufsichtsratssitzung stattfinden, bei der ich meine Einschätzung über die neue Saison und den Kader geben soll. Vorher muss ich aber noch etwas erledigen. Denn damit mir keiner den Vorwurf machen kann, ich würde immer alles auf den letzten Moment schieben, immer bis zum Schluss warten, schreibe ich unserem damaligen Mannschaftsarzt eine WhatsApp-Nachricht. Ich will kurz fragen, ob ich mit ihm telefonieren könne, ich hätte da eine Frage. Von den Schmerzen in der Wade erwähne ich nichts. Er ist unterwegs, auf einem Kongress, sagt aber, ich solle einfach am nächsten Abend anrufen. Das ist beruhigend. Ich habe quasi einen Arzttermin, morgen wird alles gut. Am Nachmittag gehe ich mit ein paar Spielern von unserem Stadion hoch auf das Trainingsgelände, da muss man einen leichten Hügel hochlaufen, mir fällt jeder Schritt schwer, es wird mir heiß, ich kriege kaum Luft, will mir aber nichts anmerken lassen, also sage ich den Spielern: »Geht schon mal vor, ich muss noch kurz etwas erledigen.« Sie gehen, ich schleppe mich hinterher, habe die ganze Zeit Atemnot und Herzrasen, stehe das Training aber irgendwie durch. Wir sind die Unkaputtbaren. Es ist dramatisch Am frühen Abend findet die Aufsichtsratssitzung statt, unten am Eingang treffe ich ein Aufsichtsratsmitglied, will mit ihm die Treppe hinauf zum Saal, bekomme Schweißausbrüche und Atemnot, mein Herz rast wie verrückt. Damit ihm nicht auffällt, dass der Trainer kaum die Treppe hochkommt, rufe ich ihm zu, ich hätte unten etwas vergessen, ich käme gleich nach. Die Lage ist dramatisch. Ich bekomme kaum noch Luft, habe richtig Atemnot, ständig Schweißausbrüche und so langsam fällt auch meinem Selbstmanipulator nichts mehr ein, woran es liegen könnte. Auch die Aufsichtsratssitzung überstehe ich, fahre danach mit dem Mountainbike nach Hause, klar. Ich kann es nicht mehr leugnen, aber ich scheine wirklich ernsthafte Probleme zu haben. Gott sei Dank, am nächsten Abend werde ich mit Mathias Frey, unserem Mannschaftsarzt, telefonieren, dann sehen wir weiter. »Nein, die Zeit haben wir jetzt nicht mehr« Ich stehe die Nacht durch und gehe ganz normal ins Training und meiner Arbeit nach. Ja, man muss das dramatisch sagen: Ich habe die Nacht überlebt. Am Abend schildere ich Mathias Frey meine Symptome. Er unterbricht mich: »Du musst sofort ins Krankenhaus!« Ich erwidere: »Soll ich einen Krankenwagen rufen?« Er: »Nein, die Zeit haben wir nicht mehr, sag deiner Frau, dass sie dich sofort fahren soll! Jetzt! Und nimm noch ein paar Aspirin!« Leider haben wir kein Aspirin zu Hause. Doch das ist jetzt mein geringstes Problem. Meine Frau fährt mich sofort, und schlagartig ist klar: Bedingt durch den Muskelabriss im Oberschenkel und eine Einblutung ist es zu einer tiefen Beinvenenthrombose in der Wade gekommen. Die Schmerzen waren deshalb in der Wade, nicht im Oberschenkel. Doch das ist zweitrangig. Nun ist das ganze System in Gefahr. Ich bin in...