E-Book, Deutsch, 317 Seiten
Schmidt "... und wie geht's Ernst-August?"
6. Auflage 2025
ISBN: 978-3-8190-4997-2
Verlag: epubli
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Eine Halbweltreise
E-Book, Deutsch, 317 Seiten
ISBN: 978-3-8190-4997-2
Verlag: epubli
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Der 49jährige Robert Döner und seine Frau Claudia beschließen, ihr altes Leben an den Nagel zu hängen und bar jeglicher Segelerfahrung zu einer zweijährigen Weltumseglung zu starten. Hin- und hergeworfen zwischen boshafter Ironie und philosophischer Selbsterkenntnis begreifen die beiden im Lauf der Reise, dass nicht Sturmgefahren auf hoher See oder feindlich gesinnte Eingeborene, sondern sonnenverbrannte Kreuzfahrt-Touristen-Horden, und das ständig nach Zuwendung gierende Boot die wahren Herausforderungen darstellen. Zwischen Erlebnissen mit Aussteigern auf Tonga, dem Kampf gegen die geistigen Hinterlassenschaften von segelnden Reichsbürgern in Vanuatu und Mormonen auf einem aktiven Vulkan bleibt jedoch immer genug Zeit für die eine oder andere Tasse Kaffee.
Holger Schmidt, 1957 in Bad Kreuznach geboren und aufgewachsen, eröffnete nach jeweils mehrjährigen Zwischenstationen bei der Bundeswehr, am Steuer eines Taxis und Lenkrad eines LKWs mit seiner Frau 1993 ein Interior-Design-Studio. Im Jahr 2007 versetzten sich die beiden in den Ruhestand und starteten in der Türkei zu ihrer Weltreise auf einem Hochseekatamaran. Aus den ursprünglich geplanten zwei Segeljahren sind mittlerweile siebzehn geworden und ein Ende ist nicht abzusehen.
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2. Der segelnde Thermomix
Welch ein fantastisches Gefühl, wieder die luxuriöse Handpump-Toilette an Bord benutzen zu dürfen. Kein Gehämmer sonntagmorgens um sieben, keine Flexarbeiten, kein Farbsprühnebel, der sich auf unsere Scheiben legt. Kurzum, das Paradies! Zurück in Noumea legen wir uns an unsere Boje. Nach unserer Ankunft haben wir sie unserem französischen Freund Manua abgekauft. Ihn und seine spanische Frau Sabrina nebst 13-jähriger Tochter Sola lernten wir vor 3 Jahren in einer Ankerbucht auf den Cookinseln kennen. Ihr Schiff tauften sie UN BARCO VENDRÁ, was laut Sabrina bedeutet: Ein Schiff wird kommen. Leider hatten Sabrina und Manua nicht bedacht, dass der Name ihres Schiffes in englisch- oder französischsprachigen Ländern öfter mal per Funk übermittelt werden muss. Diese Versuche endeten immer mit der entnervten Anweisung, den Namen jetzt zu buchstabieren. Nach ein paar Wochen des zusammen Segelns trennten sich – wie so oft bei Yachties – unsere Wege wieder. 2017 war die Wiedersehensfreude groß, als wir UN BARCO VENDRÁ im Ankerfeld entdeckten. Manua kauft in der Hafenbucht von Noumea schrottreife Segel- oder Motorboote und vermietet sie an junge Leute, die sich die exorbitanten Mieten hier nicht leisten können. Französische Staatsangestellte dürfen in den diversen Überseegebieten Frankreichs zwei Jahre arbeiten – zu annähernd doppeltem Gehalt. Das treibt die Lebenshaltungskosten in abstruse Höhen. In der letzten Zeit schwächelt der Mietmarkt, was ihn auf die Idee brachte, auf Airbnb umzustellen. Das beschert ihm zwar mehr Arbeit, da viele Kunden nur für einen Tag mieten, aber seine Auslastung liegt bei fast 100%. Inzwischen hatten sich Manua und Sabrina getrennt. Manua lebt jetzt auf einem seiner schwimmenden Wracks ohne Motor, aber mit viel Zufriedenheit keine hundert Meter entfernt von UN BARCO VENDRÁ, und Sola, sowohl im Spanischen als auch Französischen muttersprachlich perfekt, pendelt - manchmal mehrmals am Tag - hin und her. Auf beiden Booten bewohnt sie eine Kajüte. Sabrina unterrichtet als Spanischlehrerin an einer Schule in Noumea. Die Hafenbucht weist zwar in der offiziellen Seekarte drei riesige Ankerfelder aus, nur leider versenkten, um dem erwähnten Mietwucher zu entgehen, hunderte von Franzosen mehr oder weniger sichere Grundgewichte im Hafenwasser, an die sie eine Boje und daran ihre Schiffe banden. Als Neuankömmling bleibt einem keine andere Wahl, als in der Fahrrinne zu ankern. Das wiederum ruft spätestens nach ein paar Tagen den Hafenmeister, der für die sichere An- und Abfahrt der Kreuzfahrtschiffe verantwortlich ist, auf den Plan. Nachdem wir dreimal vertrieben wurden, griffen wir bei Manua zu und kauften eine seiner Bojen. Erstmal mit dem Schlauchboot in die Stadt. Unsere Staubänke sind leer. Wir brauchen etwas zu essen. Wüssten wir es nicht besser, könnten wir Noumea für eine x-beliebige Stadt an der Côte d’Azur halten. Viel Geld investiert der französische Staat in Straßen, Parks, städtische Busse und Grünanlagen. Die Zahl der Verkehrsampeln lässt auch keine Wünsche offen. Casino, Carrefour, Giant und Johnston Supermärkte erfüllen die ausgefallensten Wünsche. Inzwischen wissen wir, wo es die günstigsten Haferflocken gibt, halbwegs bezahlbaren Wein, die Zutaten für unser Millionärsmüsli (taufte Segelfreund Maik so im Hinblick auf die schweineteuren, nur im Bioladen erhältlichen Zutaten), Obst und Gemüse, Brot, - das seinen Namen verdient – kurzum alles, von dem sich der verwöhnte Westler so ernährt. Frisches Obst und Gemüse kaufen wir in den drei Wochenmarkt-Hallen direkt am Hafen. In einer der Hallen besorgen wir uns an einer kreisrunden Bistrotheke, hinter der mindestens 8 Frauen in atemberaubendem Akkordtempo alle Arten von unter Franzosen beliebten Kaffeevariationen zubereiten, unsere ersten Café allongé. Damit setzen wir uns unter eine zwischen Gemüse- und Fischhalle gespannte Plane und beobachten das Treiben. An zwei zusammengeschobenen Tischen sitzt schon die uns inzwischen bekannte Gruppe älterer polynesischer Männer und unterhält sich in einer der vielen polynesischen Sprachen. Sie sitzen auch noch da, wenn wir gehen. Sie sitzen überhaupt immer da. Die vollschlanke, französische Mittvierzigerin, mit starker Abneigung gegen Haarpflegeprodukte, bindet gerade ihre dreibeinige Mischlingshündin an eine Laterne und verschwindet unter deren Protestgebell in der Fischhalle. Manchmal schafft sie es, einzukaufen. Oft, wenn die Warteschlangen an den Fischtheken zu lang sind, muss sie zwischenzeitlich rauskommen, um ihren Hund zu beruhigen. Liegt ein Kreuzfahrer im Hafen, baut ein großer, junger, passabel englischsprechender Franzose seinen Stand aus übereinandergestapelten Plastikboxen, voll mit einer Art überdimensionalem Federball, auf. Nähert sich eine Horde Kreuzfahrttouristen, leicht zu erkennen am bunten Brachialoutfit, den Rotweiß-Schattierungen der verbrannten Haut, dem Dreifachen des gesunden Normalgewichtes und den bei australischen Teenies dieses Jahr en vogue scheinenden, angetackerten Flechtzöpfen, versucht er sie zum Mitspielen zu animieren, indem er den Sandsackfederball mit der flachen Hand in ihre Richtung spielt. Ab und zu begeistert er seine Mitspieler so, dass sie ein Set bei ihm kaufen. Keine zwanzig Meter von ihm entfernt sitzt ein junges Paar unter seinem Schatten spendenden Pavillon. Er, ein gutaussehender muskulöser Polynesier, verwandelt meterlange Holzbalken, nur mit Stechbeitel, Holzhammer und Säge, in Tikis, Trommeln oder Waffen. Hochkonzentriert in seine Arbeit vertieft, scheint er die Touri-Trauben um sich herum nicht wahrzunehmen. Seine französische Freundin, schlank, langhaarig, blond, beantwortet in französisch gefärbtem Englisch geduldig die vielen Fragen. Während ich weiterhin soziologische Feldstudien betreibe, dreht Claudia ihre Runden zwischen den Ständen und liefert zwischendurch immer wieder ihre Obst- und Gemüsebeute ab. Hat sie alles zusammen, bringe ich die erste volle Tasche zurück zum Schlauchboot. Als Nächstes geht’s zum Champion. Der kleine Supermarkt liegt mitten im Stadtzentrum, und wenn er gerade anbietet, was wir suchen, ist es meistens dort am billigsten. Was wir hier nicht bekommen, kaufen wir im einen Kilometer entfernten Carrefour. Dort gönnen wir uns auch zwei casse-croûte, mit allerlei Leckerem belegte kleine Baguette, mit denen wir uns in den nahen Park des Place de Cocotiers setzen, dem zentralen Platz von Noumea. Als meistens einzige Weißen ignorieren uns die Kanak auf den Bänken erst mal. Setzen wir uns einfach zu ihnen, kommt - zumindest von älteren Frauen - ein zögerliches: »Bon Appétit!« Leider verwechseln uns Kanak wegen unserer Hautfarbe entweder mit australischen Touristen, oder noch schlimmer, mit Franzosen. Da Frankreich quasi seit Anbeginn der Besetzung immer wieder die Unabhängigkeitsbestrebungen der einheimischen Bevölkerung mit Truppen niedergeschlagen hat, zum letzten Mal 1988, lebt man, sich tapfer gegenseitig ignorierend, nebeneinander her. Hatten wir im gesamten Südpazifik die Einheimischen als sehr kontaktfreudig, hilfsbereit, freundlich und neugierig kennengelernt, erfahren wir hier in Neukaledonien das andere Extrem. Sei es in Französisch-Polynesien, auf den Cookinseln, in Tonga, Fidschi oder Vanuatu, überall stellen Weiße eine kleine, wenn auch privilegierte Minderheit dar. Nicht so hier. Durch Zuzugserleichterungen für Franzosen aus dem Mutterland und allerlei andere gewitzte Tricks sind die Kanak inzwischen zu einer Minderheit im eigenen Land geworden. Das erzeugt, vor allem bei vielen jungen Ureinwohnern, Frust und Aggressionen. Claudia und ich wenden einen kleinen Trick an, um als Nichtfranzosen aufzufallen. Wir sprechen Deutsch. Ganz unpatriotisch konstatiere ich mal: Die Deutschen sind das beliebteste Volk auf den südpazifischen Inseln. Ursache hierfür: die während des Ersten Weltkrieges verlorenen Kolonien, aber auch der deutsche Fußball trägt seinen kleinen Teil zur Beliebtheit bei. Bundesligaergebnisse findest du in Vanuatus größter Tageszeitung auf der ersten Seite. Während wir unsere Thunfischbaguette futtern, parliert Claudia mit den beiden Kanak-Damen neben uns. Es sind eh immer die gleichen Fragen: »Wie alt seid ihr, wie viele Kinder habt ihr? Was keine …???!« Dass wir uns bewusst gegen Kinder entschieden haben, stößt zwar auf absolutes Unverständnis, wird aber sofort akzeptiert. Das Baguette im Bauch tragen wir unsere schwer gewordenen Einkaufstaschen zum mitten im Park gelegenen Café L’Annexe. Die nächste Feldstudie und der nächste Allongé sind angesagt. Was den 68ern ihr Che Guevara, ist den jungen Kanak heute Bob Marley. Seinen Schattenriss auf dem T-Shirt, die Baggys in der Kniekehle, träumen sie, nicht selten Dope-unterstützt, von der großen Revolution gegen ihre Besatzer. Nun hat Frankreich im Laufe der Jahrzehnte, freiwillig oder durch die UN gezwungen, im Umgang mit seinen ehemaligen Kolonien dazugelernt. Gesetze wurden erlassen, die die starken sozialen Unterschiede in der heterogenen Bevölkerung mildern und langfristig beseitigen sollen. Dass da einige Jahrzehnte nicht reichen, ist einerseits Fakt, andererseits gibt sich die junge Generation bei einer Jugendarbeitslosenquote, die im 40% Bereich pendelt, nicht zufrieden. Auf dem Weg zurück zum Hafen laufen wir einen kleinen Umweg durch das Quartier Latin. Eine Bäckerei hier verkauft Pain rustique. Es erinnert an deutsches Brot, ist gehaltvoller und nicht schon nach einem Tag knüppelhart,...