Schmidt | Über uns der Sternenhimmel | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 317 Seiten

Reihe: Piper Gefühlvoll

Schmidt Über uns der Sternenhimmel

Roman
18001. Auflage 2018
ISBN: 978-3-492-98444-7
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 317 Seiten

Reihe: Piper Gefühlvoll

ISBN: 978-3-492-98444-7
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Eine wunderschöne Geschichte über die Liebe und das Chaos des Lebens

Die 19-Jährige Leah ist alles andere als eine Draufgängerin. Zumindest bis zu dem Tag, an dem plötzlich Henry in ihr Leben stolpert und Verkettungen unglücklicher Ereignisse dazu führen, dass sie ihre sicheren Komfortzonen immer weiter verlassen muss. Und mit ihm an ihrer Seite fühlt es sich plötzlich wahnsinnig gut an, all das zu tun, wovor sie sich so lange gefürchtet hat.

Aber auch Henry, der den Eindruck macht, als ob ihm nichts Angst machen könnte, verbirgt ein Geheimnis vor ihr. Ein gut gehütetes, das immer mehr ans Licht dringt, je weiter er sie in sein Leben lässt ...

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1. Leah


»Herr Uschi«, flöte ich, als ich mir den Schlüssel in die Hosentasche stecke. Ich bücke mich nach den Blumentöpfen und stoße die Tür dann hinter mir mit der Hüfte zu, weil ich so schwer bepackt bin. »Wo sind Sie denn?«, rufe ich. »Musch, musch, musch, musch, musch.«

Ich stelle die Pflanzen auf die Arbeitsplatte, streiche mir ein paar der vom Radfahren (und der damit verbundenen Anstrengung) verschwitzen Haare aus der Stirn und stemme dann die Hände in die Hüften, während ich mich suchend in der Wohnung umsehe.

»Na, da streunt der feine Herr wohl mal wieder in der Nachbarschaft herum«, stelle ich fest, bücke mich aber trotzdem noch einmal nach der Packung mit dem Katzenfutter und schüttele sie probehalber eine Weile in der Hand. Immer noch nichts. Das ist ja mal wieder typisch.

»Okay«, murmele ich. Man kann es ja mal versuchen. Mit einem Seufzen lasse ich ein bisschen von dem undefinierbaren Zeug in Herrn Uschis Napf rieseln. Als ich die Verpackung fürs Erste auf der Arbeitsplatte zwischenlagere, fallen mir die Erdkrümel, die aus den Blumentöpfen gebröselt sind, auf. Sie bilden einen absolut verräterischen Kontrast zu dem hellen Marmor.

Notiz an mich selbst: Erde wegwischen. Und vielleicht, wenn ich mich so umsehe, auch noch einmal den Eichenholzboden saugen. Oder feudeln. Am besten vorher noch einmal googeln, welches von beidem ratsamer ist.

Aber eins nach dem anderen. Erst einmal die Pflanzen austauschen. In allen Ecken der hellen, modernen Wohnung stehen nämlich Doppelgänger der Exemplare, die ich vorhin im Baumarkt erstanden habe – nur dass in den alten nicht einmal mehr ein winziges Quäntchen Leben schlummert.

Das darf Helen aber nie erfahren. Helen, das ist meine Schwester und außerdem auch – zusammen mit ihrem Vorzeige-Ehemann – die Besitzerin dieser Wohnung. Im Moment ist Helen aber vor allem eins: auf dem Rückflug von ihrem zweiwöchigen Teneriffa-Urlaub mit Timo und in weniger als fünf Stunden wieder hier. Und dann muss alles genau so aussehen, wie sie es verlassen hat. Der Countdown läuft. Dann nämlich wird sie bei unserem Paps ein gutes Wort für mich und meine Fähigkeit, auf eigenen Beinen zu stehen, einlegen, sodass ich zum Semesterbeginn hoffentlich seinen Segen für eine eigene Bleibe habe. Im Moment nämlich scheint meine ganze Familie mich für ziemlich tollpatschig zu halten – zu tollpatschig.

Gut, das mit den Pflanzen war ein herber Rückschlag, aber immerhin habe ich exakt dieselben noch einmal gekauft, von meinem nicht vorhandenen grünen Daumen muss also niemals eine Menschenseele erfahren. Und überhaupt: In meiner zukünftigen Wohnung werden, und das ist auch wirklich das höchste aller Dinge, nur Plastikpflanzen stehen. Ich kriege das hin, ich weiß das. Und im Prinzip ist die Liste, die Helen mir vor ihrer Abreise gegeben hat, wirklich idioten-, um nicht zu sagen, leahsicher. Wirklich. Denn neben millilitergenauen Instruktionen zum Gießen der Pflanzen finden sich auch andere »nützliche« Hinweise – auf die ich von allein natürlich nie gekommen wäre – darauf, wie »nichts gegen die Katze werfen« oder »nicht mit der Katze werfen«. Wie gesagt: leahsicher.

Manchmal glaube ich fast, Helen und Paps haben sich gegen mich verschworen. Sie scheinen in mir immer nur die jüngste Tochter zu sehen, die vor allem beschützt werden muss und bei jedem ihrer Schritte Hilfe braucht. Ich weiß, dass sie es nur gut meinen, aber ich bin nun mehr als bereit, endlich ohne Stützräder Fahrrad zu fahren.

Meine Füße haben es sich in den letzten neunzehn Jahren meines Lebens unter dem schweren Eichenholztisch meiner Eltern gemütlich gemacht. Und nun möchten sie genauso wie ich endlich Freiheit schmecken. Da gibt es nur ein Problem – und das ist leider alles andere als klein. Um mir meinen Traum von einer eigenen Wohnung erfüllen zu können, brauche ich eine kleine Finanzspritze von meinen Eltern. So etwa in Höhe der Miete.

Mein Vater ist Lehrer an einem Gymnasium am Stadtrand, gegen dessen Volleyballteam das meiner alten Schule bei Wettkämpfen seit Jahren zuverlässig gewinnt, meine Mutter arbeitet als Chirurgin. Beide sind sie sehr ehrgeizige Menschen, die von ihren Kindern immer nur das Beste erwarten. Und zu fünfzig Prozent geht die Rechnung auch auf – überflüssig zu erwähnen, dass ich die übrig gebliebene Hälfte ausmache. Und eben weil sie so erfolgreich sind in dem, was sie tun, kann ich mir beispielsweise BAföG, was ein guter Zuschuss und eine unheimliche Erleichterung wäre, abschminken.

Ich topfe das Grünzeug um und schnappe mir einen Müllsack aus der Schublade neben dem Putzmittelschrank, in den ich die vertrockneten Pflanzen stopfe. Das wird nachher ganz schön schwer werden – ich schwitze jetzt schon wieder, wenn ich daran denke, dass ich den gleich auf meinem Fahrrad bis zum nächsten Supermarkt schaffen muss. Das wird ein Spaß. Noch flauer wird mir allerdings, wenn ich daran denke, dass ich dort dann auch noch genötigt sein werde, so etwas wie Hausfriedensbruch zu begehen, um den Sack in den dortigen Müllcontainer stopfen zu können. Ich mache normalerweise nichts Verbotenes. Gar nichts. Nicht mal ein bisschen.

Abschreiben in der Schule? Auf Partys mal an einem Joint ziehen, nur einmal, ein einziges Mal, um es auszuprobieren? Blaumachen? Schnaps an der Tanke klauen? Oder den überhaupt trinken? Fehlanzeige.

Ich, Leah Braumann, neunzehn Jahre alt, habe eine Weste, die so blütenweiß ist, dass man sofort heftig blinzeln muss, wenn man sie sieht. Ich bin die Mutter Teresa unter den Jugendlichen, der Spießer des Jahres. Baldige Bausparvertragsbesitzerin und heiße Anwärterin auf einen Beamtenposten – zumindest wenn es nach meinem Vater geht. Etwas muss bloß verboten klingen, dann bin ich die Erste, die die Beine in die Hand nimmt und die Straßenseite wechselt. Blöd nur, dass ich ein Händchen dafür habe, Situationen, die mich an den Rand eines Kollaps bringen, anzuziehen. So wie diese hier.

Meine Eltern, vor allem aber mein Paps, können manchmal ziemlich streng sein. Sie meinen es nur gut mit ihrer Fürsorge, aber nicht selten fühle ich mich davon ziemlich erdrückt. Als ob mein Paps in mir immer noch das kleine Mädchen sieht, dass seine Hand festhält, um über die Straße zu gehen.

Mit Helens Auszug hat sich das Ganze verschlimmert – er hat immer viel gearbeitet, und ich glaube, jetzt ist er einfach überrascht, dass wir doch so schnell erwachsen geworden sind. Und ihn dabei nicht mehr vor jedem Schritt um Rat fragen. Ich verstehe, dass er noch nicht loslassen will – aber das muss er ja auch gar nicht. Nur weil ich etwas Eigenes möchte, bin ich schließlich nicht weniger seine Tochter.

Aber es ist ja auch gar kein richtiger Hausfriedensbruch, rede ich mir selbst gut zu, als mein Blick wieder auf den Müllsack fällt. Ich werde ja nicht einmal das Gebäude betreten. Bloß den Hinterhof. Ich habe das alles immerhin gut durchdacht. Als ich gemerkt habe, dass mir die Pflanzen hier alle mit erschreckender Geschwindigkeit das Zeitliche segnen – wie, bitte schön, ist es überhaupt möglich, dass das so schnell geht? –, habe ich angefangen, Panik zu schieben. Was soll Helen denn denken, wenn all ihre Orchideen, Bonsais und Yucca-Palmen nach ihrer Rückkehr nichts weiter als Kompost auf dem besten Weg zu Humus wären? Um das Risiko für ein erneutes Massensterben zu minimieren, habe ich das Ersetzen der Pflanzen bis auf den letzten Tag aufgeschoben. Allerdings hätte all das nicht viel gebracht, wenn Helen dann beim Müll-Rausbringen ein paar Tage später plötzlich ein paar tote Azaleen in der Tonne gefunden hätte. Bei uns zu Hause dasselbe im wortwörtlichem Grün. Oder wohl eher Kompostbraun … Ich runzele die Stirn. Das hätte alles nur unnötige Fragen aufgeworfen, auf die ich keine guten Antworten gehabt hätte. Auf die Idee mit dem Müllcontainer beim Supermarkt hat mich dann meine beste Freundin Dana gebracht.

Ich stelle den Müllsack erst einmal in eine Ecke und mache mich daran, die Erde von all den Oberflächen im Haus, auf die sie bei meiner Aktion gerieselt ist, zu wischen. Ich habe keine Ahnung, wie Helen sich hier wohlfühlen kann. Das hier ist diese typische Vorstadtidylle, wie man sie auch bei uns zu Hause findet, bloß fünfzehn Minuten mit dem Fahrrad von unserem Elternhaus entfernt. Und das ist ja schön und gut, aber Helen ist erst dreiundzwanzig, ihr Mann drei Jahre älter. Sollte man in dem Alter nicht irgendwie … verrückter sein? Stattdessen wohnt sie in einem artigen Reihenhaus, ist verheiratet, hat einen Kater und einen Job, für den sie Kleidung tragen muss, die selbst für meinen Geschmack zu bieder ist. Manchmal habe ich das Gefühl, dass Helen sich nie daran gestört hat, die Spießigkeitsgene unserer Eltern geerbt zu haben. Sie hat schon immer den Eindruck gemacht, als wüsste sie, wer sie ist und müsste nicht – im Gegensatz zu mir – erst nach sich selbst suchen. Das Problem liegt bei mir allerdings viel tiefer als beim Eingesperrtsein. Vielmehr ist es die Angst davor auszubrechen, die mich zu der Leah macht, die ich bin.

Ich seufze einmal tief und schaue mich in der Wohnung um – das sieht doch alles gar nicht so schlecht aus. Das Einzige, was jetzt noch stört, ist der Boden. Gerade will ich mein Handy aus der Hosentasche ziehen, um zu googeln, wie man damit jetzt verfahren muss, da klingelt es an der Haustür.

Ich ziehe die Augenbrauen zusammen. Wie merkwürdig: Wer will denn jetzt etwas von meiner Schwester oder ihrem Freund? Wohl wissend, dass sie noch für die nächsten – ich werfe einen raschen Blick auf meine Uhr – viereinhalb Stunden nicht zu Hause sein werden. Aber wahrscheinlich ist das die Post. Da hat Helen aber Glück gehabt, dass ich gerade da bin, um ihr Paket...


Schmidt, Janne
Janne Schmidt, geboren 1997, lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Bremerhaven und studiert Deutsch und Kunst. Sie liebt Eishockey und backt gerne für ihre Familie (wobei es immer entweder gut aussieht oder gut schmeckt – leider nie beides gleichzeitig). Ihr Debüt »Der Leo Plan« schaffte es auf die Shortlist des 1. Piper Awards »erzählesuns«.



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