E-Book, Deutsch, Band 1, 336 Seiten
Reihe: Das Nähcafé
Schmidt Das kleine Nähcafé am Fluss
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-641-32078-2
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman - Trend-Thema Handarbeit trifft auf schöne Liebesgeschichten!
E-Book, Deutsch, Band 1, 336 Seiten
Reihe: Das Nähcafé
ISBN: 978-3-641-32078-2
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Maura ist eine Powerfrau, die alles im Griff hat. Als sie die Nachricht erreicht, dass ihre Tante gestorben ist und Maura deren Haus geerbt hat, macht sie sich widerwillig auf den Weg in ihre alte Heimat, die sie mit 18 fluchtartig verlassen hat. Mauras Plan: Die Beerdigung so schnell wie möglich hinter sich bringen, Tante Hetties Haus verkaufen und dann zurück an die Arbeit. Alles ist genauso, wie sie es in Erinnerung hat: Das idyllische Haus am Fluss mit den blauen Fensterläden, der etwas verwilderte Garten, die Blumenpracht, die Apfelbäume. Aber was ist das? Der Anbau ist neu. Maura öffnet die Tür und betritt den herrlichsten kleinen, bis an die Decke mit schönsten Stoffen gefüllten Nähladen. Sie lernt eine Gruppe Frauen kennen – die sich im Nähladen treffen – und die sie schnell in ihr Herz schließt. Und apropos Herz: Das klopft durchaus schneller, wenn sie auf den geheimnisvollen Marten trifft …
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3
Etwas benommen hielt Maura ihr Gesicht in die warme Hamburger Nachmittagssonne. Sie konnte nicht behaupten, dass sie sich besser gefühlt hätte. Oder weniger verwirrt gewesen wäre. Aber wenigstens sah sie jetzt klarer. Und sie würde Anwältin Brigitte Mockenbrinck auf ewig für ihre Feinfühligkeit dankbar sein. Schlanke zwanzig Jahre nicht auftauchen und dann mal fix ein Erbe abgreifen? Nein, das hatte die schmale Frau mit dem klugen Gesicht sicher nicht gedacht. Maura spürte, dass Frau Mockenbrinck kein Mensch war, der sich vorschnell ein Urteil bildete. Und dass sie durchaus in der Lage war, feine Zwischentöne zu erspüren. Ihre grauen Augen hatten jede von Mauras Regungen registriert. Mitfühlend hatte sie Maura in dem kühl eingerichteten Besprechungsraum ihrer Kanzlei in Eppendorf allein gelassen, um einige Augenblicke später mit einem kräftigen Kaffee zurückzukommen.
»Natürlich können Sie das Erbe auch ausschlagen, wenn Sie möchten.«
Maura nickte stumm.
»Allerdings hat Frau Siebenstern verfügt, dass das Erbe an Ihren Sohn geht, falls Sie selbst es ausschlagen wollen.«
»An meinen Sohn? Wie konnte sie …?«
»Tut mir leid, mehr kann ich Ihnen dazu nicht sagen. Aber warum sollten Sie das Erbe ablehnen? Ihre Tante war nicht verschuldet, im Gegenteil. Das Häuschen ist in ordentlichem Zustand, und der Laden lief auch ganz erfreulich, obwohl sie in den letzten Jahren aufgrund ihres Alters nicht mehr so viel Energie dafür aufbringen konnte wie früher.«
»Ich bin, ehrlich gesagt, erstaunt darüber, dass Sie mich erst heute anrufen.«
»Ja, das tut mir leid. Tatsächlich habe ich selbst auch erst heute vom Ableben Ihrer Tante erfahren.«
»Verstehe.« Mauras Stimme schwankte kurz. Dann straffte sie sich und wurde wieder sachlich. »Den Laden hat sie in den letzten Jahren gar nicht mehr erwähnt, wenn wir uns getroffen haben.«
»Na ja, ich habe ihr vor rund siebzehn Jahren dabei geholfen, alles zu regeln, was damit zu tun hatte. Der Laden war so etwas wie Frau Siebensterns Lebenstraum, denke ich.«
»Ein Nähladen auf dem Land. Schon ziemlich verrückt, oder?«
»Ihre Tante hat darin wohl eine Art Projekt gesehen.«
»Klingt ein bisschen traumtänzerisch.«
»Vielleicht. Aber Träume zu haben, ist ja an sich nichts Verkehrtes.«
Und sowas von einer studierten Juristin. Maura biss sich auf die Unterlippe und rollte innerlich die Augen.
»Wie auch immer, Ihre Tante wollte, dass Sie das Haus, den Laden und das Grundstück in Rockenbrook bekommen. Ein Stück Wald und etwas Land gehören wohl auch noch dazu. Ich kann natürlich auch alles für den Verkauf vorbereiten, wenn Sie möchten.«
»Das wäre gut, ja.«
»Wollen Sie sich das Ganze nicht vorher noch mal anschauen?«
»Wozu?«
»Na ja, vielleicht möchten Sie ein Erinnerungsstück für sich behalten?«
»Nein, eigentlich nicht.« Maura zögerte.
Brigitte Mockenbrinck sah sie ruhig an. »Wirklich nicht?«
In Maura regte sich neben der aufkeimenden Trauer auch das schlechte Gewissen. Immerhin war sie es gewesen, die Tante Hettie nicht zurückgerufen hatte. Sie war einfach in Arbeit untergegangen. Eine kleine Stimme in Mauras Kopf gab zu bedenken: Und du hättest dich damit auseinandersetzen müssen, dass Tante Hettie nicht mehr fit ist. Und Hilfe braucht. Du wusstest genau, dass du dann an Rockenbrook nicht vorbeigekommen wärst.
Maura schloss kurz die Augen. Und dann, einem spontanen Impuls nachgebend, sagte sie: »Okay, vielleicht haben Sie recht, ich schaue mal kurz vorbei.«
»Wo Sie einmal hier sind«, sagte Frau Mockenbrinck und lächelte.
»Gibt’s einen Schlüssel? Wo bekomme ich den?«
»Ich habe einen Satz Schlüssel für das Haus Ihrer Tante im Tresor. Frau Siebenstern hat vor ein paar Jahren für den Fall der Fälle alles hier hinterlegt, sie hatte ja weiter keine Angehörigen.«
Nur mich und Quist. Und ich war nicht für sie da, dachte Maura.
Verdammtes Rockenbrook. Maura wollte da einfach nicht hin. Aber war sie wirklich noch dieselbe wie damals? Würde überhaupt irgendjemand sie heute noch erkennen? Maura hielt das für unwahrscheinlich. Von dem verängstigten, verletzten Mädchen, das damals Knall auf Fall das Dorf verlassen hatte, war nichts mehr übrig. Maura hatte hart an sich gearbeitet. So hart, dass sie sich manchmal innerlich richtig kalt fühlte. Bis auf die Momente mit Quist, in denen sie fröhlich und albern sein und über alles mit ihm reden konnte. Okay, nicht wirklich über alles. Immer häufiger stellte er Fragen, auf die sie nur ausweichende Antworten gab. Mehr als einmal hatte er nach seinem Vater gefragt und war von Maura mit dem Satz »Es war nur eine flüchtige Bekanntschaft, ich weiß nicht einmal seinen Nachnamen« abgespeist worden. Oft genug versickerte dann ein Gespräch, während seine blauen Augen nachdenklich auf ihrem Gesicht ruhten. Wenn ich ihm die Wahrheit erzähle, wird er seinen verdammten Vater suchen, vermutete Maura. Und finden.
In allen anderen Bereichen ihres Lebens war Maura ein Diamant auf zwei Beinen. Sobald es ums Geschäft ging, war ihre Devise: Schnell rein, schnell raus, Strich drunter. Und genauso werde ich die Rockenbrook-Sache regeln, schwor sie sich. Wäre doch total albern, davor zu kneifen. Kurz vorbeifahren, Lage sondieren, Beerdigung absolvieren und dann nach Köln zurück. Kann so schwierig nicht sein. Aber wenigstens einmal hinfahren, das war sie ihrer Tante schuldig.
»Kann ich Ihnen die Schlüssel morgen nach der Trauerfeier zurückgeben? Sie brauchen sie ja, um das Haus zu verkaufen, oder?«
»Richtig, kein Problem, ich leite dann alles in die Wege.«
»Was ist eigentlich mit der Beerdigung? Muss ich da noch irgendwas regeln?«
»Keine Sorge, das hat Ihre Tante schon vor Jahren erledigt. Sie hatte da ganz genaue Vorstellungen …«
»Klingt nach Tante Hettie.«
»Ja, sie war wirklich eine besondere Frau.«
»Gibt es eine Trauerfeier?«
»In der Dorfschenke in Rockenbrook.«
»Die gibt’s noch?«
»Muss wohl. Ihre Tante hat vor rund fünf Jahren alles organisiert.«
»Kann ich die Feier wenigstens bezahlen?«
»Frau Siebenstern hatte eine Sterbeversicherung. Sie hat sogar ausgesucht, welche Kuchen es geben soll. Und natürlich die Musik.«
Maura fühlte Übelkeit in sich aufsteigen. Durch ihr trotziges Vermeidungsverhalten hatte sie ihre Tante verdammt alleine gelassen. Obwohl sie nicht mehr die Jüngste gewesen war und sicher Unterstützung hätte gebrauchen können. Aber okay, auch Tante Hettie hatte es alleine geschafft. Und wo nicht, hatte sie sich anscheinend Hilfe gesucht.
»Und die Beerdigung ist ja auch schon morgen«, setzte die Anwältin hinzu.
Plötzlich spürte Maura einen Kloß im Hals. Seit Wochen schon stand der Anruf bei ihrer Tante ganz oben auf ihrer To-do-Liste. Immer wieder hatte sie ihn aufgeschoben. Das war umso schlimmer, als Tante Hettie ihren jährlichen Besuch in Köln wegen einer Grippe nicht wahrnehmen konnte. Hatte sich Tante Hettie von ihr im Stich gelassen gefühlt?
»Also gibt es für mich nichts weiter zu tun?«
»Nichts, nein. Bis auf die Sache mit der Erbschaft.«
»Das sollte kein Problem sein«, gab Maura knapp zurück.
»Gut. Entschuldigen Sie mich bitte kurz!«
Kurze Zeit später kam Brigitte Mockenbrinck mit einem kleinen Schlüsselbund in der Hand zurück und legte ihn vor Maura auf den Tisch. Maura erkannte den alten, abgewetzten Haustürschlüssel, zu dem sich ein zweiter, etwas neuerer gesellt hatte. Der satte Honigton eines großen Bernsteins erregte ihre Aufmerksamkeit. Maura nahm den Schlüssel in die Hand und betrachtete den fein gearbeiteten Anhänger. Tief im sanften Gold des Bernsteins schien eine winzige Mücke im Flug eingefangen zu sein. Plötzlich erinnerte sie sich: Sie war mit Tante Hettie im Urlaub an der Nordsee gewesen. Ende Oktober, und es war bitterkalt gewesen. Das Prickeln von Sandkörnern, die der Wind gegen ihre Stirn hatte prallen lassen, kam ihr ins Gedächtnis. Nach einer Sturmflut waren sie in ihren Ostfriesennerzen und Gummistiefeln am Strand herumgestapft. Dort hatte Maura ihren ersten Bernstein gefunden. Er war so groß gewesen, dass ihre Kinderhand ihn kaum umschließen konnte. Jahrelang hatte er in einer fein gebosselten silbernen Schale auf der Küchenbank geruht. Und jetzt war er hier. Tante Hettie hatte ihn einfassen und in einen Schlüsselanhänger verwandeln lassen. Unglaublich. Zärtlich strichen Mauras Finger über das überraschend warme Material. Ein Seufzen löste sich tief aus ihrer Brust. Maura straffte sich.
»Vielen Dank, ich gebe Ihnen den Schlüssel so bald wie möglich zurück.«
»Lassen Sie sich die Zeit, die Sie brauchen.«
»Ich fahre nach der Beerdigung direkt nach Köln zurück.«
»Ah, schade. Bevor ich...