Schmid / Joris | Elisabeth Joris | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 304 Seiten, Format (B × H): 150 mm x 225 mm

Schmid / Joris Elisabeth Joris

Ein Leben in Geschichte(n)
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-03919-697-5
Verlag: Hier und Jetzt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Ein Leben in Geschichte(n)

E-Book, Deutsch, 304 Seiten, Format (B × H): 150 mm x 225 mm

ISBN: 978-3-03919-697-5
Verlag: Hier und Jetzt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die Historikerin Elisabeth Joris prägte die Schweizer Frauengeschichtsschreibung wie keine andere. 1986 publizierte sie mit Heidi Witzig «Frauen-geschichte(n). Dokumente aus zwei Jahrhunderten zur Situation der Frauen in der Schweiz» und wurde damit auf einen Schlag bekannt. 1946 in Visp im Oberwallis geboren, gehörte Joris einer Frauengeneration an, der man noch den Besuch des Gymnasiums verweigert hatte. Es brauchte mehrere Umwege, bis sie 1970 endlich ihren Traum, Geschichte zu studieren, verwirklichen konnte. Diese Erfahrungen und die aufkommende 68er-Bewegung beeinflussten sie. Joris war aktiv in der linken Gruppierung «Kritisches Oberwallis» und wurde Mitte der 1970er-Jahre zur überzeugten Feministin, was sich auf ihre weitere Arbeit als Historikerin auswirkte.
Aufgrund von Gesprächen zeichnet Denise Schmid die lebhaft erzählte Biografie einer ganz besonderen Persönlichkeit mit ihrem reichen privaten, politischen und historischen Erfahrungsschatz nach.

Schmid / Joris Elisabeth Joris jetzt bestellen!

Weitere Infos & Material


Am Anfang war ein Buch. Und es veränderte das Leben von Heidi Witzig und mir auf eine Art und Weise, wie wir es nie für möglich gehalten hätten. Im September 1986 erschien «Frauengeschichte(n). Dokumente aus zwei Jahrhunderten zur Situation der Frauen in der Schweiz». Es war das erste umfassende Werk zu diesem Thema. Die Idee dazu war sechs Jahre zuvor recht spontan auf einer Pfingstwanderung an einem sonnigen Maitag im französischen Jura besprochen und mit einem Glas Champagner besiegelt worden. Wir waren mit rund einem Dutzend Leuten aus drei Wohngemeinschaften unterwegs, wie in den Jahren zuvor, als wir uns den grossen Pfingstmärschen im Rahmen der Anti-AKW-Proteste angeschlossen hatten. Der Ausflug 1980 aber war nun privater Natur, wandern mit Gleichgesinnten, so wie wir es bis heute alljährlich zu Pfingsten tun. Heidi und ich kannten uns damals nur von fern. Felix Müller, ein guter Kollege von mir an der Kantonsschule Riesbach, wo ich Geschichte unterrichtete, brachte uns zusammen. Ich hatte ihm erzählt, dass ich nun fünf Jahre allein an meiner Lizenziatsarbeit gearbeitet hätte. Und ich nun am liebsten mit jemand anderem etwas zur Frauengeschichte auf die Beine stellen wollte. Felix sagte: «In meiner WG in Uster wohnt Heidi Witzig, sie hat Geschichte studiert und in Kunstgeschichte promoviert. Sie arbeitet beim Fernsehen in der Dokumentationsabteilung und sucht auch nach einem solchen Projekt.» Heidi war zwei Jahre älter als ich, ebenfalls in ihren Dreissigern, und engagierte sich wie ich in der Frauenbefreiungsbewegung (FBB). Die Idee eines Mannes, uns zu verbinden, stand sozusagen am Anfang unseres Buches zur Schweizer Frauengeschichte. Während wir durch den Jura wanderten, diskutierten Heidi und ich unsere Vorstellungen. Sie hatte bereits an einer Quellensammlung zur Schweizer Arbeiterbewegung mitgearbeitet, die im Zürcher Limmat Verlag erschienen war. In meiner Lizenziatsarbeit hatte ich mich mit dem sozialen Wandel im Oberwallis im ausgehenden 19.Jahrhundert befasst. Wir beschlossen, die Schweizer Frauengeschichte seit dem 19.Jahrhundert anhand unterschiedlicher Quellen aufzuarbeiten. Wer schreibt über die Vergangenheit? Was wird erzählt und wie? Die Verbindung von Sozial- und Geschlechtergeschichte war damals noch recht neu und wurde von gestandenen Koryphäen des Fachs eher belächelt; sie galt als typisch linkes Anliegen. Noch während meiner Ausbildung zur Sekundarlehrerin Ende der 1960er-Jahre waren zweisemestrige Vorlesungen über Bismarck und andere «grosse Männer der Geschichte» nicht unüblich gewesen. Es war ein verengter Blick aus der Perspektive von Historikern – Männer, die sich für andere Männer interessierten. Wir aber waren Frauen und fanden, es sei überfällig, den Horizont zu öffnen, auf neue Themenfelder und aus anderen Perspektiven auf die Geschichte zu blicken. Heidi und ich wollten ein Buch schreiben, das etwas mit uns als Historikerinnen, als politisch engagierte Feministinnen und berufstätige Mütter zu tun hatte. Wir wollten untersuchen, was es mit dem «weiblichen Geschlechtscharakter», der Frau als «Gattungswesen», auf sich hatte und wie Strukturen, Vorurteile, Zuschreibungen, soziale und politische Umstände zu den Definitionen von Weiblichkeit beigetragen hatten. Das Thema lag seit Ende der 1960er-Jahre in der Luft, überall in der westlichen Welt wurde dazu publiziert. Wir wollten nicht nachstehen. Die Schweizerinnen hatten auch ihre Geschichte, und was für eine. Wir waren uns einig, dass die Erarbeitung auf wissenschaftlich fundierter Basis geschehen sollte – wir hatten unser Handwerk ja gelernt –, aber es sollte ein Buch für ein breites Publikum werden. Wir entwickelten die Buchstruktur und trafen uns regelmässig einmal pro Woche im Café Zähringer in Zürich, in der Nähe der Zentralbibliothek, um uns ein oder zwei Stunden auszutauschen. Heidi war die Unbekümmerte, ich die ewige Reflektiererin. Sie konnte knapp formulieren, ich machte Bandwurmsätze – wir ergänzten uns gut. Doch im Laufe der Arbeit wurde das Projekt grösser und grösser, die Bereiche immer vielfältiger. Entgegen unserem ursprünglichen Enthusiasmus schien das Ende nicht absehbar. Wir hatten beide einen Job und kleine Kinder. Heidi stillte ihre Tochter noch, als wir mit dem Buchprojekt begannen, und ich bekam ein Jahr nach Beginn der Zusammenarbeit meinen zweiten Sohn. Dank unserem Leben in Wohngemeinschaften und mit verständnisvollen Partnern hatten wir zwar immer eine gute Abfederung der Kinderbetreuung. Ausserdem war die Arbeit spannend und erfüllend. Dennoch, sie musste sehr flexibel in die kleineren und grösseren Lücken unseres privaten und beruflichen Alltags eingepasst werden. Das Thema war riesig und unsere verfügbare Zeit begrenzt. Da hörte Heidi über den Historiker Josef Wandeler, der am Historischen Seminar der Uni Zürich beschäftigt war, dass 1983 an der Universität Bern eine erste Historikerinnentagung stattfinden sollte. Beatrix Mesmer, Professorin an der Uni Bern, ihre damalige Assistentin Brigitte Schnegg und Regina Wecker, damals Assistentin an der Universität Basel, schlossen sich zusammen, um ein Forum für Forscherinnen zu schaffen, die sich mit Frauengeschichte befassten. Während sich die etablierte Geschichtswissenschaft schwertat mit dem Thema, gingen informelle Gruppen die neuen Fragestellungen seit den 1970er-Jahren mit freien Tutoraten an. Diese Forscherinnen sollte die Tagung vernetzen. Das Thema war die Geschichte weiblicher Arbeits- und Lebensbedingungen in der Schweiz. Wir waren beide freischaffende Historikerinnen, Heidi hatte promoviert, ich nicht. Konnten wir an diesem akademischen Zirkel einfach so teilnehmen? Wir bewarben uns und wurden angenommen, als einzige ausseruniversitäre Referentinnen. Wir stellten unser Buchprojekt vor und sprachen zur Entwicklung der «Töchterberufe», also über die den tonangebenden Männern ewig zudienenden Frauenberufe wie Krankenschwester, Lehrtochter, Bürotochter, Ladentochter, Serviertochter etc. Das Referat kam sehr gut an, das Interesse an der Quellenedition war gross, die Diskussion lebhaft. Wir waren glücklich, einen Kreis von so interessanten Mitstreiterinnen gefunden zu haben. Doch als Brigitte Schnegg und Regina Wecker den Tagungsband zusammenstellten, sagte Beatrix Mesmer zunächst, unser Referat passe nicht so recht zu den wissenschaftlichen Beiträgen. Es habe mehr den Charakter eines Ein langer Weg – Historikerinnen und die Schweizer Frauengeschichte Das Interesse an der historischen Forschung zur Frauen- und Geschlechtergeschichte entwickelte sich ab den 1960er-Jahren aus der neuen Frauenbewegung in den westlichen Ländern heraus, allen voran den USA. In der Schweiz war das Thema bis in die 1970er-Jahre an den Universitäten inexistent. «Die Bezeichnung ‹Frauengeschichte› selbst wirkte hier lange zugleich provokant und lächerlich: lächerlich durch die Nähe zu ‹Frauengeschichten› und provozierend durch den impliziten Vorwurf, dass die Geschichtswissenschaft bisher Männergeschichte betrieben und Frauen bewusst und unbewusst ausgeschlossen hatte», schreibt die Historikerin Regina Wecker in einem Aufsatz 1991. Das mangelnde Interesse hatte nicht zuletzt mit dem Fehlen von Professorinnen im Fach Geschichte zu tun. Beatrix Mesmer wurde 1973 die erste Professorin für Schweizer Geschichte an der Universität Bern und stellte die Sozial-, Mentalitäts- und Geschlechtergeschichte ins Zentrum ihrer Forschung. Während zwanzig Jahren war sie die einzige Lehrstuhlinhaberin mit diesem Fokus. 1983 fand nicht nur die von ihr mitinitiierte erste Historikerinnentagung der Schweiz statt. Im selben Jahr wurde auch der Verein Feministische Wissenschaft Schweiz (FemWiss) gegründet. Bis 2007 wurden elf weitere Historikerinnentagungen durchgeführt; seither findet der Austausch unter dem Namen «Tagung für Geschlechtergeschichte» statt. Regina Wecker wurde 1993 Assistenzprofessorin für Frauen- und Geschlechtergeschichte an der Universität Basel und 1997 ausserordentliche Professorin. Ebenfalls in Basel erhielt Andrea Maihofer 2001 das erste Ordinariat für Gender Studies. Die Einrichtung eigener Forschungsinstitute zu Gender Studies an Schweizer Hochschulen begann Ende der 1990er-Jahre. Heute gibt es sie an fast allen Hochschulen und an mehreren Fachhochschulen. Am Historischen Seminar der Universität Zürich dauerte es bis 2003, bis die ersten beiden Professuren mit Frauen besetzt wurden. Während in Zürich inzwischen fast die Hälfte der Lehrstuhlinhaberinnen in der Geschichtswissenschaft Frauen sind, ist die Schweizer Frauen- und Geschlechtergeschichte an den Hochschulen weiterhin institutionell wenig verankert. Pionierinnen wie Regina Wecker in Basel oder Brigitte Studer in Bern wurden in den letzten Jahren pensioniert oder sind wie Brigitte Schnegg mittlerweile verstorben. Regina Wecker, Frauengeschichte – Geschlechtergeschichte, in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte. Heft 3, 41 (1991). S. 308–319. Essays. Rückblickend hatte sie wohl recht. Doch damals zeigten wir uns empört. Wir fragten uns, ob Mesmers Haltung wohl damit zu tun hatte, dass wir nicht zum universitären Kreis gehörten. Professor Rudolf Braun, der meine Lizenziatsarbeit betreut hatte und ein aufgeschlossener Pionier der Sozialgeschichte war, stattete der Tagung einen kurzen Besuch ab. Ich hatte etwas Bammel, dass er in unseren Vortrag kommen könnte. Aber er tauchte nicht auf. Es wurde mir allerdings zugetragen, was er gesagt haben soll: «Wieso spricht die Joris da? Sie soll lieber ihre Dissertation schreiben.» Dazu muss man wissen: Ich hatte eine so umfangreiche...


Schmid, Denise
Denise Schmid ist Historikerin und Verlegerin. Sie publiziert Sachbücher, u.?a. die bei Hier und Jetzt erschienenen Biografien «Fräulein Doktor. Das Leben der Chirurgin Marie Lüscher» (2022), «Trotz allem. Gardi Hutter. Biografie» (2021) oder «Ruth Gattiker. Pionierin der Herzanästhesie» (2016). Sie lebt in Zürich.



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.