Schimmelpfennig / Birgfeld | Roland Schimmelpfennig - Ja und Nein | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, Band 107, 116 Seiten

Reihe: Recherchen

Schimmelpfennig / Birgfeld Roland Schimmelpfennig - Ja und Nein

Vorlesungen über Dramatik

E-Book, Deutsch, Band 107, 116 Seiten

Reihe: Recherchen

ISBN: 978-3-95749-015-5
Verlag: Theater der Zeit
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Roland Schimmelpfennig, vielfach ausgezeichnet und in Deutschland wie international einer der meistgespielten deutschsprachigen Dramatiker, gibt in "Ja und Nein" erstmals ausführlich Auskunft über sein künstlerisches Selbstverständnis und darüber, was Theater ist und sein soll: einfach, verdichtend, ein Kunstwerk, ein Spiel, erzählend, ein Raum für Dialog, ein Gesprächsangebot. Es ist steter Versuch, die Welt spielerisch zu durchmessen.

"Ja und Nein" basiert auf drei im Rahmen der 2. Poetikdozentur für Dramatik an der Universität des Saarlandes im Winter 2012/13 in Saarbrücken gehaltenen Vorträgen. Einkreisend, ernst und selbstironisch, gelegentlich scharf, erläutert Schimmelpfennig seine Dramatik: Einflüsse aus Film, Musik und Literatur, die Entstehung seiner Stücke, sein Verhältnis zum Stadttheater, zur Theorie, zu Jürgen Gosch und zum Inszenieren, zu Kritikern, zu Euripides, Sophokles und Shakespeare, zur leeren Bühne als dem magischen Ort des Theaters, zum Theater nach den Theaterrevolutionen. Er zitiert aus seinen Stücken und konturiert Schritt für Schritt den Kern seiner Poetik: die Erzählung auf der Bühne, das narrative Theater, in dem nicht die Sprache, sondern der Mensch im Zentrum steht.
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1.1. WENN, DANN: WAS WIR TUN, WIE UND WARUM
Marek, vollkommen staubbedeckt, bricht durch den Fußboden in den Raum. Er klettert in den Raum, schwankt leicht. Er überlegt kurz, ob er gleich weiterarbeiten soll. Die anderen sehen ihn an. RUDI reicht ihm sein Butterbrot. RICKI gibt ihm ein Bier. Er setzt sich.   Schweigen. RUDI Und?   Pause. Es dauert bis Marek so weit ist. MAREK König Runza ist ein schlecht gelaunter König.   Kurze Pause.   Aber er ist ein König, und er reitet auf einer Elster durch sein Reich der Feen und der Elfen.   Kurze Pause.   Und die Elster ist ein Biest.   Die Elster sagt, sie ist eine Dohle, aber in Wahrheit ist sie nichts als eine Elster, und beide wissen das, der König Runza, und das Tier, auf dem er reitet.   Was du redest, was du sagst, sagt Runza, und dann schlägt er die Elster, und er reißt ihr die Federn aus, und die Elster frißt Schnecken und hackt fremde Eier auf, damit ihr neue Federn wachsen,   immer klebt Dotter an ihrem Federkleid und an ihrem Schnabel,   die Elster ist widerlich, sagt König Runza.   Er trinkt einen Schluck und denkt kopfschüttelnd nach.   Aber – wenn es ihm zu eng wird, wenn es Runza zu eng wird, reitet er nicht mehr auf der Elster, sondern auf einem Kolibri, und der Kolibri ist eitel, und er hackt der Elster auf den Kopf, und dafür schlägt Runza den Kolibri und reißt ihm Federn aus, und der Kolibri frißt Fliegen, damit ihm die Federn wieder wachsen, und damit der Schmerz nachläßt, und wenn es Runza auf dem Kolibri zu eng wird, weil er nicht durch die Ritzen kommt, dann reitet er auf einer Mücke, und die Mücke weint und weint, weil sie weiß, daß sie bald sterben wird, und wenn die Mücke dann mit Runza durch die Fensterritzen und Borkenspalten geflogen ist, dann frißt Runza die Mücke bei lebendigem Leib, und die schreit und schreit, aber Runza ist der König, und wenn die Mücke schreit, wissen alle Feen und Elfen, daß Runza in der Nähe ist.   Kurze Pause.   Man könnte meinen, die Feen und Elfen liebten den Wald, das Grün, die Heide, aber nein:   Am liebsten reist Runza durch sein Reich aus Stein, durch Putz und Mörtel, durch die Städte, durch die Häuser, durch die Wände, durch die Böden, auf dieser Reise reitet er auf einer Assel, hoho, hü, oder auf einer Larve, oder auf einer Milbe, schwankend auf der Milbe durch die Wände, durch die Böden, durch die Betten –   Die Körper schwitzen, die Kinder weinen und die Frauen stöhnen und die Männer grunzen, wenn Runza und sein Troß über sie hinwegziehen,   mit wehenden Fahnen und mit für unsere Ohren   unhörbarer Spinnenmusik,   wo sind die goldenen Felder, wo sind die goldenen Felder, so geht immer die Musik.   Kurze Pause.   Die Spinnenmusik, die Spinnen laufen dem Troß hinterher, und wo du eine Spinne laufen siehst, ist Runza nicht weit, und wenn die Spinne verschwunden ist, hat Runza sie gefressen, und während er sie frißt, singt die Spinne am schönsten, hell und klar, wie ein Stern,   wo sind die goldenen Felder, wo sind die goldenen Felder. Hier sind sie hier, ruft ein Silberfisch, der vorneweg läuft, hierher, hier, und: da sind sie, da sind die goldenen Felder, winzige Trommeln und Flöten spielen, und die langen Fahnen flattern,   hier sind sie, hier, und da, in den Ritzen zwischen den Dielen, unter dem Boden und in den Fugen, wächst es, hier wächst der Feenstaub, hier wächst der Purpurstaub, hier wächst das Gold.   Kurze Pause.   Und Runza streicht über die goldenen Fäden, er ist der Herrscher von alldem, und niemand weiß es.   […]   Ich stand plötzlich vor Runzas Thron, gebaut aus einer goldenen Haselnuß, und ich war plötzlich winzig klein. Da, wo ich war, war es hell und dunkel gleichzeitig, es war wie eine Zwischenwelt, und über uns donnerte es, das waren Eure Stimmen, und Eure Füße.   Wir sind unter den Dielen, sagt Runza, dies ist das Zwischenreich, das Reich der Feen und des Goldes,   es gibt drei Reiche, wußtest du das, Marek,   woher wissen Sie, wer ich bin,   ich weiß es, ich bin der König im Zwischenreich, ich bin König Runza,   es gibt drei Reiche: Das Vorwärtsreich, aus dem kommst du, das Zwischenreich, da bist du jetzt,   und es gibt das Rückwärtsreich, vor dem hüte dich, Marek.   Kurze Pause.   Und dann schlägt er mich zum ersten Mal.   Du Marek, du mußt aufpassen, was machst du hier, hier hast du nichts zu suchen, wie kommst du hierher in die Zwischenwelt, hier hast du nichts zu suchen, und jetzt, was soll jetzt aus dir werden, denn zurück kommst du nicht, das weißt du wohl, kein Mensch hat je die Zwischenwelt betreten, und kein Mensch wird sie jemals verlassen.   Hast du gedacht, du faßt den Schimmel an, hast du die goldenen Fäden angefaßt, wolltest du ernten? Aber das gehört nicht dir, das ist kein Schimmel, sieht nur so aus, das ist Feenstaub, das ist Gold, und sag mir, Marek, wo es in der Vorwärtswelt am meisten schimmelt, und ich sag dir wo das Gold ist. Gold!   Die Zwerge lieben Steine, Diamanten, auch Metalle, aber sie können sie nicht säen, nur Runza, der König der Feen und Elfen sät das Gold, und dafür, daß du hier bist –   Kurze Pause. Er nimmt einen Schluck.   Und dafür, daß du hier bist –   Kurze Pause.   Und dann schlägt mich Runza wieder, und er springt herum und zieht sich aus, und dabei beißt er einer Fliege den Kopf ab, und die Fliege reibt sich kopflos weiter die Beine, Marek, Marek, schreit er, nackt und dick, mit wulstigem Fett auf seinem Hüften, mit fetten Schenkeln, du bist der Richtige, du...


Roland Schimmelpfennig, Jahrgang 1967, ist einer der meistgespielten Gegenwartsdramatiker Deutschlands. Er hat als Journalist in Istanbul gearbeitet und war nach dem Regiestudium an der Otto-Falckenberg-Schule an den Münchner Kammerspielen engagiert. Seit 1996 arbeitet Roland Schimmelpfennig als freier Autor und Regisseur. Weltweit werden seine Theaterstücke in über 40 Ländern mit großem Erfolg gespielt.

Johannes Birgfeld ist Oberstudienrat im Hochschuldienst für Neue deutsche Literaturwissenschaft an der Universität des Saarlandes.


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