Schilling / Reinhardt | Das Jahrhundert Ludwigs XIV. | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 159 Seiten

Reihe: Geschichte kompakt

Schilling / Reinhardt Das Jahrhundert Ludwigs XIV.

Frankreich im Grand Siècle 1598-1715

E-Book, Deutsch, 159 Seiten

Reihe: Geschichte kompakt

ISBN: 978-3-534-70597-9
Verlag: wbg Academic in Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Zwischen dem Edikt von Nantes (1598) und dem Tod Ludwigs XIV. im Jahr 1715 liegt der beispiellose Aufstieg Frankreichs zur führenden Macht Europas. Regierungsform und Hof, Kultur und Sprache Frankreichs wurden Vorbild für andere Staaten des Kontinents. Durch seinen Sieg im Dreißigjährigen Krieg und seine Expansion im Devolutionskrieg und im Holländischen Krieg beweist Frankreich seine militärische Stärke und festigt seine europäische Vormachtstellung. Lothar Schilling untersucht alle Aspekte der widersprüchlichen Geschichte dieses Landes: Bevölkerungsentwicklung und Gesellschaftsstruktur, Wirtschaft und Kultur, die aggressive Außenpolitik wie die Herrschaftspraxis unter Heinrich IV., Ludwig XIII. und Ludwig XIV.
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a) Wahrnehmung und „Erfahrbarkeit“ Frankreichs im 17. Jahrhundert – Raum, Territorium, Staat
Was ist im 17. Jahrhundert Frankreich? Zunächst, und dies ist keineswegs selbstverständlich: Für die meisten Zeitgenossen des 17. Jahrhunderts gab es Frankreich, sie verknüpften Vorstellungen mit diesem Begriff, die zudem bereits recht klar umrissen waren – klarer etwa als jene von bzw. über Deutschland. Frankreich ist also nicht nur eine Rückprojektion der Historiker, sondern Bestandteil der Vorstellungswelt der Zeit. Versucht man, die zeitgenössischen Vorstellungen von Frankreich zu ordnen, kann man vereinfachend drei Ebenen der Repräsentation unterscheiden. Sie betreffen erstens Landschaft, Geographie und Grenzen; sie betreffen zweitens einen sozialen Körper (I.3) und schließlich eine Macht, eine puissance unter anderen europäischen Mächten (II). Geographischräumliche Repräsentationen Was die räumlichen Repräsentationen anbelangt, verfügten die Gebildeten bereits über ein recht genaues Bild der Geographie Frankreichs. Nachdem der Verlauf der französischen Küsten bereits auf Seekarten des Spätmittelalters verzeichnet war, entwickelten italienische und bald auch französische Mathematiker und Kartographen seit dem Übergang zum 16. Jahrhundert zunehmend genaue Karten, die zunächst freilich noch – im Geist der Renaissance – das antike Gallien darstellten. Sehr rasch wurde dann der Druck von Frankreichkarten, seit 1594 ergänzt durch ein von Maurice Bouguereau publiziertes gesamtfranzösisches Kartenwerk (Théâtre françoys), zu einem verbreiteten, ungemein wirkungsvollen Medium der Vermittlung dessen, was man unter Frankreich verstand. Das so vermittelte Frankreichbild war bereits in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts recht differenziert. Der Präzision der geographisch-räumlichen Repräsentationen war zuträglich, dass sich in Frankreich bereits im Spätmittelalter die Vorstellung eines von einer linearen Grenze eingefassten Herrschaftsgebietes auszuprägen begann. So sind seit König Philipp dem Schönen (gest. 1314) Versuche feststellbar, an den Außengrenzen des Königreichs Zollstationen und Kontrollposten einzurichten, die als Punkte einer Linie vorgestellt wurden. Wichtiger noch war eine militärische Entwicklung seit dem Hundertjährigen Krieg, im Zuge derer die befestigten Orte im Innern des Königreichs an Bedeutung verloren. Im Laufe des 17. Jahrhunderts wurden schließlich die meisten Festungen im Landesinnern geschleift, während andererseits die Grenzen des Territoriums – zumal nach Osten und Norden hin – durch einen Festungsgürtel gesichert und zugleich deutlich sichtbar gemacht wurden. Neben der Kartographie konnten gebildete Europäer des 17. Jahrhunderts auch aus der Fülle landeskundlicher Literatur eine detaillierte Vorstellung von Frankreich gewinnen, denn seit dem Übergang zur Neuzeit erlebten Landesbeschreibungen eine Blüte. In Reiseberichten, gelehrten Abhandlungen und diplomatischen Korrespondenzen wurden zunehmend differenzierte Informationen über die Geographie und Landesbeschaffenheit der europäischen Länder publiziert. In diesen Beschreibungen bildeten sich bereits im 16. Jahrhundert festgefügte Stereotype und Topoi aus, die europaweit bis ins 18. Jahrhundert (und z. T. darüber hinaus) zum Grundbestand des gebildeten Diskurses über Frankreich wurden. Zeitgenössische Topoi Zu den wichtigsten Topoi der Landesbeschreibungen gehörten durchweg bewundernde Aussagen zur Ausdehnung des Landes. Tatsächlich herrschten die französischen Könige über ein Gebiet, das zu Beginn des 17. Jahrhunderts ca. 460.000 km2, um 1715 ca. 500.000 km2 groß war (zum Vergleich: das heutige französische Staatsgebiet in Europa umfasst ca. 550.000 km2, das der Bundesrepublik Deutschland seit 1990 kaum 360.000 km2). Damit war Frankreich (abgesehen vom Heiligen Römischen Reich) das bei weitem größte Gemeinwesen in Europa. Mit der Größe Frankreichs verknüpft wurden in der Regel Fruchtbarkeit und Reichtum des Landes, das oft als lieblich (la douce France) bezeichnet wurde. Dies war ein Topos, der in erster Linie für Jahre mit guten Ernten zutraf. Denn die Fruchtbarkeit des Landes verhinderte nicht, dass es während des 17. Jahrhunderts mehrfach zu schweren Versorgungskrisen kam (I.2), die umso gravierender waren, als Frankreich mit zeitweise mehr als 20 Millionen Einwohnern nicht nur das bevölkerungsreichste Land Europas war, sondern mit über 40 Einwohnern pro km2 für frühneuzeitliche Verhältnisse auch sehr dicht besiedelt. Natürliche Grenzen? Einem weiteren, bereits in den Landesbeschreibungen des 16. Jahrhunderts begegnenden Topos zufolge verfügte Frankreich über gesicherte natürliche Grenzen – eine Vorstellung, die oft mit der Überzeugung einherging, Frankreich sei ein von der Natur bzw. von Gott in dieser Weise „gewolltes“ Gemeinwesen. Dem stand in den meisten Texten der Zeit der Hinweis auf die enorme Vielfalt des Landes gegenüber. Beide Vorstellungen sind bis heute wirksam, für das 17. Jahrhundert trifft die erstere allerdings nicht uneingeschränkt zu. Gewiss – auch die Vorstellung der natürlichen Grenzen drängt sich auf. Die Außengrenzen des von den französischen Königen um 1600 regierten Herrschaftsgebiets wurden zu mehr als der Hälfte vom Meer gebildet. Auch mit Blick auf die Pyrenäengrenze zu Spanien erscheint die Vorstellung der natürlichen Grenze plausibel, wenn auch mehrere Grafschaften nördlich des Pyrenäenhauptkamms erst im 17. Jahrhundert definitiv an Frankreich kamen. Das kleine Königreich Navarra, bis 1589 ein souveräner Staat, wurde erst mit dem Regierungsantritt Heinrichs von Navarra als französischer König in Personalunion mit dem Königreich Frankreich verbunden, ehe diese Verbindung 1620 in eine Realunion überführt wurde. Auch hinsichtlich der Alpengrenze sind Abstriche zu machen. Zwar hatte Frankreich die Grafschaft Provence und die an der Isère gelegene Dauphiné bereits im Spätmittelalter erworben (1246 / 1481 bzw. 1349), die Gebiete östlich der Rhône gehörten aber im Prinzip weiterhin zum Heiligen Römischen Reich. Zudem wurde Savoyen bis ins 19. Jahrhundert von einer Dynastie beherrscht, die auch in der Grafschaft Nizza und in Piemont regierte und schließlich die Könige des geeinten Italien stellte. Die „natürliche“ Alpengrenze hinderte die französische Politik im Übrigen nicht an dem Versuch, während des 17. Jahrhunderts (wie schon in den „Italienischen Kriegen“ zwischen 1494 und 1559) über den Alpenhauptkamm nach Piemont auszugreifen. E Als Dynastie wird ein Herrschergeschlecht bezeichnet, das eine Machtposition aufgrund erblicher Besitzansprüche über längere Zeit innehat. Die Bezeichnung einer Dynastie leitet sich von ihrem Begründer (z. B. „Karolinger“), vom Stammsitz des Geschlechts (z. B. „Bourbonen“) oder von dessen Familiennamen (z. B. „Wasa“) ab. Auch mit Blick auf den Nordosten Frankreichs ist die These von den natürlichen Grenzen problematisch. Sicher – die bereits im 16. Jahrhundert in Landesbeschreibungen genannten Flüsse Saône, Maas und Somme beschreiben die Grenzen bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts näherungsweise, doch eine leicht zu verteidigende Linie bildeten sie keineswegs, wie zahllose Grenzverschiebungen und Besitzwechsel seit dem Mittelalter zeigen. Vergleicht man die Situation des Jahres 1400 mit jener des Jahres 1600, hat Frankreich in Flandern erhebliche, wirtschaftlich bedeutende Gebiete verloren, dafür aber 1552 die drei Bistümer Metz, Toul und Verdun, 1559 das zwischenzeitlich an England verlorene Calais und 1601 das Gebiet zwischen Genfer See und Saône hinzugewonnen. Ansonsten war die Lage in diesem Grenzgebiet unübersichtlich. So leistete der Herzog von Lothringen dem König von Frankreich seit dem 14. Jahrhundert für den westlichen Teil des Herzogtums Bar, das Barrois mouvant, den Lehnseid. Ähnliche lehnsrechtliche Verbindungen bestanden auch für andere Herrschaften. Die sich überlagernden Herrschaftsbeziehungen nutzte das französische Königtum im 17. Jahrhundert, um im Norden und Nordosten zu expandieren – wobei es nun auf das Ideal der „natürlichen Grenze“ rekurrierte, die im Rhein gesehen wurde (II.3.d). Ungeachtet der skizzierten Einschränkungen ist der Topos von den sicheren Grenzen Frankreichs bereits im 16. und erst recht im 17. Jahrhundert nicht unbegründet, zumal, wenn man den zeitgenössischen Vergleichshorizont berücksichtigt. Denn in dieser Zeit verfügten nur der englische und der spanische König über Herrschaftsbereiche, die in ihrer Geschlossenheit mit Frankreich vergleichbar, aber auch deutlich kleiner waren. Regionale und kulturelle Vielfalt Was das in den Landesbeschreibungen begegnende Stereotyp von der Vielfalt Frankreichs angeht, so war es in der Frühneuzeit mindestens so zutreffend wie heute. Frankreich war (und ist) ein Land großer landschaftlicher und klimatischer Gegensätze – mit entsprechenden Konsequenzen für Fruchtbarkeit und landwirtschaftliche Nutzung. Es umfasste (und umfasst) nicht nur ausgedehnte, ihrerseits ganz unterschiedliche Küstenlandschaften, weite, fruchtbare Ebenen und Flussniederungen, Mittelgebirge und Hochgebirge, sondern auch ganz unterschiedliche Klimazonen (I.4.b). Doch auch in kultureller Hinsicht wies Frankreich große Unterschiede auf, die in der Frühneuzeit ausgeprägter waren als heute. So sprachen nicht alle Untertanen des französischen Königs dieselbe Sprache. Neben dem aus der langue d’oïl...


Schilling, Lothar
Lothar Schilling, geb. 1960, ist seit 2008 Professor für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Augsburg.

Reinhardt, Volker
Volker Reinhard ist seit 1992 Professor für Allgemeine und Schweizer Geschichte der Neuzeit an der Universität Freiburg. Seine Expertise der italienischen Renaissance durchdringt seine Publikationen: von »Leonardo da Vinci. Das Auge der Welt« (2019) bis zu »Blutiger Karneval. Der Sacco di Roma 1527« (2. Aufl. 2009). Für seine Machiavelli-Biografie erhielt er den »Golo-Mann-Preis für Geschichtsschreibung«.

Lothar Schilling, geb. 1960, ist seit 2008 Professor für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Augsburg.Volker Reinhardt, geb. 1954, lehrt allgemeine und Schweizer Geschichte an der Universität Fribourg/Schweiz. Er ist einer der renommiertesten Kenner der neuzeitlichen Geschichte Italiens und Roms. Bei der WBG erschienen von ihm u.a. "Kardinäle - Künstler - Kurtisanen. Wahre Geschichten aus dem barocken Rom" (2004), "Blutiger Karneval. Der Sacco di Roma 1527" (2. Aufl. 2009) und "Rom. Geschichte der ewigen Stadt" (zus. mit Michael Sommer, 2008).


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