E-Book, Deutsch, 359 Seiten
Reihe: Reclams Universal-Bibliothek
Schauspiel - Schiller, Friedrich - Deutsch-Lektüre, Deutsche Klassiker der Literatur - 14213
E-Book, Deutsch, 359 Seiten
Reihe: Reclams Universal-Bibliothek
ISBN: 978-3-15-962021-3
Verlag: Reclam Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Matthias Luserke-Jaqui, geb. 1959, Professor für Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der TU Darmstadt.
Autoren/Hrsg.
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[11]Erster Aufzug
Erste Scene
Hohes Felsenufer des Vierwaldstättensees, Schwytz gegenüber. Der See macht eine Bucht ins Land, eine Hütte ist unweit dem Ufer, Fischerknabe fährt sich in einem Kahn. Ueber den See hinweg sieht man die grünen Matten, Dörfer und Höfe von Schwytz im hellen Sonnenschein liegen. Zur linken des Zuschauers zeigen sich die Spitzen des Haken, mit Wolken umgeben; zur rechten im fernen Hintergrund sieht man die Eisgebirge. Noch ehe der Vorhang aufgeht, hört man den Kuhreihen und das harmonische Geläut der Heerdenglocken, welches sich auch bei eröfneter Scene noch eine Zeitlang fortsezt. FISCHERKNABE singt im Kahn (Melodie des Kuhreihens) Es lächelt der See, er ladet zum Bade, Der Knabe schlief ein am grünen Gestade, Da hört er ein Klingen, Wie Flöten so süß, Wie Stimmen der Engel5 Im Paradieß. Und wie er erwachet in seliger Lust, Da spühlen die Wasser ihm um die Brust, Und es ruft aus den Tiefen: Lieb Knabe, bist mein!10 Ich locke den Schläfer, Ich zieh ihn herein. [12]HIRTE auf dem Berge (Variation des Kuhreihens) Ihr Matten lebt wohl, Ihr sonnigen Weiden! Der Senne muß scheiden,15 Der Sommer ist hin. Wir fahren zu Berg, wir kommen wieder, Wenn der Kukuk ruft, wenn erwachen die Lieder, Wenn mit Blumen die Erde sich kleidet neu, Wenn die Brünnlein fließen im lieblichen May.20 Ihr Matten lebt wohl, Ihr sonnigen Weiden! Der Senne muß scheiden, Der Sommer ist hin. ALPENJÄGER erscheint gegenüber auf der Höhe des Felsen (Zweite Variation) Es donnern die Höhen, es zittert der Steg,25 Nicht grauet dem Schützen auf schwindlichtem Weg, Er schreitet verwegen Auf Feldern von Eis, Da pranget kein Frühling, Da grünet kein Reis;30 Und unter den Füssen ein neblichtes Meer, Erkennt er die Städte der Menschen nicht mehr, Durch den Riß nur der Wolken Erblickt er die Welt, Tief unter den Wassern35 Das grünende Feld. Die Landschaft verändert sich, man hört ein dumpfes Krachen von den Bergen, Schatten von Wolken laufen über die Gegend. [13]RUODI DER FISCHER kommt aus der Hütte, WERNI DER JÄGER steigt vom Felsen, KUONI DER HIRTE kommt, mit dem Melknapf auf der Schulter. SEPPI sein Handbube, folgt ihm. RUODI Mach hurtig Jenny. Zieh die Naue ein. Der graue Thalvogt kommt, dumpf brüllt der Firn, Der Mytenstein zieht seine Haube an, Und kalt her bläßt es aus dem Wetterloch,40 Der Sturm, ich meyn’, wird da seyn, eh’ wirs denken. KUONI ’s kommt Regen, Fährmann. Meine Schaafe fressen Mit Begierde Gras, und Wächter scharrt die Erde. WERNI Die Fische springen, und das Wasserhuhn Taucht unter. Ein Gewitter ist im Anzug. 45 KUONI zum Buben Lug’ Seppi, ob das Vieh sich nicht verlaufen. SEPPI Die braune Lisel kenn ich am Geläut. KUONI So fehlt uns keine mehr, die geht am weitsten. RUODI Ihr habt ein schön Geläute, Meister Hirt. WERNI Und schmuckes Vieh – Ists euer eignes, Landsmann?50 KUONI Bin nit so reich – ’s ist meines gnäd’gen Herrn, Des Attinghäusers, und mir zugezählt. [14]RUODI Wie schön der Kuh das Band zu Halse steht! KUONI Das weiß sie auch, daß sie den Reihen führt, Und nähm ich ihr’s, sie hörte auf zu fressen.55 RUODI Ihr seid nicht klug! Ein unvernünft’ges Vieh – WERNI Ist bald gesagt. Das Thier hat auch Vernunft, Das wissen wir, die wir die Gemsen jagen, Die stellen klug, wo sie zur Weide gehn, ’ne Vorhut aus, die spizt das Ohr und warnet60 Mit heller Pfeife, wenn der Jäger naht. RUODI zum Hirten Treibt ihr jetzt heim? KUONI Die Alp ist abgeweidet. WERNI Glücksel’ge Heimkehr, Senn! KUONI Die wünsch ich Euch, Von eurer Fahrt kehrt sich’s nicht immer wieder. RUODI Dort kommt ein Mann in voller Hast gelaufen.65 WERNI Ich kenn’ ihn, ’s ist der Baumgart von Alzellen. KONRAD BAUMGARTEN athemlos hereinstürzend BAUMGARTEN Um Gottes willen, Fährmann, euren Kahn! RUODI Nun, nun, was giebts so eilig? [15]BAUMGARTEN Bindet los! Ihr rettet mich vom Tode! Sezt mich über! KUONI Landsmann, was habt ihr?70 WERNI Wer verfolgt euch denn? BAUMGARTEN zum Fischer Eilt, eilt, sie sind mir dicht schon an den Fersen! Des Landvogts Reiter kommen hinter mir, Ich bin ein Mann des Tods, wenn sie mich greifen. RUODI Warum verfolgen euch die Reisigen? BAUMGARTEN Erst rettet mich, und dann steh ich euch Rede.75 WERNI Ihr seid mit Blut befleckt, was hat’s gegeben? BAUMGARTEN Des Kaisers Burgvogt, der auf Roßberg saß – KUONI Der Wolfenschießen! Läßt euch der verfolgen? BAUMGARTEN Der schadet nicht mehr, ich hab’ ihn erschlagen. ALLE fahren zurück Gott sey euch gnädig! Was habt ihr gethan?80 BAUMGARTEN Was jeder freie Mann an meinem Platz! Mein gutes Hausrecht hab’ ich ausgeübt Am Schänder meiner Ehr’ und meines Weibes. KUONI Hat euch der Burgvogt an der Ehr’ geschädigt? [16]BAUMGARTEN Daß er sein bös Gelüsten nicht vollbracht,85 Hat Gott und meine gute Axt verhütet. WERNI Ihr habt ihm mit der Axt den Kopf zerspalten? KUONI O laßt uns alles hören, ihr habt Zeit, Bis er den Kahn vom Ufer los gebunden. BAUMGARTEN Ich hatte Holz gefällt im Wald, da kommt90 Mein Weib gelaufen in der Angst des Todes. »Der Burgvogt lieg’ in meinem Haus, er hab’ Ihr anbefohlen, ihm ein Bad zu rüsten. Drauf hab’ er Ungebührliches von ihr Verlangt, sie sey entsprungen mich zu suchen.«95 Da lief ich frisch hinzu, so wie ich war, Und mit der Axt hab’ ich ihm ’s Bad gesegnet. WERNI Ihr thatet wohl, kein Mensch kann euch drum schelten. KUONI Der Wütherich! Der hat nun seinen Lohn! Hat’s lang verdient ums Volk von Unterwalden.100 BAUMGARTEN Die That ward ruchtbar, mir wird nachgesezt – Indem wir sprechen – Gott – verrinnt die Zeit – es fängt an zu donnern KUONI Frisch Fährmann – Schaff den Biedermann hinüber. RUODI Geht nicht. Ein schweres Ungewitter ist Im Anzug. Ihr müßt warten.105 [17]BAUMGARTEN Heilger Gott! Ich kann nicht warten. Jeder Aufschub tödet – KUONI zum Fischer Greif an mit Gott, dem Nächsten muß man helfen, Es kann uns allen Gleiches ja begegnen. Brausen und Donnern RUODI Der Föhn ist los, ihr seht wie hoch der See geht, Ich kann nicht steuern gegen Sturm und Wellen.110 BAUMGARTEN umfaßt seine Knie So helf euch Gott, wie ihr euch mein erbarmet – WERNI Es geht ums Leben, sei barmherzig,...