E-Book, Deutsch, 270 Seiten
Schildhauer / Bündgens-Kosten Diklusion im Fremdsprachenunterricht
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-7799-8074-2
Verlag: Beltz Verlagsgruppe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Perspektiven auf Teilhabe und digitale Medien. Mit Online-Material
E-Book, Deutsch, 270 Seiten
ISBN: 978-3-7799-8074-2
Verlag: Beltz Verlagsgruppe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dr. Peter Schildhauer, AR, hat im Sommersemester 2024 eine Vertretungsprofessur für Linguistik und Literaturwissenschaft der Universität Bielefeld. Dr. Jules Bündgens-Kosten ist wissenschaftliche Mitarbeiter*in am Institut für England- und Amerikastudien (Fachdidaktik Englisch) an der Goethe Universität Frankfurt.
Autoren/Hrsg.
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2Reflection and action: Antirassistische Diskurse im digitalen Raum verstehen und gestalten
Silke Braselmann
2.1Warum antirassistische Diskurse im diklusiven Englischunterricht?
Antirassistische Diskurse haben in den letzten Jahren einen Höhepunkt erlebt – nicht zuletzt im Zusammenhang mit den Black Lives Matter-Protesten hat das Thema „Rassismus“ Menschen global mobilisiert und im digitalen sowie analogen Raum sprichwörtlich ‚bewegt‘ (Milman et al. 2021) und besonders Jugendliche und junge Erwachsene haben sich im Nachgang über soziale Medien – allen voran zunächst Twitter/X, inzwischen Instagram und TikTok– mit dem Thema Antirassismus befasst, solidarisiert und damit interagiert.1
Jugendliche nutzen den digitalen Raum für eine Vielzahl von Zwecken: Neben Unterhaltung und Vernetzung wird hier auch aktive und kritische Teilhabe an politischen, sozialen und kulturellen Diskursen gepflegt (Kellner/Share 2019; McDaniel 2024) – und dies in vielen Fällen auf Englisch. Gerade antirassistische digitale Diskurse können daher eine wichtige Rolle im Fremdsprachenunterricht spielen, denn sie schließen an aktuelle Debatten zu Vielfalt, Identität und Teilhabe an und werden mit viel Einsatz online und offline verhandelt. Dabei bleiben antirassistische Diskurse nicht unangefochten, denn besonders im Zusammenhang mit den immer häufiger von rechten Erzählungen geprägten Debatten um Identität und „Identitätspolitik“ werden sie auch mit wachsendem Skrupel beobachtet (Foroutan 2022, S. 51).
Damit diese Diskussionen auf eine konstruktive und positive Weise auch in den heterogenen und diversitätssensiblen Klassenraum (zurück-)geholt werden können, können antirassistische Diskurse im formellen Bildungskontext auf einer Grundlage von critical media literacy (Kellner/Share 2019) für diese Teilhabe vorbereiten. Auch wenn dies erst auf den zweiten Blick deutlich werden mag, ist dies ein wichtiger Aspekt im Zusammenhang mit Diklusion: Im Verstehen und Gestalten, also im analytischen Blick auf und aktiven Mitwirken in für die Lernenden lebensweltlich relevanten digitalen Diskursen kann Teilhabe für alle in diesen begleitet und gefördert werden.
Dieser Beitrag setzt dabei unterschiedliche Subjektpositionen von Lernenden als zentralen Ausgangspunkt. Durch Beachtung der Auswirkung von Rassismuserfahrung und gesellschaftlicher sowie bildungspolitischer Benachteiligung migrantisierter Schüler*innen (Karabulut 2020) soll hier Bewusstsein für die Konstruktion von Normalität und dem daraus folgenden ausgrenzenden Verhalten geschaffen werden. Die nach wie vor von Ungleichheit geprägte Bildungslandschaft nimmt der Beitrag als Ausgangspunkt für ein Verständnis von Teilhabe und Inklusion in unserer postmigrantischen (Foroutan 2022), superdiversen (Vertovec 2007) und postdigitalen (Knox 2019) Gesellschaft. Dabei wird gefragt, wie antirassistische Diskurse als ein Ansatzpunkt für eine gerechtere Teilhabe im Rahmen des Englischunterrichts genutzt werden können, wenngleich sich der Ansatz auch in andere fremdsprachliche Unterrichtssettings übertragen lässt. Zunächst werden dazu einige grundlegende Fragen zu einem kritischen Ansatz für Teilhabe in digitalen Diskursen umrissen und der konzeptionelle Rahmen der critical media literacy erklärt.2 Darauf aufbauend wird zunächst, basierend auf Prinzipien des rassismuskritischen Englischunterrichts (Braselmann/Mihan 2025), ein genereller Zugang für Lehrer*innen zur diversitätssensiblen und selbst-reflexiven Herangehensweise an antirassistische Diskurse erläutert. Dies wird zuletzt in konkrete Reflexionsfragen und exemplarische Unterrichtsaktivitäten überführt, die Teilhabe für alle Lernenden sowie die Förderung von rassismuskritischer Kompetenz und critical media literacy zum Ziel haben und durch konkrete Tabellen und Fragekataloge im Anhang dieses Buches ergänzt werden.
2.2Inklusion in einer Postmigrantischen Gesellschaft
An kaum einem anderen Ort der Gesellschaft entscheidet sich so vieles über Gleichheit, Ungleichheit, Teilhabe und Exklusion wie in ihren Bildungsinstitutionen. Sie produzieren, perpetuieren und sanktionieren Wissensbestände in ganz besonderem Maße (Foucault 2005) und eröffnen gleichzeitig auch Räume für die Reflexion und das Neu-Denken dieser Wissensbestände und ihrer Machtverhältnisse3. Daraus resultiert eine große Verantwortung für eine differenz- und diversitätssensible sowie eine konsequent diskriminierungskritische Gestaltung von Lehr- und Lernumgebungen (Konz/Schröter 2022, S. 12), wie inklusive Bildung sie anstrebt.
Inklusion wird in Deutschland zwar noch meist im Zusammenhang mit Menschen mit Behinderungen oder mit sonderpädagogischen Förderbedarf besprochen (Paraschou/Soremski 2022, S. 270; Eßer/Gerlach/Roters 2018, S. 11). International – und zuletzt auch zunehmend im Kontext deutscher Allgemeindidaktik, Bildungswissenschaft und Fremdsprachenforschung – wird inklusiver Bildung jedoch ein weiter Diversitäts- und Inklusionsbegriff zugrunde gelegt, welcher Exklusionsprozesse als Resultat negativer Einstellungen und mangelnden Umgangs mit „diversity in race, economic status, social class, ethnicity, language, religion, gender, sexual orientation and ability“ (UNESCO 2009, S. 4) versteht. Dieses weite Inklusionsverständnis hat zum Ziel, Benachteiligungen abzubauen und qualitativ hochwertige Bildung für alle Lernenden zu sichern (Eßer/Gerlach/Roters 2018, S. 11; Reich 2012, S. 52) und nimmt Teilhabe oftmals „aus einer explizit ressourcenorientierten Perspektive“ in den Blick (Bündgens-Kosten/Blume 2022, S. 233). Dieses weite Inklusionsverständnis begründet sich nicht zuletzt in den Auswirkungen globaler Veränderungsprozesse: Innerhalb der letzten Jahrzehnte ist – zurückzuführen auf den demografischen Wandel, Migration, Globalisierung, erhöhte Mobilität und nicht zuletzt auch Digitalisierung und größere Vernetzung – eine immer weitere Diversifizierung sowohl der Gesellschaft als solche als auch innerhalb einzelner gesellschaftlicher Gruppierungen zu verzeichnen. Unsere Gesellschaft kann also durchaus als eine superdiverse (Vertovec 2007) und postmigrantische (Foroutan 2022) bezeichnet werden. Sie ist infolgedessen durch eine Reihe komplexer Aushandlungsprozesse, Herausforderungen und Fragestellung zu Identitäten, zum „Dabeisein und Dazugehören“ (Uslucan/Brinkmann 2022), und – im schulischen Kontext – nicht zuletzt auch zu Möglichkeiten und Herausforderungen des gemeinsamen Lernens geprägt.
Inklusion bedeutet somit auch, unterschiedliche Herkunfts- und Familiengeschichten sowie verschiedene Rassismuserfahrungen der Lernenden mitzudenken und diese als relevant für verschiedene Partizipationsmöglichkeiten zu begreifen. Konkret kann das unter anderem heißen: Wessen Perspektiven werden repräsentiert, aus wessen Perspektive wird ein Gegenstand betrachtet, wer kann und möchte über welche Themen sprechen und wem wird zugehört (Bündgens-Kosten/Blume 2022, S. 238).
Für Lehrende wird dabei immer wichtiger, ihre heterogenen Lernendengruppen mit ihren unterschiedlichen Voraussetzungen und Realitäten intersektional zu betrachten. Intersektionalität bedeutet dabei, dass verschiedene sozio-kulturelle und sozio-ökonomische Kategorien nicht mehr isoliert voneinander verstanden werden, sondern der „Fokus auf das gleichzeitige Zusammenwirken bzw. Wechselwirkungen von sozialen Ungleichheiten und kulturellen Differenzen gerichtet wird“ (Walgenbach 2011, S. 113). Dieses Verständnis ist vor allem dann wichtig, wenn soziale Ungleichheiten und ihre Auswirkungen auf Bildungsbiografien im Unterricht diskriminierungskritisch beachtet werden wollen.
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