E-Book, Deutsch, 304 Seiten
Schilddorfer Das Tartarus-Projekt
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-8000-9901-6
Verlag: Carl Ueberreuter Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 304 Seiten
ISBN: 978-3-8000-9901-6
Verlag: Carl Ueberreuter Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Sind Sie sicher, dass die Fliege an der Wand tatsächlich ein lebender Organismus ist? Oder eine Mini-Drohne, die Ihnen auf Schritt und Tritt folgen kann, die Sie beobachtet und einen Strom von intimen Bildern und persönlichen Informationen in eine Cloud schickt?
Daten, die Sie erpressbar machen, berechenbar, ausgeliefert all jenen, die darauf Zugriff haben. Doch es kann noch schlimmer kommen ...
Eine feuchtfröhliche Party im Nobelvorort Grünwald bei München endet in einem Horrorszenario – der Gastgeber, ein erfolgreicher Unternehmer, wird an die Heizung gekettet, verstümmelt, ermordet und angezündet. Michael Landorff, Journalist und Autor, der zu seiner eigenen Überraschung auf der illustren Einladungsliste stand, beginnt auf eigene Faust Nachforschungen anzustellen. Dabei trifft er auf Alexandra Buschmann, eine professionelle Pokerspielerin, die ebenfalls eingeladen war, obwohl sie den Hausherrn nicht einmal kannte. Gemeinsam machen sie sich auf den Weg, die Hintergründe des grausamen Todes zu erforschen – und geraten dabei immer tiefer in ein Netz aus Geheimdiensten, Wirtschaftsinteressen und politischem Kalkül. Schon bald laufen sie um ihr Leben. Denn es geht um eine weltweite Bedrohung von ungeahntem Ausmaß – das Tartarus-Projekt
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1. Die Party
„Ich schreib ja jetzt auch ein Buch …“ Michael Landorff blickte verwirrt in Richtung eines schlaksigen Jünglings und verschluckte sich fast an dem Whisky, der golden in seinem Glas schimmerte. Er lehnte sich an die Wand, während er das junge Milchbartbubi mit der peinlichen Schillerlocke in der pickeligen Stirn verblüfft genauer musterte. Der? Der schrieb auch ein Buch? Konnte der schon schreiben oder tippte der noch? Nach der Adler-Suchmethode? Über den Tasten kreisen und dann zuschlagen? Landorff runzelte die Stirn. Dieses Buchschreiben entwickelte sich allgemein zu einer Krankheit, die einer Epidemie glich, dachte er. Jeder, der eine halbwegs fehlerfreie E-Mail von zehn Zeilen schaffte, entschloss sich spontan, etwas vom Schlechtesten zum Besten zu geben. Literarischer Brechdurchfall. Gnadenlos. Ein großer Schluck Laphroaig sorgte dafür, dass Landorffs Magensäure da blieb, wo sie hingehörte. Die drei kurz berockten Grazien, die den literarischen Möchtegern-Newcomer anhimmelten, als wäre er der gerade aus dem Bett gestoßene Ex-Lover von Lady Gaga, kicherten sinnbefreit vor sich hin. Dabei trippelten sie erwartungsvoll von einem Stöckelschuh auf den anderen und warfen einander bedeutungsvolle Blicke zu. Während Landorff über die potenziellen Offenbarungen von Pickelgesicht nachdachte, bemerkte er, dass der Islay-Whisky in seinem Glas plötzlich metallisch schmeckte. Blieb nur zu hoffen, dass die „Memoiren eines Achtzehneinhalbjährigen“ oder der „Rückblick auf mein bewegtes Leben in der Krabbelstube“ am bekannt verwöhnten Geschmack eines wachen Literaturagenten scheitern würden. Oder spätestens der abgebrühte Lektor eines vernünftigen Verlags sie dahin befördert, wo sie hingehörten – in den Papierkorb. Die Mascara-umrandeten Augen der pubertierenden Grazien waren inzwischen wieder auf Normalgröße geschrumpft, während sie sehnsüchtig weiteren Ausführungen entgegenfieberten. Ich nicht, dachte Landorff, und zog los, weiter durch das riesige Wohnzimmer. Die chillige Musik, ein ausgezeichnetes Buffet, ein Traumhaus mit Pool und Effektbeleuchtung im Garten. Es war eine super Party mit den richtigen Leuten am richtigen Ort, kein Zweifel. Bis zu dem Satz, dem einen Satz, war es in der Tat ein wunderbarer Abend gewesen. Trinken, tanzen, Blödsinn reden, ohne Reue das überladene Buffet vernichten und die obligaten Reden beklatschen. Party business as usual. Eine der stadtbekannten Start-up-Firmen hatte geladen und alles, was glaubte, Rang und Namen zu haben, war dem Ruf nur zu gern gefolgt. Landorff ebenfalls. Obwohl er keine Ahnung hatte, warum er auf der Einladungsliste stand. Naja, vor sich selbst entschuldigte er sein Kommen mit dem Hinweis auf das opulente Buffet vom besten Caterer Münchens. In seinem Job aß man nicht jeden Abend warm … Der Anlass der Fete war stadtbekannt. Prolicks – nomen est omen – hatte mit diversen Dienstleistungen in unglaublich kurzer Zeit sehr materielle Millionen gemacht. Manche sprachen sogar von einer Milliarde, die der gerade erfolgte Verkauf der Unternehmensgruppe an einen der weißen Anleger-Haie im Netz eingebracht hatte. Man flüsterte hinter vorgehaltener Hand, der hätte sich damit in einem Schachzug die Konkurrenz vom Leib geschafft und gleichzeitig seine Steuern drastisch reduziert. Die er sowieso in Luxemburg bestimmt bereits vorher flexibel gestaltet hatte … Prolicks-Chef Gregory Winter wiederum hatte sicher händereibend den Vertrag unterschrieben, seinen Facebook-Status auf „Milliardär“ gesetzt und eine Riesenfeier via Internet einberufen. Und die wurde nun seit zwei Stunden live und parallel auf drei Plattformen übertragen, in sozialen Netzwerken geliked und von einigen Gästen vor Ort natürlich neugierig verfolgt, auf Handy und Tablet-PC. Als Film im Film sozusagen … Während also Winter in ausgebeulten Jeans, blassem T-Shirt und trendigem Rohseidenschal lässig den erfolgreichen Hausherrn gab und sich verbindlich lächelnd in Small Talk übte, war er mit seinen Gedanken wahrscheinlich schon wieder bei seiner nächsten Start-up-Gründung. Irgendwer drückte Landorff ein neues Glas in die Hand und entsorgte fürsorglich das leere. Einen Dank murmelnd blickte er sich rasch um, schon um seine Gedanken von der schreibenden Schillerlocke loszueisen. Die Hälfte der Besucher stand planlos im Raum verteilt, hielt sich das Handy vor die Augen und starrte fasziniert auf das Display. War was? Hatte Trump mit nacktem Oberkörper auf einem galoppierenden Pferd Blutsbrüderschaft mit Putin geschlossen? Oder war es nur die übliche kollektive Sprachlosigkeit: Wer zwitschert Nonsens schneller? Der neue Whisky schmeckt besser als der alte, dachte Landorff und nickte anerkennend. Brannte zwar mehr im Abgang, war aber rauchiger. Griff Winter jetzt seine privaten Bestände an? Vielleicht sollte er doch noch ein wenig länger hier bleiben. Er schnupperte an der bernsteinfarbenen Flüssigkeit. Bis zum Talisker Storm liegt noch ein langer Weg vor mir, dachte er. Doch mit etwas Durchhaltevermögen … Er schaute auf die Uhr. Erst knapp vor 23.00 Uhr. Also … whiskymäßig drei Uhr früh könnte hinkommen, man musste sich nur mit seiner Leber abstimmen. Schillerlocke schwang inzwischen einen Montblanc wie einen Zauberstab und grinste dümmlich seine weibliche Entourage an. Der und ein Buch schreiben … Landorff schüttelte den Kopf. Dieses haltlose Buchschreiben durch Hinz und Kunz, Ping und Pong, Pocher und Becker, Schicki und Micki begann auszuufern, war auf dem besten Weg, eine neue Volksbelästigung zu werden. A-, B-, C-, D- und E-Prominenz, die sich früher dankenswerterweise auf simples Dasein beschränkt hatte, schrieb jetzt ungeniert drauflos. Oder diktierte Lebensweisheiten an Ghostwriter. Wenigstens die hatten Hochsaison. Kein Wunder, dass der durchschnittliche Buchhändler keinen Platz mehr in seinen Regalen hatte. Denn fieserweise erschienen die Prominenten in bekannten und großen Verlagen, die besagten Buchhändlern bei der Gelegenheit gleich ihr gesamtes Programm aufs Auge drücken konnten. Bestseller und Ladenhüter, Kochbücher und Bettbeichten, inklusive wahllos aufs Papier gekotztem prominenten Nonsens, der vierzehn Tage vor dem Erscheinen einen passenden Skandal braucht, um überhaupt Aufmerksamkeit zu erregen. Schillerlockes Vater hatte sicher 5689 Freunde auf Facebook, schoss es Landorff durch den Kopf. Der Verkauf der Startauflage war hiermit gesichert, egal welchen Schwachsinn der Filius zwischen zwei Covern (v)erbroch. „Was träumst du hier rum?“ Die raue Stimme von Melissa riss Landorff aus seinen düsteren Gedanken. Sie hatte sich für einen schwarzen Hosenanzug entschieden, der sie elegant und gleichzeitig ein wenig verrucht aussehen ließ, weil sie drunter die Bluse weggelassen hatte und nur einen schwarzen BH trug. Das halb offene Jackett war eine perfekte Bühne für die redlichen Bemühungen des Push-ups, Melissas schon von Haus aus üppiger C-Oberweite ein Upgrade auf D zu verpassen. „Hey! Meine Augen sind hier oben!“, beschwerte sie sich theatralisch und schüttelte effektvoll ihre tiefschwarze Mähne, bevor sie Landorff mit erhobenem Finger drohte. „Aber meine sind gerade woanders“, gab er zu, dankbar für die Unterbrechung. Milchbartbubi visierte inzwischen über die Spitze des Montblanc fasziniert Melissas Ausschnitt an und schien sein Buchprojekt vergessen zu haben. Vielleicht würden mehr tiefere Dekolletés so manches schlechte Buch verhindern, dachte Landorff kreativ. „Kommst du mit mir zur zweiten Buffetschlacht?“ Melissas dunkelbraune Augen sahen ihn erwartungsvoll an, bevor sie Milchbubi samt weiblicher Entourage in einem einzigen abschätzigen Rundum-Blick auf die hinteren Plätze der Schöpfung verwies. „Oder machst du hier einen auf Kindergarten?“ Der Montblanc zeigte noch immer auf den Designer-Kronleuchter, als Landorff seinen Arm demonstrativ um Melissa legte und sie sanft in Richtung Buffet schob. „Der will auch ein Buch schreiben …“, weihte er Melissa in seine neuesten Erkenntnisse ein. „Wird wahrscheinlich ein Aufsatz, nein, eher eine Kürzestgeschichte“, winkte sie ab und betrachtete interessiert den Rehrücken auf Orangenschaum. „Wenn überhaupt …“ „Sein Vater …“, begann Landorff. „… hat das Buffet geliefert“, vollendete sie lakonisch. „Metzgermeister Zahlmann. Deshalb hängt sein Spross hier ab.“ „Der Möchtegern-Literat ist der junge Zahlmann?“, entfuhr es Landorff. „Der trägt sonst blutigen Kittel und hat seine Hände bis zu den Ellenbogen im...