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E-Book

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

Schilcher Grazer Zunder

Kriminalroman
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-98707-122-5
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Kriminalroman

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

ISBN: 978-3-98707-122-5
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Ein Mörder verhöhnt die Polizei mit Gedichtzeilen. Dramatik pur in Graz.
Im Grazer Stadtpark wird eine Tote gefunden, auf deren Körper ein Blatt Papier mit einer Gedichtzeile platziert wurde. Die Ermittlungen führen Chefinspektor Sepp Semper vom LKA Steiermark ins Uni-Milieu und in die Online-Dating-Welt. Und es bleibt nicht bei einer Leiche: Ein perfides Katz-und-Maus-Spiel beginnt, in dem Semper und sein Team in einem Strudel aus Demütigungen und Rache zu versinken drohen. Schließlich legen sie einen Köder aus – doch wird der Mörder ihn schlucken?

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Einblicke
Auf der Fahrt in die Morellenfeldgasse hingen die beiden Ermittler ihren Gedanken nach. Sepp Semper und Christoph Leitner genossen die aus jahrelanger Zusammenarbeit erwachsene Vertrautheit, die es ihnen ermöglichte, gemeinsam zu schweigen. Die Route führte sie vorbei an der Alten Technik, deren Gebäude nach dem Vorbild der Technischen Hochschule in Dresden gestaltet war. Bei einem der türkischen Lebensmittelgeschäfte, die sich in gewissen Bezirken zu einem wichtigen Glied der Nahversorgung gemausert hatten, bogen sie links in die Zielgasse ein. Die altrosa Fassade des zweistöckigen Hauses wies im Erdgeschoss die für die Gründerzeit typischen angedeuteten Steinquader auf, die darüberliegenden Geschosse waren mit Konsolen und Pilastern geschmückt. Hohe, sechsteilige Fenster, an deren Balken die graue Farbe bereits abblätterte, versprachen lichtdurchflutete Wohnungen. Christoph Leitner überflog die Namensschilder und presste seinen Daumen schließlich auf den Klingelknopf, neben dem schwarze Druckbuchstaben das Wort »HIEBLER« formten. Nachdem auch ein dreimaliges Läuten keine Reaktion provoziert hatte, probierte er sein Glück bei den restlichen Hausbewohnern. »Ja bitte?«, plärrte eine metallisch verzerrte Männerstimme aus der Gegensprechanlage. »Polizei, können Sie uns bitte die Tür öffnen?« »Haha, sehr witzig!« »Nichts ›haha‹. Ich bin Abteilungsinspektor Leitner, und neben mir steht Chefinspektor Semper vom LKA Steiermark. Öffnen Sie bitte die Tür.« Nach mehreren Sekunden Stille ertönte das Surren des Türöffners. Den Steinfliesenboden des peinlich sauberen Stiegenhauses zierte ein blau-weißes Schachbrettmuster. Als das Ermittlerduo die ersten Stufen erklomm, schallte ihnen von oben ein »Hallo? Ich bin im zweiten Stock« entgegen. Dort angekommen, stand ein Mann Mitte dreißig breitbeinig und mit verschränkten Armen in der Tür und starrte ihnen misstrauisch entgegen. »Worum geht es?«, wollte er wissen, nachdem sie sich ausgewiesen hatten. »Kennen Sie eine Jasmine Hiebler?« »Natürlich, sie wohnt gleich dort.« Er deutete auf die andere Wohnungstür in diesem Geschoss. Sepp Semper warf einen raschen Blick auf das Türschild und gebot dann in einem Tonfall, der keinerlei Widerspruch duldete: »Herr Reisinger, lassen Sie uns bitte in Ihre Wohnung gehen.« Der Mann führte sie in eine modern eingerichtete Küche, in der sich vier barhockerartige Stühle um eine an eine Kücheninsel angebaute Tischplatte gruppierten. In der Abwasch befanden sich eine Müslischüssel, ein Kaffeehäferl und ein Trinkglas. Offenbar hatte der Mann allein gefrühstückt. »Jasmine? Das kann nicht sein.« Michael Reisinger schüttelte sein Haupt in trotzigem Protest über die Nachricht vom Ableben seiner Nachbarin. »Wann haben Sie Frau Hiebler das letzte Mal gesehen?«, eröffnete Christoph Leitner die Frageroutine. »Das war am Donnerstag gegen einundzwanzig Uhr in dem Lebensmittelgeschäft am Eck. Ich wollte mir bei Aytekin kurz vor Ladenschluss noch Brot, Gurken, Oliven und Schafskäse für einen griechischen Salat besorgen. Jasmine stand gerade an der Kassa. Sie hat auf mich gewartet, und wir sind dann zusammen nach Hause gegangen.« In diesem Augenblick wurde die rechte Hand des Nachbarn von einem unkontrollierten Zittern erfasst. »Mein Gott, ich werde sie nie wiedersehen. Das ist so, so?…« Die passenden Worte wollten sich offenbar nicht einstellen, aber angesichts der Verzweiflung in seinem Blick waren diese auch überflüssig. »Wie wirkte sie an diesem Abend?«, tastete sich Leitner mit sanfter Stimme vor. »Ganz normal. Offen und fröhlich wie immer. Sie hatte ein Buch unter dem Arm, das sie gerade ausgelesen hatte, und war ganz begeistert. Irgendwas mit ›König‹ oder ›Königreich‹. Sie hat angeboten, es mir zu borgen, aber ich habe dankend abgelehnt. Lesen ist nicht so mein Ding.« »Was können Sie uns sonst noch über Ihre Nachbarin sagen?«, wollte der Chefinspektor wissen. Der Mann rieb sich die Nasenwurzel, überlegte, während die Ermittler ihn schweigend musterten. Sie wussten, dass es den meisten Menschen schwerfiel, die wesentlichen Charakterzüge einer Person auf den Punkt zu bringen. Sepp Semper fragte sich, wie man ihn wohl beschreiben würde. Nicht sehr gesellig? Ungeduldig? Ohne feste Bindung? Lauter Verneinungen. Was blieb, wenn man sie auflöste? Ein eigenbrötlerischer, bindungstraumatisierter, akribischer, getriebener Einzelgänger? Nein, das wäre ein zu harsches Urteil. Immerhin war er?… »Sie ist vor zwei Jahren nach Graz gekommen, weil sie einen Job an der Uni bekommen hat«, riss ihn der Nachbar der Ermordeten aus seinen Gedanken. »Ihr Spezialgebiet waren, glaub ich, die Klassiker der amerikanischen Literatur. Jasmine hatte fast immer ein Buch dabei. Ansonsten war sie eine sehr angenehme Nachbarin. Ruhig, hilfsbereit, ein sonniges Gemüt.« Der letzte Teil des Satzes war nur mehr ein angestrengtes Flüstern. »Lebte sie allein in der Wohnung?« Michael Reisinger nickte bloß. »Hat sie öfter Besuch bekommen? Ist sie oft ausgegangen?« »Hin und wieder habe ich mitbekommen, dass sie Freunde zum Essen eingeladen hat. Und ja, natürlich ist sie auch ausgegangen.« »Irgendwelche Lieblingslokale?« »Da kann ich Ihnen leider nicht helfen. Wir waren mal im Pizzaiolo und im Prik Thai. Und einmal haben wir im Pink Elephant was getrunken. Keine Ahnung, ob sie dort häufiger verkehrt hat.« »In welcher Beziehung standen Sie zu Jasmine Hiebler?« Während Christoph Leitners geübte Hand den Kugelschreiber in flüssigen Bewegungen über die Zeilen in seinem ledergebundenen Notizbuch fliegen ließ, beobachtete Sepp Semper, wie sich in den Augen seines Gegenübers ein Tränenfilm bildete, den dieses rasch wegblinzelte. »Wir waren uns sympathisch und haben manchmal gemeinsam etwas unternommen. Wie gesagt, Pizza essen oder so. Außerdem haben wir gegenseitig unsere Wohnungen gehütet, wenn der andere für ein paar Tage verreist war.« »Haben Sie einen Zweitschlüssel für die Wohnung?« Michael Reisinger bejahte. Er folgte der Anordnung des Ermittlerduos ohne Widerrede, begab sich zum Regal über der Spüle, fingerte einen Schlüssel aus einer Keramikdose und schritt ihnen voran zu Jasmine Hieblers Wohnungstür. »Treten Sie bitte zurück«, forderte der Ermittlungsleiter den Mann auf und betrat den Vorraum. Er stieß einen kurzen Schreckenslaut aus, als etwas seine Beine streifte und fauchend an ihm vorbeizischte. »Mein Gott, Hemingway. Du Armer bist sicher hungrig.« Das Wesen, dass der Nachbar nun auf den Arm genommen hatte, sah aus wie Meister Yoda in Rosa und Grau. »Jasmine war allergisch gegen Katzenhaare, deswegen hat sie sich für die Sphynx-Rasse entschieden.« Leitner, dem Nacktkatzen nicht geheuer waren, kommandierte den Mann mit den Worten »Danke, Herr Reisinger, das war’s vorerst« zurück in seine Wohnung. Sepp Semper war überzeugt, dass Wohnungen eine Menge über ihre Bewohner mitzuteilen hatten, wenn man ihnen nur aufmerksam zuhörte. Was wie eine Binsenweisheit klang, gestaltete sich in der Realität jedoch nicht ganz so einfach. Nur in den seltensten Fällen war die Erzählung konsistent, vielmehr wurde man mit einer Kakofonie aus widersprüchlichen Stimmen konfrontiert, deren verbindendes Basismotiv man erst mühsam extrahieren musste. Der schmale Vorraum vermittelte durch den mit bunten Mosaiksteinchen verzierten Spiegel, die indischen Elefantenfiguren und die Lichterketten einen verspielt-mädchenhaften Eindruck. Im Wohnzimmer gruppierten sich eine Couch und zwei Fauteuils um einen Holztisch, auf dem eine »Elle« und eine Tageszeitung lagen. Das Muster des bunten Möbelstoffs erinnerte an Mandalas. Auf einem mit Gläsern und Geschirr gefüllten Sideboard standen zwei Topfpflanzen, eine leere Vase und eine Reihe farbiger Gläser mit Teelichtern. Nur das nüchterne Bücherregal passte nicht so ganz ins Bild. Der Chefinspektor trat näher, um die Titel auf den Buchrücken entziffern zu können. »The American Novel in the 21st Century«, »Grapes of Wrath«, »The Great Gatsby« sowie einiges von Hemingway und Franzen waren bei einer Lehrbeauftragten für Amerikanistik zu erwarten. Abseits der Universität hatte Jasmine Hiebler offenbar ein Faible für Bretagne-Krimis. Sein Blick fiel auf Siri Hustvedts »What?I Loved«, und er verspürte jenes vertraute Ziehen in der Brust, das ihn regelmäßig überfiel, wenn Christa in seinen Gedanken auftauchte. Vor seinem geistigen Auge sah er seine von einem betrunkenen Autofahrer aus dem Dasein gerissene Lebensgefährtin auf dem Sofa sitzen. Sie hatte eine Decke um ihre schmalen Schultern gewickelt und war in ebendiesen Roman vertieft, während der dampfende Kakao vor ihr den zartherben Geruch von dunkler Schokolade verströmte. »Und?«, hatte er gefragt. »Eine nicht uninteressante Mischung aus Künstlerroman, Familientragödie und Thriller. Gekonnt erzählt. Allerdings kann ich mich mit den überprivilegierten Charakteren nicht wirklich identifizieren. Sie hat eine Tendenz, die Figuren zu sezieren, und ihre stellenweise etwas prätentiöse Sprache liegt mir auch nicht wirklich.« Der Ermittlungsleiter versuchte, die Erinnerung durch einen Ortswechsel ins Schlafzimmer abzuschütteln. Dort erwartete ihn eine gänzlich andere Atmosphäre: schwarze Satinbettwäsche, ein Frauenakt an der Wand und eine Ausgabe von »Fifty Shades Darker« am Nachttisch. Über den stummen Diener waren halterlose Strümpfe und ein schwarzer Spitzen-BH drapiert. Semper konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die ehemalige Bewohnerin...


Schilcher, Astrid
Astrid Schilcher, Jahrgang 1971, studierte Kunstgeschichte, Dolmetschen und VWL. Sie lebt in Graz, wo sie gemeinsam mit ihrem Mann ein Consulting-Unternehmen führt und an diversen Fachhochschulen unterrichtet. 2018 veröffentlichte sie ihren ersten Roman.

Astrid Schilcher, Jahrgang 1971, studierte Kunstgeschichte, Dolmetschen und VWL. Sie lebt in Graz, wo sie gemeinsam mit ihrem Mann ein Consulting-Unternehmen führt und an diversen Fachhochschulen unterrichtet. 2018 veröffentlichte sie ihren ersten Roman.



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