Schiffer / Durry Kakao
1. Auflage 2011
ISBN: 978-3-86581-611-5
Verlag: oekom
Format: PDF
Kopierschutz: 0 - No protection
Speise der Götter
E-Book, Deutsch, Band 7, 352 Seiten
Reihe: Stoffgeschichten
ISBN: 978-3-86581-611-5
Verlag: oekom
Format: PDF
Kopierschutz: 0 - No protection
Andrea Durry arbeitet als Kuratorin für das Schokoladenmuseum Köln und ist dort für die ständige Ausstellung sowie für Sonderausstellungen zuständig. Sie studierte Soziologie, Afrikanistik und Völkerkunde. Thomas Schiffer, Historiker, war von 2006 bis 2008 als Museumspädagoge im Schokoladenmuseum Köln tätig, heute arbeitet er freiberuflich in den Bereichen Ausstellungskonzeption und Museumspädagogik.
Zielgruppe
Sammler der Reihe, Interessierte an Kulturgeschichte, Landwirtschaft, Welthandel, Kakao
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1;Kakao;1
2;Inhalt;7
3;KAPITEL 1, Der Kakaobaum;17
3.1;Carl von Linne und die Speise der Götter;19
3.2;Frucht aus den Tiefen des Regenwalds;23
3.3;Anspruchsvoll und schillernd bunt – Der Kakaobaum und seine Früchte;26
4;KAPITEL 2, Anbau und Ernte;33
4.1;Spielarten des Kakaos;35
4.2;Der Kakaobaum und seine weltweiten Anbaugebiete;38
4.3;Kakao – Der geborene Umweltschützer? Agroforstsysteme versus Monokulturen;41
4.4;Der Kakaobaum in Gefahr;44
4.5;Die Kinderschule des Kakaobaums;51
4.6;Die Ernte und der lange Weg bis zur aromatischen Bohne;54
5;KAPITEL 3, Leben mit dem Kakaobaum;63
5.1;Das tägliche Brot der Kakaobauern;65
5.2;Kinderarbeit – Die dunkle Seite des Kakaoanbaus;67
5.3;Initiativen gegen Kinderarbeit;69
5.4;Kleine Projekte – Große Wirkung;75
5.5;Die Schokoladenindustrie – Erste Schritte auf neuen Wegen;78
6;KAPITEL 4, Kakao als Welthandelsgut;83
6.1;Kostbare Fracht – Der weite Weg der Kakaobohnen;85
6.2;Ausladen und Lagern – Die Ankunft der Kakaobohnen;92
6.3;Auf dem Prüfstand – Qualitätsprodukt Kakao;95
6.4;Kleinbauern und Konzerne – Der internationale Kakaomarkt;98
6.5;Der Reiz des Spiels – Bohnen an der Börse;103
6.6;Fairer Handel – Wachstum auf niedrigem Niveau;106
7;KAPITEL 5, Aus Kakao wird Schokolade;115
7.1;Wertvolle Zutaten für den süßen Genuss;117
7.2;Rühren und Walzen – Die Herstellung von Schokolade;124
7.3;Braune Vielfalt – Die wichtigsten Schokoprodukte;129
7.4;Alle Sinne gefordert – Der Schokoladengenuss;134
7.5;Dick und glücklich durch Schokolade?;136
7.6;Die Welt der Schokolade – Immer exotischer, immer besser?;141
8;KAPITEL 6, Die Ursprünge des Kakaos;147
8.1;Kolossale Köpfe – Die Olmeken;153
8.2;Im Land des Kakaos – Die Maya;156
8.3;Das Getränk der Herrscher;166
8.4;Der Adler auf dem Kaktus – Die Azteken;172
8.5;Cacahuatl – Getränk, Medizin, Zahlungsmittel;179
9;KAPITEL 7, Kakao und die Eroberung der Neuen Welt;187
9.1;Seltsame Fremde – Die spanischen Eroberer;189
9.2;Chocolatl – Siegeszug des edlen Getränks;196
9.3;Grausamer und gewinnbringender Handel – Kakao aus den Kolonien;203
10;KAPITEL 8, Der Kakao kommt nach Europa;215
10.1;Der neue Trank in der Alten Welt;217
10.2;Schokolade als Medizin;223
10.3;Piraten, Priester, Prinzessinnen – Die Verbreitung der Schokolade;231
10.4;Erste Erfahrungen mit dem heißen Getränk;239
10.5;Schokolade als Fastengetränk;241
11;KAPITEL 9, Schokolade als Luxusgetränk;245
11.1;Exklusiv, exotisch und erotisch – Schokolade als Getränk des Adels;247
11.2;Das weiße Gold;253
11.3;Neues Getränk des Bürgertums – Neue Einnahmequelle des Staates;257
11.4;Schokoladenstuben und die "Schulen des Bösen";261
11.5;Von Goethe bis Thomas Mann – Berühmte Schokoladenliebhaber;262
11.6;Auf dem Weg zur "Dampfschokolade" – Die vorindustrielle Schokoladenherstellung;265
12;KAPITEL 10, Schokolade für den Massenkonsum;271
12.1;Wandel vom Luxusgetränk zum Konsumgut;273
12.2;Das braune Gold;275
12.3;"Die faulen Neger werden fleißiger" – Kakao aus deutschen Kolonien;280
12.4;Zeitalter der Innovationen – Die Industrialisierung der Schokoladenherstellung;284
12.5;Rastlos und risikofreudig – Die frühen Schokoladenunternehmer;291
12.6;Frauen in der Fabrik – Arbeiten für die Schokolade;298
12.7;Von der Sanitäts- zur Studentenschokolade – Die neue Produktvielfalt;300
12.8;Rigorose Reinheit und Qualität – Der Kampf gegen die Verfälscher;304
12.9;Verführung zum Genuss – Neue Wege bei Werbung und Verkauf;308
12.10;Krieg und Konsum – Die Schokolade kommt im (Kinder-)Alltag an;315
13;Blick zurück nach vorn;321
14;ANHANG;327
14.1;I Die Systematik des Kakaobaumes;329
14.2;II Kakaosorten – Ihre Herkunft und ihre Anbaugebiete;329
14.3;III Anbaugebiete und Ausbreitung der Kakaopflanze;331
14.4;Anmerkungen;332
14.5;Zitierte und weiterführende Literatur;338
14.6;Bildquellen;348
14.7;Dank;349
KAPITEL 1
Der Kakaobaum
Carl von Linné und die Speise der Götter
»Von jenen dreyen, den Alten unbekannten Getränken, welche aus fremden Ländern zu uns gekommen, und jetzt durch öfteren Gebrauch berühmt geworden sind, dem Thee, dem Kaffee, und der Chocolade, werden die beyden ersteren am häufigsten getrunken, allein sie werden dadurch nicht vorzüglicher oder gesünder, als der letzte. Dieser wirkt nicht so stark auf den Körper, zehrt nicht, raubt die Kräfte nicht vor der Zeit, und leistet in manchen Krankheiten Hülfe, welche ohne ihn zu heilen kaum die ganze Arzneyenzunft hinreichen würde.«1
Dieses Hohe Lied auf die »Chocolade« stammt von Carl von Linné (1707 bis 1778), einem der Begründer der modernen Biologie. Bis zu seiner Erhebung in den Adelsstand nannte er sich Carl Nilsson Linnaeus. Er wurde als eines von fünf Kindern des Pfarrerehepaares Christina und Nils Linnaeus in Südschweden geboren (Abbildung 1). Eigentlich sollte er in die Fußstapfen seines Vaters treten und Priester werden, aber sein großes Steckenpferd war die Botanik. Diese Leidenschaft hatte er von seinem Vater geerbt, der ihn schon als vierjähriges Kind mit auf Streifzüge durch die Natur nahm und das Kinderbett seines Sohnes immer wieder mit Blumen dekorierte. Fasziniert von der Fauna und Flora seiner Umgebung, begann Linné ein Studium der Medizin. Zur damaligen Zeit bestand dieses Studium vor allem aus naturwissenschaftlichen Fächern, wie zum Beispiel der Botanik und der Biologie. Einige Zeit seines Studiums verbrachte Linné in Holland und erhielt dort im Jahre 1735 den Doktortitel der Medizin. Während seines Aufenthalts veröffentlichte er verschiedene Werke, und es gelang ihm als erster Mensch in Europa, Bananen zu züchten.
Carl von Linné war Mitglied in verschiedensten wissenschaftlichen Gremien. So war er zum Beispiel auch Gründungsmitglied der Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaft, welche bis zum heutigen Tag den Nobelpreis für Physik und Chemie verleiht. Im Laufe seines Lebens erhielt er einige Titel, wurde zum Leibarzt des schwedischen Königs ernannt, 1757 zum Ritter geschlagen und einige Jahre später in den Adelsstand erhoben. Der größte Verdienst Carl von Linnés aber ist die Entwicklung der binären Nomenklatur, des Doppelnamensystems in lateinischer Sprache. Mit dieser Methode, die bis zum heutigen Tag die Grundlage für die wissenschaftliche Benennung aller Lebewesen und Pflanzen ist, gelang es ihm, die Natur klar zu strukturieren. Man muss eine Pflanzen- oder Tierart nicht in den verschiedensten Sprachen kennen, es reicht die lateinische Bezeichnung und jeder weiß, was gemeint ist. Zusätzlich vereinfachte er mit seinem System schon vorhandene lateinische Ausdrücke. Der Kakaobaum zum Beispiel wurde bisher mit acht Begriffen umschrieben: Arbora cacavifera americana, Amygdalus similis guatimalensis, Avelana mexicana.2 Mit dem neuen System waren es jetzt nur noch zwei Wörter. Die Basis für die binäre Nomenklatur bildete eine künstliche Ordnung, die auf anatomischen Ähnlichkeiten ba sierte. Mit dieser Methode ordnete Linné zunächst Pflanzen (1753) und später auch Tiere (1758) ein (Abbildung 2). Für die Pflanzenwelt funktionierte Linnés System folgendermaßen: »Bei den Pflanzen wagt er den Schritt, das System auf der Anzahl der männlichen und weiblichen Geschlechtsorgane in den Blüten aufzubauen. Er tut das zu einer Zeit, da sich die Erkenntnis, dass auch Pflanzen Sex haben, noch keinesfalls durchgesetzt hat. Bald spricht er von den ›Hochzeiten‹ der Pflanzen in ihren ›Ehebetten aus Blütenblättern‹. Die Blüten vieler Pflanzen bestehen allerdings aus mehr als einem Staubblatt (›Ehemann‹) und einem Stempel (›Ehefrau‹). Diese Verbindungen sind also alles andere als monogam. Bei den ›Monandria‹, der ersten Pflanzenklasse, geht es noch einigermaßen normal zu, ein Mann und meist auch nur eine Frau. In der Ordnung der ›Digynia‹ allerdings beschäftigt sich ein Mann dann schon mit zwei Damen. Weiter unten im System, etwa in der 13. Klasse namens ›Polyandria‹ (zu der etwa Magnolien gehören), ist der Gruppensex im Blütenbette dann überhaupt nicht mehr jugendfrei. Mehr als zwanzig Herren beglücken dort eine oder mehrere Damen.«3 Linnés Klassifikation wurde von vielen Zeitgenossen bestürzt aufgenommen. Doch das Verfahren konnte sich durchsetzen, da es sehr einfach zu handhaben war. Man brauchte nur die Staubblätter und Stempel zu zählen, und schon konnte man die Pflanze in ein Klassifikationssystem einordnen.
1 Carl von Linné (1707–1778) wenige Jahre vor seinem Tod. Linné gab der Kakaopflanze den eindrucksvollen Gattungsnamen Theobroma, was so viel bedeutet wie »Speise der Götter«.
2 In Species Plantarum (1753) verwandte Linné erstmals durchgängig bino minale Namen für Pflanzenarten, wie sie in der modernen bota nischen Nomen klatur noch heute üblich sind. So wird der Kakaobaum bota nisch als Theobroma cacao bezeichnet.
Die binäre Nomenklatur basiert auf einer Kombination aus dem Gattungsnamen und dem Epitheton (griech.: Beiwort), das die Art definiert. So klassifizierte er beispielsweise den Menschen in die Gattung Homo und die Art sapiens (lat. für »der weise, kluge Mensch«). Mit der Bezeichnung der einzelnen Tiere oder Pflanzen war Linné äußerst erfindungsreich. Wohlüberlegt verteilte er mit seinem System Ehre oder Schande für die Nachwelt. So benannte er zum Beispiel besonders schöne Pflanzen nach den Namen seiner Freunde, vermeintlich hässliche nach den Namen seiner Gegner.4 Dementsprechend klassifizierte Linné ein unbedeutendes Unkraut als Siegesbeckia, im Deutschen Siegesbeckie (Familie der Korbblütler), nach einem seiner größten botanischen Gegner Johann Georg Siegesbeck. Die Pflanzen, die er sehr schätzte, bekamen eindrucksvolle Namen. Zu diesen gehörte auch der Kakaobaum. Linné benannte ihn mit der Umschreibung Theobroma cacao (griech.: theos – Gott sowie broma – Speise = Speise der Götter). Auch wenn diese Wortwahl ganz nach Linnés Geschmack gewesen ist, vermutet man allerdings heute, dass er nicht der Erfinder dieser Wortschöpfung war. Linné kannte wahrscheinlich die Doktorarbeit des Pariser Arztes Joseph Bachot über das Getränk Schokolade. Dieser schrieb im Jahre 1684, das Schokolade sie eine so edle Erfindung, dass sie und nicht Nektar oder Ambrosia die Speise der Götter sein sollte.5
Aber dennoch lässt sich an dieser Namensgebung erkennen, wie sehr Linné den Kakaobaum schätzte. Er war nicht nur von dem Getränk Schokolade begeistert, sondern rühmte zugleich die Nahrhaftigkeit der Kakaobohne. »Die Kraft der ungerösteten Frucht also bestehet […] darin, daß sie das beste Nahrungsmittel abgibt, den Chylus [griech.: Darmlymphe, der Inhalt der Lymphgefäße des Darmes – die Verf.] gutartig macht und nichts hat, was die Gesundheit schwächet. Daher ist er Leuten von magerer Leibesconstitution zuträglich, die steife Fasern und scharfe Säfte haben. Hieraus siehet man, warum die in sehr warmer Luft lebenden und meistens mageren Spanier wenig Wein trinken, hingegen eine größere Menge Chocolade. Man darf aber daraus nicht schließen, als ob dies Getränk den Bewohnern der kälteren Länder nicht so zuträglich sey; denn die geröstete Cacaofrucht ist hitzig und diese Eigenschaft mit der nährenden verbunden, vermehrt die Ausdünstung, und gibt unserem frostigen Körper die verlohrene Hitze wieder.«6
Dem Schokoladengetränk schrieb Linné zusätzlich eine große Heilkraft zu. Seiner Meinung nach waren die Eigenschaften der Schokolade so umfassend, dass kein anderes Arzneimittel so vielseitig eingesetzt werden konnte. Er verfasste im Jahre 1777 ein ausführliches Traktat über den gesundheitlichen Wert der Kakaobohnen und die Zutaten des Schokoladengetränks. Linné kam zu dem Schluss, dass die Schokolade gegen viele Beschwerden eingesetzt werden konnte. So empfahl er sie zum Beispiel bei kräftezehrenden Krankheiten, bei Schwindsucht (Tuberkulose), bei starker Abmagerung, bei Hypochondrie, bei Melancholie, bei Verstopfung des Leibes, bei sitzender Lebensart und bei unmäßigem Gebrauch von Kaffee. Ebenfalls riet er zu der Einnahme des Heilmittels bei der Goldaderkrankheit (Hämorrhoiden): »Ein gewisser junger Studirender, von frischer starker Constitution, wurde von der blinden Goldader so sehr darnieder geworfen, daß er vom Tode die einzige Hülfe erwartete. Man hatte öftere Aderlässe, Mineralwasser, gemeines Wasser des Morgens zum Trank, Milchspeisen und alle Mittel gebraucht, an welche nur jemals Aerzte und andere Leute gedacht haben; allein es wurde immer schlimmer. Man rieht ihm Chocolade. Er wollte anfangs nicht dran, weil er sich als ein vollblütiger rothwangiger Jüngling von diesem Mittel wenig Trost versprach, das seiner Meinung nach die Vollblütigkeit vermehrt. Endlich ließ er sich doch überreden und trank ein Jahr lang, alle Tage dieses Getränk, welches ihm auch so gut zuschlug, daß er nachher zehn Jahre einer vollkommenen Gesundheit genossen, und nun seine vorige Uebel vergessen war.«7
Frucht aus den Tiefen des Regenwalds
»Stellen Sie sich einen Garten vor, der anders ist als alle, die Sie kennen – Bäume, Ranken und andere Pflanzen wachsen ineinander verschlungen im schwülen grünen Halbdunkel des südamerikanischen Tieflands. Die Luft ist schwer und feucht, und die Stille wird nur unterbrochen vom Summen der Insekten und dem Knacken der toten Blätter unter den Füßen. Die unbarmherzige Sonne der Tropen dringt durch die grüne Kuppel hoch aufragender Schattenbäume und gleitet mit tausend Strahlen über den dämmrigen Grund. Anmutige Bäume...