E-Book, Deutsch, Band 5, 256 Seiten
Reihe: Dackel Herkules
Scheunemann Dackelglück
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-641-17059-2
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, Band 5, 256 Seiten
Reihe: Dackel Herkules
ISBN: 978-3-641-17059-2
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Frauke Scheunemann, geboren 1969 in Düsseldorf, ist promovierte Juristin. Sie absolvierte ein Volontariat beim NDR und arbeitete anschließend als Journalistin und Pressesprecherin. Seit 2002 ist sie freie Autorin. Frauke Scheunemann ist verheiratet und lebt mit ihrem Mann, ihren vier Kindern und zwei kleinen Hunden in Hamburg.
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EINS
Herkules? Herkules!«
Luisas Stimme klingt erst freundlich einladend, dann sehr bestimmt. Ich ignoriere es.
»Nun komm schon! Wir wollen doch Gassi gehen! Sei ein guter Dackel und komm zu mir!«
Ich überlege kurz. Will ich überhaupt ein guter Dackel sein? Dabei muss ich an Herrn Beck denken und wie der alte Kater sich immer lustig darüber gemacht hat, dass ich bei Wind und Wetter meine Runden durch den Park gedreht habe. Ein vorsichtiger Blick aus meinem Versteck: Draußen regnet es in Strömen. Ohne mich! Keine zehn Pferde bringen mich da raus – und erst recht nicht ein einzelner Teenager!
Luisas Füße tauchen vor dem Sofa auf, unter dem ich mich verkrochen habe. Unschlüssig drehen sich ihre Schuhspitzen hin und her.
»Wo steckt der Kerl bloß?«, murmelt sie. »Der kann sich doch nicht in Luft aufgelöst haben!«
Sehr richtig. Habe ich ja auch nicht. Aber unter dem Sofa, das schräg gegenüber vor der Terrassentür steht, bin ich trotzdem so gut wie unsichtbar. Es ist ein relativ neues Versteck, deswegen kennt es Luisa nicht und kommt gar nicht auf die Idee, sich zu bücken und einfach mal weiter unten nach mir zu suchen. Das gefällt mir ausnehmend gut.
Früher hatte ich nie ein Versteck. Ich bin überhaupt nicht auf die Idee gekommen, dass es einen Sinn haben könnte, sich unter einen Sessel oder gar in eine Kiste zu quetschen. Im Gegenteil: Jedes Mal, wenn der dicke schwarze Kater voller Begeisterung in einen zufällig herumstehenden Karton oder Wäschekorb sprang, habe ich mich gefragt, ob der noch alle Latten am Zaun hat. Mittlerweile habe ich hingegen die Genialität dieser Aktionen erkannt: So hat man vor den Zweibeinern auch einfach mal seine Ruhe!
Mein kleines Dackelherz zieht sich zusammen. Ich hätte es nie für möglich gehalten, aber ich vermisse Herrn Beck so sehr, dass mir die Gedanken an ihn regelrechte Schmerzen verursachen. Immer wenn ich in den Garten laufe, denke ich, dass er im Schatten seines großen Lieblingsbaums sitzen müsse. Aber er sitzt dort nicht. Nie mehr. Es ist zum Heulen!
»Ha! Jetzt hab ich dich!«
Luisa langt unter das Sofa und zieht mich hervor. Offenbar habe ich nicht nur in Gedanken gejault, sondern auch tatsächlich. So ein Mist! Ich will nicht raus! Zappelnd versuche ich, mich aus Luisas Armen zu winden, aber ich habe keine Chance: Wie in einem Schraubstock klemme ich fest, es gibt kein Entkommen.
»Mann, Herkules, jetzt stell dich doch nicht so an! Ich will doch nur eine Runde mit dir spazieren gehen! Du warst heute noch gar nicht richtig draußen, was ist denn bloß los mit dir? Langsam glaube ich, seit der olle Kater gestorben ist, drehst du völlig durch!«
Wuhuuu! Wie redet sie über Herrn Beck? Seit wann ist Luisa so ein herzloses Gör? Empört heule ich auf und stoße mit meinen Pfoten in alle Richtungen – und dann zapple ich mich doch noch frei und kann von Luisas Arm springen. Kaum haben meine Pfoten den Boden berührt, sause ich auch schon davon und renne in Richtung Flur. Das allerdings ist eine ganz schlechte Idee, wie sich bald herausstellt, denn von dort kommt mir mit ausgebreiteten Armen das nackte Grauen entgegen: die Zwillinge von Caro und Marc, besser bekannt als Duo Infernale.
»Hundi! Hundi!«, kreischt Milla und versucht, mich einzufangen, während ihr Bruder Theo offenbar ein Kissen aus seinem Bett geschleppt hat, mit dem er mir nun den Fluchtweg verbauen will. Diese Rotznasen! Wie konnte mein Leben in den letzten Jahren nur so eine schlimme Wendung nehmen? Es war doch alles schön!
Ganz früher, da lebte ich friedlich mit meinem Frauchen Carolin in einer schönen Wohnung über ihrer Werkstatt, in der sie auch heute noch Geigen baut. Es war toll – Caro hatte mich aus dem Tierheim gerettet, wir hatten es richtig nett miteinander. Und weil ich ein sehr fürsorglicher Dackel bin, habe ich gleich noch den passenden Mann für mein Frauchen klargemacht: Marc, meinen Tierarzt. Der hat dann noch Luisa mitgebracht, seine süße kleine Tochter. Apropos: Hat jemand eine Erklärung dafür, wie aus diesem niedlichen Fratz so eine Monsterzicke werden konnte? Caro glaubt, dass es an einer Krankheit namens Pubertät liegt, die hoffentlich bald vorbeigeht. Allerdings dauert sie mittlerweile schon ganz schön lange. Aber man soll die Hoffnung nie aufgeben, sagt jedenfalls immer Oma Hedwig, Marcs Mutter. Und wenn die das sagt, muss es stimmen. Hedwig ist nämlich eindeutig unser Rudelchef, auch wenn Marc und Caro das nie wahrhaben wollen.
Warum sich Marc und Caro dann angesichts der Tatsache, dass Menschenkinder an so schlimmen Sachen wie Pubertät erkranken können, noch mehr Nachwuchs zugelegt haben, erschließt sich mir allerdings überhaupt nicht. Erst bekamen sie nämlich zusammen Henri, und dann hatte Caro noch einen Zweier-Wurf: Milla und Theo. Seitdem wohne ich mit Sicherheit am lautesten Ort der Welt. Ein ständiges Geschrei und Türengeknalle ist das, und es sind bei Weitem nicht nur die Menschenjungen, die so viel Lärm machen. Manchmal, wenn Marc sehr erschöpft ist und die Kinder mal wieder gar nicht machen, was er sagt, dann kann er ganz schön rumbrüllen. Die Kinder machen dann zwar immer noch nicht, was er sagt – aber immerhin ist er selbst dann wieder richtig wach.
Richtig wach bin ich zum Glück gerade auch, denn jetzt kann ich mich nur mit einer pfeilschnellen Reaktion davor retten, von Milla und Theo eingefangen zu werden. In letzter Sekunde entwische ich durch eine Lücke zwischen Wand und Kissen und hechte durch die Haustür, die einen Spalt offen steht. Puh! Gerade noch mal davongekommen!
»O Gott, Herkules! Was ist denn mit dir los?«
Im wilden Schweinsgalopp habe ich Hedwig übersehen, die anscheinend gerade im Begriff ist, uns zu besuchen. Bremsen kann ich so schnell nicht mehr, also pralle ich aus vollem Lauf gegen ihre Beine. Rums! Ich fliege auf die Nase und bleibe neben Hedwigs Füßen liegen.
»Will niemand mit dir spazieren gehen, du Armer?« Hedwig bückt sich und streichelt mir über den Kopf. »Ist auch wirklich ein furchtbares Wetter da draußen.« Sie seufzt. »Aber es hilft nichts – wenn der Dackel rausmuss, muss der Dackel raus. Ich drehe ein Runde mit dir, mein Süßer!«
Was? Wuff! Nein! Was für ein schlimmes Missverständnis! Ich will doch gar nicht raus! Aber zu spät – Hedwig nimmt mich auf den Arm und geht in den Wohnungsflur zur Garderobe, wo die Hundeleine hängt.
»Hallo, Kinder!«, ruft Hedwig in Richtung Wohnzimmer. »Oma ist hier. Ich gehe kurz eine Runde mit Herkules, der ist schon ganz unruhig.« Und bevor die Horrorzwillinge oder Luisa noch etwas dazu sagen können, marschiert sie auch schon wieder mit mir aus der Wohnung und die Treppe zum Hauseingang hinunter, direkt an der Tür von Marcs Praxis vorbei und raus aus dem Haus.
Draußen peitscht uns der Regen regelrecht entgegen. Hedwig setzt mich wieder auf den Boden und holt einen kleinen Regenschirm aus ihrer Handtasche. Während ich also schon nach einem halben Meter von oben bis unten klitschnass bin, bekommt Hedwig höchstens feuchte Schuhe. Das Leben kann so ungerecht sein!
»Tja, Herkules, jetzt schau dir das an: Sommer in Hamburg!« Sie schüttelt den Kopf. »Nur gut, dass ich noch gekommen bin, sonst hättest du wahrscheinlich den ganzen Tag im Haus verbringen müssen!«
Jaul! Und was wäre das für eine schöne Vorstellung gewesen! Ich hätte einmal kurz im Garten an einen Baum gepinkelt und mich wieder in mein kuscheliges Hundekörbchen gelegt!
»Aber so sind Teenager nun mal, Herkules: Leben nur im Hier und Jetzt, ohne Sinn für ihre Pflichten.« Wieder ein Seufzen, mehr sagt sie nicht dazu, und ich wundere mich. Leben nur im Hier und Jetzt? Na, logisch! Wo denn sonst? In der Vergangenheit kann man doch gar nicht leben – und in der Zukunft erst recht nicht. Also, falls das ein Vorwurf an Luisa sein sollte, dann verstehe ich ihn nicht. Die Sache mit dem Sinn für Pflichten verstehe ich allerdings schon – auch mein Züchter, der alte Herr von Eschersbach, war der Meinung, dass die Jugend von heute überhaupt nichts mit Pflichterfüllung am Hut hat. Ob das stimmt, weiß ich natürlich nicht. Aber in meinem alten Leben vor Caroline und Marc, als ich nicht Herkules, sondern Carl-Leopold von Eschersbach hieß, wurden Pflichten sehr ernst genommen. Zum Beispiel die Pflicht, seinem treuen Dackel jeden Morgen eine Portion frisch gekochten Pansen zu servieren! Das waren noch Zeiten, wuff!
Ein Fenster im ersten Stock wird geöffnet, Caro schaut heraus.
»Hedwig? Wo willst du denn hin? Ich muss gleich los!«
Aha! Die arme Hedwig sollte offenbar auf den Nachwuchs des Grauens aufpassen. Babysitting nennen Caro und Marc das, was die reinste Beschönigung ist, weil Theo und Milla ja gar keine kleinen niedlichen Babys mehr sind, sondern wahnsinnig schlecht erzogene Kleinkinder. Gut, man könnte einwenden, dass ich keine Ahnung von Menschenkindererziehung habe und mir demzufolge auch kein Urteil darüber erlauben darf, ob die nun gut oder schlecht ausgefallen ist. Das ist mir aber schnurzpiepe – denn wer mich am Schwanz zieht, um mich zu ärgern, oder mir sogar die Fleischwurst aus dem Napf klaut, um sie selbst zu futtern, der hat nach meinen Maßstäben einfach eine grottenschlechte Kinderstube. Die einzige Hoffnung, die noch besteht, liegt darin, dass Menschenkinder so wahnsinnig lange brauchen, um groß zu werden. Vielleicht kriegt jemand wie Hedwig das mit der Erziehung dann ja noch hingebogen.
Die ist mittlerweile stehen geblieben und schaut nach oben zu Caro.
»Na ja, Herkules hatte ein dringendes Bedürfnis, aber bei euch kümmert sich ja...