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E-Book

E-Book, Deutsch, 188 Seiten

Scherm Zeitzittern

Die Aufzeichnungen des Leopold Branntwein
3. Auflage 2018
ISBN: 978-3-7528-7428-0
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Die Aufzeichnungen des Leopold Branntwein

E-Book, Deutsch, 188 Seiten

ISBN: 978-3-7528-7428-0
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Geboren 1891 in Prag, Schriftsteller, Freimaurer und verzweifelt-hoffender Weltverstehenssehnsüchtiger. Ein Suchender der k.u.k.-Zeit, in und zwischen den Weltkriegen, den wilden Zwanzigern und den dunklen Jahren danach. Er suchte die Wahrheit auf dem Monte Verità ebenso wie in seinen Träumen. Er war ein Cousin von Franz Kafka und stand in Kontakt mit interessanten Zeitgenossen: Dem Jugendstil-Künstler Alfons Mucha, dem Esoteriker Theodor Reuß, den Anarchisten Raphael Friedeberg und Fritz Oerter, den Schriftstellern Hermann Hesse, Alfred Kubin, Gustav Meyrink, Leo Perutz und Herzmanovsky-Orlando. Ende der 1930er emigrierte er nach New York und die Wogen des Schicksals verschlugen ihn nach dem Zweiten Weltkrieg nach Franken. In seinen tagebuchartigen Skizzen spiegeln sich die Facetten einer Odyssee durch ein halbes Jahrhundert. Mit Illustrationen des Autors.

Gerd Scherm, 1950 in Fürth geboren und aufgewachsen, lebt seit 1996 mit seiner Frau Friederike Gollwitzer in einem alten Fachwerkgehöft in Binzwangen bei Colmberg. Gerd Scherm ist Schriftsteller und bildender Künstler. Er arbeitete zehn Jahre als Kreativdirektor für Rosenthal und organisierte u.a. die Selber Literaturtage, die Künstlertage auf der Mathildenhöhe in Darmstadt und die Fürther Kunst-Begegnungen. Sein reiches literarisches Spektrum umfasst Dramen, Romane, Erzählungen, Kurzgeschichten, Satiren, Libretti und Essays. Einer seiner Schwerpunkte liegt in der Lyrik, die er meist in künstlerisch-bibliophiler Ausstattung präsentiert und die auch immer wieder zeitgenössische Komponisten zu Vertonungen inspiriert. Seine Bühnenwerke wurden in zahlreichen Städten aufgeführt. Gerd Scherm war u.a. Gastdozent an der Freien Universität Berlin und an der Universität St. Gallen im Fachbereich Kultur- und Religionssoziologie. Vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Wolfram-von-Eschenbach-Förderpreis, 2 Stipendien des Auswärtigen Amtes, dem Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste und dem Deutschen Phantastik Preis 2018.
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Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Einhundertneunundvierzigstens:

Die Enttäuschung.

Mein Freund Marek, der mir den Kontakt zu einem Verleger versprach, hat mich hintergangen. Er, dem ich so sehr vertraute. Es fällt mir schwer damit umzugehen und es geht mir körperlich schlecht. Zumindest habe ich es geschafft, mich literarisch abzureagieren. So machen die langen, düsteren Gespräche mit Vetter Franz doch einen Sinn:

Der ewige Magier

Kapitel II – Wien 1683

Die Türken belagerten Wien nun schon seit acht Wochen. Jeder wusste, dass sie Minenstollen unter die Stadtmauern trieben und Arkanto war es, als würde auch in seinem Privatleben eine Belagerung stattfinden. Seine Situation spitzte sich mehr und mehr zu, er spürte das Zittern der Erde zu seinen Füßen, die Erschütterungen seiner eigenen kleinen Welt und das Beben der Welt dort draußen. Und dann explodierte alles. Die Türken vor den Toren der Stadt zählten nicht mehr, jetzt, da er sie verloren hatte, sie, die Gefährtin seines Lebens werden sollte. Ausgerechnet an einen Menschen, der mit ihm gemeinsam durch dick und dünn gegangen war. Durch den Verrat des Freundes breitete sich Bitterkeit in Arkantos Herzen aus und der Schmerz öffnete die Pforte zu den dunklen Gefilden seines Geistes. Er rief die uralten Götter an und sprach die Worte des finalen Fluchs: »Mögest Du mit tausend Wunden im salzigen Meer treiben und ausgespien werden an die Gestade der Pein.

Mögen Dich die Zerfetzer verfolgen ein ganzes Jahr, stets drei Schritte hinter Dir bei Tag und bei Nacht. Mögen sie dann Deiner habhaft werden und aus Deinen Knochen ein beinernes Schlagwerk machen und Deine Sehnen aufspannen auf die Leier des Schmerzes anzustimmen ihr grausames Lied. Möge jede Faser Deines Fleisches Dein Bewusstsein tragen, auf dass es spüre wie es vom Löwen gefressen wird und erbrochen, auf dass es die Schakale verschlingen und ausscheiden als Kot, der Würmer Fraß. Mögen dann Deine nichtswürdigen Reste zu Staub zerquetscht werden, der zu den Wolken aufsteigt und Dein Blut und Deine Tränen niederregen auf die Erde zu künden von Deiner Schande. Möge es im Namen der Großen Alten so sein!«

Einhundertfünfzigstens:

Schwejk ist tot.

Jaroslav Hašek ist in seinem Wirtshaus in Lipnitz gestorben. Die Leber hat den Wettlauf gegen die Lunge gewonnen und ist als erste durchs Ziel. Wo immer er jetzt sein mag, sein Humor wird diesen Ort bereichern. Kann einem eigentlich im Jenseits das Lachen in der Kehle stecken bleiben?

Einhunderteinundfünfzigstens:

Aufnahme in die Freimaurerloge.

Bin immer noch in einer Art Zwischenzustand. Es ist mehr Spüren als Begreifen, mehr Ahnen als Erkennen. Es war beeindruckend – von der Einsamkeit in der dunklen Kammer bis zur Erteilung des Lichts. Bin zu überwältigt, um mehr zu schreiben.

Einhundertzweiundfünfzigstens:

Logenbruder Leopold.

Ich habe Schweigen gelobt und werde mein Gelübde halten und nichts über meine Aufnahme berichten. Nur ein klein wenig schreiben, hier, in meinen ganz privaten Aufzeichnungen. Es war eine spannende Reise mit verbundenen Augen von der »Kammer der verlorenen Schritte« durch die Dunkelheit ins Licht. Geführt von starker Hand, begleitet von eindringlichen Worten, die mein Innerstes berührten. Welch ein Augenblick im Wortsinn! Welch ein Gefühl, in der Bruderkette zu stehen. Ich spürte, wie mir die Herzen entgegenschlugen, wie willkommen ich war.

Einhundertdreiundfünfzigstens:

Bei mir, in mir.

Das kleine Büchlein, das man mir bei meiner Aufnahme in die Loge gab, erklärt die Vorgänge, die ich durch meine Augenbinde nicht hatte wahrnehmen können. Aber auch mit sehenden Augen gibt es so Vieles, was ich noch nicht erkennen kann.

Einhundertvierundfünfzigstens:

Die umstrittene Geburt.

Eine Tänzerin aus dem »Loisitschek«, die Dora, hat eingeladen, ihrer baldigen Niederkunft in eben dieser Lokalität beizuwohnen. Ihr Kind solle dort zur Welt kommen, wo sie es empfangen hat. Die Ordnungsmacht versucht diese »Sondervorstellung« der Dora zu verhindern und droht, sie wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses einzusperren. »Soll sie doch ihren Wechselbalg allein in einer Zelle in die Welt werfen«, sagte der Amtmann. Die Tänzerin hält dem entgegen, die Zeugung sei ein öffentlicher Akt gewesen und so sei es nur konsequent, allen Beteiligten die Chance zu geben, auch das Finale gemeinsam zu erleben. Außerdem könne sich bei dieser Gelegenheit einer freiwillig als Vater melden.

Einhundertfünfundfünfzigstens:

Galoppierende Inflation.

In Deutschland und Österreich wird das Geld von Tag zu Tag weniger wert. Alles bricht zusammen. Bin froh, dass wir unsere eigene tschechische Krone haben. Alles stabil!

Einhundertsechsundfünfzigstens:

Onkel Pavels Baum.

War heute draußen vor der Stadt bei Onkel Pavels Haus an der Moldau. Bei meiner Verlobung mit Klara anlässlich meiner Einschulung hatte er zu mir gesagt:

»Hab heute einen Baum für Dich gepflanzt, Kleiner. Mögest Du lange genug leben, dass man Dich anständig daran aufknüpfen kann.«

Einhundertsiebenundfünfzigstens:

Der Garten der Erinnerung.

Onkel Pavels Garten stürzte mich in den Strudel der Erinnerung. Ich war ganz überschwemmt von Hoffnungen und jeder Baum und jeder Strauch erzählte mir einen anderen Traum. Vielleicht sollte ich mich hierher zurückziehen?

Einhundertachtundfünfzigstens:

Die Schreibstube.

Fragte Onkel Pavels Sohn und Erben, meinen Vetter Lemmel, ob er für mich ein Zimmerchen übrig habe, in das ich mich zum Schreiben zurückziehen könnte. In meinem Mietshaus ist es in letzter Zeit gar arg laut geworden. Womit der Bursche sein Geld verdient, ist mir nicht klar, die Äpfel aus dem Garten rund um meinen »Galgenbaum« bringen sicher nicht genug Ertrag. Er ist ziemlich freundlich und mir scheint, dass er sein Herz eingerichtet hat wie eine Vier-Kammer-Biedermeier-Wohnung. Aber vorsichtig! Auch von hier führen Adern in die Tiefe, in die Sphären des Triebes und in die Sphären der Kloake. Doch was kümmert es mich?

Er hat zugesagt!

Einhundertneunundfünfzigstens:

Die Rückkehr zu meinem Roman.

Die neue Umgebung im Apfelbaumgarten beflügelt mich! Bin mit großem Elan an der Arbeit meines »ewigen Magiers«.

Der ewige Magier

Kapitel IV – Paris 1759

Ein halbes Jahrhundert war es nun her, seit sich Ahasver, der ewige Jude und Arkanto, der ewige Magier zuletzt begegnet waren. Letzterer nannte sich derzeit Graf von Saint Germain und es war ihm gelungen, Zutritt zu den Empfängen von Madame de Pompadour zu erhalten und durch sie wiederum Zugang zu König Ludwig XV.

Auf den Matinees, Soirees und Soupers tummelte sich ein buntes Volk von Adeligen, Alchimisten, Goldmachern, Künstlern, Karrieristen und Menschen, die interessante Geschichten zu erzählen hatten. Einer von ihnen war zweifelsfrei Giacomo Casanova, der das Publikum mit der Erzählung seiner kürzlichen Flucht aus den Bleikammern von Venedig unterhielt.

Doch zurück zum Wiedersehen mit dem ewigen Juden. Die beiden Unsterblichen flanierten wie Dutzende andere im Park des Louvre. »Was führt Euch nach Paris, Ahasver? Wenn ich mich recht erinnere, meidet Ihr doch die Metropolen und große Menschenansammlungen.«

»Nun, auch in meinem Alter hat man noch gewisse Laster, und meines ist die Neugier. Es geht ein Gerücht um, dass sich Lilith am Hofe des französischen Königs aufhalte.«

»Lilith? Der Name sagt mir nichts.«

»Der Legende nach war Lilith die erste Frau Adams, noch vor Eva. Doch sie war mit ihrem Leben unzufrieden und irgendwie kam sie in den Besitz des geheimen Namen Gottes. Mit dessen Hilfe gewann sie zauberische Kräfte und entfloh dem Paradies. Da sie aber nicht wie Adam und Eva aus Eden vertrieben worden war, traf sie der Fluch der Sterblichkeit nicht. Somit ist Lilith das älteste noch existierende Wesen in Menschengestalt.«

»Eine interessante Geschichte, alter Freund. Doch was sollte ein solch dämonisches Ding am französischen Königshof? Politik wird seine Sache wohl nicht sein«, fragte Arkanto.

»Lilith ist das urweibliche Prinzip. Ihr Sinnen und Trachten ist es Männer zu umgarnen. Sie will ihnen dienen und sie will sie beherrschen, das ist ihr Lebenselixier. Und wo könnte sie solches mehr schlürfen als bei einem König?«

»Ihr meint …!«, der Magier wagte nicht, seinen Satz zu vollenden.

»Genau, sie meine ich: Madame de Pompadour.«

»Die Madame!«, rief Arkanto.

»Ruhig!«, zischte Ahasver. »Ihr lenkt die Aufmerksamkeit auf uns. Ereifert Euch nicht und hört mir zu.«

»Aber das kann nicht sein. Madame kränkelt. Ich habe sie selbst mehrfach gesehen. Sie scheint nicht gesund zu sein.«

»Wer seit dem sechsten Schöpfungstag auf Erden wandelt, mein Freund, der weiß sich zu tarnen. Lilith beherrscht das Spiel des Mimikry und der Verwandlung wie kein zweites Wesen...



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