E-Book, Deutsch, 311 Seiten
Scherm Die Weltenbaumler
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-95765-981-1
Verlag: p.machinery
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 311 Seiten
ISBN: 978-3-95765-981-1
Verlag: p.machinery
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1950 in Fürth geboren und aufgewachsen, lebt seit 1996 in einem alten Fachwerkgehöft in Binzwangen bei Colmberg. Gerd Scherm ist als Schriftsteller und Bildender Künstler tätig. Ab 1972 war er Mitarbeiter von Eugen Gomringer, dem Begründer der 'Konkreten Poesie', und Projekt-Assistent des ZERO-Künstlers Prof. Otto Piene (M.I.T., Cambridge, Mass., USA) für verschiedene Umweltkunst-Projekte und arbeitete als Kreativdirektor für die Rosenthal AG in Selb. Gerd Scherm hat eine Vielzahl von Einzelveröffentlichungen vorzuweisen, darunter Theaterstücke, Lyrikbände, Erzählungen, Satiren und Romane. Einer seiner Schwerpunkte liegt in der Lyrik, die er meist in künstlerisch-bibliophiler Ausstattung präsentiert, und die auch immer wieder zeitgenössische Komponisten zu Werken anregt (Werner Heider, Erwin Koch-Raphael, Ingo Bathow und Franck Adrian Holzkamp). Literarisch-künstlerische Editionen und Aktionen schuf Gerd Scherm gemeinsam mit Otmar Alt, Jean-Marie Bottequin, Ortwin Michl, Josef Obornik, Erich Reusch, Wilhelm Schramm und Brigitte Tast. Gerd Scherm war u.a. Gastdozent an der Universität St. Gallen und an der Freien Universität Berlin im Fachbereich Kultur- und Religionssoziologie. Auszeichnungen: 1972 Kulturförderpreis der Stadt Fürth 1974 Stipendium des Auswärtigen Amtes, Aufenthalt in Italien 1977 Rosenthal Grenzland-Lyrik-Preis 1991 Essaypreis der Fürther Freimaurerloge 1995 Wolfram-von-Eschenbach-Förderpreis 1995 Stipendium des Auswärtigen Amtes, Aufenthalt in Schottland 1998 Ehrensenator des Deutschen Freimaurer Museums Bayreuth 1998 Matthias-Claudius-Medaille, Berlin 2001 Paulskirchen-Medaille 2004 BoD Autoren Award für den Roman 'Der Nomadengott' 2006 Friedrich-Baur-Preis für Literatur der Bayerischen Akademie der Schönen Künste 2007 Turmschreiber auf Burg Abenberg 2010 Das Bayerische Kultusministerium fördert das Drama 'Alexander der letzte Markgraf' mit 20.000 Euro
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Die Insel am Ende der Welt
Lange Zeit segelte die Gublas Stolz an der Steilküste des fremden Landes entlang, doch nirgends fand sich ein Platz, an dem eine Landung möglich gewesen wäre. Als die Küste endlich flacher wurde, verhinderte eine starke Strömung jeden Versuch, an Land zu gehen. Das Schiff trieb immer weiter nach Westen. Erst als die Tajarim ein Kap erreichten, peitschten heftige Winde die Gublas Stolz nach Norden auf die Insel zu.
Bald entdeckte der Ausguck eine Siedlung mit einem natürlichen Hafen. Uartu, der Steuermann, befahl, alles für die Landung vorzubereiten.
Problemlos steuerten die phönizischen Seeleute das Schiff in das kleine Hafenbecken, in dem nur ein einziges schlankes Drachenboot lag.
Vorsichtig spähten die Tajarim vom Deck ans Ufer, wo sie ihrerseits von misstrauischen Einheimischen beäugt wurden. Kräftige blonde und rothaarige Männer in Fellkleidung flickten Fischernetze, andere besserten einen Kahn aus. Nun unterbrachen sie ihre Arbeit und schlenderten langsam auf die Gublas Stolz zu. Seshmosis wurde mulmig zumute. Auch den anderen Tajarim und den Phöniziern war die Anspannung ins Gesicht geschrieben.
Da rief der Vorderste der Kerle: »Willkommen in Hafnir, Fremde! Wollt ihr Handel treiben?«
Wie immer sorgte GON dafür, dass es keine Sprachbarrieren gab.
»Dank für das Willkommen! Ja, wir wollen handeln!«, antwortete Zerberuh als Kapitän. Dabei hielt er ein Stoffbündel zum Zeichen der friedlichen Absichten in die Höhe.
Als hätten sie auf dieses Zeichen gewartet, tauchten nun auch Frauen und Kinder an der Mole auf und betrachteten neugierig das fremdartige Schiff und seine Passagiere. Wuchtig und breit lag die Gublas Stolz neben dem Drachenboot wie eine Kuh neben einem Rennpferd.
»Ich bin Einar Robbenfang. Wenn ihr in dieser Gegend Handel treiben wollt, braucht ihr eine Genehmigung unseres Häuptlings Frodi. Kommt von Bord, und ich will euch zu ihm führen«, forderte sie der Sprecher der Einheimischen auf.
»Wir folgen euch gern!«, rief Kapitän Zerberuh. »Bitte habt noch ein wenig Geduld, wir müssen noch unsere Vorbereitungen treffen.«
Derweil band Seshmosis den Umhängesack, GONs mobilen Wohnsitz, an den großen Mast und rief die Tajarim zur »Stunde des Dankes«.
Alle, auch die Phönizier, sammelten sich rund um den Hauptmast und beugten die Knie. Vor allem drei der Tajarim benötigten den Schutz des kleinen Gottes mehr denn je.
Seshmosis blickte über die kleine Gemeinde, dann betete er: »Herr, wir danken dir, dass du uns wohlbehalten hierher geführt hast. Bitte steh uns auch weiterhin bei. Wir danken dir, dass du über uns wachst.«
Nach einigen Augenblicken der Innerlichkeit und des Schweigens zerstreute sich die kleine Versammlung, und jeder ging seinen Geschäften nach. Die Phönizier vertäuten und sicherten das Schiff, und von den Tajarim bereitete sich jeder emsig auf seine Art auf den Landgang vor.
Aufgeregt sammelte Seshmosis ein paar seiner Habseligkeiten zusammen: einen Umhang, eine Decke und den kleinen Lederbeutel mit einigen Gold-, Silber- und Kupfermünzen. Zuletzt schnürte er den Ledersack vom Mast und hängte ihn sich über die Schulter. Niemals durfte er in diesen Sack auch nur die geringste Kleinigkeit packen, denn GON wohnte darin.
Dann verließen alle Tajarim bis auf Zerberuh, Aruel und Raffims Diener Jubul das Schiff.
Seshmosis betrachtete die Siedlung, die nur aus einigen gedrungenen Häusern und Hütten aus Feldsteinen bestand. Der ganze Ort duckte sich tief in die Landschaft. Die bemoosten Dächer schienen mit der Umgebung zu verwachsen und unterschieden sich aus der Ferne kaum von natürlichen Erhebungen.
Gleich hinter dem Dorf stieg das Land sanft an, immer höher und höher, bis hinauf zu einem Vulkan, dessen Rauchsäule die Erde mit dem Himmel verband.
Der Schreiber war beeindruckt. Zwar hatte er Berichte über Feuer speiende Berge gelesen, und er wusste, dass es sie sogar im südlichen Sinai gab, nicht fern von seiner Heimat, aber noch nie war er einem so nahe gewesen.
Während der Blick von Seshmosis noch in die Ferne schweifte, erreichte die kleine Gruppe das größte Steinhaus der Siedlung. Vor dem Haus standen vier Stangen mit Pferdeköpfen darauf. ›Nicht besonders heimelig‹, dachte der Schreiber.
Hinter der kleinen, aber schweren Holztür erstreckte sich ein langer, düsterer Raum, an dessen Ende ein Feuer in einem großen Kamin brannte. Daneben stand ein hölzernes Gestell, der sogenannte Hochsitz des Hausherrn, der versonnen in die Flammen schaute. Umrahmt wurde der merkwürdige Thron von einem Halbkreis aus Holzpfählen, in die Fratzen und Tierdarstellungen geschnitzt waren. Ein Relief zeigte einen Mann auf einem achtbeinigen Pferd, der von zwei Vögeln begleitet wurde.
Im Raum standen viele Stühle, von denen aber nur die beiden neben dem Hochsitz besetzt waren.
Die Tajarim verneigten sich vor dem Häuptling, der diesen Gruß lässig mit dem Heben einer Hand erwiderte.
Einar Robbenfang ergriff das Wort: »Händler sind es, edler Frodi, die mit breitem Schiff tief im Hafen liegen und mit uns tauschen wollen.«
»Ich danke dir, Einar. Doch nun geh wieder an deine Arbeit!«
Frodi wartete noch, bis sich Einar entfernt hatte, dann wandte er sich an die Tajarim: »Ich bin Frodi, Sohn des Gunnar. Wer ist euer Sprecher, Weitgereiste?«
Dabei schweifte sein Blick forschend über die Neuankömmlinge.
Natürlich drängte sich Raffim vor. »Ich spreche am meisten bei uns, ich, Raffim. Ich bin auch äußerst handelserprobt. Wenn es um die wichtigen Dinge geht, kannst du dich vertrauensvoll an mich wenden.«
Doch Frodi antwortete nicht. Stattdessen stand einer der beiden Männer neben dem Hochsitz auf und rezitierte in einem seltsamen Sprechgesang:
»Unser rechtschaffener Fürst Frodi,
ein Rabenverwandter an Weisheit,
ein Bärenvetter an Stärke,
ein Wolfsbruder an Mut,
ein freigiebiger Goldbrecher seinen Mannen.«
Als der Mann geendet hatte, sagte Frodi mit sichtlichem Stolz: »Das ist mein derzeitiger Skalde, mein Dichtersänger Glum, der Sohn von Geiri. Er hat schon Preislieder auf den Norwegerkönig Eirik Blutaxt und dessen Sohn Harald Graumantel gedichtet. Nun weilt er bei mir, um mich zu erfreuen und über mich zu singen.«
Nun erhob sich auch der zweite Mann, der Glum um fast zwei Köpfe überragte. Er sang nicht, doch seine Worte klangen nicht weniger lyrisch gefühlvoll und eindringlich: »Sampo heiß ich; Same, Skalde, Schamane bin ich. Manche nennen mich auch den Finnen. Bin ein fahrender Sänger und ziehe von Hof zu Hof, um die alten Zauberlieder zu singen.«
Seshmosis erkannte, dass es nun an den Tajarim war, sich einzeln vorzustellen. Deshalb drängte er sich zwischen Raffim und seinem Diener Jabul nach vorne. Als er die beiden berührte, durchzuckte ihn ein eiskalter Schauer, doch er schenkte diesem unangenehmen Gefühl keine weitere Beachtung. Schließlich lagen Raffim und er häufig im Streit, und meist mied er die Gesellschaft des Dicken.
Seshmosis verneigte sich ehrerbietig vor dem Häuptling und den beiden Skalden.
»Seshmosis, Sohn des Sesh, werde ich genannt, und ich bin ein Schreiber. Ich banne die Runen, damit sie auch morgen noch künden. Dieser hier ist Raffim, und jene beiden sind Jabul und Jebul, seine Diener. Jenen in des Feuers Schatten nennt man Barsil, und er gilt in meiner Heimat als äußerst listenreich. Sei achtsam, was du von ihm kaufst. Neben ihm steht Elimas, ein weiser Hirte und Heiler, der alle Krankheiten kennt, die Mensch und Tier befallen. Der große Kräftige ist Mumal, ein erfahrener Kämpfer, und daneben steht Almak, der bei uns zu Hause die Ochsen treibt. Und ganz dort hinten steht unser Seher Nostr’tut-Amus, den einst ein Gott berührte.«
»Danke, Seshmosis, Sohn des Sesh, der du die Runen kennst. Fühlt euch wohl in meinem Haus.« Frodi klatschte einmal in die Hände, und aus dem Dunkel der Wand löste sich eine Gestalt. Es war eine Frau undefinierbaren Alters, gehüllt in ein dunkelgraues Leinengewand.
»Bring Met für meine Gäste, Helga! Und euch bitt’ ich, Platz zu nehmen.«
Seshmosis suchte sich einen Stuhl nahe am Feuer und genoss das fremdartige Getränk. Nun durchströmte ihn auch von innen eine wohlige Wärme.
»Wie nennt ihr euer Land, edler Frodi?«, fragte er.
»Die ersten Siedler, die vor Generationen aus Norwegen kamen, nannten es Schneeland, aber wir heutigen nennen es Eisland.«
»Gibt es auch größere Siedlungen auf eurer Insel?«, wollte Barsil wissen.
»Nicht weit entfernt, auf der anderen Seite unserer Halbinsel, liegt Keflavik, wo mehr als fünfmal so viele Menschen leben wie hier und unser Gode Leif Blauzahn residiert. Der Gode ist unser Vertreter beim Thing, der großen Versammlung. Ich bin sein Berater«, verkündete Frodi stolz. »Nun seid meine Gäste und greift zu! An Met und Bier, Fleisch und Brot soll es nicht...




