E-Book, Deutsch, 192 Seiten
Schenkel Kalteis
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-455-81336-4
Verlag: Hoffmann und Campe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 192 Seiten
ISBN: 978-3-455-81336-4
Verlag: Hoffmann und Campe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Andrea Maria Schenkel, geboren 1962, lebt in Regensburg. 2006 erschien ihr Debüt Tannöd, mit dem sie großes Aufsehen erregte. Der Roman wurde 2007 mit dem Deutschen Krimi Preis, dem Friedrich-Glauser-Preis und der Corine, 2008 mit dem Martin Beck Award für den besten internationalen Kriminalroman ausgezeichnet. Das Buch verkaufte sich über eine Million Mal, wurde in zwanzig Sprachen übersetzt und fürs Kino verfilmt. Für ihr zweites Buch Kalteis (2007) erhielt sie zum zweiten Mal in Folge den Deutschen Krimi Preis. Zuletzt erschienen Finsterau (2012) und Täuscher (2013).
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Cover
Titelseite
Aktennotiz zum Abschluss des [...]
Samstag
Gerda
Sonntagmorgen
Walburga
(Fortsetzung der Vernehmung Josef [...]
Walburga
(Fortsetzung der Vernehmung Josef [...]
Walburga
Sonntag
Kuni
(Fortsetzung der Vernehmung Josef [...]
Montag
Herta
(Fortsetzung der Vernehmung Josef [...]
Dienstag und Mittwoch
Erna
Donnerstag und Freitag
Marlis
Samstag
Kathie
(Fortsetzung der Vernehmung Josef [...]
Auf folgende Quellen habe [...]
Über Andrea Maria Schenkel
Impressum
Gerda
Der 18. Februar, das war der Faschingssamstag. Dienstbotenball beim Sedlmayer in der Wirtschaft. Da ist immer was los. Jedes Jahr. Immer druckt voll ist es bei denen, droben im Ballsaal. Aus der ganzen Umgebung kommen die Leute. Ist ja auch der Höhepunkt der Faschingssaison. Da kann man nicht fehlen. Freilich bin ich auch hin, was denken Sie denn? Getanzt und geratscht habe ich die ganze Nacht und ein bisschen rumpoussiert natürlich auch. Mit dem Franz. Der war früher in Aubing in Stellung, jetzt ist er aber zu München drinnen in einer Fabrik.
Was er da genau macht? Kann ich nicht sagen, das weiß ich nicht. Aber küssen kann der ziemlich gut, das kann ich Ihnen sagen. Deshalb ist es ja auch so spät oder, besser gesagt, so früh geworden.
Bis vor die Haustür hat er mich noch begleitet und dann ist er zum Bahnhof. Zu Fuß.
Fünf in der Früh war’s, wie ich in die Küche rein bin. Warum ich das so genau weiß? Ich hab auf den Regulator geschaut, der bei uns in der Küche in der Ecke hängt. Gleich neben dem Kanapee.
»Volk ans Gewehr« spielt der zu jeder vollen Stunde. In dem Augenblick, wie ich also die Küchentür aufmache, ist es fünf und der Regulator schlägt mir »Volk ans Gewehr« entgegen. Ich bin so erschrocken, beinahe hätte ich laut aufgeschrien. Im letzten Augenblick habe ich mich noch gefangen. Ich wollt nicht, dass die Mutter wach wird und merkt, dass ich gerade erst heimgekommen bin. Das wäre mir nicht recht gewesen.
Ich bin rüber zum Wasserhahn, um mich abzuwaschen. Eiskalt war das Wasser aus der Leitung. Richtig gut getan hat mir das kalte Wasser. Wie ich mir das Gesicht abtrockne, kommt die Mutter herein. Gesagt hat sie nix, aber geschaut hat sie schon ein bisschen.
»Magst an Kaffee, bevor du ins Bett gehst? Der würde dir bestimmt gut tun!«
»Ja, Mutter, das wäre jetzt gut.«
»War ziemlich was los drüben beim Sedlmayer, weilst gar so spät dran bist?«
»Ja, voll war’s und schön, wie immer. Den Franz hab ich auch getroffen und der hat mich heimbegleitet.«
»So, so, der Franz. Der arbeitet doch jetzt in München? Komm setz dich her, Mädel, gleich kriegst an Kaffee und erzähl, wie es war, drüben beim Sedlmayer!«
So hab ich mich aufs Kanapee gesetzt und der Mutter beim Kaffeekochen zugeschaut. Wie sie fertig war, ist sie mit zwei Hafen voll Kaffee zu mir zum Kanapee. Hergesetzt hat sie sich und den Kaffee vor uns auf den Tisch gestellt.
Dagesessen sind wir und haben geredet. Über den Ball und wer alles da war. Und nach und nach bin ich immer müder geworden. An die Mutter angelehnt habe ich mich, und wie ich dann zum Gähnen gar nicht mehr aufhören konnte, da meinte sie: »Jetzt wird’s Zeit für dich. Jetzt legst dich ein bisserl hin. Heut ist Sonntag und du hast ja frei. Den Kirchgang, den kannst heute auch einmal verschieben. Dem Herrgott, dem macht das nichts aus.«
So bin ich dann aufgestanden und rüber in meine Kammer gegangen. Auf das Bett setzte ich mich, und gerade, wie ich anfange, meine Joppe aufzuknöpfen, da habe ich die Mutter rufen hören.
»Na, da schau einer sich doch das einmal an. Beim Sedlmayer muss es ja ziemlich zugegangen sein. Jetzt liegen die Liebespaare schon direkt vor unserem Gartenzaun, auf den Ranken im Schnee. Magda, komm einmal her. Schau dir das an.«
Ich bin noch mal rüber zu meiner Mutter in die Küche. Sehen wollte ich es mit eigenen Augen, sonst hätte ich es gar nicht glauben können. Wirklich, direkt vor unserem Gartenzaun lagen zwei im Schnee.
»Na so was, dass es denen nicht zu kalt ist?«
Da, in dem Moment, ist der Mann hoch. Seinen Mantel zugeknöpft und umgeschaut hat er sich. Und dann ist er in Richtung Aubing davon.
Das Mädel, zuerst ist es liegen geblieben. Erst als er schon weg war, ist es mühsam aufgestanden aus dem Schnee.
Ich sage das Mädel, denn jetzt konnte ich sehen, dass das wirklich noch ein Mädel war. Ein ganz junges Ding. Aufgestanden ist es und auf unser Haus zugelaufen.
»Da stimmt was nicht!« Sehen konnte man, dass da was nicht stimmte.
Schnell meine Joppe wieder zugeknöpft, in die Schlappen und den Mantel rein. Raus aus dem Haus, schauen wollte ich, was da los war. Da ist es mir schon in die Arme gelaufen. Ganz aufgeregt war’s. Ich hab ihr die Haare aus der Stirn gewischt und ihr ins Gesicht geschaut, da sah ich, dass es die kleine Gerda war. Das Pflegekind von den Meierschen.
Ich sag noch: »Gerda, was ist passiert? Was hast du gemacht?«
Da fing die Gerda zum Weinen an.
»Der hat mich am Hals gepackt. Am Hals hat er mich gepackt, den Rock hochgeschoben und die Unterhose hat er mir ausgezogen.«
Kaum verstanden hab ich sie. Gestoßen hat es sie, richtig gestoßen. Nur immer »am Hals hat er mich gepackt, die Hose und in den Schnee hat er mich gedrückt«.
Die Mutter, die gleich hinter mir aus dem Haus raus ist, nahm die Kleine in den Arm. An sich gedrückt hat sie die Gerda, das Häuflein Elend.
»Wie ein kleines Vögelchen«, hab ich mir noch gedacht. Die Gerda hat ausgesehen wie ein kleines, zerrupftes Vögelchen, das der Katze noch einmal ausgekommen ist. So sah sie aus, wie sie sich von der Mutter ins Haus hat führen lassen. Mit hängenden Kopf und Schultern, zusammengezuckt ist sie bei jedem Schluchzer.
Die Mutter hielt sie im Arm, ganz fest, und gesagt hats nur: »Komm rein in die warme Stube. Es wird jetzt alles gut. Brauchst dich nicht zu schämen. Komm rein. Und erzähl mir alles.«
Die Wut hat mich gepackt, wie ich das gesehen hab. Darum bin ich auf mein Fahrrad und dem Kerl nachgefahren. Ich wollte den nicht so ohne Weiteres davonkommen lassen. Den nicht! Angst hatte ich keine, nur eine ungeheure Wut im Bauch. Eine furchtbare Wut. Deshalb hab ich mich aufs Fahrrad gesetzt und bin losgeradelt. Hinter ihm her wollte ich, ihn nicht entwischen lassen.
Gesehen hatte ich ja noch, dass der in Richtung Aubing davon ist. Geradelt und geradelt bin ich.
Beim Zacherl oben, da ist die Frau Schreiber auf ihrem Fahrrad vor mir her. Ich bin noch schneller in die Pedale getreten. Einholen wollte ich sie, fragen, ob sie den Mann gesehen hat.
»Nein, hier ist keiner entlanggelaufen. Den hätte ich sehen müssen, drüben zwischen den Krautgärten muss der abgebogen sein.«
Der Schreiber hab ich noch gesagt, nein, zugerufen hab ich ihr: »Der hat die kleine Gerda überfallen!« Herausgeschrien hab ich das: »Der Hund hat die Gerda überfallen!« Während ich bereits mit meinem Fahrrad in Richtung zu den Krautgärten unterwegs war.
Ich bin den Weg zwischen den Hecken rüber zu den Gärten geradelt.
Den Mann, den konnte ich nirgends sehen, aber die Lücke im Zaun, die ist mir aufgefallen. Und die Tritte im Schnee, die sah ich erst, als ich vom Rad abgestiegen bin.
Durch die Lücke im Zaun haben die geführt.
Dagestanden bin ich mit meinem Rad, nicht gewusst hab ich, was ich jetzt machen soll. Unschlüssig war ich, ob ich durch den Zaun durch soll und das Radl einfach liegen lass. Zum Glück ist die Schreiber hinter mir hergeradelt. Mit dem Arm hat sie in der Luft herumgefuchtelt. Gerufen hats, dass ich auf sie warten soll. Sie wollte mich nicht alleine gehen lassen und deshalb ist sie mit dem Radl umgekehrt.
Auch die Schreiber sah die Spur im Schnee.
»Der ist da durch. Der kann nur durch den Zaun rein sein. Der Garten, das ist der Garten von der alten Glas. Die ist zur Zeit nicht da, die ist bei ihrer Tochter«, hat sie gesagt.
Mit der Schreiber zusammen bin ich dann durch das Loch im Zaun rein in den Garten. Die Räder, die ließen wir einfach im Schnee liegen.
Hinterm Gartenhaus haben wir ihn gefunden. Mit dem Rücken stand er zu uns. Es sah so aus, als machte er sich seinen Mantel sauber, als wischte er ihn mit dem Schnee ab.
Er hörte uns nicht kommen, denn wie ihn die Schreiber ansprach, was er hier mache, da ist er zusammengezuckt, mit einem Ruck drehte er sich um. Erschrocken starrte er uns an, hat sich aber gleich wieder gefangen, weil er doch sah, dass wir nur zwei waren und zwei Frauen noch dazu.
»Nichts mach ich hier, gar nichts.«
Vorbeidrängeln wollte er sich an uns. Wegschubsen mit der Schulter und vorbeidrängeln. Da ist der bei der Schreiber aber an die Falsche gekommen. Nicht zugelassen hat sie das. Dagestanden ist sie. Die Arme in die Hüften gestemmt, so ist sie dagestanden mit breiten Beinen. »Bleibens stehen und sagen Sie mir, was Sie hier machen!«, hat sie ihn angeschnauzt.
»Nichts mach ich, gar nichts!«
Er, der Mann, der war fast einen Kopf größer als die Schreiber. Einen Rempler gab er ihr, die Schreiber ist nach hinten in den Schnee gestürzt und raus ist er aus dem Grundstück.
Gelaufen ist der jetzt, gelaufen, als ob der Teufel hinter ihm her wäre. Richtung Schmied.
Auch ich bin raus aus dem Grundstück. Zurück zu meinem Radl, so schnell ich konnte, und beim Zeiler, da hatte ich ihn dann eingeholt.
Ganz außer Atem war er, fast nicht mehr laufen konnte der. Ich bin ein ganzes Stück neben ihm auf meinem Fahrrad hergefahren. Angst hatte ich keine, nur diese Wut, und mit jedem Meter ist sie gewachsen.
Verschwinden soll ich, hat er mich angezischt. Was ich von ihm wolle, nichts getan hat er. »Nichts! Nichts!«
Stur bin ich auf dem Fahrrad sitzen geblieben, nicht aus den Augen hab ich ihn gelassen. Die ganze Zeit bin ich ganz langsam neben ihm hergefahren.
»Redens doch keinen Blödsinn! Ich hab doch gesehen, was Sie gemacht haben. Drehens um. Gehens mit mir zur Polizei! Erwischen tun die Sie sowieso! Machens deshalb keinen Unsinn und kommens mit mir mit.«
Über mich selbst hab ich mich noch gewundert, so ruhig bin ich geblieben. Innerlich, da hab ich gezittert, aber die...