Scheibner | In den Himmel will ich nicht! | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 400 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

Scheibner In den Himmel will ich nicht!

Mein Leben in Geschichten
16001. Auflage 2016
ISBN: 978-3-8437-1382-5
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Mein Leben in Geschichten

E-Book, Deutsch, 400 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

ISBN: 978-3-8437-1382-5
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Hans Scheibner verfasste die legendären Songtexte 'Das macht doch nichts, das merkt doch keiner' und 'Schmidtchen Schleicher'. Als Liedermacher, Autor und Kabarettist begeistert er ein großes Publikum. Bequem ist er dabei nie, Autoritäten, egal welcher Couleur, machen ihm keine Angst. Nach den Kriegsjahren in Hamburg und Ostpreußen arbeitete Hans Scheibner als Verlagskaufmann und Journalist. Seine Liebe aber galt dem Theater und Kabarett. Ob auf der Bühne oder in diversen Fernsehsendungen, oft kam es wegen seiner scharfzüngigen Bemerkungen zum Eklat. Seit 1998 tourt Scheibner mit seiner Frau Petra und Tochter Raffaella durch Deutschland - natürlich mit der besorgten Frage: Wer nimmt Oma?

Hans Scheibner ist Kabarettist, Liedermacher, satirischer Sänger und Poet. Mit seinen Kabarett- und Liederprogrammen begeistert der Altmeister des satirischen Humors ganz Deutschland.
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Das Geheimnis meiner Mutter

Eine meiner frühesten Kindheitserinnerungen ist noch sehr harmlos, hat aber schon mit Geld und Angst ums Geld zu tun: Mit etwa vier Jahren steckte ich mir einmal eine kleine Silbermünze in die Nase, die geriet, ich weiß nicht wie, in den Rachen und wurde verschluckt. Meine Mutter entdeckte es: »Da war doch eine Münze!? Wo hast du die gelassen!? Um Gottes willen, er hat die Münze verschluckt …« Sie war in allergrößter Sorge, das Geldstück könne mich von innen verletzen und umbringen. Sie hielt mich an den Fußgelenken fest, hob mich hoch und schüttelte mich mit dem Kopf nach unten. Aber es kam nichts.

Mein Vater war gerade dringend für das Vaterland beschäftigt, er war im Krieg, Raum fürs Volk erobern. Und ein Kinderarzt ließ sich so schnell nicht auftreiben. Die Nachbarin beruhigte meine Mutter: Erst mal die Nacht abwarten. Die Münze kommt vielleicht auf natürlichem Wege wieder raus. Und in der Tat: Am nächsten Morgen machte es kling, klang im Topf – der Junge hatte ein silbernes Ei gelegt.

Ja, der erste Teil meiner Kindheit war sorglos und schön. Ich ahnte nicht, dass es ziemlich bald sehr aufregend werden würde.

Jedenfalls endete sie mit einem großen Feuerwerk.

Aber zuerst ging alles gut: Die erste Frau, die ich sehr geliebt habe und die die Grundlagen zu meinem späteren Weltruhm gelegt hat, war – na, wer wohl? – meine Mutter.

Schon einmal dadurch, dass sie mich geboren hat. Allein das muss eine große Leistung gewesen sein: Sie war nämlich nur 1,45 Meter groß. Mein Vater dagegen 1,84 Meter. Ich will mich gar nicht an meine ersten Erlebnisse mit und ohne Windeln erinnern. Für meine Mutter, diese zarte Person, muss es ein hartes Stück Arbeit gewesen sein.

1936, am 27. August, bin ich zur Welt gekommen. Der größte Führer aller Zeiten und seine größenwahnsinnigen Genossen waren schon dreieinhalb Jahre an der Macht. Meine Mutter und mein Vater ahnten, was da noch alles auf sie zukommen würde. Ich habe erst sehr viel später begriffen, dass es schon drei Jahre vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges eine Zeit der immer größer werdenden Angst für sie gewesen sein muss.

Außer mich geboren zu haben, leistete meine liebe Mutter noch einen weiteren, elementaren Beitrag für meinen späteren künstlerischen Aufstieg: Sie brachte mir das Lesen bei. Ich habe es bis heute in meinem achtzigsten Lebensjahr nicht vergessen: Ich hatte eine Sperre im Kopf. Mit fünf Jahren war ich erst wenige Wochen in die erste Klasse der Volksschule gegangen. Das war immerhin noch möglich, wenn auch nicht mehr lange. Ich erinnere mich an Blätter mit bunten Buchstaben und einfachen Zeichnungen – zum Beispiel ein Haus oder ein Baum oder ein Hund. Die einzelnen Buchstaben kannte ich schon. Ich konnte und konnte aber nicht begreifen, dass sie sich zu Worten zusammenfügen ließen. Die anderen Kinder in der Klasse hatten das ziemlich schnell verstanden: Die Zeichnung mit der Tür und dem Fenster vorn und dem Dreieck darüber, dem Dach, mit dem Schornstein und dem sich kringelnden Rauch, das war das Haus.

Mutter Gertrud Scheibner, geborene Willmann

Vater Carl Heinrich
Scheibner

Und das bedeutete dasselbe wie diese vier Buchstaben. Mir war es einfach nicht möglich, diese beiden Gebilde sinngemäß in einen Zusammenhang zu bringen. Da muss irgendeine Synapse da oben nicht richtig geschaltet gewesen sein, ich sah keinen Sinn in diesen vier Buchstaben. Woran ich mich noch erinnere, ist aber die Nachsicht und Geduld, mit der meine Mutter es mir immer und immer wieder zu erklären versuchte. Heute denke ich manchmal daran, wenn ich auf dem Computer zum Beispiel eine Videodatei aufrufe, die in einem für den Rechner unbekannten Programm geschrieben ist: nichts als feindliche Buchstaben, Schrägstriche, Doppelpunkte und endlose Ziffernfolgen – mit dem richtigen Programm sind sie sofort verständlich. Meine Mutter wurde nicht ungeduldig oder nervös, wie ich es an mir selbst später beobachtet habe, nein, sie versuchte es immer wieder, bis sie merkte, dass ich traurig wurde, es nicht begreifen zu können. Dann sagte sie: »Für heute machen wir Schluss!«, brachte mich zu Bett und las mir ein Märchen vor.

Wenn ich mir diese Situation wieder ins Gedächtnis rufe, ist da ein wunderschönes Gefühl der Liebe und des Vertrauens. »Du schaffst das schon noch!«, sagte sie nach dem Vorlesen. »Du wirst noch einmal eine richtige Leseratte!« Wir lachten beide, und ich schlief ein. Das Schönste ist, dass ich tatsächlich eine geworden bin, eine Leseratte.

Den zweiten entscheidenden Schritt für meine spätere Freude am Leben und meiner Leidenschaft, Geschichten zu erzählen, unternahm sie für mich, indem sie mich in eine Kindervorstellung ins Theater führte. Ich habe keine Ahnung mehr, wo genau das in Hamburg gewesen ist. Nach dem Theaterbesuch aber – so erzählte es mir jedenfalls meine Mutter später – war ich schrecklich aufgeregt. Sie stellte fest, dass ich hohes Fieber hatte. Die ganze Nacht wachte sie wohl an meinem Bett.

Am nächsten Tag rief sie den Kinderarzt, der mich untersuchte und nichts Ernsthaftes finden konnte. Ich hatte immer noch hohes Fieber und bekam wohl irgendwelche Tabletten. Der Arzt packte seine Instrumente ein und hatte sich schon verabschiedet, da soll ich plötzlich gefragt haben, wann er denn komme. Der Arzt fragte zurück:

»Wer denn, mein Junge? Wer soll kommen?«

»Der böse Wolf«, sagte ich.

»Wie kommst du denn darauf, dass ein böser Wolf kommt?«

»Das hat der Mann im Theater gesagt.«

Meine Mutter fing an zu lachen: »Wir haben Rotkäppchen gesehen!«

Als der Arzt gegangen war, tröstete meine Mutter mich und erklärte mir immer wieder, dass doch alles nur gespielt war, was wir da gesehen hatten.

»Der Wolf war kein richtiger Wolf, das war ein Mann, der hat sich so verkleidet.«

Innerhalb von Minuten soll mein Fieber verschwunden gewesen sein. Später habe ich dann lernen müssen, dass es gar nicht so gut sein soll, sich von der Handlung und den Personen eines Stückes ganz und gar gefangen nehmen zu lassen. Da musste ich zum Beispiel Bert Brecht begreifen mit seinem Verfremdungstheater. Neulich habe ich im Thalia Theater in Hamburg eine ganz moderne, hochgelobte Inszenierung der Dreigroschenoper gesehen. Das Moderne daran war: Es gab keine Kulissen, nur eine leere Bühne, die Schauspieler trugen alle einen sogenannten Blaumann, Handwerkerkleidung. Der Bettlerladen von Peachum etwa wurde nur beschrieben (»Hier sehen wir nun den Laden ›Bettlers Freund‹«), Mackie Messer war ein junger Schauspieler, auch im blauen Handwerkeranzug – alles, damit nur keine Illusion aufkommt. Konsequenter wäre es gewesen, das Textbuch einfach nur vorzulesen. Oder die Vorstellung ausfallen zu lassen, so hätte ich immer noch die Illusion, wie es mit Kulissen sein könnte. Bei diesem intellektuellen Regietheater kann ich hinterher ausgezeichnet schlafen – und sogar schon während der Vorstellung. Da hätte ich dann doch lieber mal wieder so richtig Angst vorm bösen Wolf.

Ich weiß aus späteren Jahren, als ich schon ein größerer Junge war: Meine Mutter war immer sehr ängstlich und sehr vorsichtig. Darum überlege ich immer: Was muss das für ein schreckliches Leben für sie gewesen sein in diesen Jahren der braunen Diktatur.

Meine Schwester und mich haben meine Mutter und auch mein Vater nichts davon spüren lassen. Sie haben die ganzen zwölf Jahre lang, so gut sie eben konnten, schützend die Hand über uns gehalten.

In dem Zusammenhang fällt mir ein, dass mein Vater einmal auf einer Familienfeier zum Besten gab:

»Im Kino Blumenburg in Hamburg auf der Hoheluftchaussee wurden manchmal an Sonntagvormittagen auch Kinderfilme gezeigt. Ich hatte einen Tag Urlaub und wollte meinem Sohn etwas Gutes tun. Es gab einen Film mit Kasperles Abenteuern oder so ähnlich. Wir beide also hin. Hans konnte sich kaum noch beherrschen vor Aufregung. Er hatte Kasper schon in der Kasperbude gesehen – aber jetzt sogar als Film. Dann ging es los. Warum diese Idioten vor einem Kinderfilm unbedingt noch die Wochenschau zeigen mussten, weiß der Henker.

Jedenfalls kamen wieder stolze Berichte von den Siegen an der Ostfront – alles gelogen, wie immer –, und dann hielt der Führer wieder eine Rede. Ich weiß noch: Er trat ans Rednerpult und zappelte da rum und schrie … Mein Sohn rutschte derweil auf seinem Kinositz hin und her, dann stand er auf und rief ziemlich laut: ›Papa, ist das Kasper?‹«

Auf der Familienfeier haben alle sehr darüber gelacht. Mein Vater aber hat damals natürlich einen furchtbaren Schreck bekommen. Es ist am Ende gutgegangen. Niemand hat uns angezeigt.

Nach dem Krieg sagte meine Mutter jedes Mal, wenn im Freundes- oder Verwandtenkreis das Thema Politik zur Sprache kam: »Gott sei Dank! Ich versteh ja nichts von Politik.« Lange Zeit habe ich das geglaubt und sie später ignoriert, wenn es etwa um Wehrdienst oder Wiederbewaffnung ging. Ich denke jetzt aber: Sie hat den ganzen Krieg durch gezittert und erlebt, wie die nächsten Nachbarn zu Denunzianten wurden, dass sie sich einfach weiterhin raushalten wollte.

»Das Schlimmste ist ein Bürgerkrieg«, sagte sie immer wieder. Oder: »Der kleine Mann ist nur Kanonenfutter.«

Sie hatte die Handelsschule besucht und war bis 1933 Sekretärin in der SPD-nahen Großeinkaufsgenossenschaft GEG. Hitler hat ihr dann...


Scheibner, Hans
Hans Scheibner ist Kabarettist, Liedermacher, satirischer Sänger und Poet. Mit seinen Kabarett- und Liederprogrammen begeistert der Altmeister des satirischen Humors ganz Deutschland.

Hans Scheibner, geboren am 27. August 1936 in Hamburg, ist Satiriker, Liedermacher und Autor. Seine humoristischen Weihnachtsbücher sind Dauerseller.



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