E-Book, Deutsch, Band 4, 288 Seiten
Reihe: Die gnä' Frau ermittelt
Scheib Mordshochzeit, Herrschaftszeiten
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-311-70555-0
Verlag: OKTOPUS bei Kampa
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die gnä' Frau ermittelt
E-Book, Deutsch, Band 4, 288 Seiten
Reihe: Die gnä' Frau ermittelt
ISBN: 978-3-311-70555-0
Verlag: OKTOPUS bei Kampa
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
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1 Power to All Our Friends
Samstag, 16.6.1973, 13 Uhr 30
Landstraße
»Marie, bitte stellen’S das Radio lauter!«
Frau Ehrenstein ließ sich in den gepolsterten Sitz des Opel Admiral zurücksinken und runzelte die Stirn. Sie verfolgte die Geschichte gebannt, seit die Gendarmerie letzte Woche nach einer Explosion in einem Feld vor den Toren Wiens Leichenteile gefunden hatte. Es gab zahlreiche Spekulationen – war es ein Unfall, ein Anschlag oder Suizid? Es überraschte sie nicht, dass die Ermittler noch nicht herausgefunden hatten, wer das Opfer war. Nicht nur, weil laut Berichten bloß einzelne Körperteile gefunden wurden. Sondern auch, weil sie in den letzten eineinhalb Jahren einen ziemlich guten Eindruck von der Arbeit und den Fähigkeiten der Ordnungshüter gewinnen konnte, und dabei war das Vertrauen der gnä’ Frau etwas erschüttert worden.
Sie spürte einen eindringlichen Blick und wandte sich zur Seite. Ihr Mann taxierte sie mit zusammengezogenen Augenbrauen, um den Mund ein harter Zug. Dennoch glaubte sie, mehr Neugier als Vorwurf aus seiner Miene herauszulesen. Er hatte erst vor zwei Monaten von ihrem geheimen Doppelleben als Hobbydetektivin erfahren und beobachtete sie jetzt immer ganz genau, wenn in den Nachrichten von Verbrechen die Rede war. Als hätte sie bei jedem Mord in Wien die Finger im Spiel. Als hätte sie das Bedürfnis, jedes kriminelle Rätsel zu lösen. Nun, wenn er sich sorgte, dass sie aus dem Auto springen würde, um Ermittlungen über explodierende Menschen anzustellen, täuschte er sich. Dieses Wochenende würde sie feiern.
Elektrische Gitarrenklänge dröhnten durch das Gefährt, und Alice Cooper verkündete mit Überzeugung: »No more Mr. Nice Guy«.
»Drehen’S wieder leiser, Marie. Ich denke, meine Frau hat gehört, was sie hören wollte.« Oskar löste den Blick wieder von seiner Frau. Einzelne Härchen hüpften im Fahrtwind des offenen Fensters aus seiner zurückgegelten Frisur, während er auf die vorbeigleitenden grünen Felder sah.
»Vielen Dank, Marie!«, fügte die gnä’ Frau rasch hinzu. Ihr gefiel nicht, dass Oskar auf Höflichkeit vergaß, wenn er mit den Angestellten redete. Insbesondere, da er sonst so großen Wert auf Etikette legte.
Das Dienstmädchen nickte kurz mit einem sanften Lächeln und faltete die Hände wieder im Schoß. Sie saß vorn neben dem Chauffeur, der in seiner Uniform schrecklich schwitzte. Die gnä’ Frau war froh, ein ärmelloses Blumenkleid zu tragen.
»Haben die Trentners dir noch eine aktualisierte Gästeliste geschickt? Hat vielleicht noch jemand abgesagt?«
Oskars Frage war so betont beiläufig, dass Frau Ehrenstein schmunzeln musste.
»Nein, also gehe ich davon aus, dass alle, die eingeladen sind, auch kommen.«
Sie wartete auf eine Erwiderung, ein Seufzen oder wenigstens ein Schulterzucken, doch er blickte weiter starr wie eine Statue aus dem Fenster. Der erfrischende Fahrtwind wurde schwächer, als das Auto abbremste. Sie kamen an einem ovalen Schild vorbei, auf dem in verschnörkelten Lettern stand. Darauf war eine schwarze Katze mit aufgestelltem Buckel abgebildet. Die gnä’ Frau fragte sich nicht zum ersten Mal, ob das der Abschreckung dienen sollte. Heute kam es ihr wirklich wie ein schlechtes Omen vor.
Auf jeden Fall würde es nicht mehr lange dauern, bis sie da waren. Frau Ehrenstein kannte die Strecke gut. Sie besuchten Oskars Freunde ein paar Mal im Jahr, außerdem kam sie hier vorbei, wenn sie auf dem Weg zur Römertherme in Baden war. Gern ließ sie sich mit ihren Freundinnen im warmen Wasser treiben und genoss die Ruhe. Für Entspannung würde sie dieses Wochenende aber vermutlich keine Zeit finden.
»Ohnehin viel zu heiß für die Therme«, murmelte sie.
»Was hast du gesagt?«
»Dass’d dir nicht so schrecklich viel Sorgen machen brauchst. Es wird schon werden! Außerdem hätte es schlimmer kommen können. Deine Eltern beglücken uns wenigstens erst am Sonntag.«
Ihr Mann ließ nur ein ungeduldiges »Hrrmpf« hören. Der gnä’ Frau, die nicht direkt betroffen war, fiel es leicht, die ganze Sache mit Humor zu nehmen und wie eine Seifenoper zu betrachten: eine nicht standesgemäße Hochzeit mit Potenzial für einen Skandal. Oskar fehlte dazu der Abstand.
Sie hatten im Wohnzimmer ihrer Villa in Hietzing schon ausgiebig über das Thema gesprochen. Sie mit einem Gläschen Whisky, er mit Brandy, musikalisch untermalt von Lou Reed. Sie hatte ihren Mann nicht beschwichtigen und nur mit Mühe überreden können, die Einladung zu diesem Wochenende überhaupt anzunehmen. Immerhin heiratete sein bester Freund nur einmal im Leben.
»Ma, is des a Pestsäule? So wie die unsrige?«, fragte Marie erfreut und deutete aus dem Fenster. Das war die erste nennenswerte Sehenswürdigkeit seit dreißig Minuten. Sie fuhren gerade über den Hauptplatz von Traiskirchen, in dessen Mitte hinter einer steinernen Balustrade die reichlich verzierte Dreifaltigkeitssäule in den Himmel ragte. Frau Ehrenstein lächelte. Wiener mussten, sobald sie die Grenzen ihrer Stadt überquerten, immer zwischen »unser« und »derer« unterscheiden.
»Na, oba unsrige is höher. Und bröckelt a net so. Fehl’n da paar Figuren?«
Und vergleichen mussten die Wiener auch immer. Denn so gern sie über ihre Stadt motschkerten, sie war selbstverständlich besser als jede andere.
Ein erneutes »Hrrmpf« von Oskar ließ Marie verstummen und die Hände wieder artig in den Schoss legen. Frau Ehrenstein begann sich über die Stimmung ihres Mannes zu ärgern. Insbesondere wenn er ihre heimliche Vertraute angrantelte. Die junge Frau war nicht nur eines der Dienstmädchen in der Villa Ehrenstein, sie war vor allem die Gefährtin und rechte Hand der gnä’ Frau bei ihren Mordermittlungen. Doch davon wusste ihr Mann nichts.
Sie war kurz davor, ihn darauf hinzuweisen, dass sie dankbar sein konnten, Marie dabeizuhaben. Das Dienstmädchen tat ihnen einen Gefallen, indem sie bei der Hochzeitsfeier einsprang. Doch die gnä’ Frau riss sich zusammen. Vor den Bediensteten zurechtgewiesen zu werden, würde seine Laune auch nicht verbessern, außerdem versuchte sie, Verständnis aufzubringen. Oskar war seit seiner Kindheit mit dem Bräutigam befreundet und empfand dessen Missachtung der Konventionen als belastend. Obendrein war es nicht sehr taktvoll, die Ex-Freundin zur Hochzeitsfeier einzuladen. Da waren die Gäste der blutjungen Braut, ein Haufen Hippies, fast das geringere Problem für Oskars konservative Weltanschauung.
An den Umständen konnte sie nichts ändern, also wippte sie stattdessen zu Cliff Richards »Power to All Our Friends«, das gerade im Radio lief, mit den Zehen. Eigentlich eine Frechheit, dass er dieses Jahr beim Songcontest damit nur den 3. Platz geholt hatte. Nachdem ihm 1968 schon der Sieg verwehrt worden war, wäre er fünf Jahre später eine Genugtuung gewesen.
»Himmelherrschaftszeiten. Was miachtlt da so?« Marie verzog angewidert das Gesicht und kurbelte hektisch das Autofenster hoch. Was wenig brachte. Ein beißender Geruch nach geschmolzenem Plastik breitete sich im Fahrzeug aus.
»Das geht gleich vorbei«, sagten Frau Ehrenstein und ihr Mann gleichzeitig im selben gelangweilten Ton. Sie sahen einander an und mussten lächeln. So oft hatten sie diesen Satz ihrem Sohn Willi vorgebetet. Für einen Moment verflog die Anspannung. Oskars hochgezogene Schultern sanken herab, und die senkrechte Falte zwischen seinen Augenbrauen glättete sich. Sie nickte ihm aufmunternd zu. »Es wird schon werden«, wollte sie ihm damit noch mal mitteilen. Das Wochenende konnte ja gar nicht so schlimm enden, wie er befürchtete.
»Das ist nur die Reifenfabrik, Marie. Die von Semperit. Je nachdem, wie der Wind weht, kriegt ma den Gestank ab. Und da drüben ist übrigens die Blaschke-Fabrik.« Die gnä’ Frau deutete zum Fenster hinaus.
»Ah, geh, die von derer Kokoskuppeln?«
»Genau die, wenn der Wind von der anderen Seite kommt, riecht’s nach Schokolade und Zucker. Und wenn ma Pech hat, kriegt ma beides gleichzeitig ab, und das ist dann … nicht so angenehm.«
Wie versprochen, verflog der Gestank nach kürzester Zeit. Sie ließen die charmante Ortschaft hinter sich, vor ihnen erstreckten sich wieder die Felder, und auf einer Anhöhe konnten sie schon das Herrenhaus der Familie Trentner aufragen sehen. Bereits aus der Ferne wirkte es imposant, zwei Stockwerke hoch und mehr als doppelt so breit wie die Ehrenstein’sche Villa. Mit seinen zwei Türmchen und einem Gelbton, der bei gewissem Licht fast golden schimmerte, wirkte es fast wie ein kleines Schloss. Ein Wäldchen grenzte direkt an das Anwesen, Rhododendronsträucher in sattem Violett säumten die Auffahrt. Es erinnerte die gnä’ Frau immer an Manderley, das Anwesen aus Alfred Hitchcocks . Wobei die Vorgänge dort um einiges dramatischer waren als bei den Trentners. Jedenfalls unter normalen Umständen.
Die Familie wohnte seit Generationen hier, beinahe ebenso lange war sie mit den Ehrensteins befreundet. Oskar war schon als kleiner Bub häufig hier zu Gast gewesen. Wenn er seine Eltern im benachbarten Baden besuchte, legte er auf dem Weg regelmäßig einen Stopp bei den Trentners ein....