E-Book, Deutsch, Band 3, 304 Seiten
Reihe: Die gnä' Frau ermittelt
Scheib Mord im Dreivierteltakt
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-311-70457-7
Verlag: OKTOPUS bei Kampa
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 3, 304 Seiten
Reihe: Die gnä' Frau ermittelt
ISBN: 978-3-311-70457-7
Verlag: OKTOPUS bei Kampa
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Constanze Scheib wurde 1979 in Wien geboren, wo sie auch aufgewachsen ist. Das merke man, sagt sie: an der Färbung ihrer Sprache, an ihrer »manchmal bisserl ruppigen Liebenswürdigkeit« und an ihrem speziellen schwarzen Humor. Nach der Schule absolvierte sie eine Schauspielausbildung und stand in den folgenden Jahren auf diversen österreichischen Bühnen. Schon in dieser Zeit begann sie - »zum Amüsement meiner Lieben« -, Kurzgeschichten und Theaterstücke zu schreiben. Seit 2014 werden ihre Erzählungen veröffentlicht, seit 2019 ist sie Mitglied der »Mörderischen Schwestern«, einem Netzwerk zur Förderung der deutschsprachigen Kriminalliteratur von Frauen. Constanze Scheib lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Wien.
Autoren/Hrsg.
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1 Robert Redford beim Philharmonikerball
»Ist … ist das Schokolade an deinen Handschuhen?«
Oskar blickte fassungslos auf Frau Ehrensteins Hände. Sie spürte ihre Wangen erröten und mied seinen Blick, während sie in ihrem kleinen Beutel nach einem Taschentuch kramte.
»Ähm … ja. Eventuell hätte ich die Handschuhe ausziehen sollen, ehe ich den Sacherwürfel esse. Aber dann hab ich schon gehört, und ich wollte die kleine Köstlichkeit nicht verkommen lassen.«
Nach der Festfanfare und dem Einzug der Ehrengäste hatte die gnä’ Frau noch kurz der Eröffnung des Philharmonikerballs durch das Jungdamen- und Jungherrenkomitee zugeschaut: Junge Männer und Frauen hielten pärchenweise in den Ballsaal Einzug, boten dann einen choreographierten Tanz dar, um schließlich mit einem Linkswalzer die Feierlichkeit offiziell zu starten. Der Gusto auf etwas Süßes hatte Frau Ehrenstein zu einem der Pausenbuffets des Musikvereins getrieben. Sie war sicher gewesen, dass sie rechtzeitig zum ersten Tanz zurück sein würde.
»Marandjosef, hab ich auch am Mund Schokolade? Ist mein Lippenstift verschmiert?«
Oskar stieß einen tiefen Seufzer aus. Als sie ihm wieder in die Augen sah, erkannte sie jedoch ein amüsiertes Blitzen darin.
»Ich weiß zwar nicht, wie du das immer schaffst, aber dein Lippenstift sieht makellos aus. Warte, vielleicht wär’s gescheiter, wenn du die Handschuhe ausziehst.«
»Oskar Maximilian Leopold Bonifaz Ehrenstein. Du schlägst vor, dass ich bei einem der wichtigsten Bälle der Wiener Gesellschaft ohne Handschuhe herumlaufe? Also praktisch nackt?«
»Du bist ja heute wieder ausgesprochen amüsant. Ich will lediglich meine Handschuhe schützen. Außerdem ist der erste Walzer schon halb vorbei. Komm, vielleicht finden wir noch ein Platzerl.«
Die gnä’ Frau stopfte ihre Seidenhandschuhe in ihren Beutel und eilte mit ihrem Mann zur vollgepackten Tanzfläche.
Man konnte kaum von Tanzen sprechen. Vielmehr schoben sich die Pärchen Schulter an Schulter über das Parkett, während die Wiener Philharmoniker mit Verve Strauss spielten. Frau Ehrenstein hielt sich an Oskars Oberarm fest, als er sich durch die Menge drückte, um zur Mitte der Tanzfläche zu kommen. Dabei wich sie geschickt gefährlichen Ellenbogen aus.
Ihrem Mann ging es nicht ums Tanzen. Wer wirklich gern Walzer tanzte, wartete ein paar Lieder ab, um sich auf dem Parkett auch wirklich bewegen zu können. Oskar kam es im Moment nur aufs Gesehenwerden an. Je näher er zum Zentrum der Menschenmenge vordrang, desto größer war die Chance, auch von den Logen aus bemerkt zu werden. Und dort saßen ehemalige, gegenwärtige und zukünftige Geschäftspartner.
Die gnä’ Frau legte eine Hand auf Oskars Schulter, die andere in seinen Handschuh, und sie begannen sich im Takt zu bewegen.
»Eins, zwo, drei – eins, zwo, drei.«
Neben den Ehrensteins presste ein junger Mann mit rotem Kopf den Dreivierteltakt zwischen seinen Lippen hervor und wurde im Viervierteltakt von seiner Partnerin ermahnt, nicht ständig auf seine Füße zu starren. Frau Ehrenstein musste schmunzeln, doch Oskars Miene blieb seriös, während er mit wachsamem Blick den Raum erforschte.
Wie jedes Jahr fand auch der 33. Philharmonikerball im Wiener Musikverein statt, getanzt wurde im goldenen Saal. Der Raum machte seinem Namen alle Ehre: Er glänzte. Die Wände, die Galerien, selbst der Rahmen der großen Orgel waren in der Farbe des Edelmetalls gehalten. Das Licht der vier Kristallleuchter, die wie überdimensionale strahlende Tropfen von der Decke hingen, verstärkte noch den warmen Goldton.
Die gnä’ Frau fand keinen besonderen Spaß an dem Herumgeschiebe des ersten Walzers und legte den Kopf in den Nacken, während ihr Mann sie führte. Sogar der Plafond war mit goldenem Stuck verziert. Dazwischen, als einzige bunte Farbkleckse im Saal, waren Deckengemälde in blauen Grundtönen zu sehen. Sie stellten Apollo und die neun Musen dar. Die gnä’ Frau liebte diese Bilder, seit sie als junges Mädchen zum ersten Mal für ein klassisches Konzert hier gewesen war. Die Musen schienen in der Luft zu gehen, mit Masken oder Harfen in den Händen, einige waren zart, andere kräftiger. Einige zeigten viel Haut, andere waren in Gewänder eingewickelt. Der Dame gefiel, dass diese göttlichen Figuren ganz unterschiedlich waren und es nicht vorgeschrieben war, wie eine Muse auszusehen hatte.
Frau Ehrenstein genoss solche Höhepunkte der feinen Wiener Gesellschaft, insbesondere da der Ausklang des Jahres 1972 so aufreibend gewesen war. Als heimliche Hobbydetektivin hatte sie gemeinsam mit ihrem treuen Dienstmädchen Marie herausgefunden, wer einen Döblinger Grafen auf dem Gewissen hatte. Dabei wäre sie fast selbst vergiftet worden. Durch besondere Umstände war die Schuldige jedoch entkommen.
»Aua!«, quietschte die junge Frau neben ihnen.
»Eins, zwo, dr…, oh entschuldige bitte, Schatzi! Eins, zwo drei, eins, zwo, drei …«
Das Pärchen neben den Ehrensteins hatte immer noch rege Probleme mit dem Walzer, doch Oskar war zu beschäftigt, um das zu bemerken.
»Schon jemanden entdeckt?«, fragte die gnä’ Frau, eher um Konversation zu machen als aus echtem Interesse.
»Der Batochwil sitzt mit den Renners in einer Loge. Das heißt wohl, sie haben den Vertrag abgeschlossen oder sind kurz davor. Ich glaub, der Egger ist ohne seine Frau gekommen …« Seine Stimme klang konzentriert, er suchte immer noch die Umgebung ab. »Ah, der Hofrat Kruppec ist hier unten im Parterre, zu dem werd ich nachher schauen müssen. Und … oh!«
Frau Ehrenstein folgte Oskars Blick. Das war gar nicht so einfach. Einerseits weil der Saal gesteckt voll war, andererseits weil sie sich im Walzertakt im Kreis bewegten. Zwar langsam, aber sie musste dennoch den Kopf etwas verdrehen, um in die passende Richtung zu blicken. In einer der unteren Logen saß ein eigenwillig aussehendes Pärchen. Sie war eine ältere, stark geschminkte Dame in einem knallbunten Kleid mit übertrieben viel Schmuck. Er, deutlich jünger, mit ungekämmtem Haar und in schlecht sitzendem Anzug. Auf den ersten Blick passten sie nicht auf den Philharmonikerball und schon gar nicht in eine Loge, für die man viel Geld bezahlen musste. Das kitzelte am detektivischen Gespür der gnä’ Frau. Wäre sie überaus argwöhnisch, würde sie davon ausgehen, dass sich die beiden in die feine Gesellschaft hier einschleusen wollten, um ein Verbrechen, ein paar Diebstähle oder Trickbetrügereien etwa, zu begehen. Frau Ehrensteins Gatte interessierte sich jedoch nicht für die beiden, sondern für den Mann, der hinter ihnen stand.
Sie hatte diesen Mann noch nie gesehen. Er war hochgewachsen und trug einen schwarzen Frack, wie die meisten Männer hier. Die blonden Haare waren zu einem Seitenscheitel gegelt, seine Miene war ernst, und anstatt sich den Eröffnungswalzer anzusehen, starrte er auf die beiden vor ihm sitzenden Personen herunter.
»Meinst du den jungen Mann, der wie Robert Redford aussieht?«
»Wie wer?«
Das Orchester hörte auf zu spielen, einige Gäste applaudierten. Etwa ein Drittel der Tanzenden schob sich vom Parkett, der Rest wartete auf das nächste Lied, das ein paar Momente später begann.
Die Ehrensteins gehörten zu denjenigen, die sich von der Tanzfläche verabschiedeten. Oskars Ziel – zu sehen und gesehen zu werden – war erreicht.
»Soll ich uns einen Sekt holen, ehe ich zum Geschäftlichen übergehe?«, fragte Oskar. Frau Ehrenstein spürte Frustration in sich aufsteigen. Erst gab er sich nicht die geringste Mühe, wenigstens so zu tun, als teilte er ihre Begeisterung für den Ball, und jetzt versuchte er, ihrer Frage auszuweichen.
»Nein, ich meine, ja natürlich! Aber sag mir zuerst: Wer ist der Mann in der Loge, der wie Robert Redford aussieht? Ach, den Schauspieler wirst du nicht kennen, er hat noch nicht so viel gemacht. , , sagt dir das was? Egal, er ist jedenfalls blond, hat blaue Augen, ist extrem gut aussehend.«
Oskars Miene blieb so regungslos, dass die gnä’ Frau sich hundertprozentig sicher war: Er versuchte, etwas vor ihr zu verbergen.
»Helene, wirklich. Du machst wieder aus einer Maus einen Elefanten. Ich hab mich lediglich umgeschaut, wer da ist …«
Seine Schultern sanken um ein Wengerl, und es bildeten sich Falten auf seiner Stirn. Frau Ehrenstein hatte einen Riecher dafür entwickelt, wenn etwas nicht stimmte. Ihre heimliche Vertraute Marie sagte ihr nach, dass sie dann zu einem Bluthund wurde, der nicht lockerließ, bis er einer Sache auf den Grund gekommen war.
Die Ehe der Ehrensteins war immer schon eine Zweckgemeinschaft gewesen, bei der Liebe und Leidenschaft keine Rolle spielten. Frau Ehrensteins Eltern hatten nach einer guten Partie für sie gesucht, seine hatten sich gewünscht, den ewigen Junggesellen endlich unter die Haube zu bringen. So war sie zur Hausherrin der Villa Ehrenstein geworden. Lange Zeit hatte das eintönige Leben sie schrecklich gelangweilt, und ihr Mann war nie müde geworden, sie zu kritisieren. Erst ihre Abenteuer als Hobbydetektivin hatten sie dazu gebracht, nicht nur sich neu wahrzunehmen, sondern auch ihren Mann.
Nach jahrelanger Entfremdung und Streitigkeiten hatten sich die beiden erst vor einigen Wochen einander angenähert und sich vorgenommen, es mit Freundschaft zu versuchen. Sie hatte ihn vor seinen gefühlskalten Eltern in Schutz genommen, und er hatte ihr sogar – wenn auch unwissentlich – beim Lösen eines Falles geholfen. Sie...