E-Book, Deutsch, 288 Seiten, Format (B × H): 125 mm x 205 mm
Scheib Der Würger von Hietzing
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-311-70301-3
Verlag: OKTOPUS bei Kampa
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Gnä' Frau ermittelt
E-Book, Deutsch, 288 Seiten, Format (B × H): 125 mm x 205 mm
ISBN: 978-3-311-70301-3
Verlag: OKTOPUS bei Kampa
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Constanze Scheib wurde 1979 in Wien geboren, wo sie auch aufgewachsen ist. Das merke man, sagt sie: an der Färbung ihrer Sprache, an ihrer »manchmal bisserl ruppigen Liebenswürdigkeit« und an ihrem speziellen schwarzen Humor. Nach der Schule absolvierte sie eine Schauspielausbildung und stand in den folgenden Jahren auf diversen österreichischen Bühnen. Schon in dieser Zeit begann sie - »zum Amüsement meiner Lieben« -, Kurzgeschichten und Theaterstücke zu schreiben. Seit 2014 werden ihre Erzählungen veröffentlicht, seit 2019 ist sie Mitglied der »Mörderischen Schwestern«, einem Netzwerk zur Förderung der deutschsprachigen Kriminalliteratur von Frauen. Constanze Scheib lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Wien.
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2 Whisky zum Polieren
Der Kronleuchter tauchte das untere Stockwerk in ein mattes Licht, das dem alten Haus einen noch ehrwürdigeren Charakter verlieh. Frau Ehrenstein schritt die breite, geschwungene Treppe in die Eingangshalle hinunter. Wenn man das antike Interieur und die vorbeihuschenden Dienstmädchen mit ihren Schürzen sah, konnte man sich in einem Haushalt rund um die Jahrhundertwende wähnen, dachte sie. Wieder einmal überkam sie das Gefühl, in dieser Umgebung fehl am Platz zu sein. Ihr Tag war voll und gleichzeitig ereignislos gewesen. Nach der Inspektion hatte sie noch die Arbeits- und Küchenpläne abgenickt. Dann ein Spaziergang mit ihrer Mutter in Schönbrunn, ein Gespräch mit dem Glaser und Betthupferl schauen mit ihrem Sohn Willi. Doch nun lag der Abend vor ihr, und sie freute sich darauf.
Bianca trippelte ins Vorzimmer. Sie hatte ihre schwarzen flachen Arbeitsschuhe gegen beige Pumps getauscht. Frau Ehrenstein hatte einen Blick für gehobene Garderobe. Die sehen aber nicht billig aus, stellte sie verwundert fest.
Frau Berkovics kam, fest eingehüllt in einen Wollmantel, einen dunklen Hut mit ein paar wackelnden Federn auf dem Kopf, schweren Schrittes hereingestapft. Hinter ihr folgte Marie, die sich gerade ihre Handschuhe überstreifte. Frau Berkovics nickte Frau Ehrenstein knapp zu.
»Gnä’ Frau, wir sind fertig für den Tag, falls Sie nix mehr brauchen.«
Ein Routinesatz, der jeden Abend dieselbe Antwort von der Dame des Hauses zur Folge hatte:
»Danke, Frau Berkovics. Wir sehen uns morgen!«
Nun, fast jeden Abend.
»Da wär noch was …«, sagte Frau Ehrenstein.
»Mit Verlaub, gnä’ Frau?«
»Mein Gatte bemerkte heute beim Frühstück, dass das Silber nicht tadellos poliert war. Ich wäre untröstlich, wenn das morgen früh noch immer der Fall wäre.«
»Selbstverständlich, gnä’ Frau! Welch ein Jammer, dass Ihnen das erst jetzt einfällt. So kurz vor Feierabend …«
»Welch ein Jammer«, entgegnete die Hausherrin, »dass Ihnen das nicht schon früher aufgefallen ist, Frau Berkovics. Oder sagen’S, ist es meine Pflicht, auf den Zustand des Bestecks achtzugeben?«
Die Haushälterin krallte die Finger in den Stoff ihres Mantels, doch auf ihrem Gesicht entfaltete sich ein ehrerbietiges Lächeln.
»Selbstverständlich nicht, gnä’ Frau! Bitte vielmals um Verzeihung.«
»Nun, wer soll sich dieser Arbeit annehmen?«, fragte Frau Ehrenstein, die es sich in den letzten Jahren zum Hobby gemacht hatte, Frau Berkovics zu provozieren.
Frau Ehrenstein sah, dass Marie konzentriert den Plafond musterte, um nicht loszuprusten.
»Scho recht, Frau Berkovics. I mach des scho«, verkündete sie hastig.
Die beiden anderen atmeten unisono auf und verabschiedeten sich rasch. Als die Haustür ins Schloss gefallen war, zog Marie den Mantel wieder aus.
»Also, wirklich, gnä’ Frau! Hat des jetzt sein müssen?«
»Ach, gehn’S, Marie! Ein Glaserl wird Sie schon nicht umbringen!«
Sie betraten das vom Kaminfeuer wohlig warme Wohnzimmer, und Frau Ehrenstein schenkte beiden bernsteinfarbenen Whisky ein, während sich Marie in einen der Ohrensessel fallen ließ.
Zwei Monate war es nun her, dass die beiden zum ersten Mal hier gesessen hatten. Marie hatte eines Abends an der Tür geläutet und sich um die vakante Stelle als Dienstmädchen beworben. Auch da war Frau Ehrenstein allein zu Hause gewesen und hatte sich fadisiert, also hatte sie die junge Frau hereingebeten. Anfangs sprachen sie über die Anstellung und Maries hervorragende Zeugnisse. Sie hatte bereits in sehr jungen Jahren zu arbeiten begonnen. Das interessierte Frau Ehrenstein, deren Jugend so ganz anders verlaufen war, und bald unterhielten sie sich angeregt über ihre Herkunft, ihre Erziehung, dann auch ihre Vorlieben und Lieblingsbeschäftigungen. Sie entdeckten, dass sie die Leidenschaft für Musik und Filme teilten. Die Kriminalfilme, die Frau Ehrenstein so sehr schätzte, fand Marie zu aufreibend, doch dafür liebte sie Komödien. Beide waren sich einig, dass Marianne Mendts jazzige Stimme zum Besten gehörte, was Österreich zu bieten hatte, und dass sie beim Songcontest einen weit besseren als den sechzehnten Platz verdient hätte. Als es immer später wurde und sie bereits das dritte Glas Whisky getrunken hatten, begann Marie von ihrem verstorbenen Vater zu erzählen und von ihrer Mutter, die sie seitdem versorgen musste. Von ihrer Arbeit als Dienstmädchen, die ihr viel abverlangte, aber wenigstens eine anständige war. Von dem alten ungarischen Ehepaar, das selbst kaum noch Geld gehabt hatte und sie deswegen wenige Tage zuvor entlassen musste. Da war Frau Ehrenstein zweierlei bewusst geworden: erstens, dass diese junge Frau mit ihren zweiundzwanzig Jahren mindestens doppelt so viel erlebt hatte wie sie selbst, die zehn Jahre älter war. Und zweitens, dass sie sich nicht erinnern konnte, wann sie zum letzten Mal ein so tiefgründiges Gespräch geführt hatte.
Seitdem hatten die beiden sich immer wieder zum Plaudern und Whiskytrinken hierher zurückgezogen. Heimlich, denn Marie fürchtete einen schlechten Stand bei den anderen Dienstboten – sie wollte nicht gleich als Liebling der Herrschaft gelten. Als Frau Ehrenstein sie einmal gefragt hatte, warum sie sich zu den Treffen bereit erklärte, hatte Marie geantwortet:
»Wissen’S, i hackel den ganzen Tag, und danach braucht mich halt mei Mutter. Hier, mit Ihnen, kann i afoch nur sein.«
Marie nahm einen Schluck und schloss die Augen.
»Gut, nicht?« Frau Ehrensteins Freude war unüberhörbar.
»Sehr. Des is a Neuer, net woahr?«
»Gut erkannt! Den hab ich von meinem italienischen Importeur. Ein 15-jähriger Laphroaig. Die Brennerei wird von einer Frau geleitet, können Sie sich das vorstellen? Ein Schotte wieder, aber viel rauchiger als der andere, nicht?«
»Da meint man richtig, man würd eine Zigarre rauchen!«
»Wann haben wir den Letzten ausprobiert? Vor zwei Wochen?«
»Vor einer, gnä’ Frau. Da ham’S g’meint, die Hemden vom gnädigen Herrn wär’n net g’scheit bügelt.«
Dann erzählte Marie von einer Komödie von Franz Antel, in der ein Affe die Hauptrolle spielte. Der Film war erwartungsgemäß etwas seicht, zeigte dafür schöne Bilder von Wien. Frau Ehrenstein berichtete von dem neuen Tony-Christie-Album, das sie sich unbedingt zulegen wollte. Sie unterhielten sich gerade lachend über ein Rülpskonzert von Willi, nachdem er ein halbes Dutzend Kracherl getrunken hatte, als Marie aufstand.
»Wollen’S noch ein Glaserl?«, fragte Frau Ehrenstein eifrig.
»Na. Dank’schön, gnä’ Frau.«
Die junge Frau verließ das Zimmer mit dem Glas in der Hand durch eine Seitentür. Frau Ehrenstein dämmerte, was sie vorhatte. Sie schnappte sich die Whiskyflasche von der hölzernen Anrichte, die als Hausbar fungierte, bevor sie dem Dienstmädchen in die Küche folgte.
»Ach, kann das nicht noch ein wengerl warten?«
»Gnä’ Frau, die Berkovics wird morgen als Erstes schauen, ob ich des Silber a g’scheit poliert hab. Des schaut sonst a bissl deppat aus, wissen’S?«
Marie platzierte Putzmittel und die Besteckschublade auf dem alten Küchentisch, zog sich helle Stoffhandschuhe über und begann mit ihrer Arbeit.
Frau Ehrenstein vergaß gerne, dass ihre kleinen Lügen, um Marie länger dazubehalten, für das Dienstmädchen auch Konsequenzen hatten. Marie war viel zu vernünftig, um ihre Pflichten zu vernachlässigen. Frau Ehrenstein kam sich dumm vor, und in ihr regte sich ein schlechtes Gewissen.
»Na, setzen’S sich her, gnä’ Frau!«, sagte Marie beschwichtigend. »Und schenken’S Ihnen noch was ein. Ich weiß jetzt nämlich, was mit der Bianca los is.«
Ihr Ton verhieß Spannendes, also beeilte sich die Dame, der Einladung zu folgen.
»Sein’S halt net so streng mit ihr, gnä’ Frau. Wenigstens grad im Moment. Der Bianca ihre Tante is hamdraht worden. So a Nachricht würd a jede mitnehmen.«
»Was meinen’S jetzt mit hamdraht?«
»Na, die Tant von der Bianca wurde umgebracht.«
»Das hab ich verstanden. Aber wie? Und wieso?«
»Erdrosselt, hat die Bianca g’sagt. Und wieso? Wer kann des scho sagen? Allerdings gab’s da scho paar Theorien von den andern.«
Behutsam legte Marie eine Gabel auf ein Geschirrtuch und nahm eine neue. Frau Ehrenstein ertrug die Spannung kaum und war kurz davor, die junge Frau anzuherrschen, dass sie endlich Tacheles reden solle. Der alltägliche Klatsch in ihren Kreisen über fremdgehende Ehepartner, Unterschlagungen oder Konkurserklärungen langweilte sie nur noch. Doch ein Mord in ihrer unmittelbaren Umgebung – das war etwas Neues.
»Welche Theorien?«
»Ich weiß ja net, inwieweit Sie den Lokalteil lesen, aber die letzt’n Monat hat’s an Hauf’n solcher Morde geb’n.«
»Einen Haufen?«
»Drei oder vier, glaub ich. Immer ältere alleinstehende Frauen. Immer z’Haus. Erdrosselt und ausg’raubt.«
Frau Ehrenstein erinnerte sich an die kurze Meldung in der Zeitung, die sie an Bela Lugosi und Edgar Wallace hatte denken lassen. Konnte es sein, dass es sich bei der Erwürgten, von der die Rede gewesen war, um Biancas Tante gehandelt hatte?
»Und morgen muss zur Polizei deswegen. Um eine Aussage zmach’n, hat’s g’sagt. Grausliche G’schicht.«
»Sagen’S bloß!«
»Ja, und ihr geht a bissl der Reis, weil’s da allein hinmuss, die arme Seel!«
Frau Ehrensteins Herz schlug schneller, und sie trommelte unruhig mit ihren roten Fingernägeln auf die Arbeitsplatte.
»Tatsächlich? Angst hat’s, die arme...