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Schedlmayer | Hitlers queere Künstlerin | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

Schedlmayer Hitlers queere Künstlerin

Stephanie Hollenstein – Malerin und Soldat
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-552-07605-1
Verlag: Zsolnay, Paul
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Stephanie Hollenstein – Malerin und Soldat

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

ISBN: 978-3-552-07605-1
Verlag: Zsolnay, Paul
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die Geschichte einer queeren Frau zur Zeit des Nationalsozialismus - ein »fesselndes Porträt einer ambivalenten Künstlerin, das aktueller nicht sein könnte.« VALIE EXPORT
Was ist zu halten von einer toughen Frau, die aus bäuerlichen Verhältnissen stammt, verkleidet als Soldat in den Ersten Weltkrieg zieht, die sich auf der Kunstgewerbeschule in München durchboxt, ihren Lebensunterhalt mit expressionistischer Malerei verdient, ihre Homosexualität offen auslebt, eine feministische Künstlerinnengruppe mitbegründet - und dann der NSDAP beitritt und antisemitische Schriften verfasst? Die Kulturpublizistin Nina Schedlmayer erzählt heute, vor dem Hintergrund unserer von Widersprüchen extrem geprägten Gegenwart, die Geschichte von Stephanie Hollenstein (1886 bis 1944) - packend wie ein Roman.

Nina Schedlmayer studierte Kunstgeschichte in Wien und promovierte über Kunstliteratur im Nationalsozialismus. Sie ist Chefredakteurin des Kulturmagazins »morgen«, schreibt unter anderem für »Handelsblatt«, »Weltkunst« und »Parnass« und betreibt den artemisia.blog über Kunst und Feminismus. 2017 erhielt sie den ersten Österreichischen Staatspreis für Kunstkritik.
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Künstlerisches Talent auf dem Melkschemel:
eine Kindheit in Lustenau


Wie verrückt wohl Menschen sind, die Geld für Bilder ausgeben! Was wollen sie bloß mit dem Gemälde eines Feldes? Wer vor einem echten Acker steht, weiß: Der ist viel schöner als seine Darstellung. Noch dazu wachsen darauf Heu und Kartoffeln. Statt Kunst sollten vornehme Leute lieber gleich ein Gut kaufen. Da ist sowieso ein Feld darauf. Das können sie anschauen, tagelang.

So denkt der Bauer Michel, als seine Schwester von ihren neuen Plänen erzählt. Das Bäbele, so heißt sie, treibt es nämlich — angestachelt von einer entfernten Verwandten — auf und davon in die Stadt. Sie möchte dort Künstlerin werden. Sie möchte malen, genauso wie Angelika Kauffmann, die große Klassizistin aus dem Bregenzerwald. Die war sogar mit Goethe befreundet und kam bis Rom und London, wo sie hohe Herrschaften porträtierte und viel Geld verdiente, erzählt das Bäbele. Den Vater konnte sie schon beinahe überzeugen von ihrem Plan. Obwohl, dieser fragt sich, ob so eine Stadt »nicht für das Seelenheil gefährlich« sei?

Das Bäbele und seine Familie treten 1863 in der Erzählung »Nümmamüllers und das Schwarzokaspale« des Vorarlberger Dichters Franz Michael Felder in Erscheinung. Eine junge Frau, die ihr Dorf im hinteren Bregenzerwald verlassen — und Künstlerin werden will. Sie wünscht sich ein anderes Leben als jenes, das ihr die Herkunft eröffnet: Stall und Haus, Mann und Kinder. Zu trist, zu wenig, zu öde, zu eng.

Ungefähr 42 Kilometer entfernt von Schoppernau, wo Franz Michael Felder aufwuchs und seine Geschichte ansiedelte, liegt Lustenau.

Dort spielt am Nachmittag des 18. Juli 1886 in einer Restauration die Bürgermusik von Fußach. Um 15 Uhr versammelt sich der »Vorarlbergische Landwirthschaftsverein«. Um 15.30 Uhr führt das Theater den Schwank »Der verwunschene Prinz oder: Die Ferienwanderung« auf. So steht es im Gemeindeblatt. Dieses kündigt auch Zwangsversteigerungen an. Unter anderem kommt das Hab und Gut eines Mannes namens Gebhard Jussel zum Aufruf, etwa eine Stickmaschine, System Beninger Anschlag, Startpreis: 400 Gulden. Auch ein Stickerstuhl, Taxe: ein Gulden.

An diesem 18. Juli 1886 wird irgendwo in diesem Ort, wahrscheinlich in der Pontenstraße 20, Stephanie Hollenstein geboren. Sie ist das fünfte von sechs Kindern, von denen nur vier ihr mittleres Alter erreichen. Nicht untypisch für diese Jahrgänge.

Die Eltern, Ferdinand Hollenstein und Anna Maria Bösch, verehelichte Hollenstein, füttern ihren Nachwuchs mühsam durch, mit Landwirtschaft und Stickerei. Kindheiten enden schnell in so einem Haushalt. Denn die Kleinen sind willkommene Arbeitskräfte. Sie verbringen ihre Tage an der Stickmaschine und auf dem Melkschemel, wenn sie nicht gerade die Schule besuchen. Stephanie Hollenstein arbeitet ab dem Alter von acht Jahren. Viel später, ein halbes Jahrhundert nach ihrer Geburt, umreißt sie ihre jungen Jahre so: »Kind eines kleinen Landwirts — besuchte die Volksschule — auf Ansuchen meines Vaters von der Sommerschule frei gemacht — verrichtete ich Feldarbeit und hütete das Vieh, bis zum 16ten Lebensjahr.«

Was heute auf europäischem Boden so gut wie ausgerottet ist, war im bäuerlichen Österreich des 19. Jahrhunderts Normalität: Kinderarbeit statt Bildung.

»Der Arbeitseinsatz der eigenen Kinderschar schien allemal vernünftiger, als eine teure Mechanisierung zu forcieren«, schreibt der Historiker Meinrad Pichler über das Ländle in diesen Jahrzehnten. Um 1900 besitzen die Bauern in Vorarlberg und Tirol im Vergleich zu denen in anderen Bundesländern im heutigen Österreich am wenigsten Maschinen. Das Land ist rückständig. Doch jenseits des Rheins, in der Schweiz, ist die Stickerei sehr gefragt. Fabrikanten aus St. Gallen beschäftigen Sticker und Stickerinnen im Nachbarland, wenn auch zu kargen Löhnen. Diese kaufen, fast immer auf Kredit, Maschinen und stellen sie in ihren Häusern auf. So wird Vorarlberg zum »billig produzierenden Hinterland für die St. Galler Stickereifabrikanten« (Pichler). Die Mechanisierung schreitet voran, 1885 gibt es in Lustenau 700 Handstickmaschinen, im Jahr darauf vermeldet das ebendort schon 1000 Maschinen. Der Ort wird zum Zentrum der Vorarlberger Stickindustrie. Viele Menschen leben vom »Zweisäulenmodell«: Um die sinkenden Einnahmen aus der Landwirtschaft zu kompensieren, schaffen sie sich eine Stickmaschine an. Doch diese führt nicht immer zu Wohlstand.

Die Stickindustrie des 19. Jahrhunderts war das, was man heute Prekariat nennt: Wie Uber-Fahrer, Essenslieferantinnen und Clickworker mit selbst finanziertem Materialeinsatz und auf Zuruf ihre häufig mickrigen Einkommen generieren, so arbeiteten auch die damaligen Stickerinnen und Sticker auf eigene Rechnung und eigenes Risiko: Auftragsausfälle mussten sie ebenso tragen wie Personen, die in der heutigen Click- und Gig-Economy ihr Auskommen finden müssen. Eine Gesellschaftsschicht, die traditionelle politische Parteien — heute wie damals — vernachlässigen. Weder der Arbeiterschaft oder den Angestellten noch dem Unternehmer- oder Bauernstand lassen sie sich so richtig zurechnen.

»Ausgebeutete Hausindustrie«


Wenn die Einkünfte zu gering waren, um den Kredit für die Maschinen zurückzuzahlen, ließ der Gläubiger den Besitz zwangsversteigern. So, wie es Gebhard Jussel passierte. Durch den Konkurrenzdruck sanken die Löhne. Tägliche Arbeitszeiten von über elf Stunden, Schuldenlast, Elend: keine Ausnahmen. Am 16. März 1886 schreibt das : »Jetzt trägt die Vorarlberger Stickerei alle Merkmale einer ausgebeuteten Hausindustrie an sich: gesunkene Löhne, ungemein lange Arbeitszeit, Überwältzung des Risiko’s auf den Arbeiter.« In Österreich werden zu dieser Zeit zwar die sozialistischen Kräfte stärker. Doch die Lustenauer Bevölkerung ist — trotz Ausbeutung — nicht ihre Klientel, schließlich ist sie weitgehend selbstständig beschäftigt. 1889 wird ein Vertreter des »Vereins der alten Parteien« Bürgermeister. Bis 1919 wird diese lokale großdeutsch-liberale Partei den Gemeindevorsitz behalten.

Auch die Familie Hollenstein gehört zur ausgebeuteten Hausindustrie.

Das Lustenau des 19. Jahrhunderts, dieser in Berglandschaften eingebettete Ort am damals noch unregulierten Rhein, war kein Bullerbü. Der Architekt und Autor Wolfgang Fiel imaginiert es sich als Bild »von vielen, laut vor sich hin knatternden und dampfenden Verbrennungsmotoren zum Antrieb der Schnellläufermaschinen, die noch dazu durch die verhältnismäßig großen und zur warmen Jahreszeit meist geöffneten Fenster im Erdgeschoss gut sichtbar waren«.

Aus dem Zweisäulenmodell entwickelte sich bald ein eigener Haustypus, der einem in Lustenau bis heute begegnet. An die Bauernhäuser dockten eingeschoßige Sticklokale an, in denen die langen Maschinen Platz fanden.

In einem solchen Gebäude wuchs Stephanie Hollenstein auf.

Das lässt sich im historischen Archiv Lustenaus in Erfahrung bringen. Es liegt in einem Neubau im Zentrum der Marktgemeinde, die gerne betont, dass sie mit heute rund 24.000 Einwohnerinnen und Einwohnern die größte Österreichs ist. Dort bewahrt sie den archivalischen Nachlass ihrer Tochter auf. Auf mehreren Regalen verteilen sich die Zeugnisse ihres Lebens, verpackt in Kartons. Briefe, Fotos, Zeugnisse, Ausweise, Medaillen, Kriegsabzeichen, Urkunden, Skizzen, Notizen. Ein kleiner Bücherbestand blieb übrig von Hollenstein, auch einige wenige Schmuckstücke: altmodische Broschen, eine davon ist mit einem Tierzahn besetzt, einer sogenannten Grandel.

Nur wenige Minuten Fußmarsch entfernt liegt die Galerie Dock 20, die den künstlerischen Nachlass Hollensteins beherbergt: Gemälde hängen an Schieberegalen, bereit, auf Schienen unter metallischem Klappern herausgezogen zu werden. Skizzen schlummern in langen Metallschubladen und warten darauf, dass sie jemand in die Hand nimmt, studiert, vielleicht sogar ausstellt. In einem Ausstellungsraum zeigt man zeitgenössische Kunst. Einst hieß der Ort »Galerie Stephanie Hollenstein«. Es gab gute, sehr gute Gründe für seine ...


Schedlmayer, Nina
Nina Schedlmayer studierte Kunstgeschichte in Wien und promovierte über Kunstliteratur im Nationalsozialismus. Sie ist Chefredakteurin des Kulturmagazins »morgen«, schreibt unter anderem für »Handelsblatt«, »Weltkunst« und »Parnass« und betreibt den artemisia.blog über Kunst und Feminismus. 2017 erhielt sie den ersten Österreichischen Staatspreis für Kunstkritik.



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