Schedlmayer | ART BIOGRAPHY | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 256 Seiten, Format (B × H): 140 mm x 210 mm, Gewicht: 440 g

Schedlmayer ART BIOGRAPHY

Margot Pilz. Leben. Kunst.
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7011-8214-5
Verlag: Leykam
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Margot Pilz. Leben. Kunst.

E-Book, Deutsch, 256 Seiten, Format (B × H): 140 mm x 210 mm, Gewicht: 440 g

ISBN: 978-3-7011-8214-5
Verlag: Leykam
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Das Leben von Margot Pilz begann mit einer Katastrophe: Im Zweiten Weltkrieg wurde sie mit sechs Jahren als in Indonesien lebende Niederländerin in das berüchtigte japanische Internierungslager Lampersari auf Java verschleppt, in dem Menschen gefoltert wurden und verhungerten. Nach diesen traumatischen Erlebnissen zog Pilz mit ihrer Familie zuerst in die Niederlande und als junge Frau dann nach Wien, wo sie Fotografie studierte und zu einer herausragenden Vertreterin feministischer Kunst wurde: Wie ihre Kolleginnen Renate Bertlmann und Valie Export kämpfte sie gegen ein überkommenes Frauenbild, das Frauen auf die Rollen als Haushälterin, Liebesdienerin und Babysitterin reduzieren wollte. Ihre Kunst, die Pilz auf immer neuen Gebieten vorantrieb, von der Fotografie über Performances, Skulpturen und Videokunst, erfährt heute die gebührende Wertschätzung in und außerhalb des Kunstbetriebs. Mit thematischen Schwerpunkten wie Umweltschutz und Digitalisierung erweisen sich eine ganze Reihe ihrer Kunstwerke jetzt als visionär. Auf Basis vieler Gespräche mit der Künstlerin stellt die preisgekrönte Kunstkritikerin Nina Schedlmayer dar, wie Leben und Kunst von Margot Pilz durch ihre Kindheit geprägt wurden, wie sie sich ihre Freiheit erkämpfte und welche Sprengkraft ihre Kunst birgt.

Nina Schedlmayer studierte Kunstgeschichte in Wien, Promotion über Kunstliteratur im Nationalsozialismus. War lange im Kulturressort des Nachrichtenmagazins 'profil' für bildende Kunst zuständig und ist seit 2019 Chefredakteurin des Kulturmagazins 'morgen'. Beiträge in Kunstzeitschriften (Weltkunst, Parnass, Eikon u. a.), der 'Zeit' sowie dem 'Handelsblatt' und zahlreichen Büchern. Kuratorin mehrerer Ausstellungen, zuletzt 'Fiona Tan - Mit der anderen Hand' in der Kunsthalle Krems. Seit 2018 betreibt sie den 'artemisia.blog' über Kunst und Feminismus. 2017 erhielt Schedlmayer den ersten Österreichischen Staatspreis für Kunstkritik.
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Once Upon My Time. Eine Kindheit im Internierungslager


In ihren ärmlichen Behausungen tischen die Frauen ein üppiges Abendmahl auf. Hühner, die sie mit Köstlichkeiten gefüllt, Beefsteaks, die sie deftig angebraten, Rindsbraten, den sie mit Senf eingerieben haben. Zum Dessert servieren sie Torten und Schokolade mit Apfelmus. In Fetzen gehüllt, saugen sie herrliche Essensdüfte ein. Die kulinarischen Freuden sind grenzenlos in diesen Nächten, die sie auf engstem Raum miteinander verbringen. Mehr Platz als die Liegefläche ihrer Pritsche haben sie nicht.

Es muss im Jahr 1944 oder 1945 sein, als das Mädchen Margot im Internierungslager Lampersari den Erzählungen ihrer Mitinsassinnen lauscht. Sie bekämpfen den quälenden Hunger und die Schlaflosigkeit mit beinahe manischen Erzählungen darüber, wie sie einst ihr Essen zubereiteten. Sie tauschen Rezepte aus und empfehlen einander Zubereitungsarten – ohne zu wissen, ob sie je wieder Gerichte kochen können, die schmackhafter sind als der Papp, von dem sie jeden Tag viel zu wenig zu essen bekommen, als die Frösche und Schnecken, die sie ab und zu fangen und mit denen sie sich und ihre Kinder versorgen. Es ist eine Erinnerung an Zeiten, in denen sie noch in großzügigen Villen wohnten, ein Heer an Angestellten dirigierten, köstliche Früchte und Speisen auf hübsch gedeckten Tischen verzehrten und in weitläufigen Gärten mit ihren Kindern spielten.

Margot ist im Volksschulalter. Sie kann noch nicht lesen und schreiben, und sie wird es auch nicht so bald lernen. Denn in Lampersari ist jede Art von Bildung streng verboten, wie so vieles. In diesen Wochen und Monaten, einer Zeitspanne, die im Leben eines Kindes weitaus länger erscheint als in dem einer Erwachsenen, ist sie schwach vor Hunger. Einmal pro Woche bekommt sie einen Teelöffel Zucker, ein echtes Festmahl, für das sich die Kleine Zeit lässt: Ganz langsam schleckt sie den Löffel ab, immer und immer wieder. Ihre Mutter gibt ihr dazu auch noch ihre eigene Ration, ein großes Geschenk.

Lampersari ist das dritte Lager, in dem Margot und Ottilie ter Heege sitzen – und es ist das schlimmste.

Sie zählen zu jenen Niederländerinnen und Niederländern, die während des Zweiten Weltkriegs in indonesischen Lagern von der japanischen Besatzungsmacht inhaftiert wurden. Die neuen Kolonialherrscher wollten die alten vertreiben, ja ausradieren. Indonesien, damals Niederländisch-Indien, war bis 1942 niederländische Kolonie gewesen. Doch während des Pazifikkriegs trachtete das japanische Kaiserreich danach, die europäischen Kolonien zu erobern. Nach dem Angriff auf Pearl Harbor 1941 erklärten die USA gemeinsam mit den alliierten Mächten – Großbritannien, Australien und den Niederlanden – Japan den Krieg. Anfang 1942 schlug die japanische Marine ihre Kriegsgegner allerdings zurück. Am 8. März 1942 kapitulierte der niederländische Gouverneur in Niederländisch-Indien, das japanische Kaiserreich übernahm die Macht.1 Plötzlich waren die Japaner die neuen Herrscher, die einstigen Kolonialherren dagegen inhaftiert und versklavt, die »einstige koloniale Pyramide umarrangiert«.2 Alles, was niederländisch war, sollte unterdrückt und vernichtet werden.3 Insgesamt wurden rund 170000 Menschen, darunter 60000 Frauen und Kinder in Lagern, vor allem auf der Insel Java, interniert.4 Viele von ihnen gingen an den Arbeitsbedingungen oder Folterungen zugrunde, starben an Krankheiten infolge katastrophaler hygienischer Zustände. Andere wurden ermordet, erschossen, erschlagen. 1945 sollte Indonesien durch die Alliierten von der japanischen Herrschaft befreit, erst 1949 unabhängig werden. Aufgrund des Kriegs herrschte 1944 und 1945 eine Nahrungsmittelknappheit, die auch die autochthone Bevölkerung hart traf. In den Lagern allerdings schlug sie sich umso schlimmer nieder. Zahllose Menschen verhungerten.

Wenn Margot heute über ihre Zeit in Lampersari spricht, verwendet sie den Begriff »KZ«, ebenso wie die Zeitzeugin Franziska Koblitz, deren Memoiren erstmals im Jahr 2000 und 2016 in einer Zweitauflage erschienen5, und auch in den meisten Publikationen über Margot ist die Bezeichnung gängig. In der historischen Forschungsliteratur ist sie allerdings in Zusammenhang mit den Internierungslagern in Indonesien nicht gebräuchlich. Im Vorwort zu Koblitz’ Erinnerungen zieht die Journalistin Judith Brandner dennoch Parallelen: »Die Schilderung der Zustände freilich erinnert sehr an das, was wir von dort [den KZs] kennen: systematisches Aushungern, krank machende hygienische Verhältnisse, stundenlanges Appellstehen, Nummern, die ständig sichtbar getragen werden mussten, kein Unterricht für die Kinder, keine religiösen Zusammenkünfte, kein Kochen in den Unterkünften, kein Musikhören, sich tagsüber nicht Hinlegen und zahlreiche weitere, schikanöse Verordnungen und Verbote, die nur den Zweck hatten, die Menschen zu brechen, dazu physische Misshandlungen – insgesamt ein System, das zur Vernichtung, zum Tod führen sollte.«6

All das hat Margot erlebt.

KLEINE, GRAUE, HÄSSLICHE HÄUSER


Lampersari ist ein Viertel in Semarang, einer Stadt an der Nordküste Javas. Rund 8000 Menschen wurden hier eingesperrt, gefoltert, ermordet – Frauen und Mädchen sowie Jungen bis zum Alter von elf Jahren. Die älteren Buben kamen in Männerlager; beim Überschreiten der Altersgrenze wurden sie ihren Müttern entrissen, oft sahen sie diese nie wieder. Im Wesentlichen bestand das Lager aus zwei großen Straßen: Lamper Sari und Sompok; daran schloss ein Teil an, in dem Bambushütten für die indonesische Bevölkerung errichtet worden waren. Daraus hatten sich die Bewohnerinnen und Bewohner jedoch wegen der ständigen Überflutungen zurückgezogen. Auf einem Hügel waren in einer einstigen Schule die Lagerleitung sowie die Küche untergebracht. Ein ungefähr drei Meter hoher Bambuszaun sowie, im Abstand von zwei Metern, ein ebenso hoher Stacheldrahtzaun begrenzten das Lager. Dazwischen patrouillierten Wachen. So beschrieb Koblitz diesen Ort. »Wir sahen die kleinen, grauen, hässlichen Häuser an und die Menschen, die davorstanden und uns ansahen«, notierte sie.7

Heute zeigt Google Street View die Straße Lamper Sari von Bäumen gesäumt. Ebenerdige oder einstöckige Häuser, umgeben von Zäunen oder Vorgärten, zeugen von einem bescheidenen Wohlstand. Modernistische Villen wechseln sich ab mit Neobarock imitierenden Wohnsitzen, vor denen Autos parken. Der einstige Ort des Grauens ist heute eine propere Wohngegend mit üppiger Vegetation. Keine Spur mehr von »kleinen, grauen, hässlichen Häusern« wie jenen, in die damals meist mindestens sieben Frauen mitsamt Kindern eingepfercht waren, dicht an dicht gedrängt.

In ihrer hellen Neubauwohnung in Wien-Hernals, die voll ist mit Büchern, Kunst und schönen Möbeln, erzählt Margot über ihre Zeit in Lampersari, ihre Flucht, über ihre traumatischen Erlebnisse dort. Sie tut dies mit einer gewissen Abgeklärtheit. Ihre Stimme bleibt fest, ab und zu lacht sie sogar. Erst nach einer Stunde schüttelt es sie, bekommt sie Schluckauf, fühlt sich körperlich eingeengt. Dann braucht sie eine Pause. Es geht weiter, und es scheint erstaunlich, wie viele Erinnerungen sie bis heute hat. So skizziert sie sogar die Wohnstatt, in der sie damals mit ihrer Mutter untergebracht war – immerhin keine Bambushütte, sondern ein winziges Haus aus Ziegeln. Zwei Rechtecke bilden den Grundriss in Margots Zeichnung. Sie füllt sich mit Pritschen, die Margot mit routiniertem Schwung zu Papier bringt. Mit einem Pfeil markiert sie einen engen Durchgang, wo man sich zwischen den Bettstätten bewegen konnte, der mit der Zeit allerdings verstellt wurde. Wegen der Enge zogen die Frauen die Ziegel unter einem Fenster heraus, sodass eine zweite Tür entstand. Nun mussten sie nicht mehr über die anderen klettern, wenn sie das Zimmer verließen. Die Überschwemmungen, vor denen die Bevölkerung zuvor geflohen war, erlebten die Häftlinge nun ständig. Manchmal stand Margot bis übers Knie im schmutzigen Wasser, in dem Keime und Bakterien gefährliche Krankheiten bringen konnten.

Ottilie und ihr Mann Friedrich ter Heege waren bereits 1938 mit ihrer Tochter Margot, die 1936 in Haarlem geboren wurde, aus den Niederlanden nach Java emigriert. Dafür gab es zwei Gründe. Zum einen fühlte sich die Familie schon damals durch den Nationalsozialismus bedroht: Der Großvater von Ottilie, einer gebürtigen Österreicherin, war jüdisch. Zum anderen wollte sich Friedrich ter Heege, ein HNO-Arzt, auf Java eine Praxis aufbauen. Als Angehörigen einer Kolonialmacht war das für ihn und seine Familie relativ unkompliziert möglich. Zwar gehörten die ter Heeges nicht zur sehr reichen Schicht wie die Vorfahren von Franziska Koblitz, die einen aristokratischen Hintergrund hatte und deren Ehemann eine Zuckerrohrfabrik sowie Plantagen leitete.8 Dennoch gelang es Friedrichter Heege auf Java, für sich, seine...


Schedlmayer, Nina
Nina Schedlmayer studierte Kunstgeschichte in Wien, Promotion über Kunstliteratur im Nationalsozialismus. War lange im Kulturressort des Nachrichtenmagazins »profil« für bildende Kunst zuständig und ist seit 2019 Chefredakteurin des Kulturmagazins »morgen«. Beiträge in Kunstzeitschriften (Weltkunst, Parnass, Eikon u. a.), der »Zeit« sowie dem »Handelsblatt« und zahlreichen Büchern. Kuratorin mehrerer Ausstellungen, zuletzt »Fiona Tan – Mit der anderen Hand« in der Kunsthalle Krems. Seit 2018 betreibt sie den »artemisia.blog« über Kunst und Feminismus. 2017 erhielt Schedlmayer den ersten Österreichischen Staatspreis für Kunstkritik.



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