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E-Book

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

Schäfer Wasserpfade

Streifzüge an heimischen Ufern

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

ISBN: 978-3-96238-763-1
Verlag: oekom verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Torsten Schäfer nimmt uns mit auf eine Entdeckungsreise in die Welt der Gewässer. Aufgebrochen in den Hitzesommern der letzten Jahre spürt er den Veränderungen nach, die der Klimawandel mit sich bringt.

Im »Dreiflussland« zwischen Rhein, Main und Neckar beobachtet er, taucht ein, fühlt – und erzählt: von vergessenen Quellen im Wald, von Brunnenputzern und Welsfischern, von »seinem« Fluss, dem er von der Quelle bis zur Mündung folgt. Mit sprachlicher Eleganz zeichnet Schäfer ein einfühlsames Bild des Wassers.
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Vorwort von Andreas Weber Mein Bewusstsein für das Wasser setzt mit einer Bachwanderung meiner Kindheit ein. Sie fand nicht weit entfernt von der Landschaft statt, deren flüssige Adern Torsten Schäfer in seinem Buch nachfährt. Schauplatz war ebenfalls das hessische Mittelgebirge, freilich nicht der Odenwald, sondern der Vogelsberg – nördlich statt südlich von Frankfurt gelegen. Wie die Modau, der Fluss, um den Schäfers Buch kreist, mündet auch das Wasser der Eichel letztlich in den Rhein. Die Eichel durchfließt das Dorf, in dem mein Vater seine Kindheit verbrachte (und in dem sein Spielkamerad und Namensvetter Anfang der 1950er-Jahre ertrank). Der Bach schenkte den Kindern die Erfahrung, wie existenziell im Guten wie im Schlechten Wasser für uns Menschen ist – für uns Flüchtige, Abhängige und Begehrende des flüssigen Elementes. Ich erinnere mich an den Weg durch das Bachbett, mit Sandalen gegen versteckte Scherben geschützt, beschattet von Erlen, die Waden gekitzelt vom Nass, das über die Kiesel sprang. An manchen Stellen bildete der Fluss eine Furt, durch die Kühe zum anderen Ufer trotteten und ein Bauer seinen Traktor hinüberlenkte, die kopftuchtragende Bäuerin auf dem Seitensitz festgeklammert. Mir klopfte damals das Herz, die Wirklichkeit plötzlich aus der Perspektive des Baches zu sehen, mit dem Gesicht des Wassers selbst. Es schien, als hätte die bescheidene Eichel die Kraft, mich zu einem Selbst zu führen, das versteckt in mir schlummerte, verborgen wie der kleine Wasserlauf hinter Hecken und Dorfmauern, vorhanden und doch ungesehen. Eine gerade Linie in meinem Herzen, die erst sichtbar wurde, als ich meine kleinen Füße auf sie setzte. Wenn ich zurückblicke, zeigte mir die Bachwanderung eine versteckte Tiefe der Welt, die nichts anderes war als die Tiefe in mir selbst. Sie bewirkte, dass ich diese Tiefe in mir spüren konnte, weil ich ihrer Gegenwart in der Welt Respekt zollte. Heute würde ich sagen: Wir wissen, dass uns das Wasser etwas über diese Tiefe zuflüstern kann, weil wir Wasser sind. Die folgenden Seiten haben die Erfahrung meiner Kindheit, der Welt als Gleichgesinnter, als einer Spielgefährtin zu begegnen, wachgerufen. Ich dachte beim Lesen: Ich kannte auch so einen Fluss, im Hessischen, ich weiß, wovon der Autor spricht, er drückt es aus! Schäfer tut auf den Seiten dieses Buches in immer neuen Anläufen nichts anderes, als die Tiefe des Wassers in seinem spürenden und die eigene Tiefe ahnenden Körper auszuloten. Und am Ende muss er dieses Wasser, ohne es ganz ergründen zu können, weiterziehen lassen, zum Rheinstrom, zum Ozean, dahin, wo alles zusammenfließt. Gaston Bachelard, der französische Philologe einer »Psychoanalyse« des Wassers, brachte auf den Punkt, was ich meine, als er von den Wasserpfaden Burgunds sprach, die über hellen Kalk ziehen, im Untergrund versinken und an anderer Stelle unverhofft in einem stillen Quellteich aufwellen – und die, wie auch die Bäche Hessens, letztlich im großen Atlantik münden: »In meinen Träumen am Fluss habe ich meine Phantasie dem Wasser geweiht … Das anonyme Wasser kennt alle meine Geheimnisse«, schrieb Bachelard. Das Wasser weiß, weil es auch mich enthält. Aber um dem Wasser unsere Geheimnisse anvertrauen zu dürfen – um unsere eigene Tiefe zu erfahren, indem wir die Tiefe des anderen in uns einströmen lassen –, müssen wir den Weg des Flusses in geduldiger Arbeit entschlüsseln. Das ist nicht mit der magischen Geste des Flaneurs zu erledigen, der durch die Natur streift und das Schöne pflückt. Es lässt sich mit einer touristischen Haltung nicht bewerkstelligen, sondern erfordert Arbeit. Die Geheimnisse eines Flusses, eines Wassereinzugsgebietes mit seinen kleinen und kleineren flüssigen Pfaden zu kennen erfordert geduldiges Lernen. Seine Geheimnisse im Wasser gespiegelt zu finden ist kein Konsumakt, sondern Selbstveräußerung. Um die Tiefe des Wasser zu erzählen, ist eine erzählerische Tiefe nötig, die sich nicht allein aus ästhetischer Imagination speist, sondern die sich mit der realen Gestalt des Flusses befasst, mit seiner ganz und gar empirischen Beschaffenheit, mit dem Kleinen und dem Großen, dem Glück an einer Biegung seines Laufes, die ein Stück verwunschene Wildnis offenbart, wie auch mit der Bestandsaufnahme seiner Verbauungen – und der Menschen, den großherzigen oder den spießigen, an seinen Ufern. Genau das gelingt Schäfer. Er folgt dem Fließenden in sich selbst, das ihn zum Fluss in seiner Geburtslandschaft zieht, und er nähert sich diesem Selbst an, indem er geduldig den wirklichen Fluss besucht, seine Anwohner befragt, die mit seiner Erhaltung und seiner Zerstörung befasst sind. Schäfer überfliegt die Modau nicht, sondern erwandert (und erschwimmt) sie sich als Dokumentar, als Archivar, als Chronist, als Geograph. Schäfer studierte Journalistik in Dortmund, war einige Jahre lang Redakteur bei GEO International und trat 2013 eine Professur für Journalismus mit Schwerpunkt Textproduktion an der Hochschule Darmstadt an – wodurch er in einer Punktlandung wieder zum Fluss seiner Kindheit zurückkehrte. Der Autor startet nicht mit dem Narrativ, mit der Imagination – also mit sich selbst – und findet dann die Bilder dazu in der Landschaft. Sondern er wendet sich nach außen, lässt sich von den realen Gegebenheiten des Wasserlaufs ziehen, verliert sich in der Landschaft, um daraus die Essenz des Flusses Tropfen für Tropfen zusammenzusetzen. Das ist bescheiden, und das auf bewunderungswürdige Weise, mit einem Blick für die Akteure der Provinz, die Wasserbauer und Flussfischer, die alten Frauen auf den Brücken, mit denen sich Gespräche entspinnen. Aus diesen Details entfaltet sich der Charakter des Flusses, der sich nach und nach ins Gemüt des Lesers eingräbt, mit Kolken und Flachstellen, mit Libellen und Forellen, mit der Lust seiner kurvenden Ufer und dem schwärenden Weh seines zerstörten Körpers, der Kanalisierungen und Barrikadierungen. Mit all dem hat Schäfer ein hervorragendes Stück dessen geschaffen, was heute als Nature Writing in aller Munde ist. Es gibt sogar einen Literaturpreis dafür, und ich wünsche mir, dass er Schäfer mit einem seiner nächsten Werke zufällt. Derzeit werden gern Romane prämiert, die ihr Setting in der »Natur« haben, in denen »Natur« eine mystifizierende Rolle spielt, denen aber doch fehlt, was Schäfer hat: Sie kümmern sich oft wenig um die atmenden Details. Sie fabulieren, aber sehen nicht hin. Sie glauben nicht, dass die Begegnung mit »Natur«, also mit der nichtmenschlichen Welt, etwas über uns sagen kann. Deutsches Nature Writing schafft oft Distanz zu der Natur, auf die es sich fixiert. Es findet in ihr wohlbekannte Diskurse wieder, gleitet aber an realen Körpern hilflos ab. Nature Writing leidet an der Körperangst der Intellektuellen. So konstatiert Marion Poschmann in Mondbetrachtung in mondloser Nacht: »Je genauer man hinsieht, desto unschärfer und vieldeutiger werden die Dinge.« Das ist nicht die Haltung, mit der Schäfer arbeitet: Für ihn ist das vertiefende Abmühen mit den Details seiner Heldin, der Modau, der Weg zu einer immer weiter fortschreitenden Bekanntschaft. Je tiefer er sich dem Fluss annähert, desto intensiver wird dieser ihm vertraut, und desto mehr vertraut er sich selbst. Während sich das in Deutschland erfolgreiche Nature Writing mit der abgeschabten (und im Anthropozän überholten) kantianischen Position abgequält, dass der Mensch der »Natur« ein ewig Fremder sei, freundet sich Schäfer mit dieser an. Durch geduldige Arbeit und schweißtreibende Recherche (er sammelt Müll aus einer Quelle, er leitet seine Studierenden an, als angehende Umweltjournalistinnen jedes Detail aufzufischen) kommt Schäfer dem Fluss so nah, dass er dessen Zuneigung findet. Damit steht Schäfer ziemlich genau in der Tradition von das Genre begründenden Autoren wie Henry David Thoreau und Gilbert White. Was er schreibt, atmet nicht die (derzeit wieder neu erstehende) Romantik der deutschen Erblinie, die sich mit Fichte und E. T. A. Hoffmann von der Welt der Körper abspaltet und stattdessen die eigene Befindlichkeit auf eine letztlich stumme »Natur« abbildet. Schäfers Arbeit zeigt eine zärtliche Geduld gegenüber der Welt, eine Geduld, die weiß, dass die Welt nur fruchtbar wird, wenn wir ihr mit Großzügigkeit den Raum lassen, sich selbst zu erschaffen. Thoreau stellte sein Büchlein Walden aus einem Konvolut empirischer Beobachtungen zusammen, in denen er Realien archiviert hatte wie die Uhrzeit eines Regengusses, seine Richtung, die Größe seiner Tropfen. Thoreau wusste, dass es die Materie der Welt ist, aus deren Drang sich Form bildet. Er vertraute darauf, dass sich im Konkretesten das Ganze zeigt. Er suchte, was die kanadische Dichterin Jan Zwicky als »Dasheit« bezeichnet: Die »Erfahrung eines bestimmten Dinges auf eine solche Weise, dass die resonante Struktur der Welt durch es hindurch klingt«. Dafür müssen wir dieses Ding wirklich sehen. »Ich habe die Ufer verfolgt, bin eingetaucht, es hat mich verwandelt, während sich die Flüsse und Teiche selbst verwandelten«, schreibt Schäfer. Das ist die Art von Erfahrung, die mit Bescheidenheit beginnt und dann staunend feststellt, dass diese Bescheidenheit der übrigen Welt erlaubt zu erscheinen. Es ist eine Bescheidenheit, die sich nicht darin versteigt zu glauben, unsere Imagination reiche aus, die Welt und das Poetische an ihr zu erschaffen. Vielmehr weiß sie, dass dieses Poetische Teil der Welt ist und dass man ernsthaft suchen – beobachten, warten, horchen – muss, um sich würdig zu erweisen, es zu finden. Wir projizieren nicht narzisstisch...


Weber, Andreas
Andreas Weber arbeitet als Schriftsteller und Journalist. In seinen literarischen Sachbüchern wie »Alles fühlt«, »Lebendigkeit« und »Enlivenment« setzt er sich für eine Sicht der Wirklichkeit als seelischen Prozess und gefühlsmäßige Teilhabe an allen Lebensphänomenen ein.

Schäfer, Torsten
Torsten Schäfer ist Autor, Umweltjournalist und Professor für Journalismus an der Hochschule Darmstadt. Er ist Mitbegründer des Internetportals gruener-journalismus.de, das er redaktionell leitet, und schreibt Reise- und Naturreportagen, Essays und Gedichte vor allem zu Umweltthemen und war u. a. für die Süddeutsche Zeitung, die taz sowie GEO tätig. Schäfer ist verheiratet und hat drei Kinder, mit denen er so oft wie möglich die heimische Natur erkundet.


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