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E-Book, Deutsch, 317 Seiten

Reihe: Blaue Reihe

Schäfer Aus der Erstarrung

Hellas und Hesperien im ›freien Gebrauch des Eigenen‹ beim späten Hölderlin
unverändertes eBook der 1. Auflage von 2020
ISBN: 978-3-7873-3768-2
Verlag: Felix Meiner
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Hellas und Hesperien im ›freien Gebrauch des Eigenen‹ beim späten Hölderlin

E-Book, Deutsch, 317 Seiten

Reihe: Blaue Reihe

ISBN: 978-3-7873-3768-2
Verlag: Felix Meiner
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Der Autor untersucht Hölderlins poetisch-konkretistische Metaphysik als eigenständige philosophische Position, die sich in ihrer Abkehr von der regelgeleiteten idealistischen Transzendentalphilosophie (Kant, Reinhold, Fichte, Schiller) und von der spinozistisch inspirierten Systemphilosophie, die letztlich rationalistischer Monismus ist (früher Schelling), gegen spätere ontologische Vereinnahmungen (Heidegger) sträubt. Frei im Eigenen durch die Reflexion des Fremden zu sein ist weder als Idealismus noch als Realismus zu begreifen, sondern als ein konkretes Werden zu sich, das eine entwickelnde Wanderung des Geistes durch Landschaften, Städte, an Flüssen sowie Begegnungen mit Tieren, Pflanzen, Göttern und anderen Menschen erfordert. Erst dann folgt man den Regeln des Eigenen nicht mehr blind, sondern hat die Augen durch das Fremde für die eigene Freiheit geöffnet.

Rainer Schäfer, Prof. Dr., hat seit 2016 eine Professur für klassische deutsche Philosophie am Institut für Philosophie der Universität Bonn inne, zuvor am Department for Philosophy an der Peking University. Habilitation in Heidelberg, Promotion in Köln. Spezialgebiete sind: Theoretische Philosophie, Subjekttheorie und klassische deutsche Philosophie. Buch- und Aufsatzveröffentlichungen z. B. zur antiken Skepsis, Kants und Fichtes theoretischer Philosophie, Hegels Dialektik in der Logik, Nietzsche, Husserl und Heidegger sowie zur Politischen Philosophie. Schäfer hat weltweit über 80 Vorträge gehalten.
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Endnoten


1Gegen die Deutungen von Wilhelm Michel Hölderlins abendländische Wendung, Jena 1923, der Hölderlin gar zum „deutschen Führer“ (S. 18) machte, wendet sich zu Recht Wolfgang Janke Archaischer Gesang. Pindar – Hölderlin – Rilke. Werke und Wahrheit, Würzburg 2005, S. 135?ff. Michel deutet, Hölderlin habe sich mit der abendländischen Wendung vom klassischen Ideal der antiken Griechen dem Christentum und besonders einem nationalistischen Deutschtum und von einem „schwärmerischen Pantheismus“ einem abendländisch-christlichen Weltbild zugewandt. Dagegen betont Janke (a.a.O., S. 137): „Das Orientalisch-Griechische und das Hesperisch-Vaterländische stehen einander gar nicht kontradiktorisch feindlich gegenüber, so dass der Aufgang des einen der Untergang des anderen wäre. Ihr Sprachgeist wandert und bewegt sich vielmehr vom Eigenen ins Fremde, um aus der Distanz des Fremden das übermächtige Eigene frei gebrauchen und ‚schicklich‘ gestalten zu können.“ Einen – freilich nicht mehr national chauvinistischen – Nachklang der Deutung von Michel findet man noch in Stephan Wackwitz Friedrich Hölderlin, Stuttgart 1997, S. 137, 143, der betont, mit der vaterländischen Umkehr sei bei Hölderlin eine Abkehr von der Antike und eine Hinwendung zum Abendländischen verbunden; gleichwohl sieht auch Wackwitz, dass z.?B. für die späten Hymnen Hölderlins Pindar ein wichtiges Vorbild bleibt; dass dies nicht recht zusammengeht, wird von ihm aber nicht näher reflektiert. Die erste Kritik an Michels Deutung findet sich in Walter Hof Zur Frage einer späten ›Wendung‹ oder ›Umkehr‹ Hölderlins, in: Hölderlin-Jahrbuch 11 (1958?–?1960), S. 120?–?159. Zu Recht verweist Hof darauf, dass sich schon in früheren Entwicklungsphasen von Hölderlins Dichtungs-Denken Ansätze zu den späteren Gedankengängen finden und man daher eigentlich weniger von einer Wendung oder Umkehr als von einer Vertiefung sprechen sollte. Gleichwohl ist die „vaterländische Sangart“ des späten Hölderlin mit einer Zuwendung zu im Abendland beheimateten Themenkreisen verbunden. Ich denke, dass man „abendländische Wendung“, „vaterländische Umkehr“ und „vaterländische Sangart“ in Hölderlins Spätwerk deutlich unterscheiden sollte. Die abendländische Wendung findet sich als Terminus so nicht bei Hölderlin, beschreibt jedoch sehr gut, dass er sich in dieser Schaffensphase (1800?–?1804/06) einerseits ein neuartiges Bild der Antike erarbeitet – er kehrt sich also nicht von der Antike ab, sondern vertieft seine Deutung – und dass er andererseits seine Gegenwart, die ihn umgebende Natur sowie die Mythologie Hesperiens (bes. Deutschlands) neuartig reflektiert. Beides setzt er in ein spezifisches Verhältnis, welches die abendländische Wendung von Hellas zu Hesperien ausmacht und ein sowohl geschichtliches als auch metaphysisches Gesamtgeschehen bildet. „Vaterländische Umkehr“, manchmal auch „vaterländische Revolution“, bezeichnet dagegen einen geschichtlichen Veränderungsprozess, der innerhalb ein und derselben Nation geschieht, z.?B. durch kulturelle oder politische Umwälzungen. Die „vaterländische Sangart“ ist eine neuartige, von Hölderlin in seinen späten Werken geschaffene Form der Dichtung, die die abendländische Wendung im Gedicht verarbeitet. Lawrance Ryan „Vaterländisch und natürlich, eigentlich originell“: Hölderlins Briefe an Böhlendorff, in: Hölderlin-Jahrbuch 34 (2004?–?2005), S. 246?–?276, betont die Kontinuität von Hölderlins Konzeption eines spezifischen Verhältnisses von Griechenland und Deutschland von der frühen Schaffensperiode über den Hyperion bis hin zu den späten Vaterländischen Gesängen, den späteren Briefen sowie den Anmerkungen zum Ödipus und denen zur Antigone. Die späten Böhlendorff Briefe bringen somit nur eine grundsätzliche Vertiefung der geschichts-philosophischen Gedanken Hölderlins auf den Begriff. Die Kontinuität zu betonen ist sicherlich korrekt, aber wesentliche Unterschiede und eine grundsätzlich neuartige, freiere Auffassung des Hesperischen beim späten Hölderlin dürfen deswegen nicht nivelliert werden. Dass Christus eine wichtigere Rolle spielt, die Göttin Germania eine metaphysische, friedenstiftende und allseits beratende Rolle bekommt, Rousseau ein Halbgott ist, der Rhein zum metaphysischen Fluss wird, eine Vereinigung von Göttlichem und Menschlichem im Zorn geschehen kann, die Transzendentalphilosophie mit ihrem spezifischen Apriorismus kritischer, ablehnender gesehen wird, die Metaphysik äußerst konkret und prägnant wird, sind sicherlich neuartige Aspekte in Hölderlins spätem Denken und Dichten – die natürlich auch Ryan sieht –. Diese neuartigen Aspekte in der Bestimmung von Hesperien bzw. Hölderlins gegenwärtigem Deutschland verändern auch seine Sicht auf die Griechen und damit natürlich auch den Zusammenhang von Hellas und Hesperien.

2Schon Jochen Schmidt Hölderlins geschichts-philosophische Hymnen „Friedensfeier“ „Der Einzige“ „Patmos“, Darmstadt 1990, S. 281?ff., deutet, dass Hölderlins Dichtung eine ästhetische Hermeneutik ist. Zum zeitgeschichtlichen Kontext der Interdisziplinarität vgl. Jürgen Stolzenberg Subjektivität und Leben. Zum Verhältnis von Philosophie, Religion und Ästhetik um 1800, in: (Hrsg.) W. Braungart, G. Fuchs, M. Koch Ästhetische und religiöse Erfahrungen der Jahrhundertwenden. I: um 1800, Paderborn 1997, S. 61?–?81.

3In: Hermann F. Weiss Ein unbekannter Brief Friedrich Hölderlins an Johann Gottfried Ebel vom Jahre 1799, in: Hölderlin-Jahrbuch 31 (1998?–?1999), S. 7?–?33, hier S. 21.

4StA II/1, 53.

5Vgl. Willard van Orman Quine Wort und Gegenstand, Stuttgart 1998, § 15, S. 129; vgl. auch § 17, wo sich Quine ausdrücklich dem Behaviorismus Skinners anschließt, um den Vorgang des Spracherlernens zu erklären. Interessant ist dabei, dass bereits – mit den Worten Wittgensteins – das „Abrichten“ und „Regelfolgen“, welches die Erzieher beim Kind während des Prozesses des Spracherlernens implementieren, eine bestimmte kulturelle Praxis voraussetzt. Hölderlin würde dies wohl als die ordnungsliebende Grundtendenz des Abendlandes beschreiben. Dass nach Quine die eigene Sprache im Übersetzen eines Feldforschers, der sich anschickt, eine Dschungelsprache zu verstehen, den Ausgangs- und Referenzpunkt des Verstehens bildet, zeigt eine Passage wie die folgende: „Hypothesen muss man sich nämlich erst einmal ausdenken, und der typische Fall des Ausdenkens ist der, dass der Sprachforscher einer funktionalen Entsprechung zwischen einem einzelnen Bestandteil eines übersetzten ganzen Eingeborenensatzes und einem Wort gewahr wird, das einen Bestandteil der Übersetzung dieses Satzes darstellt. Nur auf diese Weise lässt sich erklären, wie man jemals darauf kommt, eine Redewendung der Eingeborenen als Pluralbildung, als Identitätsprädikat › = ‹, als kategorische Kopula oder irgendeinen anderen Teil unseres heimischen Apparats der Bezeichnung von Gegenständen radikal ins Deutsche/Englische zu übersetzen. Überhaupt gelingt es dem Sprachforscher nur durch derartige unmittelbare Projektion vorgängiger Sprachgewohnheiten, in der Eingeborenensprache allgemeine Termini ausfindig zu machen oder diese, nachdem er sie gefunden hat, zu seinen eigenen in Entsprechung zu setzen. Reizbedeutungen reichen nicht einmal aus, um festzustellen, welche Wörter – falls überhaupt – Termini sind, und erst recht nicht, um festzustellen, welche Termini umfangsgleich sind.“ (A.a.O., § 15, S. 132?f.) Es fragt sich natürlich, ob „Projektion“ tatsächlich überhaupt zum Verstehen des Anderen/Fremden führt oder ob es nicht vielmehr die Erkenntnis der Gründe ist, weshalb eine jeweilige Projektion gerade nicht funktionierte, die die Erkenntnis des Anderen ermöglichen sollte. Projektionen verähnlichen und nivellieren.

6Ludwig Wittgenstein Philosophische Untersuchungen, § 32, Frankfurt a.M. 2003, S. 32.

7Vgl. zu dieser Weiterentwicklung des augustinischen Ansatzes in Wittgensteins PU, §§ 5?–?7, 14?f.

8Vgl. hierzu die vorzügliche Studie von Michael Forster Wittgenstein on the Arbitrariness of Grammar, Princeton UP 2005.

9In dieser Richtung deutet den späten Wittgenstein auch Stanley Cavell The Claim of Reason. Wittgenstein, Skepticism, Morality, and Truth, Oxford 1979; dt. Der Anspruch der Vernunft....


Schäfer, Rainer
Rainer Schäfer, Prof. Dr., hat seit 2016 eine Professur für klassische deutsche Philosophie am Institut für Philosophie der Universität Bonn inne, zuvor am Department for Philosophy an der Peking University. Habilitation in Heidelberg, Promotion in Köln. Spezialgebiete sind: Theoretische Philosophie, Subjekttheorie und klassische deutsche Philosophie. Buch- und Aufsatzveröffentlichungen z. B. zur antiken Skepsis, Kants und Fichtes theoretischer Philosophie, Hegels Dialektik in der Logik, Nietzsche, Husserl und Heidegger sowie zur Politischen Philosophie. Schäfer hat weltweit über 80 Vorträge gehalten.

Rainer Schäfer, Prof. Dr., hat seit 2016 eine Professur für klassische deutsche Philosophie am Institut für Philosophie der Universität Bonn inne, zuvor am Department for Philosophy an der Peking University. Habilitation in Heidelberg, Promotion in Köln. Spezialgebiete sind: Theoretische Philosophie, Subjekttheorie und klassische deutsche Philosophie. Buch- und Aufsatzveröffentlichungen z. B. zur antiken Skepsis, Kants und Fichtes theoretischer Philosophie, Hegels Dialektik in der Logik, Nietzsche, Husserl und Heidegger sowie zur Politischen Philosophie. Schäfer hat weltweit über 80 Vorträge gehalten.



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