Schacherreiter | Im Heizhaus der sozialen Wärme | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 208 Seiten, Format (B × H): 137 mm x 211 mm

Schacherreiter Im Heizhaus der sozialen Wärme

Das Wartungsprotokoll des Linksliberalismus
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7013-6278-3
Verlag: Otto Müller Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Das Wartungsprotokoll des Linksliberalismus

E-Book, Deutsch, 208 Seiten, Format (B × H): 137 mm x 211 mm

ISBN: 978-3-7013-6278-3
Verlag: Otto Müller Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ein armer Hund geht um in Europa und Amerika – der Linksliberalismus. Aufgestiegen aus der Kulturrevolution 1968, großzügig genährt auf den blühenden Diskursfeldern der Postmoderne, schwächelt er heute zahnlos vor sich hin und ist vor allem eines: gekränkt und wütend. Wie konnte man es wagen, ihm, dem Avantgardisten einer besseren Welt, dem Heizmeister der sozialen Wärme, die Nachfolge zu verweigern?!

Christian Schacherreiter hält nichts von Selbstmitleid und noch weniger von der linksliberalen Unart, Andersdenkende und Gegner reflexartig zu provinziellen Idioten oder amoralischen Bös-Menschen zu erklären. Verlierer tun gut daran, sich selbst unangenehme Fragen zu stellen, nicht in hysterischer Selbstanklage, sondern mit den Mitteln der Aufklärung: nüchtern, analytisch, undogmatisch – und nie ohne Humor, also menschenfreundlich.

Ob Sozialpolitik oder Migration, Bildungs- oder Genderthemen, Demokratieverständnis oder Menschenbild, im linksliberalen Heizhaus der sozialen Wärme leuchten viele rote Warn-Lämpchen. Schacherreiter riskiert ein persönliches Wartungsprotokoll.

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Weitere Infos & Material


I
VORREDE
Geschichtliches über mich und meinen Linksliberalismus – Was ich meine, wenn ich Linksliberalismus sage – Frei sein wie ein Vogel auf einem Ast mit Zentralheizung Diesen klein und schwach gewordenen Linksliberalismus, über den ich hier schreibe, habe ich schon gekannt, als er noch groß und stark war. Selbstbewusst trat er auf und oft auch selbstgerecht. Letzteres ist er immer noch, aber sein Selbstbewusstsein ist schwer beschädigt. Die Störfälle der letzten Jahre haben ihn gekränkt und verunsichert. Und so wie viele, die durch Machtverlust unsicher geworden sind, gebärdet auch er sich trotzig und macht ein beleidigtes, zorniges Gesicht. Psychologisch ist das verständlich, realpolitisch bringt es aber nichts. Viele Jahre war dieser Linksliberalismus auch mein Linksliberalismus, unser Linksliberalismus, denn er gehört zur kulturellen DNA meiner Generation. Ich war stolz auf ihn und vertraute ihm. Ich meinte, auf ihn könne ich mich blind verlassen, darum dachte ich mit seinem Hirn und redete mit seiner Zunge – bis dann die Krise kam. Sie kam nicht mit einem lauten Paukenschlag, nicht als plötzlicher Schock, als einmalige Katastrophe, sondern schleichend, in Etappen der Erosion. 1972 verließ ich mein politisch pränatales Innviertler Dasein und geriet als Student der Germanistik und Geschichte in Salzburg kulturgemäß unter die Linken. Bald schon wurde mir klar, dass sie die Wortführer in geisteswissenschaftlichen Lehrveranstaltungen waren, junge Männer, vorwiegend Männer, die bei jedem Thema wortmächtig einfließen ließen, dass das Sein das Bewusstsein bestimme, dass Staat, Recht und Kultur nur der Überbau der ökonomischen Basis seien, dass Herrschende und Beherrschte einander in Klassenkämpfen gegenüberstünden und die Produktivkräfte an einem bestimmten Punkt ihrer Entwicklung in Widerspruch zu den Produktionsverhältnissen gerieten. Große gesellschaftliche Umwälzungen seien die unausweichliche Folge, und die letzte Umwälzung dieser Art sei die proletarische Revolution. Sie werde zur klassenlosen Gesellschaft führen. Über den Zeitpunkt des großen Endkampfs gingen die Einschätzungen auseinander, aber ob so oder so, ob früher oder später: Die Zukunft wird dunkelrot sein. Dass die Wirklichkeit diese Gewissheit einfach ignorierte, war die erste große Kränkung. Die Sprache der linken Studenten erreichte in meinem Fall ein politisch unschuldiges Kleinbürgergemüt, das sich danach sehnte, die Welt besser zu verstehen, zu den Klugen zu gehören und in der gelehrten Welt Anerkennung zu finden. Wollte ich diese Wünsche an das Leben erfüllt sehen, konnte ich an der Linken nicht vorbei – und vielleicht wollte ich es auch gar nicht. Ich weiß es nicht mehr. Die marxistische Geschichtsphilosophie erweckt beim unkritischen Menschen einen kräftigen Anschein von Plausibilität. Heilsgeschichtliche Erzählstrukturen wirken wahr und schön, und weil sie ein sittlich hochwertiges Ziel in Aussicht stellen, erscheinen sie auch als gut. Mit Liberalismus hat das alles nichts zu tun. Im Gegenteil. Die Vokabel Scheißliberaler gehörte viele Jahre zum Repertoire linker Rhetorik. Scheißliberal waren nicht nur die Wirtschaftsliberalen, die ohnedies nichts anderes waren als Klassenfeinde. Scheißliberal waren vor allem jene Steigbügelhalter der Bourgeoisie, die den Klassencharakter der bürgerlichen Demokratie mit Phrasen von Freiheit, Toleranz und Parlamentarismus verschleierten. Nicht nur der wirtschaftliche Liberalismus war Teil des linken Feindbilds, der sowieso, sondern auch der gesellschaftspolitische Liberalismus. Dass im Laufe der nächsten Jahrzehnte links und liberal begrifflich zusammenflossen, war erstens dem Umstand geschuldet, dass die Weltrevolution in Ermangelung einer aufstandsbereiten Arbeiterklasse vorerst einmal abgesagt wurde und erheblich kleinere sozialpolitische Brötchen gebacken werden mussten. Zweitens war die Jugendbewegung rund um 1968 von Anfang an ein ideologisch heterogenes Phänomen. Es gab nicht nur moskautreue Kommunisten, Maoisten, Trotzkisten sowie freikirchliche Sozialrevolutionäre ohne eindeutige Vaterbindung, sondern auch die individualistischen Antiautoritären, die fernab aller revolutionären Kader von Summerhill und Woodstock schwärmten, aus ihren Haschischwölkchen heraus John Lennon und Mick Jagger zujubelten, per Autostopp nach Indien reisten und die soziale Revolution erst dann für möglich hielten, wenn die Menschheit sexuell befreit und hinlänglich befriedigt wäre. Diese lebensfrohen Leutchen konnten, im Gegensatz zu den tendenziell asketischen Revolutionspredigern, der gesellschaftlichen Liberalisierung sehr wohl einiges abgewinnen, auch dann, wenn diese unter kapitalistischen Produktionsverhältnissen erfolgte. Und die Frauen aus dem linken Milieu setzten ohnedies neue, eigenständige Akzente, denn ihre Anliegen und Interessen wurden von den politischen Tempelwächtern der Revolte nur halbherzig berücksichtigt: Eins muss euch schon klar sein, Genossinnen, der Hauptwiderspruch ist der zwischen Kapital und Arbeit, nicht der zwischen Männern und Frauen! Solche Lehrsätze betrachteten viele Frauen als wenig hilfreich. Unter dem Zeichen der Modernisierung fanden diese disparaten soziokulturellen Phänomene mehr oder weniger zueinander: Sozialpolitisches und Hedonistisches, Feminismus und Lebensreform, sexuelle Befreiung und pädagogische Erneuerung. Hand in Hand mit den Spielarten der Postmoderne, die in den Kulturwissenschaften diskursbestimmend wurden, formierten sich Gruppen, die auf gesellschaftliche Anerkennung pochten. Ethnische Zugehörigkeit und sexuelle Orientierung wurden zu maßgeblichen Kriterien der Selbstbehauptung in einer Gesellschaft, die nicht mehr als Klassengesellschaft kritisiert wurde, sondern als Herrschaftssystem, in dem ältere, weiße, heterosexuelle Männer zu viel Macht hatten. In den Achtzigern überraschte uns die ökologische Wende, die Folge eines Wirtschaftswachstums, das unerwünschte Nebenwirkungen für die Umwelt hatte. Weil sich bei den Grünen in Deutschland und Österreich die sozialistischen Umweltschützer gegen die bürgerlichen durchsetzen konnten, fanden die alten Roten von 1968 und die neuen Grünen auch so einigermaßen zueinander. Die traditionellen Kernschichten der sozialistischen Parteien konnten mit biologischer Landwirtschaft, Wachstumskritik, Political Correctness und Gender Mainstreaming nicht viel anfangen. In Österreich zeigte sich der Riss zwischen junger ökologischer Bewegung auf der einen, klassischer Sozialdemokratie und Gewerkschaften auf der anderen Seite, als die Hainburger Au einem Kraftwerk weichen sollte. Dennoch setzte sich die neue ideologische und personelle Gemengelage aus Rot und Grün auf wichtigen Diskurs- und anderen Machtfeldern durch. Wenn sich vor Wahltagen zwei Linksliberale trafen, gab es auf die Frage Was wählst du? nur zwei mögliche Antworten: Rot oder Grün. Dass ich bei der oberösterreichischen Landtagswahl 2003 Josef Pühringers ÖVP wählte, bewahrte ich als frivoles Geheimnis in meinem Herzen. Ich hatte meine Gründe, aber keine Lust, mich dafür zu rechtfertigen. Viele Arbeiter begannen aus ihrer sozialdemokratischen Heimat auszuwandern. Sie fühlten sich von Rechtspopulisten wie Jörg Haider und H.C. Strache besser verstanden. Das war ein gewaltiger Schock für die Linke, vor allem für jene, die im Anschluss an Marx die Arbeiter immer noch zur fortschrittlichsten Klasse hochstilisierten. Der österreichische Linksliberalismus, von dem ich rede, sieht sich zwar selbst als Anwalt der Schwachen – und zwar weltweit, stützt sich aber, im Unterschied zum klassischen Sozialismus, nur mehr zu einem schmalen Teil auf die sogenannten „kleinen Leute“, auf Arbeiter und Angestellte mit niedrigem Einkommen. Die meisten Rot- und Grün-Wähler, vor allem aber die Funktionsträger und Wortführer, kommen heute aus der urbanen Mittelschicht. Sie sind selbstbewusst und manche tragen ihr Weltbild mit einer gewissen Überlegenheitspose vor sich her, als müsse es jeder Mensch teilen, der nicht den Kategorien Volltrottel oder reaktionäres Arschloch angehört. Ich gehöre nicht zu denen, die sich in generalisierendem Achtundsechziger-Bashing ausagieren, und keinesfalls möchte ich das tragikomische Bild eines übereifrigen Konvertiten abgeben, der seine politische Zivilbiografie in Stücke reißt, um zu beweisen, dass er tatsächlich jener neue „vernünftige“ Mensch ist, den Schuldeinsicht, Reue und Buße aus ihm gemacht haben. Angesichts der nicht zu leugnenden Krise, in die mein Linksliberalismus geraten ist, erachte ich es aber als sinnvoll, über mögliche Ursachen, Irrtümer und Fehler kritisch nachzudenken. Vernunftbasierte Kritik, wie ich sie verstehe, ist der Inbegriff der Aufklärung. Eine Kritik, die diesen Ehrennamen verdient, erfordert den Verzicht auf ideologisch begründete Denktabus, erfordert genaues Prüfen des Wahrnehmbaren,...


Schacherreiter, Christian
geboren 1954 in Linz, aufgewachsen im Innviertel, Studium der Germanistik und Geschichte in Salzburg, Dissertation über Bertolt Brecht. In den siebziger und achtziger Jahren gemeinsam mit dem Musiker Gerald Fratt als Kabarettist erfolgreich (u.a. „Salzburger Stier“ 1982), 1982-1992 freier Mitarbeiter des ORF Oberösterreich. Mitglied des Adalbert Stifter-Instituts und des Neuen Forums Literatur, seit 1978 Lehrtätigkeit an der AHS und an der Pädagogischen Hochschule der Diözese Linz, seit 2002 Direktor des Georg von Peuerbach-Gymnasiums Linz. Schulbuchautor für den Veritas Verlag, seit 1999 freier Mitarbeiter der Oberösterreichischen Nachrichten als Kolumnist, Bildungsexperte und Literaturkritiker. Zahlreiche Veröffentlichungen, v.a. zu Literatur, Sprache und ihrer Didaktik.



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