Schacherreiter | Bruckner stirbt nicht | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 316 Seiten, Format (B × H): 125 mm x 192 mm

Schacherreiter Bruckner stirbt nicht


1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-7013-6315-5
Verlag: Otto Müller Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 316 Seiten, Format (B × H): 125 mm x 192 mm

ISBN: 978-3-7013-6315-5
Verlag: Otto Müller Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Jakob Weinberger ist hingerissen, aufgewühlt, begeistert! Der junge Musikstudent erlebt am 18. Dezember 1892 in Wien die Uraufführung von Anton Bruckners Achter Sinfonie. Für Jakob, überwältigt von dieser für ihn völlig neuen Klangwelt, steht nach diesem Abend fest: Er will Bruckners erster und einziger Biograf werden. Akribisch sammelt er fortan alles, was er über das merkwürdige Leben und reichhaltige Schaffen des bewunderten Meisters finden kann. Jakob reist nach Linz, verbringt einige Wochen im Stift St. Florian, steht vor Bruckners Geburtshaus in Ansfelden, verfolgt mit Interesse die Aufführungen neuer Werke. So entsteht im Laufe von drei Jahren ein widersprüchliches, rätselhaftes Künstlerporträt zwischen Genialität und Provinzialität, künstlerischer Kühnheit und kleinlicher Unsicherheit, tiefster Frömmigkeit und ständiger Sehnsucht nach jungen Frauen ... Eines Tages steht Jakob dem alten, von schwerer Krankheit gezeichneten Meister selbst gegenüber - und muss erfahren, dass er nicht der Einzige ist, der an einer Bruckner-Biografie arbeitet. Was tun? In 'Bruckner stirbt nicht' verbindet Christian Schacherreiter die Form der Künstlerbiografie mit dem klassischen Bildungsroman, denn in den Jahren, in denen Jakob an seinem wegweisenden Werk arbeitet, muss er auch die Weichen für sein eigenes Leben stellen: weltanschaulich, künstlerisch, beruflich - und nicht zuletzt in Sachen Liebe.

Schacherreiter, Christian Geboren 1954 in Linz, aufgewachsen im Innviertel, studierte Germanistik, Geschichte und Violine in Salzburg. In den siebziger und achtziger Jahren gemeinsam mit dem Musiker Gerald Fratt mit kabarettistischen Liedern erfolgreich (u. a. 'Salzburger Stier' 1982), bis 1992 freier Mitarbeiter des ORF (Literatur und Hörspiel), langjährige Lehrtätigkeit an Gymnasien und Hochschulen, Kolumnist und Literaturkritiker für die 'Oberösterreichischen Nachrichten', Mitglied des Adalbert-Stifter-Instituts Linz. Zahlreiche Veröffentlichungen in Fachpublikationen, Zeitungen und Zeitschriften.
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Wieder einmal sitze ich vor meinen chaotischen Notizen, fast unleserlich, hingefetzt in der Nacht vom 18. zum 19. Dezember 1892, als ich von der Uraufführung nach Hause gekommen war. Noch stand ich unter dem Eindruck des Erlebten, noch lebte in meinem Kopf (und nicht nur im Kopf) die Erinnerung an das Gehörte. Für meine Arbeit als Biograf sind diese Aufzeichnungen unbrauchbar, dennoch sind sie mir lieb und wert als Dokument meiner Initiation. Für das Finale dürften meine Kräfte nicht mehr gereicht haben. Ein fast leeres Blatt, darauf nur die Satzbezeichnung aus dem Programmheft .

Anton Bruckners Achte Sinfonie. Ihre Uraufführung im Großen Saal der Gesellschaft der Musikfreunde. Die Wiener Philharmoniker, am Pult Hans Richter. Bruckners erster sinfonischer Triumph in Wien. Nach jedem Satz brachen seine Anhänger in fanatischen Beifall aus, dermaßen kraftvoll, dass der Widerspruch der Gelangweilten, Verdrossenen und Angewiderten stumm und chancenlos blieb. Die unentschiedene Masse fügte sich der von der Avantgarde geforderten Stimmung und applaudierte mit, angesteckt von den Begeisterten. Hans Richter verneigte sich, verließ das Podium, kam zurück, würdigte die Musiker, ging ab, kam zurück … Jubel, unbeschreiblich. Mein starkes Bedürfnis, aufzuspringen und mitzujubeln, unterdrückte ich.

Dann brachte Richter den Komponisten mit, geleitete ihn geradezu, schob ihn höflich, aber bestimmt an die Rampe, denn Bruckner schien seiner Sache nicht sicher zu sein, als wäre dieser für Wiener Verhältnisse ungewohnten Begeisterung für sein Werk nicht zu trauen. Als die Enthusiasten ihren Jubel aufdrehten bis zum Anschlag, verneigte er sich mehrmals, steif, mit seltsamer Artigkeit, fast bubenhaft-devot, auch gegen den Dirigenten. Rührung verriet sein Lächeln, vielleicht Stolz, vielleicht auch Genugtuung gegenüber seinen Gegnern, den gehässigen Spöttern, die unter dieser Klangwucht und ihrer Wirkung auf die Menschen eingeknickt waren und schweigen mussten.

Mussten sie wirklich? Raimund musste nicht, sicher nicht. Raimund, Ferdinand und ich waren nicht hierhergekommen, um zu Bruckners Genie bekehrt zu werden, im Gegenteil, wir waren gekommen, um spitzzüngige Zeugen seiner Blamage zu sein. Bruckner wird wieder einmal scheitern mit großem Krach, hatte Raimund vorhergesagt. Er kannte die Entstehungsgeschichte der Achten aus angeblich sicherer Quelle und gab sie pointiert weiter: Bruckner hat die erste Fassung zuerst an den Dirigenten Hermann Levi geschickt, der ratlos war angesichts dieses unförmigen Monstrums. Levi hat dann den älteren Schalk-Bruder gebeten, den Meister zu gründlicher Korrektur zu veranlassen. Das heißt, liebe Freunde, wir haben es Hermann Levi und Josef Schalk zu verdanken, dass uns heute zumindest das aufgeblasene Ur-Opus erspart geblieben ist.

Wir hatten das Foyer noch nicht verlassen, als Raimund uns schon mitteilte, was von der Sache zu halten war: Natürlich, das schlichte, ungebildete Gemüt überwältigt Herr Bruckner mit diesen spektakulären Höhen und Weiten. Er tut ja, als hätte er den Schlüssel zum Unendlichen höchstpersönlich in seiner Hosentasche! Blanke Scharlatanerie! – Selbst den Umstand, dass der Kaiser Bruckners Widmung angenommen und den Druck der Partitur finanziert hatte, drehte Raimund ins Lächerliche: Bruckner ist der bravste und devoteste Untertan seiner Majestät. Und ist euch etwas aufgefallen? Anwesend war der Kaiser nicht. Den Druck finanzieren ist halt eine Sache, sich fast zwei Stunden lang dieser Geräuschkulisse auszusetzen eine andere!

Ferdinand, der in Wahrheit beschämend wenig von Musik versteht, grinste zustimmend, und Raimund fügte hinzu: Apropos Hosentasche. Was haltet ihr von Hosen, die zehn Zentimeter über den Knöcheln ihren Abschluss finden? Ich würde Meister Bruckner empfehlen, vom überlangen Rock etwas abzuschneiden, seine Hosen könnten das Material dringend brauchen.

Ferdinand lachte, ich schmunzelte unverbindlich mit und hätte mich nicht gewundert, wenn jetzt ein Hahn dreimal gekräht hätte.

Um in der kalten Dezembernacht nicht zu erfrieren, schlug Raimund vor, den Konzertabend im Kaffeehaus zu beenden. Ferdinand war dabei, ich schützte Müdigkeit vor und verabschiedete mich schnell, um einem Gespräch zu entkommen, das mir zur Qual geworden wäre. Keine Musik hatte mich jemals so heftig ergriffen wie diese Sinfonie, aber ich hätte keine geeigneten Worte dafür gehabt und wollte mich Raimunds bissigem Gerede nicht mit untauglichen Waffen widersetzen.

Wir waren gekommen, um Bruckners Scheitern zu hören, und Raimund hatte es gehört, wollte man seinen Worten glauben. Er sagte etwas von verfehlter Themenentwicklung und bizarrer Instrumentierung. Wo hatte er das gelesen? Bei Eduard Hanslick? Raimund der Richter, Raimund der Spötter, nie verlegen um den geschliffenen Satz, der die Richtung weist. Daumen rauf! Daumen runter! Er war für mich ein Jahr lang die unantastbare Autorität gewesen. Das war vorbei. Im Fall Anton Bruckner konnte ich ihm nicht mehr folgen, wollte ich mich nicht aufgeben durch erbärmlichen Selbstverrat.

Ich konnte nicht nachvollziehen, dass Raimund die Zusammenhanglosigkeit der Teile kritisierte: Ich ziehe dort und da eines dieser einsamen Klangtrümmer heraus, sagte er, wetten wir, ihr merkt es nicht einmal! – Nein, Raimund! Nein und noch einmal nein! So hatte ich es nicht erlebt. Im Gegenteil. In meinem angespannten Hören hatte sich die Abfolge des Mannigfaltigen sogar zur wunderbarsten Einheit gefügt, als wären die Zeit und ihr Rhythmus in ein stetes Kreisen geraten und hätten sich in einem massestarken Punkt verdichtet. So war das! Aber so hätte ich es an diesem Abend nicht zu formulieren vermocht.

Die Uraufführung der...


Schacherreiter, Christian
Geboren 1954 in Linz, aufgewachsen im Innviertel, studierte Germanistik, Geschichte und Violine in Salzburg. In den siebziger und achtziger Jahren gemeinsam mit dem Musiker Gerald Fratt mit kabarettistischen Liedern erfolgreich (u. a. „Salzburger Stier“ 1982), bis 1992 freier Mitarbeiter des ORF (Literatur und Hörspiel), langjährige Lehrtätigkeit an Gymnasien und Hochschulen, Kolumnist und Literaturkritiker für die „Oberösterreichischen Nachrichten“, Mitglied des Adalbert-Stifter-Instituts Linz. Zahlreiche Veröffentlichungen in Fachpublikationen, Zeitungen und Zeitschriften.



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