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E-Book

E-Book, Deutsch, 352 Seiten

Saygin Feinde

Thriller
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-641-20161-6
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Thriller

E-Book, Deutsch, 352 Seiten

ISBN: 978-3-641-20161-6
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Für den türkischstämmigen Polizisten Can und das Ermittlungs-Team um seine Vorgesetzte Simone fängt alles mit einem Doppelmord im Roma-Milieu in einer deutschen Großstadt an. Doch dieses Verbrechen zieht schnell weite Kreise: Korruption, Menschenhandel und das Schicksal derjenigen, die von der Gesellschaft nichts mehr zu erwarten haben, sind der Schmelztiegel, in dem sich dieser fesselnde, emotionale und realistische Roman um das Leben und Überleben in unserer heutigen Zeit entfaltet. Der Polizist Can tut alles, um die Wahrheit zu finden und gleichzeitig seine Menschlichkeit nicht zu vergessen. Sein Kampf gegen die eigene Fehlbarkeit ist zugleich eine kraftvolle Suche nach Erlösung und Liebe.

Susanne Saygin, geboren 1967, aufgewachsen im Rheinland, Geschichtsstudium in Köln und Cambridge, Promotion in Oxford. Danach Tätigkeit im akademischen Projektmanagement und in der freien Wirtschaft. Die Autorin mit deutsch-türkischen Wurzeln hatte ihren Lebensmittelpunkt knapp zwanzig Jahre lang in Köln. Seit 2010 lebt und arbeitet sie in Berlin. Für ihren von der Presse hochgelobten Debütroman »Feinde« hat die Autorin über fünf Jahre lang recherchiert. »Crash« ist ihr zweiter Roman.
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2

Anderthalb Stunden später riss ihn der Wecker aus dem Schlaf. Can duschte und machte sich einen Kaffee. Auf dem Tisch lag die neueste Ausgabe des Kölnischen Morgen. Isa musste sie in der Nacht mitgebracht haben. »Doppelmord am Schrottstrich« sprang ihn von der Titelseite an. Simone hatte gute Arbeit geleistet: Der Artikel deutete zwar einen sexuellen Hintergrund der Tat an, verschwieg aber, wie die Männer umgekommen waren. Can legte das Blatt zur Seite. Er kippte seinen inzwischen lauwarmen Espresso herunter und machte sich auf den Weg zur Arbeit. Über Nacht hatte es kaum abgekühlt, der Himmel war milchig-weiß, und die Menschen auf der Straße bewegten sich träge wie unter feuchten Lappen.

Um kurz nach sieben war Can im Büro. Zwanzig Minuten später saß er mit Simone, Aldenhoven und Terzuolo in der Einsatzbesprechung.

In der Gerichtsmedizin waren zwei Mitarbeiter ausgefallen, mit den Obduktionsergebnissen war daher erst am nächsten Tag zu rechnen. Die Identität der Toten war weiterhin ungeklärt. Terzuolo und Aldenhoven hatten die Fotos und Fingerabdrücke der Ermordeten an die Kollegen in den anderen Dezernaten und ans LKA gegeben – bislang ergebnislos. Die Rückmeldung vom BKA und von Europol stand ebenfalls noch aus. Auch auf das Amtshilfeersuchen bei der Polizei in Plovdiv hatten sie noch keine Reaktion. Ihr einziger Ansatzpunkt war, dass die Männer am Wertstoffhof die Ermordeten gekannt hatten. Allerdings wusste sie nicht, wo sich die Müllstricher seit gestern aufhielten. Sie konnten nur darauf hoffen, dass sich Jossif Babatov, der Junge, dem Can seine Karte zugesteckt hatte, melden würde – und selbst dann war die Frage, wie viel seine Aussage wert sein würde.

Sie einigten sich darauf, dass Terzuolo und Aldenhoven im Präsidium die Stellung halten würden, während Can und Simone weiter auf der Straße ermittelten.

Um kurz nach acht fuhren sie los. Can hatte eine Liste mit den Kölner Übergangswohnheimen für Asylbewerber auf dem Schoß.

»Wo fangen wir an?«, fragte Simone. »Silo-Ranch?«

»Der Asylantenbunker in Nippes? Der ist schon seit zwei Jahren geräumt.«

»War auch Zeit.«

Anfang der siebziger Jahre hatte die Stadt einen zwölfstöckigen Stahlbetonkasten mit Sozialwohnungen direkt neben der Nippeser Hochbahntrasse hochziehen lassen. Weil in dem Haus niemand freiwillig wohnen wollte, waren die Behörden dazu übergegangen, dort einen Teil des menschlichen Treibguts zwischenzulagern, das auf der Suche nach Asyl in Köln anlandete. In den schlimmsten Zeiten waren rund fünfhundert Menschen in dem Haus einquartiert gewesen. Viele von ihnen kamen aus Bürgerkriegsgebieten, Gewalt hatte ihren Alltag schon lange vor der Kasernierung in dem völlig überfüllten Heim bestimmt. Can und seine Kollegen waren damals fast täglich vor Ort gewesen. Wenn sie in das Gebäude reinmussten, dann nur mit kugelsicheren Westen.

»Was ist mit den Leuten, die dort untergebracht waren?«, fragte Simone.

»Abgeschoben. Oder auf andere Heime verteilt.«

»Haben sie das Ding danach wenigstens endlich gesprengt?«

»An einen Investor abgestoßen. Der hübscht den Bau gerade auf und will die Wohnungen dann ganz normal vermieten.«

»Wer soll da wohnen? Der Kasten hat doch noch nie funktioniert.«

»Hartz IV geht immer. Das neue Bezirksrathaus ist ja jetzt auch gleich vor der Tür, da haben es die Leute dann nicht so weit zum Jobcenter.«

Simone trat scharf auf die Bremse, um nicht mit dem Mercedes eines Jungtürken zusammenzustoßen, der ihnen nahezu mittig auf der Straße entgegenkam.

»Scheißausländischermitbürger«, murmelte sie.

Eine Viertelstunde später fuhren sie vor einem Übergangsheim in Niehl vor. Die Fassade der dreistöckigen Flachdachbauten aus den sechziger Jahren war frisch gestrichen.

»Sieht doch ganz ordentlich aus«, meinte Can. »Hast du mit dem Leiter einen Termin ausgemacht?«

»Der ist auf einer Fortbildung. Wir sollen da ohne ihn rein« Simone hielt Can die Tür zu einem der Häuser auf.

Neonlicht flackerte auf dem Gang. Der Boden war grün gestrichen, Glassplitter hatten sich in den klebrigen Lack gefressen und knirschten unter ihren Schuhen. Der Putz bröckelte von den Wänden. Es roch nach Schimmel und Scheiße. Aus den oberen Stockwerken hörte man Kindergeschrei und laute Unterhaltungen. Überall schienen Fernseher zu laufen. Auf ihrem Korridor hingegen, war es merkwürdig still. Kein Mensch war auf dem Gang zu sehen. Simone klopfte an einer Zimmertür. Niemand machte auf. Auch hinter den nächsten drei Türen tat sich nichts.

»Die sitzen garantiert da drinnen und halten die Luft an.« Simone schlug frustriert mit der Faust gegen eine Wand.

Bei der nächsten Tür hatten sie Glück. Ein stämmiger Mann öffnete ihnen. Etwas kleiner als Can, ungefähr Mitte vierzig, das dichte schwarze Haar und der Schnurrbart von silbrigen Fäden durchzogen. Der Mann trug dunkle Hosen, ein hellblaues T-Shirt und eine Trainingsjacke. Hinter ihm standen eine schmale Frau und zwei kleine Mädchen. Simone zeigte ihre Polizeimarke. Der Mann bat sie herein. Das Zimmer war vielleicht fünfzehn Quadratmeter groß und schien nur aus Betten zu bestehen. Kein Tisch, keine Stühle, dafür ein sorgfältig drapierter Wolkenstore vor dem Fenster. Alles war blitzsauber.

Simone zeigte dem Mann die Fotos der beiden Ermordeten.

»Kennen Sie diese Männer?«

Der Mann sah sie verständnislos an.

»Wo kommen Sie her?«, fragte Simone. »Serbien? Bosnien?«

»Makedonia«, sagte der Mann.

Can stöhnte innerlich auf. Trotzdem machte er den Versuch und fragte den Mann auf Türkisch, ob er die Ermordeten kannte. Zu seinem Erstaunen verstand ihn der andere. Er sah sich die Fotos lange an. Dann schüttelte er den Kopf.

»Kenne ich nicht. Was ist mit ihnen?«, fragte er.

»Sie sind tot. Umgebracht. Wir suchen die Mörder.«

Der Mann schwieg. Die Kinder drängten sich enger an ihre Mutter. Es war still in dem Zimmer. Aus dem Augenwinkel nahm Can eine fast unmerkliche Bewegung wahr: Eine Kakerlake huschte geschäftig über den sorgfältig gefegten Boden. Die Frau folgte seinem Blick, sah das Ungeziefer und errötete.

In das Schweigen hinein sagte der Mann: »Wir sind ordentliche Menschen. Ich will arbeiten. Ich muss Geld verdienen. So können wir nicht leben. Helfen Sie uns. Bitte. Ich weiß nicht mehr weiter.«

Can senkte den Blick. »Ich kann nichts für Sie tun. Tut mir leid.« Er drehte sich um, signalisierte Simone, ihm zu folgen, und verließ das Zimmer.

»Was wollte der von dir?«, fragte Simone, als sie draußen waren.

»Was Wirtschaftsflüchtlinge aus sicheren Drittstaaten eben so wollen – Bleiberecht. Arbeit. Ordentlichen Lohn. Eine Wohnung. Ein ganz normales Leben halt.« Can klopfte an die nächste Tür. Keine Reaktion.

Anderthalb Stunden später waren sie mit dem Haus durch. Manche Bewohner hatten ihnen aufgemacht, einige sogar etwas gesagt. Erfahren hatten Can und Simone nichts.

Sie fuhren zur nächsten Flüchtlingsunterkunft und dann zur nächsten. Als sie gegen vier ins Präsidium zurückkamen, waren sie nicht weiter als am Morgen. Can fühlte sich schmutzig. Sein T-Shirt war durchgeschwitzt, und er hatte das Gefühl, dass der Geruch nach Essen, feuchter Wäsche und Desinfektionsmitteln aus den Heimen noch in seinen Klamotten hing.

Simone musste mit Claudia zum Jugendamt, um etwas wegen des Adoptionsantrags zu klären. Terzuolo und Aldenhoven saßen an ihren Rechnern. Auch sie waren nicht weitergekommen. Can ging in sein Büro und hackte den Tagesbericht herunter.

Später stand er am Fenster und starrte nach draußen. Die Stadt wollte auf dem Brachland hinter dem Präsidium eine Musical-Halle bauen, kam aber mit der Finanzierung nicht voran. In der Zwischenzeit verwilderte das Gelände. ›Auch okay‹, dachte Can und beobachtet zwei Elstern, die träge an einem toten Kaninchen herumzerrten.

Plötzlich hatte er den Albtraum der vergangenen Nacht wieder vor Augen, und mit einem Mal wusste er auch, wann sich die Szene aus seinem Traum in sein Gedächtnis eingebrannt hatte. Es war an dem Tag gewesen, an dem sich Marie von ihm getrennt hatte.

Das war jetzt fünf Monate her.

Ohne zu überlegen, griff er zum Telefon und wählte Maries Büronummer.

»Interkultureller Dienst, Hambach!«, raunzte eine Frauenstimme.

Marie war das nicht. Wie auch.

»Hallo?«, fragte die Frau.

Can legte auf. Er setzte sich an den Schreibtisch, loggte sich in die Zentraldatei für Tötungsdelikte ein und gab Maries Daten ein. »Keine Zugriffsberechtigung«, poppte auf dem Bildschirm auf. Can ließ sich in seinem Bürostuhl zurücksinken. Warum sollte sich etwas an seiner Autorisierung geändert haben? Und was wollte er überhaupt mit der Akte? Damals, nach den Vernehmungen beim LKA, war er nach Hause gefahren und hatte versucht, die ganze Geschichte zu vergessen. Aber unter der Oberfläche waren die Fakten weiterhin ständig abrufbereit: Die Fotos von Maries zu Klump geschlagenem Körper, alle Einzelheiten aus dem Obduktionsbericht: Marie Grosbroich, vierunddreißig Jahre, wohnhaft in Ehrenfeld, Leiche am 7. April in Porz aufgefunden. Die Täter hatten Marie zusammen mit einer Katze in einen Kartoffelsack gesteckt und dann mit Knüppeln so lange darauf eingeschlagen, bis sich nichts mehr rührte. Den blutigen Sack hatten sie in einen Müllcontainer gesteckt. Dort war er den Müllwerkern aufgefallen.

Can starrte auf den Sperrvermerk auf seinem...


Saygin, Susanne
Susanne Saygin, geboren 1967, aufgewachsen im Rheinland, Geschichtsstudium in Köln und Cambridge, Promotion in Oxford. Danach Tätigkeit im akademischen Projektmanagement und in der freien Wirtschaft. Die Autorin mit deutsch-türkischen Wurzeln hatte ihren Lebensmittelpunkt knapp zwanzig Jahre lang in Köln. Seit 2010 lebt und arbeitet sie in Berlin. Für ihren von der Presse hochgelobten Debütroman »Feinde« hat die Autorin über fünf Jahre lang recherchiert. »Crash« ist ihr zweiter Roman.



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