Sarimski | Familien von Kindern mit Behinderungen | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 232 Seiten

Sarimski Familien von Kindern mit Behinderungen

Ein familienorientierter Beratungsansatz
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-8444-3036-3
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Ein familienorientierter Beratungsansatz

E-Book, Deutsch, 232 Seiten

ISBN: 978-3-8444-3036-3
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Familien, in denen ein Kind mit einer Behinderung aufwächst, sind mit besonderen Herausforderungen konfrontiert. Die Art und Weise, wie Familien sich mit der Diagnose ihres Kindes auseinandersetzen, unterscheidet sich sehr. Der Band stellt den aktuellen Forschungsstand zu der Frage zusammen, welche individuellen Bewältigungskräfte und sozialen Ressourcen eine Rolle für das Gelingen des Anpassungsprozesses der Familien spielen, und leitet daraus ein familienorientiertes Beratungskonzept ab.

Der Band geht dazu u.a. folgenden Frage nach: Welche Ressourcen begünstigen das Gelingen des Anpassungsprozesses von Familien? Unterscheidet sich das Belastungserleben der Väter von dem der Mütter? Wie erleben Geschwister das Aufwachsen mit einem Bruder oder einer Schwester mit einer Behinderung? Wie geht es den Großeltern? Gibt es auch positive Auswirkungen einer Behinderung auf die Familienbeziehungen? Inwiefern unterscheidet sich die erlebte Belastung von Familien, bei deren Kindern eine Hör- oder Sehbehinderung, eine Cerebralparese, ein genetisches Syndrom, eine Autismus-Spektrum-Störung oder eine schwere und mehrfache Behinderung vorliegt? All diese Fragen werden – illustriert durch Beispiele aus der Beratungspraxis – behandelt. Aus dem Forschungsstand wird ein Konzept für eine familienorientierte Beratung abgeleitet. Die individuellen und sozialen Ressourcen einer Familie stellen dabei die zentralen Ansatzpunkte für die Diagnostik und Beratung dar. Zudem gibt der Band Empfehlungen für die Beratung von Familien, die mit zusätzlichen sozialen Belastungen – Armut, alleinerziehend, psychische Erkrankung eines Elternteils – zu kämpfen haben, sowie für Familien mit Migrationshintergrund und für Pflegeeltern. Eine auf die individuellen Bedürfnisse abgestimmte psychologische Beratung kann dazu beitragen, die Ressourcen einer Familie zu mobilisieren, und damit eine wirksame Hilfe auf dem Weg zu einer befriedigenden Lebensqualität sein.

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Zielgruppe


Psycholog_innen, Kinderärzt_innen, Kinder- und Jugendpsychiater_innen, Sonderpädagog_innen, Ergo-, Sprach- und Physiotherapeut_innen.


Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


|17|1  Belastungserleben von Eltern
Die Mitteilung einer Behinderung ihres Kindes trifft Eltern zu ganz unterschiedlichen Zeitpunkten. Einige Eltern werden damit bereits unmittelbar oder kurz nach der Geburt konfrontiert, wenn der körperliche Zustand eines Kindes den Verdacht nahelegt und eine diagnostische Überprüfung eingeleitet wird. Dies kann bei Kindern mit einem genetischen Syndrom (z.?B. Down-Syndrom), körperlichen Fehlbildungen oder Störungen der Anlage des Sehapparats der Fall sein. In einzelnen Fällen werden solche Entwicklungsstörungen auch schon bei pränatalen Untersuchungen erkannt, sodass die Eltern sich schon während der Schwangerschaft mit einer drohenden Behinderung ihres Kindes auseinandersetzen müssen. In anderen Fällen wird aus einem Verdacht auf eine Behinderung erst im Verlauf der ersten Monate Gewissheit. So kann z.?B. ein auffälliger Befund beim Neugeborenen-Screening des Hörvermögens zu einer Kontrolluntersuchung in den ersten Wochen nach Entlassung aus der Klinik führen, bei der dann eine Hörschädigung festgestellt wird. Bei motorischen Koordinationsstörungen zeichnet sich im Laufe des ersten Lebensjahres ab, ob sie sich trotz krankengymnastischer Frühbehandlung zu einer Cerebralparese verfestigen werden, die die Mobilität eines Kindes dauerhaft einschränkt. Verzögerungen der kognitiven, sprachlichen und sozialen Entwicklung können nicht immer im ersten Lebensjahr eindeutig beurteilt werden. Die Entwicklung dieser Kinder muss systematisch kontrolliert werden, wenn Eltern und Kinderarzt sie als nicht altersgemäß einschätzen. In diesen Fällen kommt es vielleicht erst im Alter von zwei oder drei Jahren zu einer eindeutigen Diagnosestellung. Dies kann dann eine intellektuelle Behinderung oder – oft noch etwas später erkannt – eine autistische Störung sein. 1.1  Diagnose einer dauerhaften Behinderung – ein potenzielles Trauma
Welche Erfahrungen machen Eltern? Auch wenn die Zeitpunkte der Diagnosestellung und der Mitteilung einer dauerhaften Behinderung des Kindes so unterschiedlich sind, bedeuten sie immer, dass |18|Eltern sich von der Hoffnung und Erwartung einer unbeschwerten Entwicklung ihres Kindes verabschieden und sich auf die neuen, mit der Diagnose verbundenen Herausforderungen einstellen müssen. Schock, Trauer, Ängste vor der Zukunft, Schuldgefühle und Wut gehören zum Spektrum der emotionalen Reaktionen von Eltern, die in dieser Phase „normal“ sind. Sie fühlen sich zunächst dem Schicksal, das sie und ihr Kind getroffen hat, hilflos und ohnmächtig ausgeliefert. Die Diagnosemitteilung ist in diesem Sinne eine potenziell traumatisierende Erfahrung, die ihr psychisches Gleichgewicht ins Wanken bringt. Am Beispiel der Mitteilung der Diagnose „Down-Syndrom“ lässt sich erkennen, dass viele Eltern mit der Art und Weise, in der ihnen diese Nachricht von den Ärzten übermittelt wird, nicht zufrieden sind. So berichteten 30?% von mehr als 1.100 Eltern, die in einer Untersuchung befragt wurden, die vom Kinderzentrum München initiiert wurde, dass der Arzt sich weniger als fünf Minuten Zeit genommen habe, um ihnen die Diagnose mitzuteilen. Nur 40?% empfanden die Aufklärung als einfühlsam und umfassend. Immerhin beurteilten 32?% das Gespräch jedoch im Rückblick als zufriedenstellend (Voss et al., 2007). Eltern von Kindern mit anderen genetischen Diagnosen machen ähnliche Erfahrungen. In einer Befragung von Eltern von Kindern mit Fragilem-X-Syndrom gaben 30?% der Eltern an, dass das Gespräch über die Diagnose weniger als zehn Minuten gedauert habe. Die Hälfte der befragten Eltern wurde nicht von einem Facharzt für Humangenetik über die Bedeutung der Diagnose aufgeklärt, sondern von ihrem Kinderarzt. Ebenso viele vermissten ausreichende Informationen zur Behinderung und emotionale Unterstützung. 25?% der Eltern betrachteten die Kommunikation mit den Ärzten als unzureichend (Leßmann & Sarimski, 2013). Internationale Studien berichten ähnliche Ergebnisse. Skotko und Badia (2005) befragten 467 Mütter von Kindern mit Down-Syndrom in Spanien, die zwischen 1970 und 2000 zur Welt gekommen waren. Viele Mütter äußerten Ängste, Schuldgefühle und Wut als erste Reaktion auf die Diagnosemitteilung. Die meisten empfanden die Informationen, die sie von den Fachleuten erhielten, als nicht ausreichend. Sie erhielten selten schriftliche Informationsmaterialien und Hinweise auf Eltern-Selbsthilfegruppen. Die Diagnose wurde ihnen häufig unter ungünstigen Rahmenbedingungen, in kargen Worten und ohne weitere Unterstützungsangebote mitgeteilt. Viele Eltern von Kindern, bei denen eine Cerebralparese diagnostiziert wird, vermissen ebenfalls klare Informationen zur Behinderung ihres Kindes und zu den Zukunftsperspektiven. Baird et al. (2000) befragten die Eltern von 107 Kindern mit Cerebralparese rückblickend zu ihren Erfahrungen mit der Diagnosemitteilung. Auch hier äußerte sich ein Viertel der Befragten nicht zufrieden. Besonders unzufrieden waren Eltern von Kindern mit schwerer Bewegungsstörung und von Kindern, bei denen die Diagnose erst relativ spät gestellt wurde. |19|Walthes et al. (1994) befragten 31 Familien mit Kindern mit schweren Sehschädigungen zu ihren Erfahrungen mit Geburtskliniken sowie nachfolgenden Kontakten mit Augenkliniken oder pädiatrischen Facheinrichtungen. Die Antworten der Mütter (und Väter) zeigen die große psychische und physische Belastung, die sie bei ärztlichen Untersuchungen und Klinikaufenthalten erlebten. Sie vermissten eine ausreichende Kommunikationsbereitschaft, Beratung und Information durch die Ärzte, Austauschmöglichkeiten mit anderen Eltern, Gelegenheiten zur Mitsprache bei Entscheidungen, erlebten die medizinischen Vorgänge als intransparent, die Gesprächsgestaltung bei der Mitteilung der Diagnose als wenig einfühlsam und hätten sich mehr weiterführende Informationen über Hilfsangebote und Unterstützungsmöglichkeiten erwartet. Eine eigene Befragung von Eltern von Kindern mit schweren chromosomalen Störungen belegt eindrücklich die emotionale Krise, die für viele Eltern mit der Diagnosevermittlung verbunden war (Sarimski, 2014a). Beispiel „Die Mitteilung der Diagnose war für uns ein Weltuntergang. Unter anderem wurde uns gesagt, dass es sein kann, dass sich das Kind überhaupt nicht entwickelt oder im Kleinkindalter stirbt. Das erste Lebensjahr war für mich die schlimmste Zeit meines Lebens.“ „Die ersten acht Wochen nach Mitteilung der Diagnose waren für mich wie ein Alptraum. Es war unheimlich schwierig, die Tatsache, dass man ein behindertes Kind hat, innerlich zu verarbeiten. Die psychische Verfassung, in der ich damals war, kann ich gar nicht mit Worten beschreiben. Ich dachte immer nur: Jetzt geht es nicht mehr weiter. Ich hatte damals viel Kontakt mit anderen Menschen, die mit mir lange Gespräche führten und versuchten, mich zu trösten und mir zu helfen. Das hat mich psychisch über Wasser gehalten.“ In manchen Fällen wird die Klärung der Ursache einer Behinderung jedoch auch als erster Schritt auf dem Weg der Auseinandersetzung mit der Realität positiv erlebt. Graungard und Skov (2007) legten die Ergebnisse einer qualitativen, longitudinal angelegten Befragung von 16 Eltern schwer und mehrfach behinderter Kinder über die ersten zwei Lebensjahre vor. Die emotionale Reaktion der Eltern variierte mit der Erfahrung, die sie in der Kommunikation mit den Fachkräften in medizinischen Einrichtungen machten. In den Interviews wurde deutlich, dass die Eltern nach Anhaltspunkten für eine Einschätzung der Zukunft suchen, es ihnen schwerfällt, die Unsicherheit der Perspektiven auszuhalten, und sie sich Möglichkeiten wünschen, selbst aktiv zu werden. Die Klärung der Diagnose empfanden sie als entscheidende Voraussetzung dafür. |20|Für die Praxis: Sensible, auf die Bedürfnisse der Eltern abgestimmte Form der...



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