Sarif Die verborgene Welt
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-944576-24-4
Verlag: Verlag Krug & Schadenberg
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 300 Seiten
ISBN: 978-3-944576-24-4
Verlag: Verlag Krug & Schadenberg
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Pretoria, Südafrika, in den fünfziger Jahren. Die junge Inderin Amina eröffnet mit einem Farbigen ein Café. Das ist unerhört. Und zur Zeit der Apartheid offiziell verboten. Die Eltern lassen ihre eigensinnige Tochter gewähren, doch die Großmutter setzt alles daran, ihre Enkelin zu verheiraten. Aber Amina hat ihren eigenen Kopf ...
Miriam hingegen ist eine fügsame indische Ehefrau. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren Kindern auf einer abgelegenen alten Farm. Die Stille ist endlos, die Einsamkeit unerträglich, die Zukunft scheint trostlos. Bis Miriam eines Tages Amina begegnet - dem ersten Menschen, der ihr nach vielen Tagen ein Lächeln schenkt. Und sie behutsam zu umwerben beginnt ...
'Grüne Tomaten' - angerichtet auf indische Art ...
Shamim Sarif gilt als eine der vielversprechendsten jungen britischen AutorInnen. Sie stammt aus einer südasiatisch-südafrikanischen Familie und lebt mit ihrer Lebensgefährtin Hanan Kattan und ihren beiden Söhnen in London. 'Die verborgene Welt' ist ihr erster Roman. Er wurde von der Kritik hoch gelobt, mit mehreren renommierten Preisen ausgezeichnet und inzwischen mit Lisa Ray und Sheetal Sheth in den Hauptrollen unter dem Titel 'The World Unseen' sehr erfolgreich verfilmt. Shamim Sarifs zweiter Roman, 'Das Leben, von dem sie träumten' erschien im Sommer 2010. Ihr dritter Roman 'Mitten ins Herz', der unter dem Titel 'I can't think straight' ebenfalls bereits erfolgreich verfilmt wurde, erschien im Frühjahr 2012.
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KAPITEL 1 Pretoria, April 1952 Sie lag bäuchlings auf dem Dach, im Blickfeld nur die billigen Ziegel, und wusste dennoch, dass es sich um einen Streifenwagen handelte. Es lag etwas Unbekümmertes im Schlittern der Reifen über die sandige Straße und in der Art, wie die Handbremse angezogen wurde, noch während die Räder sich drehten, was ein leises Kreischen in der drückenden Luft verharren ließ. Sie hielt mit dem Hämmern inne und lugte über den Dachvorsprung. Sie waren so dicht an der Eingangstür des Cafés zum Stehen gekommen, dass sie einen der Blumentöpfe, die Jacob erst am Vortag bepflanzt hatte, beschädigt hatten. »Mistkerle!«, murmelte sie leise. Sie ließ das Schild halb angenagelt hängen und kletterte die Leiter hinunter. Ihre Bewegungen waren bedächtig und ließen ihr Zeit zum Überlegen. Ein Jahr zuvor noch wäre sie binnen Sekunden im Café gewesen – sie wäre voller Eifer herbeigelaufen, um sich jedem neuen Hindernis, das ihr in den Weg geräumt wurde, zu stellen und es zu beseitigen. Doch die vielen Monate des Kampfes gegen Regeln und Vorschriften, die für sie keinerlei Sinn ergaben, hatten ihr die Lust auf Auseinandersetzungen genommen und so handelte sie nun gemächlicher, zügelte ihre Impulsivität, und als sie zu dem Streifenwagen hinübersah, erschienen winzige Falten der Konzentration auf ihrer Stirn. Einer der beiden, der Fahrer, saß noch im Wagen. Sie kannte viele der einheimischen Polizisten, doch dieser war ihr fremd, und einen Augenblick lang war sie von seinem Äußeren eingenommen – ein ebenmäßiges, attraktives Gesicht, umrahmt von weichem blondem Haar –, bis sie seinen kühlen blauen Blick sah, der von purer Arroganz kündete. Er musterte sie von oben bis unten, und sie hielt seinem Blick stand. »Noch nie eine Frau in Hosen gesehen?«, fragte sie – zu leise, als dass er es hätte hören können, doch zu ihrem Bedauern kurbelte er das Fenster herunter. »Was?« Sie hatte keine andere Wahl, als es zu wiederholen. Sie sprach klar und deutlich, und sein Mund verzog sich ein wenig. »Jedenfalls keine Inderin, das steht fest«, erwiderte er. Sie wandte sich um und betrat das Haus, blieb jedoch gleich an der Tür stehen. Das Café war mehr als halb voll, dennoch konnte sie die boerewors in der Küche brutzeln hören. Niemand sprach und niemand blickte zu ihr hinüber – alle Augen waren verstohlen auf den Polizisten gerichtet, der da am Tresen stand. Sie wusste, dass Jacob sie im Blick hatte, aber er ließ sich nichts anmerken. Er polierte weiter das Glas in seiner Hand und nickte ab und an. Officer Stewart stützte sich mit dem einen Arm friedlich auf die polierte Theke und zupfte mit der anderen Hand gedankenvoll an seinem gestutzten Bart. »Hör mal, Jacob. Ich will euch beiden ja nichts Böses, aber diese Gesetze machen uns Polizisten das Leben verdammt schwer.« »Uns machen sie auch nicht gerade Vergnügen«, sagte Amina hinter ihm. Sie sah, wie Jacob leicht den angegrauten Kopf schüttelte. Stewart drehte sich um und tippte sich an die Mütze. »Amina. Lange nicht gesehen.« »Ja.« »Hast wohl zugesehen, dass du dir keinen Ärger aufhalst, wie?« Sie quittierte seinen Versuch zu plaudern mit einem gezwungenen Lächeln. Dann trat sie hinter die Theke, öffnete den unförmigen Eisschrank, nahm eine Flasche Cola heraus und hielt sie ihm ihn. Um Jacobs willen gab sie sich alle Mühe. »Kann ich Ihnen was zu trinken anbieten, Officer Stewart?« Der Polizist schüttelte den Kopf und sah zu, wie sie die halbe Flasche in einem Zug leerte. Dann hielt sie inne, holte schleunigst Luft und lächelte. »Was ist mit Ihrem Kollegen? Will er nicht reinkommen?«, fragte sie. »Nein, danke. Mir ist es lieber, wenn er draußen im Wagen bleibt. Er ist ein bisschen übereifrig. Ein wenig hitzköpfig. Er hat ein Problem mit euren Gepflogenheiten.« Er wies auf den hinteren Teil des Cafés, und als hätte sie keine Ahnung, was er meinte, drehte sie sich um und blickte zu der Sitzecke hinüber, wo ihre afrikanischen Arbeiter tagsüber abwechselnd saßen und aßen. Doris und Jim waren im Augenblick da, und sie sah, wie Doris trotzig das Kinn hob, auch wenn ihre Finger, die um die Kaffeetasse lagen, leicht zitterten. Amina lächelte sie ermutigend an und wandte sich wieder dem Polizisten zu. »Welche Gepflogenheiten genau sollen das sein, Officer?« »Nun hör mir mal zu, Amina. Du weißt, wovon ich spreche, und dich mit mir anzulegen, macht die Sache nicht besser, klar? Du und ich – wir wissen beide, dass es ein Vergehen ist, wenn Schwarze da essen, wo Weiße essen.« Sie stellte die Cola auf die Theke und sah sich um. »Hier gibt’s keine Weißen. Sie natürlich ausgenommen.« »Wie Nicht-Weiße dann eben. Dies ist ein Lokal für Asiaten. Und Farbige«, fügte er mit einem Nicken in Richtung Jacob hinzu. »Das heißt: keine Schwarzen.« »Sie arbeiten für mich.« »Dagegen ist nichts einzuwenden«, erwiderte der Polizist und schlug bekräftigend auf die Theke. »Aber sie dürfen nicht mit dir zusammen essen. Das ist verboten.« »Wo sollen sie denn sonst essen?«, fragte Amina. »Das ist mir doch egal! Sie können draußen essen. Oder in der Küche, verdammt noch mal. Oder wenn sie nach Hause kommen.« »Kommen Sie zwölf Stunden am Stück ohne Essen aus, Officer?« Jacob fuhr sich nervös über den geschorenen Schädel und sah zu, wie Amina zu ihrem Grammophon hinüberging. Er wünschte verzweifelt, er könnte eingreifen und für Frieden sorgen, irgendeinen Kompromiss vorschlagen. Doch das würde die Grenzen, die ihm als angeblicher Geschäftsführer des Cafés gesetzt waren, überschreiten – Officer Stewart wusste nicht, dass Jacob in Wahrheit Aminas Geschäftspartner war. Es war Farbigen und Indern verboten, gemeinsam ein Unternehmen zu betreiben, doch ein hilfsbereiter Anwalt hatte ihnen geholfen, insgeheim eine Generalvollmacht für Jacob aufzusetzen, und inzwischen war ihre Partnerschaft von den entscheidenden Menschen weithin anerkannt, und ihr Geheimnis wurde gut gehütet. Amina kniete sich nieder, den Rücken dem Polizisten zugewandt, und ging ihren kleinen Stapel Schallplatten durch. Stewart setzte entschlossen seine spitz zulaufende Mütze auf und schlenderte zu der hintersten Nische hinüber, wo er stehen blieb und auf die Sitzenden herabsah. »Papiere!«, sagte er und streckte die Hand aus. Doris und Jim sahen instinktiv zu Amina hinüber. »Sie wissen doch, dass die beiden Papiere haben«, sagte sie. »Ich will sie sehen. Und zwar sofort.« Jim zog seine Papiere hinten aus der Hosentasche. Der Einband war knittrig und abgetragen, und selbst wenn es aufgeschlagen wurde, wies das Dokument eine bleibende Krümmung auf, weil so oft auf ihm gesessen wurde. Stewart drehte es in der Hand und blickte auf den Koch hinunter. »Das ist bloß eine Reisegenehmigung.« »Ja, Sir!« »Wo ist dein Pass?« »Ich habe keinen Pass, Sir. Ich bin ein Farbiger.« Stewart begutachtete das Dokument, um sich dieser Tatsache zu vergewissern. »Du bist ein Farbiger?« »Ja, Sir!« »Für mich siehst du aus wie ein Kaffer«, bemerkte Stewart. »Sie sagen, ich bin ein Farbiger. Die Kommission. Sie haben mich klassifiziert.« Jacob war neben dem Polizisten erschienen, ohne dass jemand wahrgenommen hätte, dass er sich bewegt, geschweige denn beeilt hatte. »Sein Großvater war weiß, Officer. Holländer – wie mein Vater.« »Okay.« Stewart warf das Dokument auf den Tisch, wandte sich um und ließ den Blick über das Café schweifen. »Du verstehst, was ich euch sagen will, oder, Jacob? Ich will euch nichts am Zeug flicken. Ich tue bloß meine Arbeit.« Der Knall eines Schusses elektrisierte den Raum – die schiere Lautstärke ließ alle Anwesenden für einen Sekundenbruchteil erstarren, bevor sie sich allesamt duckten. Amina kniete noch immer vor dem Grammophon und sah, wie Officer Stewart hinter der Theke kauerte und Jacob neben ihm hockte. Die Fenster klirrten noch leicht, als wäre gerade ein Zug durch das Café gerauscht. Stewart zog vorsichtig seine Pistole und brachte sie auf dem Tresen in Anschlag, während er sich langsam erhob. Amina stand gleichzeitig auf. Sein Partner stand in der Tür und ließ die Pistole um seinen Mittelfinger kreisen. »Was zum Teufel machst du da?«, fragte Stewart. Der blonde Mann grinste. »Meine Arbeit«, sagte er. »Warum redest du überhaupt mit diesen Leuten hier?« Er hielt die Pistole fest und feuerte einen weiteren Schuss in die Decke. Putz rieselte herab, und ein hohes Echo sang im Raum. »Das hier verstehen sie«, meinte er. Er grinste wieder und sah Amina an. »Wenn du weiterhin Kaffern bedienst, murksen wir sie alle ab. Dann wirst du neue Leute finden müssen.« Er lachte. »Wenn Sie so weitermachen«, erwiderte Amina, »dann brauchen wir keine neuen Leute. Sie sind nicht gerade gut fürs Geschäft.« Seine Miene verdunkelte sich, doch noch bevor er den ersten Fluch über die Lippen brachte, schob Stewart ihn zur Tür hinaus und in Richtung Wagen. Amina sah sich nach Doris um, aber die Sitzecke war leer – ihre gesamte Belegschaft hatte sich in die Küche verzogen oder auf den festgetretenen Flecken Erde draußen vor der Hintertür. Die Gäste, die auf ihr Essen zum Mitnehmen gewartet hatten, waren bereits fort. Andere legten Geld auf den Tisch. Selbst das Gebrutzel aus der Küche war verklungen. Als sie wieder zur Tür blickte, um sich zu vergewissern, dass die Polizisten wirklich fort waren, sah sie, dass das Glas des gerahmten Bildes...