Sarduy | Kolibri | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 200 Seiten

Sarduy Kolibri

Roman
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-86034-521-4
Verlag: Edition diá Bln
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Roman

E-Book, Deutsch, 200 Seiten

ISBN: 978-3-86034-521-4
Verlag: Edition diá Bln
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Vorhang auf für Kolibri - das männliche Prachtstück eines fellinesken Dschungelbordells irgendwo in Mittelamerika. Hier stranden Haie und Wale, Delfine und Piranhas - die ganze abenteuerliche Männerfauna eines Tropendeltas mit ihren Gelüsten und Zwisten, zärtlich umsorgt oder tyrannisch herumkommandiert von der Regentin und ihren schlagkräftigen und verwandlungsfähigen Trabanten. Wüst und brünstig geht es zu, für alle ist die Welt in Ordnung, bis Kolibri und der japanische Sumoringer, sein Showkollege, die Flucht ergreifen. Eine groteske Kamarilla nimmt die Verfolgung auf ... Severo Sarduy erzählt einen prallbunten, erotischen, fantastischen Bilderbogen, fesselnd, verführerisch, augenzwinkernd, »aufs Glanzvollste von Thomas Brovot übersetzt« (Süddeutsche Zeitung). Von Severo Sarduy außerdem in der Edition diá: Woher die Sänger sind. Roman Aus dem kubanischen Spanisch von Thomas Brovot ISBN 9783860345221

Severo Sarduy, 1937 auf Kuba geboren, lebte von 1960 an als Maler, Romancier, Dichter, Essayist, Hörspielautor, Dramatiker, Wissenschaftsjournalist, Lektor und Herausgeber in Paris. Er starb 1993 an den Folgen von Aids. Sarduy, Enfant terrible unter den lateinamerikanischen Schriftstellern, zählt zu den bedeutendsten kubanischen Autoren des 20. Jahrhunderts. Auf Deutsch erschienen bisher, neben einigen Hörspielen, die Romane »Bewegungen« (1968), »Kolibri« (1991) und »Woher die Sänger sind« (1993).

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Weitere Infos & Material


I
Olmekischer Kolossalkopf
Der Tod in Jadegrün
Krieg der Schriften
Gott ist Simulation
Guavensorbet

II
Der Raub der Erzählung
Rückkehr in die Heimat
Fiesta

III
Aber auf einem anderen Weg
Die Weiße Äffin
Schlusstanz

Metamorphose, Travestie und Sehnsucht


Olmekischer Kolossalkopf
Er tanzte zwischen zwei Spiegeln, nackt, hinter der Bar. Die »Wale« – lüsterne und zahlungskräftige alte Böcke, die nach Einbruch der Nacht, in sich versunken oder brünstig, gekielholt im Lokal lungerten – schoben ihm grüne Dollarscheine in die feuchten Hände oder, bevor er ihn mit einem Ruck auszog, unter den Lederriemen, der ihm als Slip diente. In glühender Mittagshitze war er auf dem Bug eines flachen grauen, bullaugenlosen und ungeflaggten Kohlenkahns von den sumpfigen Dörfern des Flussdeltas heraufgekommen, um seine Haut mit bunter Tinte zu verzieren und an den Ringkämpfen teilzunehmen; in den Hosentaschen trug er einen kleinen Jadestein und verschiedene nicht mehr gebräuchliche oder schartige Münzen. Den ganzen Tag über hatte er Maracujasaft mit Rum getrunken und in einem vokalreichen, dröhnenden Wäldlerdialekt gesungen. Statt das Tor am Eingang aufzustoßen, erhob er sich, auf die rechte Hand gestützt, in die Luft, verharrte einen zenitalen Augenblick lang schwerelos – und fiel dann, wie einer, der vom fahrenden Zug springt, auf die andere Seite: Trotz seiner Größe und seiner wuchtigen Statur tauften sie ihn Kolibri. Er war natürlich blond. Aber wenn ich sage: blond, musst du dir einen mächtigen, struppigen Schopf ausmalen, glänzend, eher albinoweiß als blond, der sich in Zeitlupe und verschlungenen Voluten auffaltete, Sauerstoff, Regen-Ozon, Glasfaser, allerfeinste Tropfen versprühendes Maisstroh, das Haar eines siegreichen Athleten, wenn er nach dem Kopfsprung wieder auftaucht. Diesem überbordenden Gold widersprachen die Augenbrauen: ebenmäßige symmetrische Bögen, in der Mitte zusammengewachsen, intarsiengleich; sie waren pechschwarz, als gehörten sie zu einem anderen Körper. Wenn er sich bewegte, schüttelte er die goldenen Zotteln und bespritzte die Dürstenden mit seinem Schweiß. Die riesigen sehnigen Füße stampften voller Zorn; unter zartem Geklirre, genieselte Marimbaklänge, erzitterten die Biergläser, schwappten über und wurden von einer eilfertigen pferdezahnigen Kellnerin, die an ihrem Groll keinen Zweifel ließ, wieder vollgeschenkt. Das Licht zellophanverhüllter Laternen umgab ihn mit einer orangefarbenen Aureole; die symmetrischen Spiegel vervielfachten, östlich wie westlich, getreulich und glaubwürdig, den sich windenden Körper in der Mitte. Um die Wale herum scharwenzelte, geneigt, die Alten je nach deren Bedürfnis und Barschaft mit Hätscheleien oder Grobheiten zu verwöhnen – da nur spärlich und nach eigenem Belieben gewährt, waren Letztere kostspieliger –, ein hitziger Hofstaat von »Jägern«: ehrgeizige, gleichwohl beschäftigungslose Grünschnäbel, die der sommerliche Seegang mit knospendem Bart und Stimmbruch aus den entlegenen Dörfern der Flussmündung in den »Palast« gespült hatte, mit ungeschliffenen Manieren, die Hände noch befleckt vom ersten Samen. Im Morast stecken gebliebene Lastwagenfahrer, Süchtige ohne Stoff, Schwarzhändler vom Fluss und junge Kautschukzapfer, vom dürftigen Repertoire ländlicher Tätowierung eilig geprägt – bläuliche Anker und Herzen, Kreuze und Kobras –, allesamt stämmig und verschwitzt, mit aufgeschnürten Stiefeln und breiten Händen, tanzten auf dem Tresen, zwischen den Tischen, hinter den undurchsichtigen Paravents des Salons oder, wenn sich die Perlenvorhänge auftaten, in buntem Durcheinander auf dem improvisierten Podium am Ende eines schummrig-intimen Anbaus. In anmaßendem Verismus auf die Wand gemalt, diente eine Winterlandschaft – billiges Oxymoron zusammen mit den tropischen Dekorationen – dem Etablissement und seiner wüsten Szenerie als Kulisse. Das Spektakel begann nie zu fester Uhrzeit. Es genügte, dass ein ausgelassenes Waltier, magnetisiert von der eingelegten Harpune irgendeines abgedrifteten Nachtjägers – barsche Handbewegung, hochmütiger Blick, gespanntes Gesicht: deutliche Vorboten seiner Attacke, Zeichen unleugbarer Autorität –, mit überkippender Stimme angesichts seiner nahenden wollüstigen Unterwerfung die Eröffnung der Wettkämpfe verfügte, schon eilten die Widersacher in gespieltem Taumel paarweise zum Podium, in herausfordernder Bereitschaft, die Riesenhände geöffnet, Jaguarmaskenmund, vor geheuchelter Raserei bebend, ungeduldig darauf brennend, unter den Augen der ehrwürdigen Zuckersüßen das Arsenal ihrer pyrrhischen Potenz oder ihre ungeniert geriebene Geschicklichkeit in der Kunst der Demütigung zu entfalten. Die Regentin, ein üppiger Wal, Opfer eines atavistischen Rückschlags oder jener widrigen Vorzeit, die kosmetische Ausflüchte nicht mehr verbrämen, war über Nacht für immer ergraut und organisierte nun als Dekanin von Katechumenen und Erfinderin jener Schwindelshow die Knabenkämpfe. Damit lockte sie, im Schlepptau der derben Milchbärte, die lasziven und vermögenden, stets nach jungen Burschen gierenden Besucher der Gegend an und rekrutierte so, gemäß dem Gebot der Knausrigkeit das Nützliche mit dem Angenehmen verbindend, allwöchentlich aus der Sippe der Siegreichen ihr persönliches schneidiges Gestüt. Bei ihrer Katalogisierung, je nach Verdienst in dem doppelten Geflecht aus Drogen und Adonissen, sekundierten weitere Seeungeheuer – Dealerdelfine, Händlerhaie, allgegenwärtige zapplige Thunfische – der weißhaarigen Regentin und ihrer kugeligen Zwergin; außerdem waren sie ihnen bei der kniffligen Gestaltung des Wettstreits behilflich. Aus lauter Malice spielten manche das abgekartete Spiel mit einem blitzschnellen Voltenschlag auf beiden Seiten mit. Die Kämpfe waren wilde Fiestas, ohne Rückzieher, Revanche oder Ringrichter, um das Ausmaß der Raserei zu dämpfen; niemand lieh auch nur die geringste Aufmerksamkeit den verstimmt genäselten Verwünschungen eines pummeligen Spaßvogels, der Zwergin, die beim Einläuten der Rauferei mit geschlossenen Beinen zum Podium hoppelte – zur Feier des Tages im Bikini –, um dort schnaufend, mit rechtwinkligen Gebärden und dem Fin-de-Siècle-Pathos einer argentinischen Rezitatorin zu deklamieren: Will mit dem Ellenbogen keinen Knuff und mit dem Kopf keinen Puff. Was ich will – zwo, drei –, ist ein Kampf – cha cha chá –, knallhart wie kein zweiter … Ein großköpfiger Riesenschlaks, Doppelgänger und Zerrbild der Zwergin, half mit feuchten Schwämmen und amphetaminversetzten Cocktails aus, sogar mit der einen oder anderen äußerst wirksamen – er folgte den Weisungen der Homöopathie – Extraohrfeige für die Besiegten, deren endgültige Schmach den Stiftsgreisen das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. Ja, denn was die Katechumenen in jenem Scheingefecht am meisten genossen, war die gewundene Wollust zu gehorchen, letzte freudige Zuflucht für cartierverdrossene, smaragdbehängte Petroleros, einstmals lebemännische Notare und Kommandanten, die mit ihren verbeulten Baretten und Litzen aus verblichenem Gold für eine Nacht verstohlen die blechbehängten Röcke lüpften, bei jeder Bewegung ein Schrottgebimmel rostiger Glöckchen; eine stattliche dreigespitzte Mitra zierte die Glatze eines falschen Bischofs. So machten sich also die Maulhelden über die Schwächeren her. Wenn ein meisterlicher Armhebel einen schmächtigen Körper vornüberbeugte und ihn unter dem gebieterischen Gewicht des Rivalen – den ein anerkennender Blick nun zum Herrn erkor – aus dem Lot auf die Nase warf, stürzte der Sieger ebenfalls mit den Knien auf den Boden und schloss seine Krallen um die eingekeilten Fäuste und den Hals des Unterworfenen. Den Mund am Ohr, drosch er dann mit – immergleichen – Beleidigungen eigener Schöpfung auf ihn ein. Der Kodex der Verhöhnungen war verbindlich: Gelächter, gespötteltes Lob, wohldosierte Abfälligkeiten und lockere Aphorismen für den Besiegten; unverdiente Hyperbeln für den Maître: Phänomenales Stehvermögen! Diese stille Kraft! Wahrhaftig, ein schwereloser Kampf! Und das Spiel mit den Knien … einfach zauberhaft! Nach ein paar Minuten der Stille, unterbrochen vom Keuchen und Jammern – zuweilen von den Sirenen irgendeiner fernen, im Delta verirrten Barkasse, stets vom schrägen Regen auf dem Palmdach –, besiegelte eine rüde Zeremonie den Triumph: Der Sieger drehte mit Gewalt das Gesicht des jeder Hoffnung Beraubten um; öffnete ihm den Mund, aus dem Minze – die Rivalen kauten sie, um sich während des Kampfes aufzuputschen – über die zusammengepressten Lippen quoll, und ein fluoreszierender, schleimiger Ausfluss, nächtliche Flut aus Algen und Austern, überschwemmte das widerstrebende Gesicht des Unterworfenen. Wenn die schneeweiße Regentin, Sprecherin des Waltierwillens, es verlangte – das heißt: immer –, wurde die gespritzte Liebkosung wiederholt, in den Arsch. Um den kräftigen Neuankömmling Kolibri herauszufordern, hatten die übermütigen Waltiere, zu dieser Zeit bereits voll finsterer Vorfreude, unter genüsslichem Frotzeln den wildesten und heimtückischsten der Angriffslustigen ausgewählt: ein Prachtexemplar von einem Japaner, drall wie von Botero gemalt, mit einer glatt gespannten Haut und einem Umfang, als hätte man ihn aufgeblasen. Wenn nicht einem Rubens’schen Bordell aus dem Kolumbien der späten vierziger Jahre, so entstammte er der Schule des rituellen Ringkampfs zur moralischen Erbauung, welcher den sportlichen Dynasten zur Zeit des Niedergangs des Nipponreiches die vernieselten Mittage mit Titanenprahlereien vertrieb. Er hatte sich sorgfältig die Haut eingeölt und das Haar, lackschwarz, zu einem gebieterischen, pyramidalen Knoten hochgebunden, drei Kugeln...


Severo Sarduy, 1937 auf Kuba geboren, lebte von 1960 an als Maler, Romancier, Dichter, Essayist, Hörspielautor, Dramatiker, Wissenschaftsjournalist, Lektor und Herausgeber in Paris. Er starb 1993 an den Folgen von Aids.
Sarduy, Enfant terrible unter den lateinamerikanischen Schriftstellern, zählt zu den bedeutendsten kubanischen Autoren des 20. Jahrhunderts. Auf Deutsch erschienen bisher, neben einigen Hörspielen, die Romane »Bewegungen« (1968), »Kolibri« (1991) und »Woher die Sänger sind« (1993).



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