E-Book, Deutsch, 304 Seiten
Reihe: Forum Logopädie
Sandrieser / Schneider Stottern im Kindesalter
5. überarbeitete und erweiterte Auflage 2025
ISBN: 978-3-13-245488-0
Verlag: Thieme
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 304 Seiten
Reihe: Forum Logopädie
ISBN: 978-3-13-245488-0
Verlag: Thieme
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Das Standardwerk zum Stottern im Kindesalter
Kinder, die stottern, sicher und wirksam behandeln: Dieses Buch bietet fundiertes Wissen und praxiserprobte Methoden – auf Basis des aktuellen Forschungsstandes. Es unterstützt Sie ideal bei der Planung und Durchführung der Therapie. Der Schwerpunkt liegt in der Praxis der Stottermodifikation nach KIDS für Kinder zwischen 2 und 12 Jahren. Inklusive bewährter Materialien zur Diagnostik und Messung von Therapieeffekten sowie Protokollbögen zum unbegrenzten Download. Sie erhalten wertvolle Impulse zu Elternarbeit und Kindergruppen sowie Einblicke in die Onlinetherapie und intensivere Therapieangebote. Das ist neu: Ergänzt wurde u.a. das Dual-Thesis-Stress-Modell sowie der praktische Elternfragebogen PROFES.
Jederzeit zugreifen: Der Inhalt des Buches steht Ihnen ohne weitere Kosten digital in der Wissensplattform eRef zur Verfügung (Zugangscode im Buch). Mit der kostenlosen eRef App haben Sie zahlreiche Inhalte auch offline immer griffbereit.
Zielgruppe
Medizinische Fachberufe
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Medizin | Veterinärmedizin Medizin | Public Health | Pharmazie | Zahnmedizin Medizinische Fachgebiete Logopädie, Sprachstörungen, Stimmtherapie
- Sozialwissenschaften Pädagogik Teildisziplinen der Pädagogik Sonderpädagogik, Heilpädagogik Logopädie, Sprachtherapie
- Sozialwissenschaften Psychologie Psychotherapie / Klinische Psychologie Logopädie, Sprech- & Sprachstörungen & Therapie
- Geisteswissenschaften Sprachwissenschaft Logopädie, Sprachtherapie
Weitere Infos & Material
1 Theoretische Grundlagen
„Mein Kind stottert. Ist das bis zur Einschulung wieder vorbei?“ Mit dieser Frage stellen besorgte Eltern ihr Kind zur Diagnostik vor. Häufig haben sie selbst schon eine Vermutung, warum es stottert, etwa weil es „schneller denkt, als es sprechen kann“. Nicht selten sind Eltern verunsichert durch gängige Vorurteile wie: „Das haben alle Kinder, das wächst sich wieder aus.“ Oder: „Stotternde Kinder sind besonders sensibel. Ihr Stottern entstand durch die zu hohe Anspruchshaltung der Eltern. Jetzt braucht es eine Psychotherapie.“ Von der Logopädin erwarten sie nun, dass diese eine Diagnose stellt und vor allem möglichst schnell das Stottern beseitigt.
Kindliches Stottern ist im Vergleich zu anderen Störungen des Spracherwerbs sehr gut erforscht. Es kann sicher von normalen Unflüssigkeiten im Sprechen abgegrenzt werden und es gibt eine Vielfalt von praxiserprobten und theoretisch gut begründeten Vorgehensweisen zur Behandlung. So kann in vielen Fällen den stotternden Kindern und ihren Familien von logopädischer Seite kompetent geholfen werden.
1.1 Eingrenzung des Begriffs „Stottern im Kindesalter“
1.1.1 Ätiologie
Kindliches Stottern ist eine Störung des Sprechablaufs, für die eine Disposition vorliegt, d.h., die Veranlagung zu stottern, ist genetisch bedingt ? [209]. Es wird „heute als zentralnervöse Störung des Sprechens und seiner Planung angesehen, die in der Kindheit hauptsächlich aufgrund einer genetischen Disposition und ggf. ungünstiger Umgebungsfaktoren zustande kommt, neuromorphologische und neurofunktionelle Korrelate hat und zu Störungen von Sprechablauf, Sprechrhythmus, Sprechmotorik, Sprechatmung sowie Artikulation und Phonation führt“ ( ? [269], S. 20).
1.1.2 Definition
Guitar und auch Bloodstein & Bernstein Ratner beschreiben Stottern als Sprechablaufstörung, die durch Symptome gekennzeichnet sind, die dem Zuhörer als ungewöhnliche Unflüssigkeiten auffallen ( ? [153], ? [73], ? [35]).
Definition
Stottern
Stottern ist charakterisiert durch unfreiwillige Wiederholungen von Lauten und Silben und die unfreiwilligen Dehungen und Blockierungen von Lauten.
Da diese knappe Definition das Stottern nicht deutlich genug von den Unflüssigkeiten im Sprechen von Nichtstotternden abgrenzt, erweitert man sie folgendermaßen:
-
Die oben genannten Unflüssigkeiten werden vom Stotternden wahrgenommen und antizipiert.
-
Der Stotternde weiß genau, was er sagen möchte, aber er ist in diesem Moment nicht in der Lage, dieses eine Wort flüssig zu sprechen, obwohl er problemlos ein anderes Wort sprechen oder dieses Wort zu einem anderen Zeitpunkt sagen könnte ? [371].
Stottern ist demnach gekennzeichnet durch die Veränderung des Redeflusses, die durch das vermehrte Auftreten bestimmter Unflüssigkeiten hörbar wird und die in manchen Fällen mit Anstrengung und einer Veränderung der Sprechgeschwindigkeit verbunden sein kann.
1.2 Charakteristika des Stotterns im Kindesalter
1.2.1 Inzidenz
Die Inzidenz gibt an, wie groß der Anteil der Bevölkerung ist, der irgendwann in seinem Leben an dieser Störung neu erkrankt. 5 % aller Kinder haben im Laufe ihrer Entwicklung eine Phase, in der sie stottern. Bei diesen Kindern zeigen mindestens 3 % aller gesprochenen Silben stottertypische Symptome. In diesen Silben treten Laut- und Silbenwiederholungen, Dehnungen von Lauten und Blockierungen auf ? [11], ? [446], ? [371], ? [239]. Das typische Alter für den Beginn des Stotterns ist das 3.–6. Lebensjahr ? [36]. Das Durchschnittsalter zu Stotterbeginn liegt bei 2,8 Jahren ? [154]. Nach dem 12. Lebensjahr ist fast kein Beginn des Stotterns mehr zu erwarten ? [262], ? [36], ? [371], ? [446].
In einer Langzeitstudie in Newcastle upon Tyne konnte durch die Untersuchung von mehr als 1000 Kindern über 16 Jahre hinweg empirisch belegt werden, dass 5 % aller Kinder irgendwann ein Stotterproblem haben, das länger als 6 Monate anhält ? [11], ? [382]. Bis zur letzten Untersuchung im Alter von 16 Jahren hatten 79,1 % der Kinder ihr Stottern überwunden, wobei hier auch Kinder einbezogen wurden, die nur kurze Zeit gestottert haben.
In Dänemark wurden einige Jahre lang fast alle Kinder logopädisch erfasst, die innerhalb von 2 Jahren auf der Insel Bornholm geboren wurden. Wie in der britischen Studie wurde bei 5 % dieser mehr als 1000 Kinder Stottern diagnostiziert, wobei es nach 2 Jahren in 74 % und nach 5 Jahren in 85 % der Fälle zu einer Remission kam ? [239], ? [450]. Ungefähr 1 % aller Kinder blieb also stotternd.
Studien zur Inzidenz können methodische Probleme aufweisen, die zu Ungenauigkeiten führen. In der Studie von Mansson werden keine Angaben gemacht, wie viele Kinder eine Therapie wegen ihres Stotterns erhielten ? [239]. So kann nicht zwischen einer Spontanremission (Remission ohne therapeutische Intervention) und einer Remission im Zusammenhang mit einer Therapie unterschieden werden. In der Studie von Andrews und Harris wurden Kinder nicht erfasst, deren Stotterepisode so kurz war, dass sie nicht in das Intervall zwischen 2 Untersuchungszeitpunkten (6 Monate) fiel ? [11].
1.2.2 Originäres neurogenes nichtsyndromales Stottern
In der englischsprachigen Literatur spricht man von „developmental stuttering“, also Stottern, das im Verlauf der kindlichen Entwicklung entsteht ? [233]. Dieses ist klar abzugrenzen von den normalen Unflüssigkeiten, die im Verlauf der Sprachentwicklung auftreten ? [371], ? [323]. Die AWMF-Leitlinie zu Redeflussstörungen von 2016 befürwortet, im Deutschen von einem „originären neurogenen nichtsyndromalen Stottern“ zu sprechen ? [269]. Originär, da es in der Kindheit ohne direkt erkennbare Ursache auftritt, neurogen, da das „developmental stuttering“ mit strukturellen und funktionellen Hirnveränderungen einhergeht und nichtsyndromal, da es ohne Zusammenhang mit einem Syndrom wie etwa Trisomie 21 besteht. In diesem Buch ist mit „Stottern“ immer das originäre neurogene nichtsyndromale Stottern gemeint. Der Begriff Entwicklungsstottern sollte im Deutschen nicht verwendet werden, da er sich auf die widerlegte Annahme bezieht, dass Stottersymptome eine normale Erscheinung in der Sprachentwicklung seien, die mit deren Abschluss von selbst verschwinden würden.
Merke
Die Diagnose „Stottern“ erlaubt noch keine Aussage darüber, ob das Stottern bei einem Kind bestehen bleibt oder ob das Kind sein Stottern überwinden wird.
1.2.3 Prävalenz
Definition
Prävalenz
Die Prävalenz gibt an, wie groß der Anteil der Bevölkerung ist, der zu einem bestimmten Zeitpunkt von einer Störung betroffen ist.
Der Vorteil gegenüber den Studien zur Inzidenz liegt darin, dass es ausreicht, die Datenerhebung einmal durchzuführen und keine Verlaufsbeobachtungen erforderlich sind. Solche Daten sind wichtig, um z.B. den therapeutischen Bedarf für die Gesamtbevölkerung zu ermitteln.
Da die durchgeführten Studien unterschiedliche (Alters-)Gruppen untersucht haben, bleiben die Zahlen uneinheitlich ? [154]. Nur bei ungefähr 1 % aller Kinder entwickelt sich ein überdauerndes Stottern, das bis ins Erwachsenenalter bestehen bleibt. Das bedeutet, dass 60–80 % der stotternden Kinder das Stottern vollständig überwinden ? [446], ? [371], ? [239], ? [35].
Eine neue Studie zu Inzidenz und Prävalenz wurde in Australien durchgeführt: Dort wurde telefonisch in einer repräsentativen Auswahl von mehr als 4600 Haushalten nachgefragt, ob stotternde Personen in diesem Haushalt leben. Mit den Betroffenen wurde dann ein Telefoninterview durchgeführt, das aufgezeichnet und nach Stotterereignissen untersucht wurde. Außerdem wurde erfragt, ob jemand in diesem Haushalt früher einmal gestottert hat. Craig et al. ermittelten auf diese Weise eine Prävalenz von 0,72 % in der gesamten Bevölkerung mit einer Inzidenz von 2,1 % Stotternder in der Altersgruppe von 21–50 Jahren ? [79].
1.2.4 Geschlechtsspezifisches Auftreten
Zu Beginn des Stotterns ist der Anteil von Jungen und Mädchen noch fast gleich groß. Im Verlauf verschieben sich dann die Anteile, weil mehr Mädchen eine Remission haben: Im Jugendalter stottern deutlich mehr Jungen als Mädchen ? [154].
1.2.5 Zeitfenster für Remissionen
Die meisten Remissionen sind in den ersten beiden Jahren nach Stotterbeginn zu erwarten, aber auch nach jahrelangem Bestehen der Störung kann es noch zur Heilung kommen. Yairi et al. begleiteten Kinder zeitnah zum Stotterbeginn 4 Jahre lang und konnten Remissionen auch noch am Ende der Studie beobachten ? [450]. Bei...