E-Book, Deutsch, 272 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
Sanchez Rodriguez Hier ist alles Banane
16001. Auflage 2016
ISBN: 978-3-8437-1450-1
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Erich Honeckers geheime Tagebücher 1994 - 2015
E-Book, Deutsch, 272 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
ISBN: 978-3-8437-1450-1
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Über den Herausgeber der Tagebücher, Jorge Nicolás Sanchez Rodriguez, ist wenig bekannt. Er war Erich Honeckers Privatchauffeur und seinem Chef stets treu ergeben: Schon nach einem halben Jahr duzten sich beide und nannten sich gegenseitig liebevoll 'Genosse'. Sanchez Rodriguez gelang es buchstäblich in letzter Sekunde, die Tagebücher vor dem Zugriff Margot Honeckers zu retten.
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1994
30. Mai Ich bin tot. Offiziell zumindest.
Ich habe mich zusammen mit Margot zu diesem Schritt entschlossen, weil er uns unausweichlich erschien. Mittlerweile liegt eine Klage beim Berliner Verfassungsgericht vor, wegen »Rechtsbeugung« (was soll das sein?) und »Strafvereitelung im Amt«. Die westdeutsche Justiz lässt nichts unversucht, um unser politisches Erbe mit übler Hetze in den Schmutz zu ziehen. Die Massenmedien des Gegners hatten ihre sogenannten Journalisten sogar bis in unseren Garten geschickt. Ich wurde belauscht und überwacht und konnte mich nicht frei bewegen. Nein, so kann kein Mensch leben wollen.
Margot hat mich gebeten, meine Gedanken in diesem Tagebuch niederzuschreiben. Diesem Wunsch will ich gerne entsprechen, denn natürlich soll die Nachwelt die unwiderlegbare Wahrheit erfahren. Außerdem bleibe ich auf diese Weise geistig in Form, solange ich hier, am anderen Ende der Welt, zum Nichtstun verdammt bin.
Deutsche Kommunisten haben schon einmal in der Geschichte den Weg ins Exil gewählt, um später siegreich in die Heimat zurückzukehren – als »Gruppe Ulbricht«, die nach dem Sieg der Roten Armee über das faschistische Deutschland einen sozialistischen Staat auf deutschem Boden gründete. Und so wie der Hitlerfaschismus untergegangen ist, geht auch die kapitalistische BRD ihrem Ende entgegen. Es ist einzig und allein eine Frage der Zeit!
Margot und ich warten nun auf das Staatsbegräbnis. Wollen wir hoffen, dass alles gutgeht. Der nette Herr, der uns freundlicherweise seinen Leichnam zur Verfügung gestellt hat, sieht mir leider in keiner Weise ähnlich. Hatten wir überhaupt mit ihm geklärt, wie er bezahlt wird? Ich hoffe, seine Familie verlangt kein Westgeld.
2. Juni Nur einen Tag nach meinem Tod hat ein westdeutscher Journalist Margot vor unserem Haus aufgelauert. Sie kam gerade von einem Blumengeschäft und hatte eine Vase in der Hand. Der junge Mann stellte sich ihr in den Weg und fragte, was sie denn da gekauft habe. Margot wurde wütend und rief, die Urne ihres Mannes sei nicht mal unter der Erde, da stünden sie schon wieder wie die Hyänen vor ihrer Haustür. Der Mann machte ein Foto und verschwand. Heute berichtet ein unsägliches Klatschblatt: »Margot Honecker bewahrt Asche ihres Mannes zu Hause auf«, wie sie mir soeben berichtet.
Außerdem hat Margot mir mitgeteilt, dass die chilenische Regierung mein Begräbnis organisieren wird. Sie will sich nun um die Liste der Staatsgäste bemühen, die bereits zugesagt haben. Bisher haben sie ihr aus Versehen lediglich ein leeres Blatt zugefaxt. Sie will das nun klären.
3. Juni Margot und unser treuer Leibarzt Dr. Puccio haben mich in eine Privatklinik gebracht. Hier werde ich mich erholen, bis Ruhe eingekehrt ist. Die Klinikleitung hat mir ein Zimmer im ersten Stock zugewiesen. Vor der breiten Glasfront liegen die Ausläufer Santiagos. In der Mitte erheben sich majestätisch die weißen Plattenbauten, die mich ein wenig an Jena-Lobeda erinnern. Das Klinikpersonal weiß selbstverständlich nichts von meiner wahren Identität. Konspiration ist schließlich Ehrenpflicht des Kommunisten im Untergrund. In der Krankenhausakte steht mein alter Deckname Marten Tjaden, den ich vor sechzig Jahren auf der Flucht vor den Nazis angenommen hatte. Es war Margots Idee, Tjaden wiederauferstehen zu lassen. Sie sagte, ich solle mich daran erinnern, wie damals alles ausgegangen ist. Ich habe mich dann erinnert, wie ich der Geheimen Staatspolizei in die Arme lief und für zehn Jahre ins Gefängnis wanderte – und war doch etwas skeptisch. Aber Margot hatte eher an die Zeit danach gedacht, und so überzeugte sie mich.
Die Gedanken an meine Zeit im Gefängnis ereilen mich in diesen Tagen immer wieder, zumal frische Erinnerungen an die Kerker von Moabit hinzugekommen sind. Zum Glück konnte Schwester Isabel mich heute Nachmittag ein wenig ablenken. Das Kissen in meinem Nacken war verrutscht, und leider bin ich noch so schwach, dass ich alleine nicht hinter meinen Kopf greifen kann. Deshalb habe ich den Knopf am Rollwagen neben meinem Bett gedrückt. Die Schwester kam sogleich herbei und beugte sich mit ihrem ganzen Oberkörper über mich, um das Kissen wieder zurechtzurücken. Plötzlich spürte ich ein intensives Kribbeln an einer Stelle, mit der ich mich gemeinhin gar nicht mehr beschäftige. Und ich gestehe, nicht ganz unabsichtlich ist mir das Kissen danach noch zwei weitere Male verrutscht.
7. Juni Krenz hat sich per Telefon bei Margot gemeldet. Sie berichtete, erst hätten ihm die Worte gefehlt, dann habe er gestottert, es tue ihm sehr leid, was mit mir passiert sei, und als Margot gerade antworten wollte, habe er gefragt, ob sie noch wisse, wo sein alter Fahrradanhänger stehe. Den hätte er uns doch damals ausgeliehen. Da hat Margot aufgelegt.
8. Juni Margot hat mir einen Pappkarton voller Briefe aus der Heimat mitgebracht. Es sind ausnahmslos gutgemeinte und freundliche Zuschriften von Bürgern der Deutschen Demokratischen Republik. Die Genossin Helga Hartmann aus Magdeburg zum Beispiel schreibt, sie sei bestürzt und fassungslos über meinen Tod. »In der ganzen Stadt herrscht Trauer. Wir vermissen unseren Freund und Genossen Erich. Nie wieder war unser Leben so schön wie in unserer guten alten Deutschen Demokratischen Republik.« Was für eine liebenswerte und sympathische Frau. Ihre Handschrift erinnert mich sogar ein wenig an die von Margot.
9. Juni Heute Morgen wollte der Oberarzt von mir wissen, ob ich privat krankenversichert bin. Das weiß ich leider gar nicht. Mit dieser Frage habe ich mich seit Jahrzehnten nicht beschäftigt. Wenn ich nun überlege, kann ich mich allerdings nicht erinnern, an meinen freien Tagen jemals zu einem Arzt gegangen zu sein. Meines Wissens kam unser Hausarzt immer in mein Büro. Insofern kann privat versichert eigentlich nicht richtig sein. Es müsste also immer noch unsere Staatliche Versicherung sein. Margot hat mir das auch noch einmal bestätigt. Soeben hat der Oberarzt mir nun die Nachricht überbracht, dass es bei der Bettenbelegung einen Engpass gibt. Heute Abend bekomme ich einen Zimmergenossen.
10. Juni Das Essen in der Klinik macht mir zu schaffen. Frittierte Teigtaschen und Maiseintopf. Wie soll ich so je wieder zu meinem alten Gewicht finden? Ich habe Margot gebeten, mit der Klinikleitung über den Speiseplan zu sprechen. Es wird doch wohl möglich sein, wenigstens einmal in der Woche einen Broiler mit Kartoffeln und Mettendchen serviert zu bekommen. Auf meinen Auslandsreisen war das in all den Jahren doch auch nie ein Problem. Schwester Isabel würde sich sicher um meinen Wunsch kümmern, wenn sie nur meiner Sprache mächtig wäre. Heute Morgen kam sie mit einem sanften Lächeln herein, um die Bettwäsche auszuwechseln. Ich bin zwar schon wieder etwas bei Kräften, aber von ihr lasse ich mich immer wieder gerne stützen. Als sie mit allem fertig war, hat sie mir ein Glas Wasser eingegossen und mir über den Arm gestreichelt. Kurz danach hat Margot mich besucht. Sie war sauer, weil der neue Pyjama mit Joghurt bekleckert war.
12. Juni Zur Mittagszeit lag pünktlich der Essensplan für die kommende Woche auf meinem Tisch. Ich habe ihn abgezeichnet und mit ein paar Anmerkungen zurückgehen lassen.
13. Juni Einer der wenigen Vorteile an meiner Situation ist die Tatsache, dass ich nun endlich Zeit finde, die westdeutschen Zeitungen ausgiebig zu studieren und auszuwerten. Früher hat Frau Kelm1 mir das Wichtigste ausgeschnitten und praktisch zu einer neuen Zeitung zusammengeklebt. Die war natürlich dünner, und ich konnte weder in Ruhe die Sportseiten lesen oder ein Kreuzworträtsel lösen, noch hatte ich Gelegenheit, einen Blick auf die Panorama-Seite zu werfen, für die ich erst in den letzten Monaten eine stetig wachsende Begeisterung entwickelt habe. Hier im Krankenhaus unterhalten sie einen sogenannten Lesezirkel, und heute sind die ersten deutschen Ausgaben vom April angekommen. Zum ersten Mal habe ich nun zum Beispiel die Illustrierte Focus gelesen. Meinem ersten Gefühl nach spielen Fakten in diesem Heft keine allzu große Rolle. Ich bin der Meinung, da könnten sie etwas mehr an die Leser denken. Mit vielen Namen bin ich überhaupt nicht vertraut. So ist vor kurzem ein gewisser Kurt Cobain gestorben. Die Titelseiten sind voll davon. Bzw. waren es im April. Auf einem Foto hat der junge Mann ein bisschen Ähnlichkeit mit Hildegard Grützmann, die sich in Wandlitz lange um unsere Wäsche gekümmert hat. Aber die ist auch schon vor etlichen Jahren gestorben.
14. Juni Margot kam, um die schmutzige Wäsche abzuholen. Das Lila in ihren Haaren ist nun beinahe vollständig herausgewachsen. Ich frage mich, ob wir hier in Chile so ohne weiteres an die erprobten Produkte aus unserem VEB Kosmetik-Kombinat Berlin kommen werden. Ich hoffe es sehr, denn derzeit erinnert mich meine Frau leider immer mehr an meine Schwiegermutter.
15. Juni Heute Morgen kam ein junger Arzt herein, um mir die Ergebnisse der Untersuchung mitzuteilen, zu der ich mich hatte drängen lassen. Der junge Mann schaute in seine Mappe, blätterte vor und noch einmal zurück, dann sagte er hocherfreut, ich sei bei bester Gesundheit – und damit auch wieder vollkommen reisetauglich. Der Krankentransport sei bereits organisiert. Ich würde gleich abgeholt und zum Flughafen gebracht. Man erwarte mich mit Freuden in Berlin. Dann wurde mir schwarz vor Augen. Als ich wieder zu mir kam, hatte ich einen Schlauch im Mund. Neben meinem Bett stand ein anderer Arzt. Er sagte, es tue ihm leid. Ich sei wohl verwechselt...