E-Book, Deutsch, 304 Seiten
Salcher Unsere neue beste Freundin, die Zukunft
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-99001-676-3
Verlag: edition a
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Was die Jungen wissen und wir noch nicht
E-Book, Deutsch, 304 Seiten
ISBN: 978-3-99001-676-3
Verlag: edition a
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Was müssen wir jetzt verstehen, um die Zukunft mitgestalten zu können? Welche Eigenschaften und Fähigkeiten brauchen wir dafür? Inspiriert von Interviews, die er mit hochbegabten Schülerinnen und Schülern führte, zeigt Andreas Salcher, mit welchem Mindset wir die Welt von morgen zu unserer machen.
Dr. Andreas Salcher ist Mitbegründer der Sir-Karl-Popper-Schule für besonders begabte Kinder und initiierte die »Waldzell Meetings« im Stift Melk, an denen sieben Nobelpreisträger und der Dalai Lama teilnahmen. Mit neun Nummer-1-Bestsellern und mehr als 250.000 verkauften Büchern gilt er als einer der erfolgreichsten Sachbuchautoren Österreichs.
Autoren/Hrsg.
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Wer vorschnell urteilt, erkennt oft Neues nicht
»Als ich 14 war, war mein Vater so dumm, dass ich ihn kaum ertragen konnte. Aber als ich 21 wurde, war ich doch erstaunt, wie viel der alte Mann in sieben Jahren dazugelernt hatte.« Mark Twain Julian Rothenbuchner studiert Space Technology an der Tech Uni in Delft: »Es gibt hier in den Niederlanden offene Entscheidungsträger, die schauen sich ein revolutionäres Konzept vorurteilsbefreit an und denken nicht gleich: ›Kenne ich das schon oder wie alt ist die Person, die das gerade vorschlägt?‹, sondern sie fragen vorurteilsfrei: ›Ist das eine gute Idee? Hat das Potenzial?‹ Die verwenden ihr Wissen, um wirklich genau zu schauen, bevor sie bewerten. In Österreich habe ich oft erlebt, dass die Wahrscheinlichkeit höher ist, auf Leute vor allem aus der älteren Generation zu treffen, die gleich am Anfang sagen: ›Nein, das kann ja nie funktionieren.‹ Solange keine zwei Doktortitel vor deinem Namen stehen, hast du für die keine Glaubwürdigkeit. Ich bin in Business-Meetings reingegangen, wo ich dann zwei Stunden lang eine Vorlesung von den Entscheidungsträgern über ›Das sind die ganz fundamentalen Dinge von Space Business‹ bekommen habe, die ich ohnehin längst wusste. Wenn du dann zu argumentieren beginnst, lassen sie dich nicht ausreden, bevor du überhaupt zum entscheidenden Punkt kommst. Sie wollen nur noch über Dinge reden, die sie schon kennen. Dieses sehr enge Mindset verhindert Innovation.« Eine Aussage zieht sich durch fast alle Interviews: Die Alten urteilen und verurteilen neue Ideen oft sehr schnell, ohne sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen. Sie denken aufgrund ihrer Erfahrung Vorschläge immer mit allen möglichen, vor allem den negativen Konsequenzen, bis zum Ende durch. Lasse Höhle, Schüler in St. Afra, widerspricht dieser These allerdings. Die privilegierten Alten in unserer Gesellschaft denken die Folgen ihrer Entscheidungen eben nicht in letzter Konsequenz zu Ende. Sie suchen sich vielmehr die für sie passenden Argumente aus, um den Status quo zu verteidigen, und fürchten Einfluss zu verlieren. »Ich glaube, dass unsere Generation anders aufwächst und mit neuen Lösungen an die Probleme herangeht«, meint Lasse Höhle. Unabhängig von ihrem Alter besitzen konstruktive Menschen die Fähigkeit, einer neuen Idee aufbauend auf ihrem Wissen offen gegenüberzutreten. Frei von geistigen Fesseln werden zunächst Grenzen ausgetestet und verschoben und so der Weg für bahnbrechende Entdeckungen und Erfindungen bereitet. Unkonventionellen Vorschlägen unvoreingenommen gegenüberzutreten ist, wenn wir uns ehrlich sind, für uns Älteren eine riesige Herausforderung, vor allem auf Gebieten, auf denen wir uns kompetent fühlen. Oft würde es schon ausreichen, wenn wir unser Feedback wertschätzend und nicht belehrend geben. Es gibt einen Unterschied zwischen: »Tu das nicht, ich weiß, wovon ich rede« oder: »Dieses Thema bereitet mir Sorgen, weil es unangenehme Folgen haben könnte. Was denkst du, wie könnten wir das gemeinsam lösen?« Es fehlen die Brücken zwischen den Generationen – auch die Jungen sind gespalten
Die Arbeit an diesem Buch hat mir selbst geholfen, mein eigenes Verhalten gegenüber jungen Menschen unter einer neuen Perspektive zu sehen. Denn die Generationen der »Digital Natives« und der »50plus« klaffen immer mehr auseinander. Lenny Goliasch: »Ich würde meinen Eltern und Großeltern gerne abgewöhnen, dass sie neue gesellschaftliche, technologische Entwicklungen zuerst, vor allem anderen, immer mit Ablehnung begegnen.« Die einen sind mit den Werten der »alten Schule«, wie Pünktlichkeit, Verlässlichkeit, Lernen tut man aus Erfahrung und Erfolg muss man planen, aufgewachsen. Die anderen leben in einer Welt der ständigen Veränderung, des Ausprobierens ohne fixen Lebensplan, des Stresses der vielen Möglichkeiten und der Gefahr des Verlorengehens in den virtuellen Welten. Die Konfliktlinien verlaufen freilich nicht nur zwischen den Jungen und Alten, sondern auch innerhalb der Generation der Jungen. Das Spannungsfeld Freiheit versus Gerechtigkeit polarisiert auch bei ihnen. Die gut gebildeten jungen Menschen agieren sehr sensibel in Fragen der Diskriminierung von Rasse, Geschlecht und Herkunft. Sie haben viel Verständnis für Minderheiten, die lautstark versuchen, ihren Anliegen öffentliche Aufmerksamkeit zu verschaffen, weil diese sonst nicht in der Mitte der Gesellschaft ankommen. Die Meinungsbildung erfolgt in ihrer eigenen Community und sie informieren sich primär über linksliberale Medien. Viele sehen die Marktwirtschaft sehr kritisch beziehungsweise lehnen diese als die Menschen und die Umwelt ausbeutenden Kapitalismus ab. Den Klimawandel empfinden sie als größte Bedrohung für die Menschheit, die man auch mit radikalen Methoden jenseits der parlamentarischen Demokratie bekämpfen muss. Politisch identifizieren sich die Gymnasiasten und Studenten am ehesten mit den Grünen. An zweiter Stelle kommen die Liberalen, in Deutschland die FDP, in Österreich die Neos. Eine kleine Minderheit wählt die extreme Linke. Im ideologischen Grundkonflikt über die Frage, ob eine Gesellschaft mehr die Freiheit des Einzelnen oder Gleichheit für möglichst alle garantieren soll, entscheidet sich die Mehrheit der Afraner und Popper-Schüler für Gleichheit. Dieser öffentlich sehr präsenten Gruppe stehen ihre weniger gebildeten Altersgenossen gegenüber, die sich ausgegrenzt und in ihren Lebenschancen benachteiligt fühlen. Sie sorgen sich eher um ihre persönliche Zukunft als um jene der Welt. Politisch tendieren sie zu rechtspopulistischen Parteien. Bio beim Einkaufen ist für sie und ihre Eltern oft nicht leistbarer Luxus, sie verzichten auf Flug- und Fernreisen nicht wegen dem Klimawandel, sondern aus Mangel an Geld. Diese kurze subjektive Einschätzung soll nur verdeutlichen, dass weder die Generation der Älteren noch die der Jungen durch einheitliche Werte geprägt ist, sondern die Konfliktlinien auch in Zukunft sowohl zwischen als auch innerhalb der Generationen verlaufen werden. Die Fähigkeit, die Kunst des echten Dialogs zu erlernen, statt sich in Diskussionen zu verstricken, wird daher für alle Generationen entscheidend sein, deshalb widme ich dem Thema auch ein eigenes Kapitel. Das Prinzip der verzögerten Kritik als Mittel gegen die hohe Säuglingssterberate neuer Ideen
»Erfahrung heißt gar nichts. Man kann seine Sache auch 35 Jahre schlecht machen.« Kurt Tucholsky, Schriftsteller Die Jungen wünschen sich, dass man ihnen vorurteilsfrei zuhört, sich in ihre Lage versetzt und ihre Ideen erst nach einer längeren Nachdenkzeit beurteilt. Dieser Ansatz ist keineswegs neu, sondern entspricht dem Prinzip der verzögerten Kritik. Jenes wurde vom Erfinder des Brainstormings, dem Mitbegründer der Werbeagentur BDO (heute BBDO) Alex Faickney Osborn bereits 1938 definiert. Er entwickelte das Brainstorming (Gehirnsturm), die am häufigsten und am häufigsten falsch angewendete Kreativitäts-Methode. Brainstorming ist nicht, wenn sich einige Leute fünf Minuten zusammensetzen und jeder sagt, was ihm gerade einfällt. Falsch eingesetzt führt Brainstorming zu enttäuschenden und vor allem konventionellen Ergebnissen. Osborn hat jahrelang Sitzungen analysiert und dabei die Hauptursachen für die Blockierung der Kreativität gefunden. Diese stimmen in verblüffender Weise mit der Kritik der Jungen von heute an der vorschnellen Bewertung ihrer Ideen überein. Osborn schlug einen Prozess vor, der diese Hemmnisse durch strenge Regeln ausschalten, innerhalb jener Regeln aber Raum für maximale gedankliche Freiheit schaffen sollte: Der Mensch neigt dazu, mit anerkannten Vorstellungen übereinzustimmen, darum ist jede Idee prinzipiell erlaubt, auch wenn sie scheinbar überhaupt nichts mit der Problemstellung zu tun hat. Der Mensch tendiert zu vorschnellen Urteilen, daher ist während des Prozesses jede Form von Kritik verboten. Der Mensch hat die Neigung zur Furcht, sich lächerlich zu machen, deswegen gibt es keine Sanktionen für »dumme Ideen« oder »blöde Bemerkungen«. Sie sind sogar ausdrücklich erwünscht. Der Mensch fürchtet Tadel und Kritik von Vorgesetzten, darum findet Brainstorming in einem hierarchiefreien Raum statt, wo weder formale Position noch Erfahrung eine Rolle spielen. Der Mensch hat Angst davor, dass eigene gute Ideen gestohlen werden, deshalb gibt es kein Besitzrecht an Ideen, die Gruppe agiert als Ganzes. Das Prinzip der verzögerten Kritik könnte ein hilfreiches Werkzeug sein, um den Dialog zwischen den Generationen in produktive Bahnen zu lenken. Denn es gibt ein natürliches Spannungsfeld zwischen schöpferischer Fantasie und kritisch-rationalem Urteilsvermögen. In der Kindheit und Jugend ist vor allem das affektive, kreative Potenzial gut...