E-Book, Deutsch, 288 Seiten
Sakowski Wege übers Land
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-8412-3663-0
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 288 Seiten
ISBN: 978-3-8412-3663-0
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der große DDR TV-Klassiker erstmals als E-Book.
Helmut Sakowski, der seit Jahrzehnten deutsche und besonders mecklenburgische Geschichte spannend und unterhaltsam erzählt wie kein anderer, legt nun den lang erwarteten Roman zu seinem erfolgreichen TV-Fünfteiler 'Wege übers Land' vor. In dem bewegten Schicksal der Gertrud Habersaat fand ein Millionenpublikum eigene Erfahrungen widergespiegelt: Nachdem die junge Frau, die immer von einem eigenen Hof geträumt hat, durch die Bodenreform endlich zu Land gekommen ist, wird sie zur couragierten Wortführerin der Einzelbauern, die nicht in die LPG eintreten wollen.
Helmut Sakowski wurde 1924 in Jüterbog geboren. Nach Kriegsende Besuch der Fachschule für Forstwirtschaft. Neben seiner Tätigkeit als Revierförster begann er zu schreiben und wurde vor allem als Verfasser von Fernsehromanen, Hörspielen und Bühnenstücken bekannt. Er starb 2005 in Pälitzhof in Mecklenburg.
Wichtigste Werke: Fernsehromane: Wege übers Land (1968); Daniel Druskat (1976). Romane: Verflucht und geliebt (1981); Wie ein Vogel im Schwarm (1984); Die Schwäne von Klevenow (1993); Schwarze Hochzeit auf Klevenow (1994); Wendenburg (1996); Die Erben von Klevenow (2000); Ein Herzog in Wendenburg (2000), in dem die Fortsetzung der Geschichte von Daniel Druskat erzählt wird, und Die Geliebte des Hochmeisters (2004).
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Erntedank
Der Herr war mit den Deutschen gewesen und hatte ihnen eine reiche Ernte beschert. Nach dem Blitzkrieg gegen Polen waren weite Landstriche in den Besitz des Reiches gelangt, und in keinem Jahr hatten die Bauern mehr Getreide eingefahren als während des Spätsommers neunzehnhundertneununddreißig.
Auch im mecklenburgischen Dorf Rakowen quollen die Scheuern über. Nun rüsteten die Leute zu Erntedank, als sollten Ostern und Pfingsten auf ein und denselben Oktobersonntag fallen. Das Gesinde wurde angetrieben, bis jede Fliese gescheuert, jedes Fenster geputzt, jeder Teppich ausgeschüttelt und selbst der Wirtschaftshof so blank gefegt worden war wie die Diele im Haus.
Die Kirche wurde vom Herbstputz nicht ausgenommen. Pastor Heilmann hatte das Gotteshaus lüften und schmücken lassen, jetzt leuchteten Sonnenblumen, Dahlien- und Asterngebinde im Abendlicht der Chorfenster, auf den Altarstufen zu Füßen des Gekreuzigten waren die Früchte der Felder und der Gärten ausgebreitet, und zu Ehren der Danksagung hingen blutrote Fahnen mit dem Hakenkreuz auf weißem Grund von den Giebeln vieler Häuser, die Pfarre nicht ausgenommen. Großer Gott, wir loben dich.
Bereits Tage vor der Feier zerrten die Knechte schlachtreife Kälber aus den Ställen, und die Hofherren wetzten die Messer. Auch die Mägde durften sich keine Ruhe gönnen, aber die Erwartung des Festes hielt sie bei Laune. Sie summten während der Arbeit, wanden die Erntekronen und schmückten sie mit bunten Bändern, rupften Federvieh, das in die Pfanne sollte, oder walkten den Kuchenteig mit kräftigen Fäusten.
Der Dorfbackofen stand seit alters neben einem Brunnen, dort, wo ein Teil der Schloßparkmauer von Adlig Rakowen an den Anger grenzte. Vor Erntedank kam er wieder zu Ehren und wurde schon am Freitag mit Bündeln von trockenem Buchenreis befeuert. Bald schritten die Hausmägde, eine hinter der anderen, heran, sie stemmten eine Hand in die Hüfte, während sie mit der anderen das runde Kuchenbrett auf dem Kopf in der Waage hielten, bis sie ihre Last vor dem Backhaus ins Gras setzen konnten. Zuletzt blieb nur noch eine Gasse zwischen den Kuchen, sie waren auch ungebacken eine Augenweide, Hefestücke, schuppenartig mit halbierten Pflaumen bestückt, die sich unter Butterstreuseln versteckten, geschnitzte Apfelscheiben, die im Sahnequark versanken. Noch war die Glut nicht ausgekehrt, die Mädchen mußten warten, Zeit also für ein Schwätzchen.
Jedes Haus erwartete Gäste von da oder dort, und was das schönste war, die ersten Soldaten würden aus dem Felde heimkehren, gierig auf junges Weiberfleisch. Vielleicht ist der Deine unter ihnen oder ein anderer, der dich zum Spaziergang holt und bald ins Gebüsch drängen will. Jedenfalls ist der Polenkrieg schon nach sechs Wochen siegreich zu Ende gegangen, und die Frau Gräfin Palvner auf Rakowen bekommt allerhöchsten Besuch, nämlich den neu ernannten Gouverneur von Krakau, einen Herrn von beinahe königlichem Rang. Der große Festsaal wird für den Ball geputzt. Wir werden im Dunkeln vor dem Schlosse stehen, auf die erleuchteten Fenster starren und uns wenigstens wiegen können zum Takt der Musik.
Weit hinter den übrigen Kuchenträgerinnen kam Irma zum Anger geschlendert, die Kleinmagd vom Leßtorffhof. Sie war ein schmächtiges Ding von fünfzehn Jahren mit hellen Augen und solch dicksträhnigem Haar, daß ihr die Zöpfe steif vom Kopfe standen. Das Mädchen galt als frech und querköpfig, und wie zum Beweis trug es den Kuchen nicht auf dem Haupt, sondern schaukelnd vor dem Bauche her und hob die Nase, während es sich dem Backhaus näherte.
In der Gasse zwischen den Blechen warf Irma den Freundinnen scherzhafte Worte zu, vertrat sich plötzlich und stand mit beiden Beinen in einem Pflaumenkuchen, der von der Mamsell der Gräfin Palvner herangetragen worden war. Als sie das ansehen mußten, schrien die Mägde in der hellen Schadenfreude und wischten sich lachend die Augenwinkel, bis sie der Kleinen zu Hilfe kamen. Sie nahmen der greinenden Irma das Brett vom Bauch, halfen ihr aus dem Hefeteig, schoben die zertretenen Pflaumen, so gut es ging, zurecht und beschworen die Schloßmamsell, den Unfall für sich zu behalten: Kein Wort zur Herrschaft! Irmas Herrin, die Gertrud Habersaat, war eine gestrenge Wirtschafterin, womöglich hätte sie dem armen Mädchen zur Strafe die Hände ins Gesicht geschlagen.
Der Leßtorffhof unterschied sich von anderen Anwesen in Rakowen durch den Umfang der Ländereien und die Stattlichkeit seiner Gemäuer. Das einstöckige ziegelrote Wohngebäude mit gewaltigem Gaubendach ähnelte einem Herrenhaus, es lag gesondert vom Geviert der Ställe und Scheunen, die den Wirtschaftshof begrenzten, und war über eine Freitreppe mit vorgelagertem Rondell zu erreichen, weit bescheidener zwar als die Auffahrt am Schloß von Adlig Rakowen, aber respektabel immerhin. Dieser Hof wurde von Gertrud Habersaat so umsichtig bewirtschaftet, daß die eingesessenen Bauern längst nicht mehr die Nase rümpften. Trotzdem zerrissen sich die Weiber das Maul. Die junge Frau war über die Mitte Zwanzig hinaus, hochgewachsen und genauso anzusehen, wie es dem blonden Frauenideal jener Jahre entsprach, und wer mit ihr redete, erfuhr von ihrem Sachverstand. Aber jedermann wußte, daß sie einem der halb verfallenen Katen ausgangs des Dorfes entstammte, die bei der Aufsiedlung des Rittergutes Rakowen der Gemeinde als Armenhütten zugefallen waren, und Tochter eines Tagelöhners war, der sich zu Tode gesoffen hatte. Auch ihre Mutter war im Gerede, weil sie nicht auf sich hielt und zuviel Kümmel trank. Viele Frauen neideten der Gertrud ihre Vorzugsstellung auf dem Leßtorffhof, und die alte, kranke Mutter des Erben, die den Wohlstand mit ihrem Heiratsgut begründet hatte, schätzte die Haushälterin am wenigsten und hielt sie gar für eine Erbschleicherin. Dabei arbeitete die Habersaat so, daß ihr keiner was ankreiden konnte. Sie ließ dem Gesinde keine Nachlässigkeit durchgehen, und die Gespannführer wagten es längst nicht mehr, Grünfutter oder Korn für die eigene kleine Hauswirtschaft abzuzweigen. Der Leßtorffsche Reichtum durfte nicht angetastet werden. Gertrud Habersaat war die gute Seele und die Herrin des Hofes, solange Jürgen Leßtorff eigene Wege ging, und das tat er schon seit vielen Jahren.
Der junge Leßtorff, ein Mann um die Dreißig, entsprach nicht dem Bilde, das man sich von einem Bauern macht. Man hätte ihn für einen Studierten halten können. Tatsächlich war er nach ein paar Semestern Landwirtschaft zum Oberleutnant der Reserve avanciert und später von den Behörden des Reichsnährstandes umworben worden. Vor Ausbruch des Polenkrieges hatte er allerdings wieder einrücken müssen. Gertrud Habersaat liebte diesen Mann, seit er sie nach dem überraschenden Ableben seiner Ehefrau auf den Hof geholt hatte. Um seinetwillen tat sie alles und erduldete manches. Sie freute sich, daß er unter den Soldaten sein sollte, die Erntedank nach Rakowen heimkehren durften, und erhoffte sich viel von diesem Wiedersehen. Sie hatte, wie Jakob in biblischen Zeiten, sieben Jahre um einen geliebten Menschen gedient, nun war es an der Zeit, daß er sich endlich entschied. Viele Frauen waren also der Gertrud Habersaat nicht sonderlich grün, dabei vermied sie es, viel von sich herzumachen, und kleidete sich nicht auffällig, vielleicht, daß ihre Bluse von feinerem Leinen als die der Mägde war, ihr Rock von besserem Zeug, das Berchtesgadener Jäckchen trug sie wie andere, die meinten, daß es dem Führer gefalle. Trotzdem hatte die Frau etwas Besonderes an sich durch die Art, wie sie ging oder sprach oder lächelte. Sie war schön, und die Männer verstanden, daß sich der stolze Jürgen Leßtorff ausgerechnet dieses Mädchen ins Bett geholt hatte.
Das Herrenhaus verfügte über viele Räumlichkeiten, darunter ein Zimmer, vollgestellt mit schönen alten Schränken, in denen die Bett- und Tischwäsche des Hofes aufbewahrt wurde, auch Geschirr und Besteck, das nur bei festlicher Gelegenheit auf den Tisch kam, die Schätze des Hofes also. Vor einem der geöffneten Schränke stand Gertrud Habersaat und reichte der kleinen Magd Leinen und Tücher zu. Die Betten sollten frisch bezogen werden.
Sie fragte: Was gab es für Neuigkeiten am Backhaus?
Die kleine Magd lachte. Das war ein schneller Krieg. Die Polen haben sich weismachen lassen, die Deutschen hätten keine richtigen Panzer, die wären bloß aus Pappe. Das haben die geglaubt und sind mit Pferden gegen die Panzer geritten, mit Lanzen aus Holz, wie im Mittelalter. So dumm sind die Polen. Das sind keine guten Soldaten. Wie die schon aussehen, komisch. Unsere finde ich schmuck.
Gertrud lachte. Was interessieren dich Soldaten, mit grade Fünfzehn.
Die Kleine meinte: Ich freu mich jedenfalls, daß der Krieg vorbei ist und es kommen wieder mal welche zum Tanzen ins Dorf. Mit Soldaten macht es Spaß.
Dich wird einer holen.
Wie Manöverball gewesen ist, ich kann Ihnen sagen. Hier hatte ich einen Knutschfleck und da. Sie zeigte in die Gegend ihres dünnen Halses, winkte prahlerisch ab. Und an ganz anderen Stellen, da hatte ich auch noch welche. Sie tippte kichernd an ihre Brust.
In deinem Alter wäre es besser, du würdest dir bei der Arbeit blaue Flecke holen. Nun geh schon, mach dich davon.
Irma hatte Lust, ihre Herrin ein wenig zu ärgern, sie zählte murmelnd noch einmal die Wäschestücke durch und meinte kopfschüttelnd: Ich wundere mich jedesmal, warum ich beide Betten beziehen muß, wo die Frau doch schon seit sieben Jahren auf dem Friedhof liegt und längst nicht mehr im Ehebett.
Verschwinde, rief Gertrud und ersparte sich einen...