E-Book, Deutsch, 256 Seiten
Sahrhage Kieslich muss sterben
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7557-2011-9
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Kommissar Helmke ermittelt
E-Book, Deutsch, 256 Seiten
ISBN: 978-3-7557-2011-9
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Februar 1949: Der ehemalige Bünder SS-Obersturmführer Paul Kieslich muss sich vor einem Bielefelder Geschworenengericht wegen seiner Beteiligung am Novemberpogrom 1938 verantworten. Unmittelbar nach seinem Freispruch wird Kieslich in einer Bielefelder Gaststätte ermordet. Kriminalkommissar Walter Helmke stellt sehr rasch fest, dass Kieslich durch Falschaussagen vor Gericht entlastet worden war. Der Kommissar fragt sich zunächst, ob es sich bei dem Mord um die Tat eines vom Prozessverlauf enttäuschten NS-Opfers handelt. Er gelangt aber nach einem weiteren Mord zu der Erkenntnis, dass mehr dahinterstecken muss. Bei seinen Ermittlungen trifft Helmke sowohl auf Opfer, aber auch auf Täter aus der Zeit des "Dritten Reiches". Mit historischer Genauigkeit beschreibt Norbert Sahrhage die langen Schatten der NS-Vergangenheit am Vorabend der Gründung der Bundesrepublik.
Norbert Sahrhage wurde 1951 in Spenge geboren. Er studierte an der Universität Bielefeld Geschichte, Sozialwissenschaften und Sport. Von 1979 bis 2015 arbeitete er als Lehrer an einem Gymnasium. Promotion 2004. Seit 2010 Veröffentlichung mehrerer Kriminalromane.
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2. Kapitel
Mittwoch, 26. Januar – Freitag, 28. Januar 1949 Bereits eine Viertelstunde vor Prozessbeginn waren die Zuhörerbänke im Saal 2 des Bielefelder Landgerichts gut besetzt. Einige der Anwesenden waren aus der Stadt Bünde nach Bielefeld gekommen, um mitzuerleben, wie über die Geschehnisse am Tag nach der sogenannten Reichskristallnacht in ihrer Heimatstadt geurteilt wurde. Der Prozess vor dem Schwurgericht begann mit der Vernehmung der beiden Angeklagten Landrat Weichert und SS-Obersturmführer Kieslich, denen vorgeworfen wurde, Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben. Am Richtertisch saßen der Vorsitzende des Schwurgerichts, Landgerichtsdirektor Dr. Huisken und die beisitzenden Richter Ambusch und Wesemann sowie sechs Geschworene, drei an der linken und drei an der rechten Seite des Richtertisches. Staatsanwalt Wering konfrontierte die beiden Angeklagten eingangs mit den ihnen zur Last gelegten Verbrechen. Weichert und Kieslich erklärten sich – flankiert von ihren Rechtsanwälten – für nicht schuldig. Dann wurden die Zeugen hereingeführt, die zur wahrheitsgemäßen Aussage ermahnt und über die Bedeutung des Eides sowie über die strafrechtlichen Folgen einer uneidlichen unrichtigen oder unvollständigen Aussage belehrt wurden. Die Zeugen hatten danach den Gerichtssaal wieder zu verlassen, damit sie nacheinander, in Abwesenheit der nach ihnen noch zu Befragenden, vernommen werden konnten. Dem Staatsanwalt ging es zunächst darum, den Ablauf des 10. November 1938 in der Stadt Bünde genau zu rekonstruieren, wobei er ein besonderes Augenmerk auf das Handeln der beiden Angeklagten an diesem Tage legte. Während sich die Täterschaft von Landrat Weichert durch die Zeugenaussagen sehr rasch zu bestätigen schien, tat sich Staatsanwalt Wering schwer damit, Kieslich eine Tatbeteiligung an dem Brand des Hauses der Familie Worms nachzuweisen. *** Erna Worms war die Hauptbelastungszeugin des Staatsanwaltes. Als sie den Gerichtssaal betrat, wirkte sie wegen der großen Zahl der Zuhörer etwas eingeschüchtert, fasste sich aber schnell. Staatsanwalt Wering erhob sich, setzte seine Brille ab und lächelte freundlich. „Frau Worms, schildern Sie dem Gericht bitte einmal die Geschehnisse am 10. November 1938!“ Erna Worms nickte, so als wollte sie sich damit noch einmal selbst vergewissern, die richtigen Aussagen zu machen. „Am Morgen des 10. November erschienen bei uns zwei Polizisten und haben meinen Mann und seinen Bruder verhaftet und mit auf die Polizeiwache genommen. Am Nachmittag saß ich zusammen mit meiner Schwägerin in der Küche, als plötzlich SS- und SA-Männer hereinkamen und damit anfingen die Wohnräume zu durchsuchen. Sie forderten uns auf, alle Waffen herauszugeben.“ Sie schüttelte den Kopf, offenbar um die Unsinnigkeit dieser Forderung zu unterstreichen. „Dabei besaßen wir überhaupt keine Waffen. Mein Schwager hatte nur eine alte Vogelflinte, mit der manchmal auf Spatzen schoss. Die haben die SS-Leute mitgenommen, nachdem sie die Wohnung demoliert hatten.“ Der Staatsanwalt unterbrach sie: „Haben Sie auch Herrn Kieslich gesehen? War er in Ihrer Wohnung?“ Erna Worms nickte. „Ja, er stand in unserem Flur und befehligte die Männer bei der Verwüstung des Hauses. Ich habe ihn gebeten, damit aufzuhören, er hat mich aber nicht beachtet.“ Wering ließ seinen Blick über die Geschworenen streifen, um sich zu vergewissern, dass sie die letzten Worte von Erna Worms zur Kenntnis genommen hatten. Dann fragte er seine Zeugin: „Wie ging es an diesem Tag weiter?“ „Nach der Durchsuchung unseres Hauses erschienen abermals Polizeibeamte. Meine Schwägerin, meine Tochter und ich mussten sie begleiten und sie brachten uns in die Villa der Familie Michelson, wo wir dauerhaft bleiben sollten. Hier hörten wir auch davon, dass unsere Synagoge zerstört worden war.“ Erna Worms machte eine kurze Pause, die folgenden Ausführungen schienen ihr nur schwer über die Lippen zu kommen. „In der Nacht wurde ich dann von Herrn Michelson geweckt, weil unser Haus brannte. Ich habe mich heimlich zu unserem Haus geschlichen und auch dort habe ich Herrn Kieslich gesehen. Nach meinem Eindruck hat er versucht, die Löscharbeiten zu behindern. Er schien auch Streit mit dem SA-Führer Teiling zu haben, der ebenfalls vor unserem brennenden Haus stand.“ Rechtsanwalt Büssing, Kieslichs Verteidiger, wandte sich an Richter Huisken: „Darf ich der Zeugin eine Frage stellen?“ Richter Huisken blickte zum Tisch des Staatsanwalts: „Herr Staatsanwalt, sind Sie damit einverstanden?“ „Ja, ich bin ohnehin mit meinen Fragen durch.“ Büssing stand auf. Er blickte Erna Worms freundlich an. „Frau Worms, gibt es Zeugen dafür, dass Herr Kieslich in Ihrem Haus war?“ Erna Worms nickte. „Ja, meine Schwägerin war dabei, als ich mit ihm gesprochen habe. Sie und ihr Mann sind aber im Konzentrationslager Stutthof ermordet worden.“ Büssing lächelte jetzt provozierend. „Der SA-Führer Teiling ist ja inzwischen auch verstorben. Sehr seltsam, dass Ihre Gewährsleute alle nicht mehr leben.“ Staatsanwalt Wering sprang auf. „Was wollen Sie damit sagen?“, fragte er etwas lauter als nötig. „Na ja, Herr Kollege“, sagte Büssing etwas süffisant, „weitere Zeugen für die Aussagen der Frau Worms scheinen ja nicht mehr da zu sein. Das erscheint doch etwas sehr dünn.“ Wering zwang sich zur Ruhe. „Das sollten Sie erst einmal abwarten.“ Büssing wandte sich wieder an Erna Worms. „Frau Worms, wo wohnen Sie?“, fragte er. „In Bünde, in der Winkelstraße.“ „In Ihrem Haus?“, fragte Büssing weiter. „Nein, Sie wissen doch, dass unser Haus in der Kristallnacht niedergebrannt wurde.“ Büssing nickte jetzt. „Ja, richtig. Wem gehört das Haus, in dem Sie zur Zeit mit Ihrem Mann wohnen?“ „Dem SS-Obersturmführer.“ Erna Worms zeigte auf die Anklagebank. Ein feines Lächeln umspielte die Lippen Büssings, als er sich an Staatsanwalt Wering wandte: „Ich gebe zu bedenken, dass Ihre Hauptzeugin ein großes Interesse an der Verurteilung meines Mandanten haben könnte, da sie mit ihrem Ehemann das Haus meines Mandanten bewohnt.“ Man konnte Erna Worms ansehen, dass sie am liebsten aufgesprungen und dem Rechtsanwalt an die Gurgel gegangen wäre. Sie ballte ihre Hände zu Fäusten, in ihren Augen standen Tränen der Wut. *** Ein weiterer wichtiger Zeuge für Staatsanwalt Wering war Josef Hunkemeier, ein älterer Rentner, der sich am 10. November 1938 in Sichtweite des brennenden Hauses der Familie Worms aufgehalten hatte. „Herr Hunkemeier, erzählen Sie dem Gericht, was Sie am Abend des 10. November 1938 gesehen haben“, forderte Wering den Rentner auf. Hunkemeier, dessen Alter man ziemlich genau an seiner gebeugten Körperhaltung ablesen konnte, räusperte sich und begann dann etwas unsicher zu sprechen. Vor so vielen Menschen zu reden, war ganz offenkundig nicht seine Sache. „Ich wohne in der Eschstraße, nur etwa 150 Meter vom abgebrannten Haus der Familie Worms entfernt. Ich hatte am 10. November abends bereits im Bett gelegen, als ich die Sirenen der Feuerwehr hörte.“ Hunkemeier blickte den Staatsanwalt an. Als der ihm zunickte, fuhr er fort: „Ich bin noch einmal aufgestanden, weil ich auch einen Feuerschein sah. Da ich nicht wusste, was passiert war, habe ich mich angezogen und bin nach draußen auf die Straße gegangen. Meine Frau ist in der Wohnung geblieben. Da habe ich das brennende Haus der Familie Worms gesehen.“ „Wie war Ihr Verhältnis zu der Familie Worms?“ „Wir kennen uns gut, wir sind ja fast noch Nachbarn ... Wir haben unsere Einkäufe immer in dem Laden von Wilhelm und Otto Worms gemacht.“ Der Staatsanwalt nickte. „Erzählen Sie weiter. Haben Sie an dem Abend Personen erkannt, die sich in der Nähe des brennenden Hauses befanden?“ „Ja, da waren der SA-Führer Teiling und der SS-Führer Kieslich, ich hatte den Eindruck, dass sie sich stritten. Jedenfalls habe ich das ihren Armbewegungen entnommen. Feuerwehrleute waren auch da. Ich habe auch den inzwischen verstorbenen Feuerwehrhauptmann Pöttering erkannt. Er hat die Löscharbeiten geleitet.“ „Damit dürfte klar sein“, wandte sich Wering an die am Richtertisch sitzenden Personen, „dass der SS-Obersturmführer Kieslich an den Geschehnissen in der Nacht von 10. auf den 11. November 1938 maßgeblich beteiligt war.“ Rechtsanwalt Büssing schüttelte den Kopf und meldete sich zu Wort. „Ich habe noch ein paar Fragen an den Zeugen.“ Richter Huiskens nickte und forderte ihn auf, seine Fragen zu stellen. „Herr Hunkemeier, wie alt sind Sie?“ „Ich bin letztes Jahr im Dezember 80 Jahre alt geworden.“ „Dann waren Sie zum Zeitpunkt des Brandes etwa 70 Jahre alt. Stimmt...




