E-Book, Deutsch, Band 1, 340 Seiten
Reihe: Faye Fox
Sagar Faye Fox 1. Eine Prise Wunder hilft bei jedem Fluch
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-98642-004-8
Verlag: Dressler
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 1, 340 Seiten
Reihe: Faye Fox
ISBN: 978-3-98642-004-8
Verlag: Dressler
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Andy Sagar hat in Cambrige Jura studiert - ein Fach, das ihm Spaß gemacht hat, auch wenn er in den Vorlesungen oft von den Geschichten träumte, die er eines Tages schreiben wollte. Seine Leidenschaft für die akademische Arbeit brachte ihn dazu, seine Doktorarbeit über die Rolle des Gesetzes bei der Hexenverfolgung zu schreiben, und diese Forschung hat ihn zu seinen Romanen inspiriert. Er wuchs in Yorkshire auf, umgeben von grünen Feldern und zahlreichen Kühen, und lebt jetzt in London (wo es weniger Kühe, dafür aber mehr Buchläden gibt).
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Träume von Freitag
Es war einmal ein Mädchen namens Freitag Fox, und ihr Name war noch nicht einmal das Merkwürdigste an ihr. Zum einen lebte und arbeitete sie in einem Wanderzirkus, obwohl sie erst zwölf Jahre alt war. Zum anderen hatte ihr Haar die Farbe von Kürbis, leuchtender als jedes Rot, das man je gesehen hat, wohingegen ihre Haut so bleich war, dass sie fast silbern wirkte.
Am merkwürdigsten war jedoch, dass sie anstelle normaler menschlicher Ohren Fuchsohren hatte, rötlich braun und an den Spitzen schwarz wie verkohltes Toastbrot. Sie lugten aus dem Wirrwarr ihrer Haare hervor, und obwohl sie im Augenblick noch eher klein waren, hätte jede Füchsin, die ihre Krallen wert war, vorhergesagt, dass sie später einmal prächtig sein würden.
Ihre Tage verbrachte Freitag damit, in der Ecke ihres Eisenkäfigs zu kauern und sich von den Zirkusgästen begaffen zu lassen, die viel Geld bezahlten, um das Mädchen mit den Fuchsohren zu sehen. Da schlief sie auch, auf einem Bett aus Stroh; da aß sie; da lebte und spielte und träumte sie, ohne Freunde, abgesehen von dem Esel, der ihren Käfig zog, wenn der Zirkus in eine andere Stadt weiterreiste.
»Guck dir mal diese Ohren an!«, sagte eine junge Dame im Publikum und tippte ihrem Ehemann auf die Schulter.
Freitag saß im gelben Schein eines Leuchtschildes, auf dem stand: Es fing an zu schneien, doch sie trug nichts weiter als ein einfaches weißes Kleid. Außerdem hatte sie sich, obwohl das gegen die Regeln verstieß, in eine zerlumpte braune Decke gewickelt.
»Die sind doch nicht echt, oder was meinst du?«, fuhr die Dame fort. »Die sind bestimmt angeklebt oder so.«
Der Herr beugte sich vor und studierte eingehend Freitags Ohren, so als wäre sie ein Ausstellungsstück im Museum und kein Mädchen mit Gedanken und Gefühlen und einem Herzen, das wehtun konnte. »Hm. Sehen für mich ziemlich echt aus.«
»Was für ein komisches kleines Ding«, sagte die Dame und konnte ein Schaudern kaum unterdrücken.
, dachte Freitag.
Doch sie hielt den Mund, denn die blauen Flecken auf ihrem Arm erinnerten sie daran, was beim letzten Mal passiert war, als sie jemanden aus dem Publikum beleidigt hatte.
Stattdessen versuchte sie die Stimmen zu ignorieren und in das einzige Buch abzutauchen, das sie besaß. Es war klein, kaum größer als ihre Hand, und mittlerweile fiel es fast auseinander. Der Titel auf dem Umschlag lautete , und darunter war ein Mann mit Libellenflügeln abgebildet.
Es war eine Art Bilderbuch, geschrieben wie ein Leitfaden zum Vögelbeobachten, aber eben für erfundene statt echte Lebewesen. Dennoch tat Freitag beim Lesen so, als existierten solche Wesen wirklich. Als gäbe es Flusstrolle, die unter Brücken lebten und zum Abendessen Moos und Zuckersaft schmausten. Als gäbe es Feen so groß wie Giftpilze, die auf die Welt kamen, sobald jemand sich verliebte. Als gäbe es Kobolde, die mit ihren Marktständen durch die ganze Welt reisten und ihre Waren im Tausch für erste Erinnerungen oder letzte Lebensjahre anboten.
Freitag schlug das Buch auf und verweilte kurz bei dem abgerissenen Stück Papier, das eigentlich die erste Seite gewesen wäre. Nur ein kleiner Fetzen in der Ecke war übrig, auf dem ihr Name stand, Freitag, und sonst nichts.
Das Buch, ihr einziger Besitz, war bei Freitag gefunden worden, als der Zirkusdirektor sie als Baby vor seinem Zelt entdeckt hatte. Freitag fragte sich oft, wer ihr das Buch hinterlassen und ihren Namen hineingeschrieben haben mochte und ob es dieselbe Person gewesen war, die sie ganz allein beim Zirkus ausgesetzt hatte. Doch Antworten auf solche Fragen zu finden war ein Luxus, der dem nicht zustand.
Den ganzen Abend lang saß Freitag da und las, bis schließlich ein mürrisch aussehender Mann mit Zylinder und einem schmuddeligen purpurroten Frack herüberkam und seinen Schlüssel ins Käfigschloss steckte.
»Fressenszeit, Fox«, knurrte Zirkusdirektor Skelm, der nicht gerade für seine freundliche Art bekannt war.
Fox war der Nachname, den er Freitag gegeben hatte, weil ihm nichts Besseres eingefallen war. Nicht dass er sich sonderlich bemüht hätte für dieses Mädchen, das niemand wollte.
»Ich hab keinen Hunger«, sagte Freitag, unwillig, von ihrem Buch aufzuschauen.
»Du tust, was man dir sagt, Mädchen«, befahl der Zirkusdirektor und bleckte die Zähne. »Oder es gibt drei Tage kein Abendessen für dich. Kapiert? Hörst du mir zu?«
Tatsächlich hörte Freitag kein bisschen zu. Sie war wieder einmal ganz in ihr Buch versunken. Außerdem hatte sie die immer gleiche fade Steckrübensuppe satt, die Skelm ihnen jeden Tag vorsetzte. Dafür lohnte es sich kaum aufzustehen.
»Kannst du gefälligst die Nase aus dem Ding nehmen!«, brüllte Skelm.
»Das Ding nennt man , Zirkusdirektor Skelm.« Freitag seufzte und blätterte um. »Vielleicht versuchen Sie’s ja eines Tages mal mit Lesen.«
Skelm fing an, höhnisch zu grinsen. »Du und dieses . Vergiss deine Träume und Geschichten«, sagte er zu ihr. »Mädchen wie du gehen nicht auf Abenteuerfahrt. Für euch gibt’s kein . Du bist nicht die feine Prinzessin, die das Herz des Prinzen gewinnt …«
Nachdenklich tippte Freitag sich ans Kinn. »Von mir aus. Was sollte ich überhaupt mit dem Herz eines Prinzen machen? Es an einer Halskette tragen? Wenn das Ihre Vorstellung von ist, können Sie sie gerne behalten. Außerdem ist es nicht Art von Buch.«
Skelm biss die Zähne zusammen. »Ist mir egal, welche Art von Buch es ist. Du gehörst diesem Zirkus, und mehr als eine Zirkusattraktion wirst du niemals sein.«
Freitag musterte ihn mit ihrem vernichtendsten Blick. »Und nie mehr als der Direktor eines schäbigen Zirkus, der kleine Mädchen schikaniert, nur um sich wichtig zu fühlen. Würden Sie jetzt bitte verschwinden?«, sagte sie leichthin und wandte sich wieder ihrem Buch zu. »Sie stehlen mir meine Lesezeit.«
Ein Moment quälender Stille trat ein, während Skelms Miene sich zu einer wütenden Grimasse verzerrte. »Siehst du, das hast du davon, dich so aufzuführen, du kleines Biest«, knurrte er schließlich. »Nichts, das hast du davon.« Damit verschloss er die Tür wieder, steckte den Schlüssel in seine Tasche und stapfte davon.
Freitag seufzte erneut, wieder einmal war sie eine Gefangene. Sie betrachtete die Welt außerhalb ihres Käfigs. Papierlaternen schimmerten zwischen den Zirkuszelten, Laternen, die in ihrer Fantasie Edelsteine im Schatz eines Drachen waren. Sie sah die verbliebenen Zirkusgäste zwischen den nach und nach schließenden Zelten herumtrödeln, die letzten kandierten Äpfel kaufen, die akrobatische Schlussdarbietung bewundern und die gähnende Madame Zufarru anbetteln, ihnen ihr Schicksal weiszusagen.
Bald würden sie sich wieder in ihr normales Leben in der Stadt Leidford-am-Luch begeben. Sie würden zurückkehren zu ihren normalen Häusern und Familien, ihrem warmen Abendessen und ihren behaglichen Betten.
Das Licht, das ihren Käfig anstrahlte, war erloschen, was das Lesen erschwerte. Freitag lehnte sich an die Käfigstangen. Sie betrachtete . »Vielleicht hätte ich auch ein normales Leben«, sagte sie zu sich selbst, »wenn ich nicht mit diesen albernen Ohren auf die Welt gekommen wäre.«
»Wieso meinen junge Leute eigentlich immer, zu sein würde all ihre Probleme lösen?«, fragte eine Stimme.
Freitag schreckte hoch. Sie sah sich um und versuchte herauszufinden, woher die Stimme kam.
»Und zwei Minuten später versuchen sie verzweifelt, zu sein«, sprach die Stimme weiter. »Ein Dasein voller Widersprüche ist eine bedauernswerte Art der Existenz, wenn Sie mich fragen.«
Freitag schaute hoch. Oben auf ihrem Käfig hockte ein Rabe, dessen weiße Federn im Mondlicht schimmerten.
»Wissen Sie denn nicht, dass es die Höflichkeit gebietet, zu antworten, wenn man angesprochen wird?«, tadelte der Rabe sie. »Das Niveau ist heutzutage nicht mehr das, was es einmal war. Wahrhaftig!«
Freitag starrte den Vogel an. , dachte sie. .
»Verzeihung«, sagte sie und ließ sich auf den Traum ein, »ich glaube, du hast gerade .«
»Über welch unglaubliche Beobachtungsgabe Sie verfügen!«, krächzte der Rabe. »Ich frage mich, welch große Entdeckung Sie als Nächstes machen werden. Möglicherweise sagen Sie mir, dass der Regen nass ist oder eine Sphinx in Rätseln spricht? Erheben Sie sich, augenblicklich, und besinnen Sie sich Ihrer Manieren.«
Widerwillig stand Freitag auf. »Stell mich doch als dumm hin, soviel du willst. Aber man begegnet schließlich nicht jeden Tag einem sprechenden Raben!«
»Ein Rabe, na, so was!«, wetterte der Vogel. »Ich mag als Rabe geboren worden sein – wir alle haben eine Vergangenheit –, doch nun bin ich viel mehr als das. Ich bin ein und muss darauf bestehen, dass Sie meinen Titel achten. Es bedarf allerlei Qualifikationen der Königlichen Akademie, um ihn zu erhalten. Und übrigens habe ich auch einen Namen – und zwar einen sehr schönen. Ich heiße Madrigal.«
»Oh, klar. Na, also, tut mir leid, aber das hätte ich wirklich nicht wissen können«,...