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E-Book

E-Book, Deutsch, Band 55, 277 Seiten

Reihe: Pulp Master

SaFranko Amerigone


1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-946582-23-6
Verlag: PULP MASTER
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, Band 55, 277 Seiten

Reihe: Pulp Master

ISBN: 978-3-946582-23-6
Verlag: PULP MASTER
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Für den Hightechmanager Parker Saturn beginnt der sonnige Septembertag in New York etwas ungewöhnlich. Der ihm bis dato unbekannte Kollege Iwan Rubleski aus der Niederlassung an der Westküste hat ihn zu einer Besprechung in ein Hotel in Manhattan bestellt. Trotz einer quälenden Migräne fühlt Parker sich fit für einen langen Arbeitstag mit anschließendem Geschäftsessen und einer Tour durch die Nachtlokale. Doch es kommt alles ganz anders: Rubleski führt sich plötzlich auf, als hätte er jahrelang im New Yorker Schlachthof gearbeitet. Der Eindruck eines außer Kontrolle geratenen Gulag-Golems verstärkt sich, als Rubleski Parker seine Lebens- und Todesphilosophie erklärt und immer wieder an blutigen Beispielen eindrucksvoll demonstriert, wie der neoliberale Raubtierkapitalismus der USA ausgelebt werden sollte. AMERIGONE ist mehr als eine tiefschwarze Tragikomödie, denn hinter der Fassade dieses spannungsgeladenen Thrillers verbirgt sich eine weitere Dimension: Jenseits der Gewalt wird die Tragik des amerikanischen Traums transparent, der, konsequent zu Ende gedacht, durch Fehlen jedweder Empathie und Solidarität in die Katastrophe führen muss.

Die zahlreichen Romane und Erzählungen des 1950 in Trenton, New Jersey, geborenen Mark SaFrankos haben vor allem in Europa begeisterte Kritiken hervorgerufen und Kultstatus erlangt. Hating Olivia wurde kürzlich für den Prix Rive Gauche à Paris nominiert und auch in Italien veröffentlicht. Im Jahr 2018 wurde SaFranko zum ersten Autor mit internationaler Residenz an der Université de Lorraine ernannt. Dort wurden auch seine Gemälde ausgestellt. Er selbst versteht sich zudem als Dramatiker, Komponist und Musiker. Mark SaFranko lebt in New Jersey und verbringt einen Teil seiner Zeit inzwischen in Frankreich.
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Der Wirklichkeit ist mit der Logik nur zum Teil beizukommen.
—- Friedrich Dürrenmatt
Die Straße nach Nirgendwo
Eigenartigerweise bittet mich Rubleski nicht, ihm zu sagen, wie er fahren soll – wobei ich auch gar nicht wüsste, wohin ich ihn lotsen sollte, wenn er es wollte.
»Wo fahren wir hin? Rubleski? Wo fahren wir hin, verdammt noch mal?«
Er macht sich nicht die Mühe, mir zu antworten. Wie üblich setzt er nur sein dämliches Grinsen auf, wie ein Familienvater, der seine Kinder überraschen will. Mit Sicherheit führt er etwas im Schilde. Daran lässt die Entschlossenheit in seiner Miene keinen Zweifel.
Je weiter wir uns von der Insel Manhattan entfernen, desto weniger vertraut ist mir die Umgebung, hauptsächlich ein Labyrinth aus Unter- und Überführungen, Highways und Brücken. Jersey City, Harrison, Newark, eine Stadt nach der anderen zieht in einem trostlosen grauen Einerlei an uns vorbei. Es sind Orte, die ein New Yorker wie ich nicht kennt und auch nicht kennenlernen will ...
Andererseits kann ich nicht leugnen, dass ich umso entspannter werde, je weiter wir uns vom Schauplatz von Rubleskis Verbrechen entfernen. Zugleich ist mir klar, dass dies eine Illusion ist. Inzwischen ist die Welt nämlich ein sehr kleiner Ort. Dank der Wunder der Technologie, für die ich zum Teil selbst verantwortlich bin, lässt sich jedes lebendige menschliche Wesen irgendwie orten. Dennoch gilt nach wie vor, dass viele Menschen, die einen Mord begangen haben, es schaffen, dem angeblich so langen Arm des Gesetzes zu entkommen, in manchen Fällen, ungeachtet aller technologischen Möglichkeiten, sogar für immer. Man denke nur an Gestalten wie den West Mesa Bone Collector, den Long Island Killer und den Highway of Tears, um nur ein paar zu nennen ...
Was denke ich da gerade? Ich bin nicht wie Rubleski. Ich bin ganz und gar nicht wie er. Ich habe nichts zu tun mit ihm oder seiner grausigen Unterwelt oder dem, was er getan hat. Was mir an diesem unsäglichen Tag zugestoßen ist, ist nichts anderes als unglaubliches Pech. Ist es das wirklich? Ist der Mord an dem armen, unglückseligen Dominic etwas, das ich mir in einem dunklen Keller meiner Seele – wo auch immer dieser Ort sein mag — insgeheim gewünscht habe? Der Gedanke atomisiert mich.
Und unwillkürlich denke ich, dass Alana und meine Kinder in diesem Moment unter der angenehmen Wolke eines Märchens leben, unter einem flauschigen weißen Wattebausch, der sich schwarz verfärben und in einen rasenden Wirbelsturm verwandeln wird, wenn sie erfahren, in was ich da geraten bin.
Gleichzeitig kann ich nicht leugnen, dass ein Hochgefühl in mir aufgeflackert ist. Warum? Die Erklärung ist eigentlich ganz einfach: Freiheit. War ich denn jemals wirklich frei? Schule um Schule um Schule, dann Uni und Karriere, anschließend Frau und Kinder. Das alles war eigentlich ganz schön, sogar mehr als das, und nach gängigen Maßstäben habe ich großes Glück gehabt, aber war ich jemals wirklich lebendig, stand jemals alles Spitz auf Knopf für mich?
Dieses abwegige Aufflackern von Euphorie heißt nicht, dass ich mich wirklich in dieser Lage befinden will – keinesfalls. Es war nur ein flüchtiger Gedanke, mehr nicht. Jedenfalls versuche ich, mir das einzureden, weil es das ist, was ich mir einreden soll. Nein, oberstes Gebot ist nach wie vor, eine Möglichkeit zu finden, Rubleski zu entkommen. Das habe ich keineswegs aufgegeben. Vielleicht stehen meine Chancen außerhalb der Stadt sogar besser. Auch das muss ich mir einreden.
»Wo sind wir eigentlich?«, blaffe ich heraus.
Hinter der Windschutzscheibe hat die Sonne ihren täglichen Abstieg zum westlichen Horizont angetreten. Die dichtbesiedelten Gebiete um New York weichen nach und nach einem anderen Ambiente: öde Einkaufsstraßen mit den üblichen Geschäften, von Kleidungsdiscountern bis zu Delis, Reihen von eintönigen Gartenwohnungen, eine Mixtur aus Wertstoffhöfen, Bürogebäuden, Tankstellen, Reparaturwerkstätten und kleinen Supermärkten.
»Keine Ahnung, und es interessiert auch niemand, Parker. Das ist doch gerade das Schöne daran!«
Seine Blicke schießen hektisch durch die Gegend, als hielte er nach etwas Ausschau. Gleichzeitig hört er nicht auf, sich ohne Punkt und Komma über alle nur erdenklichen Themen von Sport bis Politik auszulassen. Auf welcher Seite steht er bei Letzterer? Schwer zu sagen.
»Du solltest dir mal die Mühe machen, die Nachrichten von der anderen Seite des Atlantiks zu lesen, Parker. Trotz all eurer Fortschrittlichkeit in Sachen Smartphone-Prozessoren kommt ihr Amerikaner für den Rest der Welt ganz schön unreif rüber.«
»Dessen bin ich mir durchaus bewusst.«
»Liest man die Meldungen aus Amerika, möchte man fast meinen, dass dieser ganze Quatsch mit sexueller Belästigung und Niederknien bei Footballspielen und Polizeigewalt und Abreißen von Standbildern toter weißer Männer tatsächlich wichtig für euch ist! Auf der anderen Seite des Atlantiks erweckt das aber eher den Eindruck, dass ihr nur ein Haufen verwöhnter Fratzen seid! Wie Kinder, die keine Ahnung vom Leben haben!«
»Jetzt übertreiben Sie aber, Rubleski!«
»Nein, das meine ich vollkommen ernst. Wenn ihr Amerikaner jemals unter einem wirklich repressiven System leben müsstet, wärt ihr komplett aufgeschmissen! Nimm doch mal Venezuela, Nordkorea, den Kongo – keiner von euch verwöhnten Delikatnijs würde an so einem Ort auch nur einen Tag überleben!«
Damit hat er nicht unbedingt unrecht, aber trotzdem fühle ich mich in meinem Nationalstolz verletzt, von dem ich bisher gar nicht wusste, dass ich ihn habe.
»Wer würde auch in so einem Drecksloch von Land leben wollen?«, keife ich zurück. »Vielleicht hätten Sie lieber auf der anderen Seite des Atlantiks bleiben sollen.«
»Keiner von euch Amerikanern weiß, was es heißt, mit richtigen Problemen konfrontiert zu sein ... Wenn eure so genannten Möchtegernrevoluzzer und Anarchisten unter einem wirklich totalitären Regime leben würden, wo angeblich alle ›gleich‹ gemacht worden sind, würden sie zerbröseln wie Käsecracker! Ihr Heulsusen hattet es alle viel zu einfach im Leben, das ist euer Problem ...!« Das Wageninnere ist erfüllt von dem Dampf, den Rubleski ablässt. Als er endlich die Klappe hält, wende ich mich ihm zu.
»Woher kommen Sie? Jetzt mal ohne Scheiß.«
»Habe ich dir nicht gesagt, dass das keine Rolle spielt?«
»Hören Sie endlich auf, dieser Frage auszuweichen. Ich will es wissen. Vielleicht verstehe ich dann besser, was das alles hier soll.«
Das ist ein Ansatz, mit dem ich es bisher noch nicht versucht habe: direkte, ehrliche Kommunikation, von Mann zu Mann, ohne Ärger oder Tücke.
»Ich bin Weltbürger, Parker! Und alles, was zählt, ist, dass ich weiß, was ich sehe ... Aber versteh mich nicht falsch: Ich liebe Amerika! Was für ein Land! Amerika, das Ein und Alles, das Alpha und Omega! Das Unvergleichliche!«
Ich blicke aus dem Fenster auf die normale Welt hinaus. Nein ... es funktioniert nicht. Es war dumm von mir, das zu glauben.
Plötzlich bleibt mir die Luft weg. Auf meinen Handflächen hat sich ein Schweißfilm gebildet. In diesem Auto mit dem unaufhörlich labernden Rubleski festzusitzen, hat mich unterschwellig in heftige Klaustrophobie versetzt. Wenn ich nicht bald mit einem normalen Menschen in Kontakt komme, verliere ich noch den Verstand.
»Hören Sie, Rubleski ... könnte ich mal mit Ihrem Handy telefonieren? Ich muss meine Frau anrufen.«
Ohne Zögern holt Rubleski das Telefon aus seiner Jackentasche und reicht es mir.
Ich drücke auf die Buttons, aber das blöde Ding funktioniert nicht. Sogar die übliche Anzeige auf dem Display, dass der Akku leer ist, erscheint nicht.
»Was soll dieser Scheiß, Rubleski?«
Ich drehe das Handy herum und entferne die Abdeckung: kein Akku.
»Was sollen diese Spielchen, Mann?«
»Reg dich ab, Parker. Durch das Entfernen des Akkus setzt man das Ding außer Betrieb. Wenn es keinen Akku hat, kann es nicht geortet werden. Hast du das etwa nicht gewusst?«
»Verdammte Scheiße!«
»So was solltest du eigentlich wissen, mein Freund.«
Inzwischen steht völlig außer Frage: Nur er kann dieses Arschloch sein, das mir in dem New Yorker Restaurant das Handy geklaut hat.
»Ich bin doch nicht blöd – natürlich weiß ich, dass man einen Akku braucht. Warum geben Sie mir dann ein unbrauchbares Handy? Wie soll ich damit...


Die zahlreichen Romane und Erzählungen des 1950 in Trenton, New Jersey, geborenen Mark SaFrankos haben vor allem in Europa begeisterte Kritiken hervorgerufen und Kultstatus erlangt. Hating Olivia wurde kürzlich für den Prix Rive Gauche à Paris nominiert und auch in Italien veröffentlicht. Im Jahr 2018 wurde SaFranko zum ersten Autor mit internationaler Residenz an der Université de Lorraine ernannt. Dort wurden auch seine Gemälde ausgestellt. Er selbst versteht sich zudem als Dramatiker, Komponist und Musiker. Mark SaFranko lebt in New Jersey und verbringt einen Teil seiner Zeit inzwischen in Frankreich.



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