E-Book, Deutsch, Band 15, 700 Seiten
Sälter NS-Kontinuitäten im BND
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-8412-3101-7
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Rekrutierung, Diskurse, Vernetzungen
E-Book, Deutsch, Band 15, 700 Seiten
Reihe: Veröffentlichungen der UHK zur BND-Geschichte
ISBN: 978-3-8412-3101-7
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wie braun war der BND?
Die Integration von Mitarbeitern aus verschiedenen Institutionen des Dritten Reichs in den Bundesnachrichtendienst war lange ein Gegenstand von Spekulationen. Auf Basis umfangreicher und bislang unzugänglicher Quellenbestände kann Gerhard Sälter zeigen, dass die Verantwortlichen im BND tatsächlich kein Bewusstsein vom verbrecherischen Charakter der NS-Diktatur besaßen. Für ihren Geheimdienst rekrutierten sie seit 1946 zielstrebig teils schwer belastete NS-Täter. So schufen sie eine bis in die achtziger Jahre wirkende schwere Belastung, deren Ausmaß sie jedoch verbergen konnten. Belastete Mitarbeiter bildeten Netzwerke über den BND hinaus, engagierten sich in rechtsextremen Organisationen und begründeten im BND eine Behördenkultur, in der NS-Ideologeme lange fortwirkten.
Gerhard Sälter, Jahrgang 1962, Historiker, 2000 Promotion. Seit 2000 wissenschaftlicher Mitarbeiter der Gedenkstätte Berliner Mauer; von 2012 bis 2016 Mitarbeiter der Unabhängigen Historikerkommission zur Geschichte des BND; seitdem Leiter der Abteilung Forschung und Dokumentation der Stiftung Berliner Mauer. Zahlreiche Veröffentlichungen, u. a. zum Ministerium für Staatssicherheit und zur Berliner Mauer, zur Geschichte der Geheimdienste und des BND.
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I. NS-Kontinuitäten aushandeln (1946 – 1956)
Der in wenigen Jahren erfolgte Aufbau der Organisation Gehlen folgte zunächst Strukturen aus Kriegstagen und nutzte Möglichkeiten der Umbruchzeit nach 1945. Aufbau und Personalrekrutierung erfolgten in einem politischen Feld, in dem die Einstellung belasteter Personen ausgehandelt werden musste. In den internen Selbstvergewisserungsdebatten und bei den Aushandlungsprozessen mit den US-Amerikanern zeichnete sich früh ab, dass die Problemwahrnehmung hinsichtlich der NS-Kontinuitäten in der Organisation Gehlen und bei den Kontrollinstanzen sehr unterschiedlich ausgeprägt war.
1. Akteure, Perioden und Strukturen: Eine Übersicht
Nach dem Wechsel von George S. Patton zu General Lucien K. Truscott im Kommando der 3. US-Armee und als Militärbefehlshaber in Bayern begann sich das Verhältnis zum sowjetischen Verbündeten zu ändern. Seit dem Sommer 1946 dehnte ihr Nachrichtendienst, der G 2-Dienst, seine Unternehmungen nach Osten aus. Amerikanische Geheimdienste (Strategic Services Unit–SSU, CIC und G2-Dienst) begannen, Informationen über die sowjetischen Streitkräfte in Ostdeutschland zu sammeln.1 Für Deutschland war ab Mai 1945 das 970th CIC Detachment zuständig, 1948 umbenannt in 7970th und 1949 in 66th CIC Group, für Österreich das 430th Detachment.2 In diesem Zusammenhang warben sie in wachsender Zahl deutsche »Fachleute« an.
Im Frühjahr 1946 begann der Abwehroffizier Hermann Baun, im Auftrag des G 2-Stabs der US Army einen deutschen Geheimdienst aufzubauen. Oberstleutnant Baun war Kommandeur der Leitstelle I Ost für Frontaufklärung gewesen. Diese hatte frontnah Informationen für die Heeresgruppen an der Ostfront beschafft. Baun arbeitete mit Oberstleutnant Gerhard Wessel zusammen, zuvor Stellvertreter Gehlens, dann Leiter der Abteilung Fremde Heere Ost (FHO) im Generalstab des Heeres. Diese Diensteinheit hatte die eingehenden Meldungen ausgewertet und daraus ein Lagebild der Ostfront gefertigt. Wessel verstand sich als Verbindungsoffizier zu General Reinhard Gehlen, dem im April 1945 entlassenen Leiter der FHO, der 1945 als Kriegsgefangener in die USA verbracht worden war. Bauns Intelligence Collecting Organization (ICO) hieß bei der US Army zuerst »Operation X« und erhielt dann den Decknamen »Operation Rusty«, nach außen war sie als Technical Intelligence Branch (TIB) legendiert.3
Die im Gefangenenlager Oberursel (die ersten Mitarbeiter waren noch Kriegsgefangene) entstehende Beschaffungsabteilung (interne Tarnbezeichnungen nacheinander: 7, 31, 50, 124, 580) leitete anfangs Baun selbst.4 Nach der Rückkehr Gehlens 1946 kam es zu Konflikten um die Leitung, die Gehlen mit der Kaltstellung und Entlassung Bauns für sich entschied. Nach dem Ausscheiden Bauns wechselten die Leiter der Beschaffung in schneller Folge. Im April 1947 übernahm der Generalstabsoffizier Oberst Hans-Jürgen Dingler die Leitung, der im April 1948 vom Abwehroffizier Walter Schenk abgelöst wurde. Sein Stellvertreter, der Generalstabsoffizier Oberst Conrad Kühlein, trat im Januar 1952 an seine Stelle. Seit 1956 war die Leitung aufgegliedert in einen Führungsbeauftragten Beschaffung und einen ihm unterstellten Abteilungsleiter. Führungsbeauftragter wurde zunächst der Generalstabsoffizier Oberst Lothar Metz und dann Oberst Heinz D. Herre, 1943 kurzfristig bei FHO, danach Stabschef der Wlassow-Armee und seit 1946 ein enger Mitarbeiter Gehlens. An die Beschaffungsabteilung lagerten sich Diensteinheiten für Sichtung und Auswertung an, dann weitere Verwaltungsdiensteinheiten. Daraus entstand die Zentrale der Organisation Gehlen, die planende, leitende und kontrollierende Aufgaben hatte. Sie zog im Dezember 1947 in die frühere Rudolf-Heß-Siedlung in Pullach bei München.5
Die eigentliche Spionagetätigkeit wurde außerhalb der Zentrale organisiert. Dafür entstanden sechs bis zwölf Außenorganisationen, die sich zunächst in Süddeutschland, später in der ganzen Bundesrepublik ansiedelten. Diese uneinheitlich aufgebauten Dienststellen gliederten sich in Hauptresidenturen, Residenturen und Außenstellen. Häufig arbeiteten mehrere Dienststellen im selben Feld, weshalb es selten eindeutige Zuständigkeiten gab. Ihre Leiter agierten in den ersten Jahren relativ selbständig, was sich 1956 zu ändern begann, als sie an Bedeutung verloren. Gelegentlich wurden in den ersten Jahren bereits bestehende Organisationen, etwa Exilantengruppen aus Osteuropa, en bloc als Außenorganisationen der Organisation Gehlen angeschlossen, wobei deren Leitung nicht immer wusste, welche politischen Ziele diese verfolgten. Die Dienststellen des Außenbereichs waren zuständig für den Einsatz der Agenten in den Einsatzländern, anfangs vor allem die Sowjetische Besatzungszone (SBZ) bzw. die DDR und weitere Ostblockländer.6
Die Leitung der Organisation Gehlen überwachten bis 1956 amerikanische Stäbe. Verantwortlich war zunächst der Heeresnachrichtendienst G 2, 1949 übernahm die CIA ihre Finanzierung und Leitung, die nun »Zipper« hieß.7 Chef des Leitungsstabes wurde Colonel James H. Critchfield, der vor der Übernahme 1949 die Begutachtung für die CIA vorgenommen hatte. Critchfield blieb bis 1956, als die Organisation in den Dienst der Bundesregierung übernommen wurde.8 Danach gab es zwar noch einen Verbindungsstab der CIA in Pullach, zeitweilig in München, aber die Dienstaufsicht führte seitdem das Bundeskanzleramt. Damit endete eine Periode in der Geschichte des Dienstes, in der er bundesdeutschem Recht weitgehend entzogen war.
Seit 1946 baute Kurt Kohler eine Sicherheitsabteilung in der Zentrale auf (Tarnchiffren: 7.T.III, 34.7.III, 31.III, 40, 122, 507, 104, MBK, 333). Sie war zuständig für Spionageabwehr, Gegenspionage, Eigensicherung und die Führung verschiedener Personenkarteien. Durch ihre Berichterstattung über vermeintliche kommunistische Subversion heizte sie antikommunistische Ängste bei den Amerikanern und bei den politischen Eliten der Bundesrepublik an, wodurch sie erheblich dazu beitrug, die Finanzierung der Organisation Gehlen und des BND langfristig zu sichern. Ihre Tätigkeit ist gekennzeichnet durch eine weite Auslegung des Begriffs »Gegenspionage« und eine unprofessionelle Informationsbewertung. Die selbstgestellte Aufgabe der Abwehr kommunistischer Subversion ließ sie in der ausgreifenden Inlandsspionage aktiv werden. Dieser Abteilung in der Zentrale arbeiteten Referate in den Außenorganisationen zu; die Außenorganisation in Karlsruhe (114, GV L, 150, 142, 442) hatte sich ganz darauf spezialisiert.9 Aus dieser Abteilung wurden später zwei Diensteinheiten ausgegliedert, die für die Sicherheit der Zentrale (personelle Sicherheit) und im Außenbereich (operationelle Sicherheit) zuständig waren.
Eine Besonderheit des BND waren seine »Sonderverbindungen«. Dieser Personenkreis war unspezifisch definiert. Gehlen betont in seinen Memoiren, dass ein Geheimdienst im Inland »Verbindungsleute« benötige, die in seinem Dienst »Sonderverbindungen« genannt würden. Diese habe er sich »in allen Bereichen des öffentlichen Lebens« gesucht, was gelegentlich als »innenpolitisches Interesse missdeutet worden« sei. Dazu hätten »Freunde und Förderer« aus »dem journalistischen Bereich« gehört, die er im Rahmen »vernünftig gesteuerter« Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit eingesetzt habe.10 Es handelte sich um einen politischen Freundeskreis, den Gehlen und seine leitenden Mitarbeiter um sich sammelten, wobei der Begriff fallweise politische Einflussagenten, freundlich gesinnte Lobbyisten, Hinweisgeber nahe den Schaltstellen der Macht, Journalisten und Redakteure, manchmal aber auch nur besondere Agenten und V-Leute bezeichnete. Diese Personen lassen sich weder eindeutig gegen die hauptberuflichen Mitarbeiter noch gegen die fallweise beschäftigten Agenten (oder V-Leute) abgrenzen. In den »Sonderverbindungen« bildet sich ein politisches Beziehungsgeflecht Gleichgesinnter ab, das Gehlen selbst und der Abwehroffizier Hans-Ludwig von Lossow dirigierten. 1949 folgte General Horst von Mellenthin (35) – auch er gehörte zum inneren Führungszirkel – auf Lossow, und im Mai 1952 Oberst Wolf von Kahlden, zuvor Leiter der Außenorganisation Frankfurt (GV H). 1953 wurde die Diensteinheit für die Sonderverbindungen aufgelöst, die Zuständigkeit dafür wanderte in den Strategischen Dienst und zum Stab Gehlens.11
Der Strategische Dienst wurde 1951 als Sonderdienst zur Unterrichtung des Bundeskanzlers über Entwicklungen in der Bundesrepublik, in Westeuropa und den USA begründet. Er war ein innerhalb der Organisation besonders abgeschotteter Dienstzweig. Finanziert wurde er von der Bundesregierung, teilweise vom Presse- und Informationsamt, wahrscheinlich ergänzt aus den Reptilienfonds des Kanzlers. Sein Leiter war bis zu seiner Auflösung 1968 Oberst Wolfgang Langkau. Intern hieß dieser Dienstbereich »Archiv«, Langkau firmierte als »Archivrat« und Gehlen, der sich sonst »Doktor« nennen ließ, hieß dort »Professor«. Dieser Dienstzweig war auf Spionage im Inland und in befreundeten westlichen Nachbarstaaten spezialisiert.12
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