E-Book, Deutsch, 222 Seiten
Reihe: Praxis der Psychotherapie von Persönlichkeitsstörungen
Sachse / Kramer Klärungsorientierte Psychotherapie von Persönlichkeitsstörungen
2., überarbeitete und ergänzte Auflage 2023
ISBN: 978-3-8444-3243-5
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 222 Seiten
Reihe: Praxis der Psychotherapie von Persönlichkeitsstörungen
ISBN: 978-3-8444-3243-5
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Das Buch liefert einen Überblick über grundlegende Konzepte von Persönlichkeitsstörungen und von psychotherapeutischen Strategien für deren Therapie. Ausgehend vom Modell der doppelten Handlungsregulation werden elementare Interventionsmethoden im Rahmen der Klärungsorientierten Psychotherapie behandelt: Komplementäre Beziehungsgestaltung, Konfrontationen, therapeutischer Umgang mit Spielen und Spielstrukturen, Klärung und Bearbeitung von Schemata, Umgang mit Komorbiditäten. Auch diagnostische Konsequenzen aus dem Modell werden erläutert. Der Schwerpunkt liegt auf der Vermittlung psychologisch fundierter, in der Praxis bewährter Vorgehensweisen, mit deren Hilfe die Therapie von Persönlichkeitsstörungen effektiv gelingen kann.
Die überarbeitete Neuauflage des Bandes wird durch die Darstellung von Forschungsergebnissen zur klärungsorientierten Psychotherapie und von Ergebnissen aus der Prozessforschung ergänzt.
Zielgruppe
Psychotherapeut_innen, Psychiater_innen, Klinische Psycholog_innen, Studierende der Psychologie.
Autoren/Hrsg.
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|13|1 Was sind Persönlichkeitsstörungen?
In diesem Kapitel wollen wir darlegen, was wir unter Persönlichkeitsstörungen verstehen und welche Aspekte wir für zentral halten; wir wollen dabei keinen allgemeinen Diskurs über Persönlichkeitsstörungen führen und auch nicht theoretische Konzepte diskutieren. Wir wollen vielmehr den Rahmen abstecken für das, was wir in diesem Buch erörtern wollen. 1.1 Beziehungsstörungen
Wir wollen in diesem Buch ein psychologisch fundiertes Konzept von Persönlichkeitsstörungen vorstellen: Ein Konzept über die „Funktionsweise“ und ein Konzept über die Therapie von Persönlichkeitsstörungen. Wir wollen hier nicht Theorien darstellen und diskutieren. Dazu verweisen wir auf: Haltenhof et al. (2009); LeLord & André (2009); Magnavita (2004); Millon (1996); Oldham et al. (2005); Trautmann (2004). Persönlichkeitsstörungen (PD) sind komplexe Störungen (vgl. Barnow, 2008; Derksen, 1995; Döring et al., 2008; Donohue et al., 2007; Emmelkamp & Kamphuis, 2007; Schmitz et al., 1996): Tatsächlich umfassen diese Störungen viele Funktionsbereiche wie Verhalten, Kognitionen, Affekte und Emotionen. Dennoch fassen wir PD im Kern als Beziehungsstörungen auf (vgl. auch Benjamin, 1987, 1992, 1993, 1995, 1996; Fiedler, 1998, 2007). Wir nehmen an (siehe Kapitel 2), dass sich diese Störungen aus problematischen Beziehungsund Interaktionsmustern in der Kindheit und Jugend bilden und dass sie im Wesentlichen dazu dienen, in Beziehungen wichtige Motive befriedigt zu bekommen (vgl. Nowacki, 2009). Persönlichkeitsstörungen „drehen“ sich damit um Beziehungen: Klienten mit PD sind wesentlich beziehungsmotiviert, verfolgen interaktionelle Ziele und tun viel, um Beziehungen aktiv zu beeinflussen. Ihre Schemata weisen im Wesentlichen beziehungsrelevante Inhalte auf und ihre Kompensationen richten sich auf Beziehungen. Daher sind PD aus unserer Sicht nicht primär „Persönlichkeits“-Störungen, sondern „Beziehungs“-Störungen.1,b |14|1.2 Normalität
Einige Autoren bezeichnen PD oder Klienten mit PD als „pathologisch“ oder „schwer gestört“ bezeichnet, was nicht immer dem psychotherapeutischen Prozess dienlich ist (Lewis et al., 1988). Wir möchten uns davon deutlich abgrenzen: Wir betrachten eine psychische Eigenheit, die bestimmte Charakteristika aufweist, nur dann als eine „Störung“, wenn sie so hohe Kosten aufweist, dass sie den Klienten selbst stört (wobei den Klienten die Kosten bzw. die Ursachen der Kosten bei sogenannten „ich-synthonen“ (s.?u.) Störungen erst im Therapieprozess klar werden). Wir fassen Persönlichkeitsstörungen aber nicht als „pathologisch“ auf: Der Begriff „pathologisch“ ist ein medizinischer Begriff, der u.E. in der Psychologie eine begrenzte Berechtigung hat: Er ist in der Psychologie diskriminierend und abwertend und stempelt die damit Bezeichneten zu sozialen Abweichlern (vgl. Sachse, 2022a). Wir gehen vielmehr davon aus, dass PD auf „normale“ psychologische Prozesse zurückgehen, die, wie Fiedler (1998, 2007) es ausdrückt, „Extrem-Varianten des Normalen“ sind. Für diese Sichtweise gibt es eine Reihe guter Gründe. Die Daten unserer Ambulanz zeigen, dass PD extrem verbreitet sind und auch viele Untersuchungen zeigen, dass viele Personen zumindest Persönlichkeits-“Stile“ aufweisen (Sachse, 2019e): Schon aus diesem Grunde erscheint es unangemessen, die Störung oder Klienten mit der Störung zu pathologisieren. Vielmehr scheint es im statistischen Sinne „normal“ zu sein, Charakteristika aufzuweisen, die man als Indikatoren einer PD auffassen kann, und zwar in relativ ausgeprägtem Ausmaß. Persönlichkeitsstörungen setzen sich aus psychischen Prozessen zusammen, die auch bei „nicht Gestörten“ existieren, sie sind nur u.?U. „extremer“ und sie erzeugen mehr Kosten: Auch deshalb gibt es keinen Grund, PD als „pathologisch“ oder Klienten mit PD als „schwer gestört“ wahrzunehmen. Dennoch macht Therapie äußerst viel Sinn, nämlich um die Kosten zu reduzieren und um die Lebensqualität der Personen (deutlich) zu verbessern: Denn, dass eine Störung nicht „pathologisch“ ist, heißt nicht, dass sie nicht hohe Kosten erzeugt und persönlich und existenziell relevant ist. Therapeuten müssen unbedingt mit den Klienten eine vertrauensvolle Therapeut-Klient-Beziehung aufbauen: Auch deshalb ist es wichtig, den Klienten respektvoll und akzeptierend begegnen zu können. Und dies wird erschwert, wenn man Klienten als „pathologisch“, „tief gestört“ o.?a. ansieht. Wir setzen uns daher stark für eine „Entpathologisierung“ von PD ein. 1.3 Ressourcen
Wir sehen PD als eine „Lösung“ für frühe Interaktionsprobleme an (vgl. Kapitel 2): Wir nehmen an, dass Kinder und Jugendliche schwierigen Beziehungsund Interaktionssituationen mit ihren primären Bezugspersonen ausgesetzt waren und dass sie Strategien entwickelt haben, um mit diesen Problemen umzugehen (vgl. Nowacki, 2009). |15|Diese Strategien sind die Grundlagen der PD: Und damit kann man diese Strategien als Lösungen betrachten. Diese Lösungen enthalten damit in hohem Maße Ressourcen, die die Klienten mit PD meist im Augenblick nicht konstruktiv einsetzen, die sie aber wieder konstruktiv einsetzen können. Also können sie lernen, ihre Ressourcen wieder sinnvoll zu nutzen. Ein wesentlicher Aspekt unserer therapeutischen Vorgehensweisen bezieht sich auch darauf, Ressourcen von Klienten zu aktivieren, aufzubauen und systematisch zu nutzen (Sachse, 2022b). Damit haben wir einen stark ressourcen-bezogenen Blick auf PD, was ebenfalls zur Entpathologisierung beiträgt. 1.4 Manipulation
Wir gehen davon aus, dass die Klienten mit PD als Lösungen oft „manipulative“ Strategien gelernt haben: Also Strategien, mit deren Hilfe sie Interaktionspartner dazu bringen, etwas zu tun, was sie eigentlich nicht tun wollen, und zwar auf eine Weise, die die Interaktionspartner nicht durchschauen. Dabei meinen wir „Manipulation“ ausschließlich in einem psychologischen, nicht in einem wertenden Sinn: Die Klienten tun etwas Bestimmtes und das ist aus der Sicht der Therapeuten erst mal ok; problematisch wird es wiederum dann, wenn dieses Verhalten den Klienten Kosten verursacht. In diesem Fall muss den Klienten das Verhalten bewusst gemacht werden, d.?h. Therapeuten müssen die Klienten konfrontieren (vgl. Sachse, 2007b, 2019a, 2019c; Sachse & Sachse, 2006). Und das bedeutet, dass Therapie mit PD-Klienten nicht nur aus Beziehungsgestaltung besteht: Sie ist keine „Kuschel-Therapie“. Sie impliziert, Klienten (z.?T. hart) zu konfrontieren, sie impliziert harte Arbeit, interaktionelle Krisen u.?a. Therapie stellt hohe Anforderungen an die Klienten und an die Therapeuten! 1.5 Beziehungsmotivierung
Wir nehmen an, dass Klienten mit PD in (extrem) hohem Maße beziehungsmotiviert in die Therapie kommen: Sie wollen (primär), dass ein Therapeut ihnen eine ganz bestimmte Art von Beziehung anbietet. Und aus diesem Grund ist es wesentlich, dass Therapeuten zuerst eine hochgradig komplementäre Beziehungsgestaltung realisieren (vgl. Sachse, 2006c, 2013b, 2016a, 2017a, 2019a, 2019b). Aus unserer Sicht ist dies immer das Erste, was Therapeuten machen müssen: Sie müssen nicht explorieren, sie müssen keine Veränderungen und keine Manuale abarbeiten, sie müssen keine schnellen Veränderungen initiieren, sondern sie müssen Beziehungskredit schaffen. |16|1.6 Interaktionelles Misstrauen
Klienten mit PD weisen stark negative Selbstund Beziehungsschemata auf, die dazu führen, dass die Klienten sich selbst z.?T. wenig zutrauen, ihr eigenes Erleben als Informationsquelle zu nutzen, vor allem aber, dass sie Interaktionspartnern (auch dem Therapeuten!) misstrauen: Auch deshalb ist zu Therapie-Beginn eine Beziehungsgestaltung wesentlich, weil dadurch Vertrauen aufgebaut wird! ...