Rushdie | Die bezaubernde Florentinerin | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 448 Seiten

Rushdie Die bezaubernde Florentinerin

Roman
Erscheinungsjahr 2022
ISBN: 978-3-641-30815-5
Verlag: btb
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 448 Seiten

ISBN: 978-3-641-30815-5
Verlag: btb
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Es ist das Jahr 1572, als ein junger blonder Italiener nach einer beschwerlichen Reise an den Hof des indischen Großmoguls Akbar gelangt. Er behauptet, über verschlungene Pfade mit dem Mogul verwandt zu sein. Zum Beweis erzählt der Fremde die schier abenteuerliche Geschichte ihrer gemeinsamen Abstammung – eine Geschichte, die sich vom Florenz der Renaissancezeit bis in das fabelhafte indische Großreich erstreckt, die von den Medicis, von Machiavelli, dem Entdecker Vespucci und einer geheimnisvollen Schönheit berichtet – ihrer beider Vorfahrin und, so sagt man, die schönste Frau der Welt …

Salman Rushdie, 1947 in Bombay geboren, ging mit vierzehn Jahren nach England und studierte später in Cambridge Geschichte. Mit seinem Roman »Mitternachtskinder«, für den er den Booker Prize erhielt, wurde er weltberühmt. 1996 wurde ihm der Aristeion-Literaturpreis der EU für sein Gesamtwerk zuerkannt. 2007 schlug ihn Königin Elizabeth II. zum Ritter. 2022 ernannte ihn das deutsche PEN-Zentrum zum Ehrenmitglied. 2023 wurde er mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet.
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1.
Im letzten Licht des Tages gleißte der See …


Im letzten Licht des Tages gleißte der See vor der Palaststadt wie ein Meer aus Gold. Ein Reisender, der bei Sonnenuntergang dem Weg folgte — ebenjener Reisende, der jetzt diesem Weg folgt, dem Weg vom Meer hierher —, könnte meinen, sich dem Thron eines Monarchen zu nähern, dessen märchenhafter Reichtum es ihm erlaubte, einen Teil seiner übervollen Truhen in ein gewaltiges Loch in der Erde zu schütten, nur um seine Gäste zu blenden und sie mit Ehrfurcht zu erfüllen. Doch so riesig der See aus Gold auch sein mochte, war er gewiss bloß ein Tropfen aus dem Meer eines weitaus größeren Schatzes, dem eigentlichen Hort, dem Mutterozean, dessen enorme Ausmaße die Phantasie des Reisenden kaum erahnen konnte! Auch standen keine Wachen am Rande des flüssigen Goldes: War denn der König so freigebig, dass er es all seinen Untertanen und gar Besuchern und Fremden wie dem Reisenden selbst erlauben durfte, sich ungehindert an der Unerschöpflichkeit des Sees zu bedienen? Das musste wahrlich ein Fürst unter den Menschen sein, ein rechter Priesterkönig Johannes, dessen verlorenes Reich der Lieder und Legenden die unwahrscheinlichsten Wunder beheimatete. Vielleicht (mutmaßte der Reisende) lag innerhalb der Stadtmauern ein Brunnen ewiger Jugend — oder befand sich gar das sagenhafte Tor zum Paradies auf Erden in unmittelbarer Nähe? Doch da verschwand die Sonne jenseits des Horizonts, das Gold sank unter die Wasseroberfläche und war verloren. Meerjungfrauen und Schlangen würden es bis zur Wiederkehr des Tageslichtes hüten. So lange aber blieb das Wasser selbst der einzige Schatz, der dargeboten wurde, eine Gabe, deren sich der durstige Reisende dankbar bediente.

Der Fremde fuhr in einem Ochsenkarren, doch statt auf den grob gepolsterten Sitzen zu hocken, stand er aufrecht wie ein Gott und hielt sich unbekümmert mit einer Hand am Geländer des hölzernen Gitterwerks fest. Eine Fahrt im Ochsenkarren ist weder sanft noch gemütlich, das zweirädrige Gefährt rumpelt und rattert im Takt mit dem Trott des Zugtieres und wird zum Spielball jeder Unwegsamkeit. Wer steht, der kann leicht fallen und sich den Hals brechen. Und doch stand der Reisende und schaute sorglos und zufrieden drein. Der Kutscher hatte es längst aufgegeben, ihn anzuschreien, hielt er den Fremden doch anfangs für einen Narren — wenn er unterwegs sterben wollte, dann sollte es wohl so sein, und keinen Menschen in diesem Land würde es kümmern! Rasch aber war sein Zorn einer widerwilligen Bewunderung gewichen. Der Mann mochte ein Narr sein, man könnte gar behaupten, er trage auch das allzu gefällige Gesicht eines Narren und dessen unpassende Kleider — einen Mantel aus bunten Lederflicken, bei dieser Hitze! —, doch musste man staunen, wie tadellos er das Gleichgewicht hielt. Der Ochse trottete voran, die Karrenräder krachten in Schlaglöcher und rumsten gegen Steine, der Mann aber schwankte kaum und machte bei alldem irgendwie noch einen recht anmutigen Eindruck. Ein anmutiger Narr, dachte der Kutscher, vielleicht aber auch gar kein Narr. Vielleicht jemand, den man nicht unterschätzen sollte. Wenn etwas an ihm auszusetzen war, dann höchstens sein großspuriges Gehabe, sein Versuch, nicht nur er selbst zu sein, sondern auch ein Schauspiel seiner selbst zu bieten, aber, dachte der Kutscher, ein wenig sind alle Menschen hier in der Gegend so, also ist uns der Fremde vielleicht doch gar nicht derart fremd. Als sein Passagier meinte, er habe Durst, eilte der Kutscher, ohne nachzudenken, beflissen ans Ufer des Sees, um in einer ausgehöhlten, lackierten Kalebasse einen Schluck Wasser zu holen und ihn vor aller Welt dem Fremden darzubieten, als wäre er ein Adliger, dem solch Gebaren gebührte.

«Ihr steht da wie ein großer Herr, und ich springe und eile, um Euch zu Diensten zu sein», sagte stirnrunzelnd der Kutscher. «Ich weiß nicht, warum ich Euch so gefällig bin. Wer gab Euch das Recht, mich herumzukommandieren? Was seid Ihr überhaupt? Kein Edelmann, so viel ist sicher, sonst führet Ihr nicht in meinem Karren. Und doch tut Ihr vornehm. Also seid Ihr gewiss ein Gauner.» Der Mann nahm einen kräftigen Schluck aus der Kalebasse. Das Wasser lief ihm aus den Mundwinkeln und hing wie ein flüssiger Bart am rasierten Kinn. Schließlich reichte er das leere Gefäß zurück, stieß einen zufriedenen Seufzer aus und wischte sich den Bart fort. «Wer ich bin?», sagte er, als redete er mit sich selbst, wenn auch in des Kutschers Sprache. «Ich bin ein Mann mit einem Geheimnis, das bin ich — mit einem Geheimnis, das allein für die Ohren des Königs bestimmt ist.» Der Kutscher fand sich bestätigt: Der Kerl war wirklich ein Narr. Es war also nicht nötig, ihm Respekt zu erweisen. «Behaltet Euer Geheimnis», sagte er. «Geheimnisse sind für Kinder — und für Spione.» Vor der Karawanserei, wo alle Reisen enden und ihren Anfang nehmen, stieg der Fremde aus dem Karren. Er war überraschend groß gewachsen und hielt eine Reisetasche in der Hand. «Und für Zauberer», sagte er dem Karrenkutscher. «Auch für Liebende. Und für Könige.»

Großer Trubel herrschte in der Karawanserei. Pferde, Kamele, Ochsen, Esel und Ziegen wurden getränkt und gefüttert, und auch ungezähmte Tiere liefen wild durch die Gegend: kreischende Affen, Hunde, die keinem Menschen gehörten. Krächzende Papageien stoben wie grünes Feuerwerk über den Himmel. Schmiede waren an der Arbeit und Zimmerleute; und an allen vier Seiten des riesigen Platzes planten Männer an den Ständen der Karawanenausrüster ihre Reisen, stockten Vorräte auf, Kerzen, Öl, Seife und Seile. Pausenlos liefen Turban tragende Kulis mit Lendentuch und rotem Hemd hin und her, mit unglaublich großen, schweren Bündeln auf dem Kopf. Überall wurden Waren be- und entladen. Ein Bett für die Nacht war billig zu haben, Holzgestelllager mit borstigen Pferdehaarmatratzen standen in Reih und Glied auf den Dächern der einstöckigen Gebäude rund um den gewaltigen Hof der Karawanserei bereit, Betten, aus denen man in die Himmel hinaufsehen und sich selbst für gottgleich halten konnte. Weiter draußen, im Westen, lagen die raunenden Zeltstädte der kaiserlichen Regimenter, die erst kürzlich aus den Kriegen zurückgekehrt waren. Den Soldaten war es nicht gestattet, den Palastbereich zu betreten; sie mussten am Fuße des königlichen Hügels verharren. Eine tatenlose Armee, gerade erst aus der Schlacht zurück, da war Vorsicht ratsam. Der Fremde dachte an das alte Rom. Ein Kaiser traute keinem Soldaten, höchstens seinen Prätorianern. Und auch er selbst würde auf die Frage, ob man ihm vertrauen konnte, eine überzeugende Antwort vorbringen müssen, das wusste der Reisende. Gelang ihm das nicht, war sein Leben verwirkt.

Unweit der Karawanserei markierte ein mit Stoßzähnen bestückter Turm den Weg zum Palasttor. Alle Elefanten gehörten dem Kaiser, und wenn er einen Turm mit ihren Zähnen bespießte, bewies er damit seine Macht. Habt acht, mahnte der Turm, Ihr betretet das Reich des Elefantenkönigs, eines an Dickhäutern so reichen Souveräns, dass er die Stoßerchen von abertausend Tieren verprassen konnte, nur um sich selbst zu schmücken und zu zieren. Der Turm war zur Schau gestellte Macht, und der Reisende erkannte darin die gleiche Art von Eigensinn, die auch auf seiner Stirn brannte wie eine Flamme, vielleicht gar wie ein Zeichen des Teufels, doch hatte der Erbauer des Turms jene Eigenschaft in eine Stärke verwandelt, die bei dem Reisenden oft für Schwäche gehalten wurde. Ist Macht die einzige Rechtfertigung für eine Persönlichkeit, die sich nach außen kehrt, fragte sich der Reisende und fand keine Antwort, hoffte aber, Schönheit könne eine weitere Entschuldigung dafür sein, denn schön war er gewiss, und er wusste, sein Aussehen übte eine Macht aus, die ihresgleichen suchte.

Jenseits des Turms der Zähne befand sich ein großer Brunnen und darüber eine rätselhafte, komplizierte Maschinerie, die den vielkuppeligen Palast auf dem Hügel mit Wasser versorgte. Ohne Wasser sind wir nichts, dachte der Reisende. Selbst ein Herrscher würde ohne Wasser alsbald zu Staub zerfallen. Wasser ist der wahre Monarch, und wir sind seine Sklaven. Daheim in Florenz hatte er einst einen Mann gesehen, der Wasser verschwinden lassen konnte. Der Magier füllte einen Krug bis an den Rand, murmelte einige Zauberworte und drehte das Gefäß um, doch statt Flüssigkeit ergoss sich ein Strom bunter Seidenschals. Es war natürlich ein Trick, und ehe der Tag zur Neige ging, hatte der Reisende diesem Kerl das Geheimnis entlockt und seinen eigenen Mysterien einverleibt. Er war ein Mann vieler Geheimnisse, doch nur eines davon geziemte einem König.

Rasch stieg der Weg zur Stadtmauer an, und während der Reisende mit jedem Schritt an Höhe gewann, erkannte er, wie weitläufig der Ort war, zu dem ihn seine Reise geführt hatte. Dies hier war offenkundig eine der größten Städte der Welt, größer, so fand er, als Florenz, Venedig oder Rom, größer mithin als alle Städte, die er je gesehen hatte. Einmal war er sogar in London gewesen, aber auch jene Stadt war eine kleinere Metropole als diese hier, welche noch zu wachsen schien, als das Tageslicht verblasste. Ganze Stadtviertel drängten sich vor den Mauern zusammen, Muezzine riefen von Minaretten herab, und in der Ferne waren die Lichter der großen Landhäuser zu sehen. Feuer flammten wie Warnlampen im Dämmerlicht auf. Und aus der schwarzen Schüssel der Nacht antwortete das Gezüngel der Sterne. Als wären Himmel und Erde feindliche Heere, die sich zur Schlacht rüsten, dachte er. Als ruhten ihre Lager still in der Nacht und warteten auf den nahenden Krieg des...


Rushdie, Salman
Salman Rushdie, 1947 in Bombay geboren, ging mit vierzehn Jahren nach England und studierte später in Cambridge Geschichte. Mit seinem Roman »Mitternachtskinder«, für den er den Booker Prize erhielt, wurde er weltberühmt. 1996 wurde ihm der Aristeion-Literaturpreis der EU für sein Gesamtwerk zuerkannt. 2007 schlug ihn Königin Elizabeth II. zum Ritter. 2022 ernannte ihn das deutsche PEN-Zentrum zum Ehrenmitglied. 2023 wurde er mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet.

Robben, Bernhard
Bernhard Robben, geboren 1955, ist seit 1992 als Übersetzer tätig. Er übertrug und überträgt u.a. die Werke von Ian McEwan, John Burnside, John Williams und Salman Rushdie ins Deutsche. 2003 wurde er mit dem Straelener Übersetzerpreis der Kunststiftung NRW ausgezeichnet, 2013 mit dem Ledig-Rowohlt-Preis für sein Lebenswerk geehrt. Er lebt in Brunne, Brandenburg.



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