E-Book, Deutsch, 144 Seiten
Rufus Die Kunst, trotz Mühsal gut zu leben
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-96092-943-7
Verlag: FinanzBuch Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Lehren eines römischen Stoikers
E-Book, Deutsch, 144 Seiten
ISBN: 978-3-96092-943-7
Verlag: FinanzBuch Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Musonius Rufus (30–102 n. Chr.) war einer der einflussreichsten Philosophen der römischen Kaiserzeit, und seine Botschaft ist noch heute verblüffend aktuell. Neben Stoikern wie Seneca, Epiktet und Mark Aurel betont er den ethischen Aspekt im Handeln. Er glaubt, dass das bloße Lernen philosophischer Lehren und das Anhören von Vorträgen einem nichts nützt, wenn man es nicht schafft, die Lehren zu verinnerlichen und sie im täglichen Leben anzuwenden. Er sagt: »Philosophie ist nichts anderes, als mit der Vernunft herauszufinden, was richtig und angemessen ist, und es mit Taten in die Praxis umzusetzen.« Dementsprechend gibt er zahlreiche sehr praktische Hinweise für alle Bereiche des Lebens: vom Ehe- und Familienleben, Sexualleben und Erziehung über Ernährung, Kleidung und Wohnen bis hin zum Haarschnitt.
In einer Zeit, in der das Interesse am Stoizismus wieder erwacht ist, bietet diese neue Übersetzung von Musonius Rufus' Weisheiten dem Leser Zugang zu den Gedanken eines der einflussreichsten und bemerkenswertesten stoischen Denker der Geschichte.
Weitere Infos & Material
Einführung von Gretchen Reydams-Schils
Der stoische Philosoph Musonius Rufus war einer der einflussreichsten Lehrer seiner Zeit – der römischen Kaiserzeit – und seine Botschaft ist noch heute verblüffend aktuell. Er zeichnete sich dadurch aus, dass er die damals üblichen Erwartungen und Werte auf ruhige Art infrage stellte. In seinen Texten lässt er hier und da einen trockenen Humor erkennen, zudem versteht er es, das Innerste des Lesers zu erreichen, und zwar nicht dadurch, dass er Gift und Galle spuckt wie die Straßenprediger, sondern indem er zum Beispiel fragt, warum wir für alles Mögliche so viel Mühe aufwenden, nur nicht dafür, zu lernen, wie man gut lebt. »Akrobaten«, so sagt er, »stellen sich ohne Bedenken ihren schwierigen Übungen und riskieren dabei ihr Leben. Sie schlagen Salti über nach oben gerichtete Schwerter oder balancieren in großer Höhe über ein Seil oder fliegen wie Vögel durch die Luft, wobei ein einziger Fehler den Tod nach sich zieht, und das alles für einen erbärmlich geringen Lohn.« Er fährt fort: »Und da sollten wir nicht bereit sein, um des vollkommenen Glücks willen Mühsal zu ertragen?« (Siehe Kapitel »Warum wir Mühsal verachten sollten«.) Die stoischen Ansichten darüber, was gut ist oder was Glück bedeutet, stellen unser übliches Wertesystem allerdings auf den Kopf. Diese Art des Guten mag uns recht fremd vorkommen, so, wie es wahrscheinlich auch für viele Menschen zu Musonius Rufus’ Zeiten der Fall war, sofern sie nicht zuvor mit Philosophie oder Stoizismus in Berührung gekommen waren. Aber wenn wir uns des Verdachts nicht erwehren können, dass wir in unserem Alltag selbst zu Akrobaten geworden sind – so, wie zu Musonius Rufus’ Zeiten ein Fehltritt in der spannungsgeladenen Atmosphäre eines römischen Kaiserhofes den Tod bedeuten konnte –, dann lohnt es sich vielleicht, sich seine Worte zu Gemüte zu führen und über sie nachzudenken, denn es geht um nichts Geringeres als um Glück. Musonius Rufus wurde um das Jahr 30 n. Chr. in Volsinii, dem heutigen Bolsena in Italien, in eine Familie hineingeboren, die zum Ritterstand gehörte. Er unterrichtete oder beeinflusste viele hochrangige Römer seiner Zeit wie beispielsweise den Stoiker Epiktet und den Redner Dion Chrysostomos. Sogar der Christ Origenes bescheinigt in seiner Schrift Contra Celsum Musonius Rufus ein hohes Ansehen. Als Vertreter derjenigen, die das beste Leben geführt haben, nennt Origenes Herakles, Odysseus, Sokrates und »unter denen, die erst vor Kurzem gelebt haben«, Musonius Rufus. In einem Atemzug mit Sokrates genannt zu werden, war in der Antike das höchste Lob, das man sich verdienen konnte. Man schätzte die Philosophen nicht nur wegen ihrer Ansichten, sondern auch und vor allem wegen des vorbildlichen Lebens, das die Besten von ihnen führten. Es ist bezeichnend, dass Musonius Rufus in einer Reihe mit mythischen Helden wie Herakles und Odysseus genannt wird (die ihrerseits von den Philosophen, insbesondere den Kynikern und Stoikern, oft als Vorbilder benutzt wurden). Musonius Rufus scheint nur wenig Schriftliches hinterlassen zu haben, wenn überhaupt etwas. Die Quellen lassen sich grob in zwei Kategorien einteilen: Zum einen sind sie eine Reihe von (manchmal gekürzten) Vorlesungen – auch Lehrgespräche genannt–, die vermeintlich von einem gewissen Lucius aufgezeichnet wurden, zum anderen bestehen sie aus Fragmenten und Zitaten, die in den Werken anderer Autoren erhalten geblieben sind, von denen die Fragmente, die Epiktet zugeschrieben werden, besonders wertvoll sind, weil er ebenfalls zu den Stoikern zählt und Musonius Rufus einer seiner Lehrer war. Da die Zugehörigkeit zu den Stoikern in dieser Zeit bestimmte Verhaltensweisen voraussetzte, sind auch die biografischen Anekdoten über Musonius Rufus von Bedeutung. Diese Erzählungen sollen seine Rolle als Philosoph widerspiegeln und sie helfen uns, zu verstehen, warum Musonius Rufus einen solchen Eindruck auf seine Zeitgenossen machte und weshalb er eine so bemerkenswerte Persönlichkeit war. Musonius Rufus als Stoiker
Musonius Rufus weist die gleichen wesentlichen Merkmale auf wie andere Stoiker der römischen Kaiserzeit, beispielsweise Seneca, Epiktet und Mark Aurel. Sie alle neigen dazu, die Bedeutung der eher formalen Aspekte der Philosophie herunterzuspielen und dafür die Ethik stärker zu betonen, genauer gesagt, den ethischen Aspekt des Handelns, der sich in allen Bereichen des Lebens zeigt. Diese Botschaft eines vorbildlichen Verhaltens und einer vorbildlichen Einstellung haben sie von Sokrates und den Kynikern übernommen, von Letzteren jedoch in einer weich gespülten und vielleicht weniger unterhaltsamen Version. So unterlassen sie es im Gegensatz zu den Kynikern, in der Öffentlichkeit zu urinieren, zu masturbieren oder zu kopulieren. Die späteren Stoiker schreiben außerdem Lehrern deutlich weniger Autorität zu. Das betrifft sowohl die Stoiker der früheren hellenistischen Ära (des antiken Griechenlands) als auch sie selbst. Stattdessen betonen sie die unverzichtbare moralische Verantwortung des Einzelnen. Das bloße Erlernen philosophischer Lehren und das Anhören von Vorträgen, so sagen sie, wird uns nichts nützen, wenn wir es nicht schaffen, die Lehren zu verinnerlichen und sie im Alltag anzuwenden. Am stärksten ist diese stoische Ausrichtung auf den ethischen Aspekt des Handelns in den Ansichten zu finden, die Musonius Rufus zugeschrieben werden. Für ihn ist »Philosophie nichts anderes, als mithilfe der Vernunft zu ergründen, was richtig und angemessen ist, und es durch Taten in die Praxis umzusetzen« (siehe Kapitel »Ist die Ehe ein Hindernis für das Philosophieren?«).1 Er führt diese Behauptung weiter aus, indem er die ideale Beziehung zwischen Lehrer und Schüler in ein landwirtschaftliches Umfeld setzt und die Landwirtschaft oder das Schafehüten als beste Lebensweise für einen Philosophen empfiehlt, der wie jeder andere auch mit seinen eigenen Händen arbeiten sollte.2 Wenn neben der Arbeit genügend Muße zum Studium und zur Diskussion bleibe, so Musonius, entstehe eine optimale Wechselwirkung, weil der Lehrer zugleich als Vorbild diene, indem er seine Prinzipien in die Tat umsetze und in seiner Art zu leben Tugendhaftigkeit beweise. Römische soziokulturelle Eliten liebäugelten gelegentlich mit dieser Version des einfachen Lebens und der pastoralen Idylle (nicht unähnlich den Wohlhabenden von heute, möchte man hinzufügen), aber Musonius Rufus empfiehlt nichts Geringeres, als ihren Lebensstil völlig umzukrempeln. Er unterstreicht die Bedeutung des Aneignens von Gewohnheiten und verordnet zwei Arten von Übungen, eine für die Seele allein, die andere für Seele und Körper zusammen. Schon die Art und Weise, in der die Vorlesungen schriftlich aufgezeichnet wurden, spiegelt Musonius Rufus’ Fokus auf die Praxis des philosophischen Lebens wider. Zudem scheint ihre Ausgestaltung, auch im Hinblick auf die Begrifflichkeiten, an Xenophons Berichte über Sokrates angelehnt zu sein. Viele der Lehrgespräche sind rund um ein einfaches Schema der vier Kardinaltugenden – Weisheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Mäßigung – aufgebaut. Die Schilderungen sind von einer trügerischen Schlichtheit. Es wäre ein Fehler, aus dieser Art der Darstellung zu schließen, dass dies alles wäre, was Musonius Rufus’ Lehre ausmacht.3 Stellen Sie sich vor, wie begrenzt unser Verständnis von Sokrates wäre, wenn wir nur Xenophons Bericht hätten und nicht auch den von Platon! Die Gattung der Aussprüche, die Musonius Rufus zugeschrieben werden, lässt noch weniger Raum für Hinweise auf die philosophische Lehre. Wie bei Epiktet spiegeln die aufgezeichneten Vorlesungen nur einen Teil von Musonius Rufus’ Lehrtätigkeit wider. Doch selbst innerhalb der literarischen Konventionen und Beschränkungen dieses Rahmens können wir eindeutig kurze Verweise auf die wichtigsten stoischen Lehren erkennen, auch wenn diese nicht mit allen Implikationen dargelegt werden. So erhalten wir zum Beispiel im ersten der Lehrgespräche einen Einblick in den Wert, den Musonius Rufus der Logik beimisst. In dieser Vorlesung empfiehlt er, dass Lehrer die logischen Beweise, die sie verwenden, an die Begabung des jeweiligen Schülers anpassen. Er nennt einige Beispiele für Beweise, um das wahrhaft Gute vom scheinbar Guten und das wahrhaft Böse vom scheinbar Bösen zu unterscheiden. Diese führen sein Publikum gleich implizit zu dem Grundsatz, für den die Stoiker am berühmtesten (oder berüchtigtsten) gewesen sein mögen – nämlich, dass die Tugend in Form der vollkommenen Vernunft als das einzig Gute und das Laster als das einzig Böse gilt und dass daher die meisten Dinge, für die sich die Menschen aufreiben, streng genommen nicht zum Guten zählen. Körperliches Wohlbefinden sei zwar im Großen und Ganzen besser als körperliche Beeinträchtigung, auch sei Nahrung dem Hungertod vorzuziehen, aber wenn die Umstände es...