Buch, Deutsch, Band 7, 71 Seiten, Format (B × H): 150 mm x 210 mm, Gewicht: 170 g
Ausgewählte Feldpostbriefe 1939 bis 1945
Buch, Deutsch, Band 7, 71 Seiten, Format (B × H): 150 mm x 210 mm, Gewicht: 170 g
Reihe: Die Geschichte der Wedemark von 1930 bis 1950
ISBN: 978-3-938769-27-0
Verlag: ecrivir-die textmacher
Menschen, die zumindest das Ende des Nazi-Regimes noch bewusst miterlebt haben – und dies nicht nur als kleines Kind –, sind spätestens um 1930/35 geboren worden. Heute, im Jahr 2019, sind die Betreffenden bereits weit über 80 Jahre alt. Dies bedeutet: Wir verlieren allmählich die Generation der Zeitzeugen des NS-Terrors, jene Männer und Frauen, die aus eigenem Erleben anschaulich berichten können und vielleicht gerade dadurch die Jüngeren zur Beschäftigung mit dieser Phase unserer Geschichte motivieren.
Bei der Erforschung der jüngeren Vergangenheit sind Zeitzeugenaussagen, mögen sie auch höchst subjektiv und von unsicheren Erinnerungen geprägt sein, eine wichtige Ergänzung sonstiger Quellen. Sie ermöglichen ganz andere Blickwinkel als etwa die überwiegend amtliche Überlieferung in den staatlichen und kommunalen Archiven oder als in zeitgenössischen Publikationen – Bücher, Zeitungsartikel oder Radio- und Filmberichte – Veröffentlichtes. Im Fall der Erforschung der NS-Zeit werden neue Interviews leider bald unmöglich sein. Die Zeitläufte lassen nichts anderes zu.
Daher gilt es, über die schon dokumentierten Interviews hinaus weitere Quellen zu bewahren, die „den anderen Blickwinkel“ dokumentieren. Hierzu zählen private Schmalfilmaufnahmen, Schriftstücke, die Korrespondenz und insbesondere die Feldpostbriefe. Je weniger Menschen wir befragen können, desto wichtiger werden derartige Dokumente, die anrühren, weil sie uns persönliche Schicksale anschaulich nahebringen.
So war es ein großer Glücksfall, dass das Redaktionsteam dieses Bandes – in Person Dr. Jan Olaf Rüttgardts – von einem sehr umfangreichen Bestand solcher Briefe erfuhr. Noch dazu war die Eigentümerin, Frau Inge Henstorf, geborene Schrader, in Mellendorf lebend, gern bereit, uns das Konvolut zu einer ersten Analyse zur Verfügung zu stellen. Dies ist keine Selbstverständlichkeit. Frau Henstorf sei daher bereits an dieser Stelle ausdrücklich und besonders herzlich gedankt.
Es sind etwa 450 Briefe ihres Onkels Friedrich Ohlhorst aus Bissendorf, die erhalten geblieben sind und die Inge Henstorf sorgsam aufbewahrt hat. Sie alle zu publizieren oder gar wissenschaftlich auszuwerten, würde die Möglichkeiten ehrenamtlicher Arbeit, deren Ergebnisse halbwegs zeitnah vorgestellt werden sollen, übersteigen. Wahrscheinlich wäre dies auch nicht zielführend. Einerseits sollten im Rahmen einer wissenschaftlichen Analyse eher Aussagen aus den Schreiben vieler Absender zu konkreten Aspekten zusammengestellt und interpretiert und nicht nur die Überlieferung einer Person ins Zentrum gerückt werden. Und andererseits war es nicht unser Ziel, eine biographische Skizze vorzulegen. Vielmehr möchten wir, mit Blick auf die Wedemark, Feldpostbriefe als wichtige Quellengattung bekanntmachen – auch, um zu verhindern, dass die Schreiben etwa bei einem Generationswechsel leichtfertig ins Altpapier gelangen.
Zielgruppe
Regional-/lokalgeschichtlich Interessierte
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
In den Briefen spiegelt sich auch das Leben des niedersächsischen Dorfes Bissendorf. Lange gilt es als Tor zur Heide und die Menschen verstehen sich als Heidjer. Im Jahre 1908 heiraten die Eltern Friedrich und Emma Ohlhorst. Sie erwerben in Bissendorf einen kleinen Hof, den sie gemeinsam bewirtschaften. Der Ehemann ist zugleich als Hausschlachter tätig. 1910 wird die Tochter Margarete (Grete) geboren, am 21. Juni 1916 der Sohn Friedrich. Vater Ohlhorst ist vom August 1915 bis Dezember 1918 Soldat. Er überlebt den Ersten Weltkrieg, hat sich aber ein Kriegsleiden zugezogen. 1930 verkaufen die Eltern ihr Anwesen und erwerben die Bissendorfer Gaststätte „Zur Eiche“ samt der dazugehörigen Landwirtschaft mit rund 35 Morgen.
Um 1930 lernt die Tochter Grete ihren zukünftigen Ehemann kennen, den Sattler Albert Schrader. Die wirtschaftliche Lage erlaubt es dem Paar erst im Jahre 1936 zu heiraten. Sie wohnen im Haus der Eltern Ohlhorst. Zwei Jahre später wird ihr Sohn Reinhard geboren. Dann muss sich Vater Friedrich Ohlhorst einer Operation unterziehen, bei der er am 15. März 1938 unerwartet verstirbt. Sohn Friedrich, der nach Abschluss der Volksschule zu Hause bleibt, um seinen Eltern nach besten Kräften in der Gaststätte und in der Landwirtschaft zu helfen, ist plötzlich die einzige männliche Arbeitskraft. Wie seine Briefe zeigen, hat er sich intensiv in die Landwirtschaft eingearbeitet und sich umfangreiches Wissen angeeignet. Zum Erwerb der Gaststätte hat die Familie Kredite aufnehmen müssen. Auch in der Gaststätte und in der Landwirtschaft sind laufend Rechnungen zu begleichen. Das alles schafft die Familie nur, weil sich alle Familienglieder voll einsetzen. Das gilt besonders für den Sohn Friedrich.
Nur ein Foto belegt seine Zeit im Reichsarbeitsdienst, wann und wo, wissen wir nicht. Als einzige männliche Arbeitskraft auf dem Hof wird seine militärische Ausbildungszeit auf ein Vierteljahr verkürzt (6. Februar bis 6. Mai 1939 in Bergen). Doch als das Deutsche Reich mit dem Überfall auf Polen den Zweiten Weltkrieg auslöst, wird Friedrich Ohlhorst sofort einberufen.
Mit brieflichen Ratschlägen und während seiner Fronturlaube unterstützt er seine Mutter in den folgenden Jahren nach besten Kräften. Am Anfang helfen Nachbarn wie Giesecken Vater aus, auch Schwager Albert, der erst später eingezogen wird. Zu einer großen Hilfe wird der französische Kriegsgefangene André, der ab 1940 bis zum Kriegsende auf dem Hof arbeitet.
Friedrich Ohlhorst wird 1939 mit seiner Einheit nach Westen an den Westwall verlegt. Seine verschlungenen Wege als Soldat bis 1945 möge der Leser auch zum Teil den ausgewählten Briefen entnehmen. Sie führen den Bissendofer Bauernsohn im Westen bis nach Paris, im Osten bis an die Wolga. In Stalingrad verwundet, wird er noch ausgeflogen und überlebt. Sein Weg endet in Deutschland. Der letzte Brief, der die Angehörigen erreicht, ist in Lebus nördlich von Frankfurt/Oder am 6. April 1945 mit Bleistift geschrieben. Ob Friedrich Ohlhorst während der schweren Kämpfe um die Seelower Höhen Mitte April gefallen ist oder noch verwundet in Gefangenschaft gerät, wir wissen es nicht.
Viele Jahre lang schreibt seine Mutter Suchdienste und vermeintliche Kameraden unter den Heimkehrern an, um etwas über ihren Sohn zu erfahren. Doch niemand kann ihr Auskunft geben. Erst am 7. März 1967 stellt sie den Antrag, Friedrich für tot erklären zu lassen. Sie selbst stirbt 1973 im hohen Alter von 89 Jahren. Vor einigen Jahren besuchte ihre Enkelin Inge mit ihrem Mann Werner die Seelower Höhen, um ihres verschollenen Onkels Friedrich zu gedenken.