Rüttenauer | Der Kardinal | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 180 Seiten

Rüttenauer Der Kardinal


1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-8496-4486-4
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 180 Seiten

ISBN: 978-3-8496-4486-4
Verlag: Jazzybee Verlag
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Die Denkwürdigkeiten des Kardinals von Retz gehören in einzelnen Teilen zu den erstaunlichen Selbstbekenntnissen, womit wenige außerordentliche Männer die Weltliteratur zu bereichern den Mut hatten, und worin dieselben zur Naturgeschichte des Menschen, insofern er ein moralisches Wesen ist, unersetzliche und unvergleichliche Dokumente geliefert haben, deren ewige Bedeutung längst erkannt ist. Es ist zu einem großen Teil rein politische Geschichte, nämlich eine Darstellung der Bürgerkriege (der sogenannten Fronde) in der Zeit der Minderjährigkeit des vierzehnten Ludwig.

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Als eine Ausländerin, verehrte Freundin, darf ich Euch wohl daran erinnern, daß wir Gondy italienischen Ursprungs sind. Einer der stolzesten und reichsten Paläste von Florenz, ein Werk des Meisters Antonio da Sangallo. trägt noch heute unsern Namen. Der Kaminbau im Festsaal dieses Palastes gehört zu den famosesten Schöpfungen der italienischen Kunst im leonitischen Zeitalter. Durch die große Königin Katharina Medici kam unser Geschlecht nach Frankreich und infolge von Einheiratung durch den König Franz persönlich vermittelt, in den Besitz des bretonischen Herzogtums Retz.

Also nur von mütterlicher Seite her – die aber physisch wie moralisch oft die stärkere ist,– fließt das Blut des berühmten und berüchtigten Gilles von Retz in meinen Adern. Dieser Gilles von Retz aber – man schrieb damals statt Retz noch Rais – war unter Karl VII. der reichste und mächtigste Baron von Frankreich. Er hatte, als der beste Kriegsmann des Königs, an der Seite jener visionären, oder wie man heute auch sagen würde, jener somnambulen Bäuerin Johanna von Arc gegen die Engländer gekämpft und ist danach, wie dieses unglaubliche Mädchen selber, wegen Ketzerei und Zauberei zum Feuertod verurteilt worden.

Von ihm soll sich, wie man es vielleicht auch Euch gesagt hat, das bekannte Ammenmärchen vom Ritter Blaubart herschreiben. Diese Volksüberlieferung stellt sich aber bei näherer Betrachtung als gröbliche Verleumdung dar. Ein so ungalanter Ritter war jener Baron und fromme Kampfgenosse der sogenannten Jungfrau von Orleans durchaus nicht. Er hat in seinem Leben keine Frau ermordet. Er hat nur etwa fünfhundert bis sechshundert halbwüchsige Kinder, Knaben und Mädchen, in alchimistischen oder sodomistischen oder satanistischen oder was weiß ich für Absichten, mit eigener Hand geschlachtet, was ja allerdings ein etwas ungewöhnlicher Zeitvertreib scheinen mag.

Aber kommen wir von diesem verdächtigen Ahn zurück auf unsere eigene Person. Schon vor meinem Erscheinen auf der Welt war ich, als dritter Sohn, für den Orden von Malta bestimmt worden, und da es sich traf, daß man just am Tage meiner Geburt zu Paris ein Kapitel hielt, wurde ich, noch nicht vierundzwanzig Stunden alt, als Ritter des Ordens immatrikuliert, was mir für mein ganzes Leben vor allen andern einen großen Vorsprung der Anciennität geben mußte. Aber meine Laufbahn sollte eine andere Richtung nehmen.

Der zweite Sohn meines Vaters mit dem Titel eines Marquis von Hières, pflegte als Knabe oft zu sagen, daß er Kardinal werden wolle, um in der Welt und am Hofe den Vortritt vor dem Erstgeborenen zu haben, und so wunderbar sind die Wege der Vorsehung, daß, was jener Ehrgeizige sich wünschte, von mir erfüllt werden sollte, der ich nichts so sehr haßte als das priesterliche Gewand. Denn der genannte Bruder mußte als Dreizehnjähriger das Unglück erleben, daß er bei einer Fuchsjagd in der Heide bei Bourgneuf-en-Retz unglücklich vom Pferde stürzte, im Steigbügel hängenblieb und, lange Zeit über Gestrüpp und Gestein fortgeschleppt, mit unter Huftritten herausgequollenem Gedärm und zerschmettertem Schädel aufgelesen wurde.

Dieser entsetzliche Tod bestimmte auch mein Schicksal, indem er den Marschall, meinen Vater, bewog, mich ganz dem Dienst der Kirche zu weihen. Gewisse andere Motive spielten mit.

Ich war ein unansehnlicher Knabe, von nur halbwegs geradem Wuchs, mit stark nach innen gerichteten Füßen und linkischem Wesen. Dazu mein pechschwarzes, ein wenig wolliges und tief in Stirne und Schläfe hineinwachsendes Haar, das mir, zusammen mit der gelblich braunen Gesichtsfarbe, ein fast plebejisches Aussehen gab. Wenigstens sagte man mir es so.

Auch war ich von Kindheit auf in hohem Maße kurzsichtig, woher mir die Gewohnheit kam, beim Blicken in die Ferne die Augen einzukneifen. Das hinderte aber nicht, daß mir später allgemein eine strenge Herrschermiene und ein stolzer und gebieterischer Blick nachgerühmt wurde, den manche schöne Frau unwiderstehlich genannt hat. Und was mir an körperlicher Mitgift Mißliches verblieben war, wußte ich durch Unerschrockenheit des Auftretens auszuwetzen. Dem schönen Geschlecht besonders, mit einer oder zwei Ausnahmen, gebührt das Verdienst, mich allezeit mehr um meiner innern als äußern Eigenschaften gewürdigt zu haben, dafür denn auch meine Dankbarkeit bis auf den heutigen Tag ohne Grenzen geblieben ist. Damals aber, in meinem neunten Jahre, war man in der Familie von nichts so sehr überzeugt, als daß meine Mangelhaftigkeiten, wozu auch eine wenig vorteilhafte Bildung der Knie gehörte, allein durch die Soutane genügend verdeckt werden könnten.

Also gab man mir die Soutane und dazu gleich vier bretonische Abteien und den Titel eines Abts von Bussay, den ich aber selber in den eines Abts von Retz umwandelte, womit ich als erster die kühne Neuerung einführte, mich als Abt nicht nach meiner Abtei, sondern nach meiner Familie zu nennen.

Erst später haben das viele nachgeahmt, wo dann auch die Sitte oder Unsitte immer mehr um sich griff, sich auch ohne Abtei den Titel beizulegen, so daß man, wenn es so weitergeht, bald jeden Dorfpfarrer damit verunehren wird.

Nun aber, schöne Frau, will ich Euch nicht länger von meiner Kinderstube erzählen. Ich beginne vielmehr mit einem Erlebnis, das, wiewohl unbedeutend, ja geringfügig an sich, für mich so wichtige Folgen hatte, daß man sagen könnte, der Himmel habe hier ganz absichtlich ein Wunder für mich getan.

Es war nach überstandenem Bakkalaureat, und nachdem ich gerade das Lyzeum Clermont auf dem Mont Sainte Geneviève verlassen hatte, da sagte mir eines Tags der Kammerdiener meines Hofmeisters – – –

Doch von diesem letzteren ein Wort. Ihr würdet vielleicht nicht ahnen, daß dieser Hofmeister kein anderer war als der Stifter zweier religiöser Orden, die wohltätiger gewirkt in der Welt als alle übrigen zusammen, nämlich der Brüder vom hl. Lazarus und der barmherzigen Schwestern, kein anderer als jener seltene und demütigste Nachfolger Christi, den eine große Gemeinde längst als Heiligen verehrt, ja, dessen Kanonisation durch den Papst bevorsteht: der mit aller Tugend und Reinheit geschmückte Vinzenz von Paul. Er hat wenig auf mich abgefärbt.

Und nun also von dessen Kammerdiener, der wohl aus etwas anderem Holze geschnitzt sein mußte.

Dieser Bursche, er hatte sich seit einiger Zeit durch ähnliche Dienste in mein Vertrauen eingenistet, sagte mir denn eines Tages, er habe im Lumpensammlerviertel bei einer armen Nähzeugkrämerin eine vierzehnjährige Nichte von überraschender Schönheit gesehen, auch schon mit der Alten gesprochen, und das Ungeheuer sei bereit, mir das süße Ding um fünfzig Dukaten abzutreten.

Ich besah mir noch an demselben Nachmittag in seiner staubigen Trödelbude hinter der ärmlichen Kirche von St. Médard das gepriesene Täubchen, erklärte mich mit dem Handel einverstanden, und der Schurke von Kuppler verlor keine Zeit, draußen in Issy ein hübsches Häuschen zu mieten und die entzückende Kleine, zusammen mit ihrer älteren Schwester, dahinzubringen. Er log mir von der naiven Unschuld und gutmütigen Bereitwilligkeit der Kleinen derart den Buckel voll, daß ich, echt schülerhaft, fast den Abend nicht abwarten konnte.

Aber es kam anders, als ich gedacht. Ich fand das gute Kind ganz zerflossen in Tränen und so erfüllt von Ratlosigkeit und Jammer, daß es einem Verbrecher hätte das Herz erweichen müssen. Auf den Knien flehte sie mich an, sie zu schonen, ja ihr Beschützer zu sein gegen ihre Verwandte, von der sie das Schlimmste zu befürchten habe. Ihre Verzweiflung wie ihre Schamhaftigkeit rührten mich. Ich stellte nun zwar die letztere noch eine Zeitlang auf harte Proben, doch darf ich gestehen, daß ich mich meines Vorhabens bereits in tiefster Seele schämte.

Und also ließ ich die Kleine zu meiner Tante bringen, der Marquise von Maignelay, der das geängstigte Vögelchen weinend gestand, daß sie noch lieber mir gehören wolle als zu den Ihrigen zurückzukehren.

Da entschloß sich meine fromme Tante kurzerhand, ihren Schützling für das Kloster der Karmeliterinnen zu Val-de-Grace, das gerade erst von der Königin Anna von Österreich gestiftet worden war, auszustatten und die verfolgte Unschuld dergestalt in ewige Hut und Sicherheit zu bringen. Das Kind soll dort schon nach einigen Jahren als Schwester Angelika im Ruf der Heiligkeit gestorben sein.

Aber die heilige Magdalena, verzeiht, schöne Frau, daß ich diese Reflexion hier nicht unterdrücke, die heilige Magdalena ist doch noch als größere Heilige gestorben, und also hätte die spätere Schwester Angelika dieses Ziel ja immer noch erreichen können, auch wenn meine Wenigkeit in dem kleinen Häuschen zu Issy weniger bescheiden, oder soll ich sagen, weniger blöd gewesen wäre. Und wer wollte entscheiden, ob so ein...



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