E-Book, Deutsch, 560 Seiten
Rüpke Pantheon
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-406-69642-8
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Geschichte der antiken Religionen
E-Book, Deutsch, 560 Seiten
Reihe: Historische Bibliothek der Gerda Henkel Stiftung
ISBN: 978-3-406-69642-8
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dieses umfassende, reich bebilderte Werk zur Geschichte der antiken Religionen eröffnet einen neuen Zugang zur Alten Welt. Im Zentrum der faszinierenden Darstellung steht der Zeitraum vom Beginn des ersten Jahrtausends v. Chr. bis zur Ausbreitung des Christentums in der Spätantike. Der international renommierte Religionswissenschaftler Jörg Rüpke erzählt hier unter anderem von der Errichtung der ersten monumentalen Grabanlagen in Etrurien, von Tempelbauprojekten, von Priestern, Gläubigen und Ritualen, vom Kaiserkult und von den Versuchen Intellektueller, Religion in Wissen zu verwandeln. Er schaut, wo immer möglich, Frauen und Männern über die Schultern, die religiöse Erfahrungen in dunklen Heiligtümern oder vor Hausaltären machten, durch Gebet und Inschriften über den eigenen Tod hinaus in Erinnerung bleiben wollten oder beispielsweise nicht verstanden, warum ein neuer Gott von ihnen Verhaltensänderungen im Alltag erwartete. So eröffnet er seinen Leserinnen und Lesern das ungewöhnliche Panorama eines ebenso bedeutenden wie fremden Lebensbereichs der Antike.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
Weitere Infos & Material
1;Cover;1
2;Titel;3
3;Zum Buch;560
4;Über den Autor;560
5;Impressum;4
6;Widmung;5
7;Inhalt;7
8;I Eine Religions-Geschichte;13
8.1;1 Was heißt mediterrane Religionsgeschichte?;13
8.2;2 Religion;17
8.3;3 Facetten religiöser Kompetenz;22
8.3.1;Religiöses Handeln;23
8.3.2;Religiöse Identität;25
8.3.3;Religiöse Kommunikation;27
8.4;4 Religion als individuelle Strategie;33
9;II Medienrevolutionen im eisenzeitlichen Italien (9. – 7. Jh. v. Chr.);35
9.1;1 Das Besondere;35
9.1.1;Religion der frühen Eisenzeit: Methodische Überlegungen;37
9.2;2 Der Übergang von der Bronzezeit zur Eisenzeit im Mittelmeerraum;39
9.2.1;Der Raum;39
9.2.2;Entwicklungsmodelle und Entwicklungen;42
9.3;3 Deponierungen;46
9.4;4 Bestattungen;50
9.5;5 Götter, Bilder und Bankette;58
9.5.1;Bilder;59
9.5.2;Tempel und religiöse Differenzierung;63
10;III Religiöse Infrastruktur (7. – 5. Jh. v. Chr.);67
10.1;1 Häuser für Götter;67
10.1.1;Innovation;69
10.1.2;Investitionen;72
10.2;2 Tempel und Altar?;75
10.2.1;Religiöse Kommunikation;76
10.3;3 Dynamiken des sechsten und fünften Jahrhunderts;84
10.3.1;Investition in Religion;91
11;IV Religiöse Praktiken (6. – 3. Jh. v. Chr.);95
11.1;1 Körpereinsatz;95
11.1.1;Wessen Kopf ist das?;95
11.1.2;Im Gespräch bleiben;100
11.1.3;Gelübde;104
11.2;2 Sakralisierung;107
11.2.1;Klassifikationen;107
11.2.2;Strategien;108
11.3;3 Komplexe Rituale;111
11.3.1;Kalender;113
11.4;4 Erzählungen und Bilder;115
12;V Akteure: Aneignung und Gestaltung religiöser Praktiken (5. – 1. Jh. v. Chr.);121
12.1;1 Heterarchie und Aristokratie;121
12.2;2 Priester;125
12.2.1;Jungfrauen der Vesta;127
12.2.2;Pontifices und Auguren;129
12.3;3 Distinktion;133
12.3.1;Priesterkarrieren;133
12.3.2;Tempelbau;137
12.4;4 Bankettkultur;142
12.4.1;Bacchus;145
12.5;5 Massenkommunikation;148
12.5.1;Spiele;148
12.5.2;Kriege;152
12.5.3;Krieg in Rom;156
12.6;6 Das Göttliche;161
12.6.1;Auspizien;163
12.6.2;Polisreligion;165
13;VI Reden und Schreiben über Religion (3. – 1. Jh. v. Chr.);166
13.1;1 Schriftlichkeit von Ritual;166
13.1.1;Disciplina etrusca;168
13.2;2 Selbst- und Fremdbeobachtung;172
13.2.1;Mythen und Mythenkritik;174
13.3;3 Systematisierung;180
13.3.1;Geschichtsschreibung und Handreichungen;180
13.3.2;Wissen und Autorität;183
13.3.3;«Religion»;185
14;VII Verdoppelung von Religion in der augusteischen Sattelzeit (1. Jh. v. Chr. – 1. Jh. n. Chr.);192
14.1;1 Restauration als Innovation;192
14.1.1;Augustus;194
14.1.2;Netzwerke;196
14.1.3;Rituale;201
14.1.4;Verknappung von Religion;204
14.2;2 Religion im Raum;205
14.2.1;Tempelbau;206
14.3;3 Verdoppelung von Religion;211
14.3.1;Münzen;212
14.3.2;Statuen und Kalender;213
14.3.3;Texte;215
15;VIII Gelebte Religion (1. – 2. Jh. n. Chr.);218
15.1;1 Die Einzelnen in ihren Weltbeziehungen;219
15.2;2 Haus und Familie;223
15.2.1;Kombinationen;225
15.3;3 Religiöses Handeln lernen;230
15.4;4 Orte religiöser Erfahrung;233
15.4.1;Schlafzimmer;235
15.4.2;Gärten;236
15.4.3;Gräber;242
15.4.4;Grabprojekte;245
15.5;5 Hausgötter;255
15.5.1;Lares;258
15.6;6 Gelebte Religion statt Hauskult;262
16;IX Neue Götter (1. Jh. v. Chr. – 2. Jh. n. Chr.);270
16.1;1 Rahmenbedingungen;270
16.2;2 Isis und Serapis;272
16.3;3 Augusti: Initiative;280
16.3.1;Institutionen;282
16.3.2;Kontrolle;290
16.3.3;Präsenz und Absenz;293
16.4;4 Das eigene Selbst;296
16.5;5 Resümee;299
17;X Experten und Anbieter (1. – 3. Jh. n. Chr.);303
17.1;1 Religiöse Autorität;303
17.2;2 Expertinnen und Experten;307
17.3;3 «Öffentliche Priester» und religiöse Innovation;314
17.4;4 Prophetinnen und Visionäre;317
17.5;5 Religionsstifter;321
17.6;6 Veränderungen;327
18;XI Imaginäre und reale Gemeinschaften (1. – 3. Jh. n. Chr.);335
18.1;1 Textgemeinschaften;337
18.1.1;Gruppenbildung durch Texte;340
18.1.2;Textualisierung von Religion;343
18.2;2 Erzählungen;347
18.2.1;Das Imperium Romanum als erzählerischer Rahmen;348
18.2.2;Biographische Schemata;350
18.2.3;Erzählerisches Diversifizieren und der Ausbau von Netzwerken;352
18.3;3 Historisierungen und der Ursprung des Christentums;356
18.3.1;Jüdische Kontexte;357
18.3.2;Die Erfindung des Christentums;362
18.4;4 Religiöse Erfahrungen und Identitäten;366
19;XII Grenzziehungen und Gemeinsamkeiten (3. – 4. Jh. n. Chr.);371
19.1;1 Der Marktwert religiösen Wissens;371
19.2;2 Politische Akteure;376
19.2.1;Herrschaftsinteressen;378
19.3;3 Umgang mit Unterschieden;384
19.3.1;Bibelepik;388
19.4;4 Konkurrenzen;390
20;XIII Epilog;395
21;Anhang;400
21.1;Danksagung;400
21.2;Anmerkungen;402
21.3;Bibliographie;448
21.4;Bildnachweis;538
21.5;Register;539
I Eine Religions-Geschichte
1
Was heißt mediterrane Religionsgeschichte?
Dieses Buch will eine Geschichte erzählen. Die Geschichte eines epochalen Umbruchs, der eine Welt, die für die meisten von uns jenseits aller Vorstellung liegt, unserer Welt in einem bestimmten Punkt ziemlich ähnlich gemacht hat. Ganz kurz gesagt: Aus einer Welt, in der man religiöse Rituale praktizierte, wurde eine Welt, in der man Religionen angehören konnte. Diese Geschichte ist keine einfache Geschichte. Die Veränderungen, von denen erzählt werden soll, waren nicht zwangsläufig, niemand hätte sie vorhersagen können. Sie waren auch nicht unumkehrbar, ganz im Gegenteil. Auch wenn die Rede von Religionen ganz selbstverständlich geworden zu sein scheint, auch wenn es zahlreiche Türen öffnet, falls man sich als «Religion» organisiert – in Verwaltungen, Steuerbehörden, Massenmedien, mancherorts auch in Gefängnissen –, auch wenn «Religion» zu einem nicht mehr wegzudenkenden Begriff der Beschreibung gegenwärtiger wie historischer Gesellschaften geworden ist, finden doch immer häufiger Entwicklungen Aufmerksamkeit, die mit diesem Begriff gerade nicht zu erfassen sind. «New Age» war ein solches Phänomen, «Spiritualität» erscheint zunehmend als solches und «Mystik» ist es wohl seit Langem. Auch wenn zahllose Muslims und Hindus ganz selbstverständlich von sich als Person sprechen, die einer von mehreren Religionen angehört, so darf man doch mit guten Gründen fragen, ob nicht in vielen Fällen eher von Kultur und kulturellen Unterschieden denn von der Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Religionen geredet werden muss. Dass ein Begriff Unterschiedliches bezeichnet, öffnet Türen des Vergleichs über Räume und Zeiten hinweg und macht in vielen Fällen erst ein sinnvolles Gespräch miteinander möglich. Auch das Erzählen einer Geschichte funktioniert nur, wenn die Anzahl der verwendeten Begriffe begrenzt ist, wenn Wiedererkennbarkeit trotz kleiner Unterschiede gewährleistet wird – ansonsten bleibt eine unzusammenhängende Vielzahl von Geschichten. Das kann unterhaltsam sein (man denke an Tausendundeine Nacht), auch überaus belehrend und erhellend (man denke an die tausend Alltagsgeschichten der «Mikrohistorie»), aber es findet kein Ende, keine «Moral». Das gilt umso mehr in einer langen Geschichte, wie sie hier versucht wird, in der die Akteure immer wieder wechseln, oft schneller als die Grundlinien religiöser Praktiken und Vorstellungen. Aber natürlich macht eine begriffliche Vereinheitlichung die Sache schwierig, wenn über alle Kontinuitäten hinweg gerade Veränderungen sichtbar werden sollen. Dann gilt es, die Begriffe zu verfeinern. Dann besteht die Welt, von der die Rede ist, aus vielen geographischen Räumen mit unterschiedlichen Entwicklungen; die behauptete Veränderung mag auch andernorts stattgefunden haben, sie muss aber nicht überall die gleichen Folgen gehabt haben. In diesem Sinne ist eine «antike» Religionsgeschichte nicht einmal eine «mediterrane» Geschichte, muss sie doch einen Blick auch auf andere Räume werfen, muss fragen, was dort passierte, muss fragen, wo Ideen, Gegenstände und Personen jene Mauern durchdrangen, die die Metapher des Raumes in unserer Vorstellung aufrichtet. Das Erzählen meiner Geschichte wird von der Vermutung begleitet, dass vergleichbare Transformationen mit ähnlichen Ergebnissen, sprich: Religionen – Zusammenhänge von Praktiken, Vorstellungen und Symbolen, die sich als abgegrenzt von anderen verstehen –, auch in anderen Räumen und Epochen, zuvorderst in West-, Süd- und Ostasien stattgefunden haben. Und doch stellte sich Religion im vergangenen halben Jahrtausend in diesen Räumen sehr unterschiedlich dar. Die für die europäische Neuzeit charakteristische Institutionalisierung und konfessionelle und konfliktreiche Zuspitzung des Phänomens Religion in der Form von «Religionen» oder «Konfessionen», in denen man – und zwar gleichzeitig immer nur in einer – Mitglied sein kann, beruht – so behaupte ich – auf den besonderen Konstellationen von Religion und Macht in der Antike und deren rechtlichen Kodifizierungen in der Spätantike. Die islamische Expansion, vor allem aber die spezifisch europäischen Entwicklungen der Reformationszeit und die Ausbildung von Nationalstaaten haben den Bekenntnischarakter und die institutionelle Verfestigung auch überregionaler religiöser Netzwerke verstärkt. Im kolonialen Ausgriff und vielfach im Gestus prinzipieller Überlegenheit wurde dies in viele, wenn auch bei weitem nicht alle Teile der Welt exportiert.[1] Es ist gerade die nachantike zirkummediterrane und mehr und mehr euro-mediterrane Geschichte, die den Blick auf Rom lenkt. Will man Ursprungsgeschichten erzählen, ist diese Wahl abseitig. Der antike Polytheismus und seine Erzählwelten wurden nicht hier, sondern im Nahen Osten, in Ägypten und im Zweistromland entwickelt. Die monotheistischen Traditionen von Judentum, Christentum und Islam verbinden sich mit Jerusalem, nicht mit der Stadt am Tiber. Die polemische Trennung von Philosophie und Religion, fast ein Alleinstellungsmerkmal westlicher Religionsbegriffe, verdankt sich Athen, nicht den Sieben Hügeln. Und selbst jene lateinischsprachigen Rechtskodifizierungen im Corpus iuris civilis, die vielfach moderne Rechtssysteme geprägt haben, sind in Konstantinopel, im Rom des byzantinischen Reiches, entstanden, nicht in dessen italischem Vorbild. Sicher, das Wort religio hatte dort seinen Ursprung. Aber das ist für den Wandel, von dem hier erzählt werden soll, nur von geringer Bedeutung. Ursprung ist indes nicht alles. Lange am Rand der griechischen Welt, wurden stadtrömische Vorstellungen von Religion seit dem Ende des ersten Jahrtausends v. Chr.[2] in den Mittelmeerraum exportiert, wurde römische Machtpolitik durch die Zerstörung Jerusalems zu einem zentralen Faktor der Geschichte verschiedener religiöser Identitäten. Die Ausbildung eines Reiches als multikultureller Großraum und eine neue Schichtung von Macht, der darin beschleunigte Austausch von Ideen, Gütern und Personen, die Attraktivität seines Zentrums für Propheten nicht minder als für Philosophen – das alles macht für die erste Hälfte des ersten Jahrtausends n. Chr. den Blick auf Rom unausweichlich. Für die vorangehenden Jahrhunderte stellt Rom jedoch eher ein Beispiel für mediterrane Entwicklungen dar, das seine eigene Geschichte und Zeitleiste hat und ständig daraufhin zu befragen ist, was als typisch, was als untypisch für andere Regionen gelten kann. Der rote Faden, den Rom für die Erzählung bilden soll, wird sich so erst langsam aus italischen, ja mediterranen Anfängen herausschälen. Der Blick wird dadurch frei für religiöse Vorstellungen, Symbole, Handlungen, ja für kulturelle Praktiken insgesamt, die von den altorientalischen Hochkulturen bis in die Spätantike (und darüber hinaus) eine Vielzahl von Facetten gemeinsam haben und zugleich erhebliche Entwicklungen durchliefen. In einer langfristigen und globalen Perspektive kommt hier der Entwicklung bestimmter architektonischer und medialer Formen eine große Bedeutung zu: Manche Formen der Bilderwelt des aus Indien stammenden Buddhismus verdanken sich zu einem gerüttelten Maße den griechischen Modifikationen von ägyptischen Bildtypen. Aus dem westasiatisch-altorientalischen Raum wiederum stammen Vorstellungen eines «Pantheons» miteinander handelnder Gottheiten und deren Hierarchie, die für die Gestalt, die Personenwerdung griechischer und römischer Gottesvorstellungen und deren Aufnahme im Christentum eine wichtige Rolle gespielt haben. Mit der Entstehung des Judentums, der Erfindung des Christentums darin und der Ausbreitung seiner römisch geprägten Form über Rom wie Konstantinopel im Zentrum der mediterranen Welt sowie mit der Schaffung des Islam am südöstlichen Rande dieser Welt und seiner vielfach das Ende der Antike markierenden Ausbreitung über den südlichen und zunehmend östlichen, ja nordöstlichen Teil dieses Raumes hat die Religionsgeschichte der Antike, die in diesem Buch nur bis in die Mitte des vierten Jahrhunderts...