Rückert Professor Zamorra - Folge 1046
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-8387-5821-3
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Der Jahrtausendplan
E-Book, Deutsch, Band 1046, 64 Seiten
Reihe: Professor Zamorra
ISBN: 978-3-8387-5821-3
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Der Leprechaun Gwydd ap Olwuun wurde auf Kasoun vorerst dazu verurteilt, auf den Todesring der siebten Sonne gebracht zu werden. Die Richter wollen Gwydd unter allen Umständen zum Reden bringen, ihm das Gedächtnis wiedergeben, das er verlor - haben sie doch allen Grund dazu, sich vor der Rache des Sternenbarons, den Gwydd so verehrt, zu fürchten. Doch der hat seinen eigenen Plan entwickelt ...
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»Es gibt eine Menge Menschen, aber noch viel mehr Gesichter, denn jeder hat mehrere.«
Rainer Maria Rilke, deutscher Lyriker (1875 – 1926)
Präambel
Fackelschein geisterte über die Wände. Feuchte, modrige Kälte hing in der Luft, ebenso wie der Geruch nach Leder, rostigem Eisen und nassem Gestein. Dicht vor dem Gesicht des Mannes loderte eine Pechfackel, beleuchtete seine schweißnasse Stirn, die zuckenden Lippen, die verzerrten Züge. Der kleine dürre Mann lag ausgestreckt auf einer Holzpritsche, die Arme über den Kopf gehoben. Breite Lederriemen fesselten seine Hand- und Fußgelenke, ein dickes Tau lief von den Fesseln über eine altmodische Winde, und das Seil war straff gespannt. Der Mann keuchte. Den breitschultrigen, muskulösen Hünen, der die Winde bediente, konnte er nicht sehen. Aber er hatte das Schaben gehört, das nervenzerfetzende Quietschen, und in seinem gemarterten Schädel schien sich das Geräusch fortzupflanzen, bis es sich wie ein glühender Nagel in sein Gehirn bohrte.
»Nein«, stöhnte der Gefangene. Es handelte sich um einen Leprechaun, ein menschenähnliches Wesen mit roten Haaren, die er als Dreadlocks trug. »Nein, nein … Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen. Ich …«
Der Mann mit der Fackel lächelte. Seine dünnen, grausamen Lippen krümmten sich, in dem schmalen Gesicht glühten die Augen. »Ich spreche vom Sternenbaron«, sagte er mit tödlicher Sanftheit. »Du bist Gwydd ap Olwuun. Du bist Kurodaan von Tranboons letzter Vertrauter, und du allein kennst das Geheimnis seines Verstecks.«
Er richtete sich auf, hob die flackernde Pechfackel ein Stück höher. Ein fanatisches Brennen trat in seine jettschwarzen Augen. »Ich werde den Sternenbaron zur Strecke bringen«, flüsterte er. »Ich werde der stärkste Mann des Triumvirats sein. Ich, Fürst Llyanor!«
Gwydd ap Olwuun schloss die Augen und zitterte. »Nein!«, ächzte er. »Nein, nein …«
Fürst Llyanor hob die Hand zu einer knappen Geste. Die Winde quietschte. Wieder straffte sich das Seil, zerrte erbarmungslos an den Gliedern des Opfers. Ein markerschütternder Schrei brach über die Lippen des Gemarterten. Erneut hob Llyanor die Hand. Der Hüne, der ihm im Aussehen glich, hörte auf, an der Winde zu drehen. Scheinbar mühelos hielt er den Hebel in seiner Stellung, und der Schrei, der von den Wänden widerhallte, erstarb in einem qualvollen Wimmern. Der Mann mit dem schmalen, grausamen Gesicht hielt die Fackel dicht vor die Augen seines Opfers.
»Du bist ein Narr, Gwydd ap Olwuun«, sagte er leise. »Du müsstest diese Folterkammer doch am besten kennen. Sie gehört zu deinem Versteck – also weißt du, was man mit den hübschen Geräten anstellen kann …«
»Du verfluchter Dämon!«, keuchte der Leprechaun. »Verdammte Bestie!«
»Gesdon«, kam Llyanors leise, ausdruckslose Stimme. Die Winde quietschte. Diesmal klangen die Schreie des Opfers so grauenvoll, dass selbst in den leeren Augen des Hünen so etwas wie eine Regung erschien. Der Körper des Gemarterten zuckte, versuchte sich aufzubäumen. Ap Olwuuns Gesicht verzerrte sich zur Grimasse, verfärbte sich, die Augen traten aus den Höhlen, und er hörte nicht auf zu schreien, als das misstönende Quietschen verstummte.
»Lass ab, Gesdon«, sagte Llyanor nach ein paar Sekunden. Der Hüne ließ den Hebel los. Rasselnd drehte sich die Winde zurück. Aber es dauerte Minuten, bis die grässlichen Schreie erstarben.
»Nun?«, fragte Llyanor eisig. »Ist dir eingefallen, wo sich der Feigling Kurodaan versteckt hat? Oder soll ich dir Chandor auf den Hals schicken?«
Gwydd ap Olwuun schloss die Augen. Sein Gehirn schien nur noch aus einer feurigen Lohe zu bestehen, sein Körper aus Schmerzen. Er hatte das Gefühl, als habe man ihm mit einem Beil Arme und Beine abgehackt. Keuchend lag er da, unfähig, auch nur einen Finger zu rühren, und nur noch der eine verzweifelte Gedanke hatte Platz in ihm, dass er diese Tortur nicht noch einmal ertragen konnte. Reden? Dieser Bestie in Almothergestalt geben, was sie verlangte? Das war sein sicherer Tod, er wusste es. Aber er wusste auch, dass er keine andere Wahl hatte. Dass es besser war, zu sterben, als noch einmal die Wirkung dieses grauenvollen Streckbettes zu spüren oder …
Seine Gedanken stockten. Ganz tief in seinem gemarterten Hirn schien es etwas wie eine winzige Explosion zu geben. Der Ausweg!
Gwydd ap Olwuun wusste plötzlich, was er zu tun hatte, und es war so einfach, dass er sich fragte, warum er nicht eher darauf gekommen war. Llyanor wollte Kurodaans Versteck finden. Er sollte es versuchen. Er sollte der Angst begegnen und …
»Nun?«, drang Llyanors Stimme in sein Bewusstsein. »Bist du bereit?«
»Nein«, stöhnte ap Olwuun. »Ja! Ich … ich werde reden …«
»Dann rede! Ich warte nicht lange.«
Der Leprechaun fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen, spürte den salzig-bitteren Geschmack von seinem Schweiß. Seine Stimme gehorchte ihm kaum, und jedes Wort kostete ihn Mühe. »Die Tür mit dem Wappen«, flüsterte er. »Am Ende des Ganges … gibt es eine Treppe. – Zwölf Stufen. – Sie führen zu der Tür mit dem Wappen von Kurodaans Clan. Dahinter …«
Llyanor sah zufrieden aus, er nickte. »Weiter«, drängte er.
»Zuerst öffnen«, stöhnte ap Olwuun. »Dann aktivieren … Von dort aus gibt es eine Transmitter-Verbindung zu Kurodaans Versteck …«
Von dort würde Llyanor in die Unendlichkeit hinweggezogen werden. Er war genauso verloren wie Gwydd ap Olwuun.
Kapitel 1
Die unsichtbare Grenze
Gwydd ap Olwuun knurrte unzufrieden und atmete schwer. Er ballte die Hände mehrmals zu Fäusten und öffnete sie wieder. Er zitterte wie Laub im Herbstwind. Der Schweiß rann ihm in Strömen über das Gesicht. Ihm schien, als hätte er gerade die größte körperliche Anstrengung hinter sich. Der Leprechaun öffnete mühsam die Augen und benötigte mehrere Augenblicke, um zu realisieren, dass er sich halb zusammengesunken in einem Konturensessel befand.
Auf einem blauen Sessel, der in einem blauen Raum steht, dachte er niedergeschlagen. Und der zählt wiederum zu einer Blauen Stadt. Er beachtete die Bilder nicht, die der Panoramabildschirm zeigte. Er war immer noch in dem Albtraum gefangen, den er eben durchstanden hatte. Einen der Albträume, die er täglich erlebte.
Der Leprechaun rutschte mühsam vom Sessel, der zu hoch für ihn war, und streckte seine Glieder aus. Er gähnte und fühlte sich wie erschlagen, gerade so, als hätte er die größten Anstrengungen und Entbehrungen hinter sich. Und irgendwie war es auch so. Die Albträume strengten ihn mehr an als jede körperliche Schufterei.
»Ich glaube es nicht!«, schimpfte er in unterdrücktem Tonfall. »Jetzt bin ich doch schon wieder eingeschlafen.«
Gwydds Gereiztheit war verständlich. Während seiner Arbeit im Todesring der siebten Sonne war er oft in eine tiefe Bewusstlosigkeit gefallen, aus der er wahrscheinlich nicht erwacht wäre, wenn etwas in ihm nicht immer neue Kräfte aktiviert hätte.
Woher diese unbekannten Energien stammten, konnte der Leprechaun nicht sagen. Er nahm an, dass es ein Geschenk war, mit dem Kurodaan von Tranboon ihm für seine Treue und Zuverlässigkeit danken wollte.
Als Gwydd 243 Jahre alt war, wurde er von dem Sternenbaron verpflichtet, ihm zu dienen. An diesem Tag hatte sein Alterungsprozess für eine gewisse Zeit ausgesetzt. Erst vor einem Jahr, seit er von der verfluchten Stadt Zandhar floh, war die natürliche Alterung wieder eingesetzt.
Seit er als vorläufige Strafe für die Hilfe, die er dem angeblichen Verräter von Tranboon zukommen ließ, in den Todesring verbannt worden war, schien die Alterung seltsamerweise wieder gestoppt zu sein.
»Das Leben ist ein Kreis. Du kannst ihn nie verlassen. Auch nicht mit deinem Sterben. Denn Sterben ist auch Leben«, murmelte ap Olwuun die uralten Pido-Schriften aus dem Glaktian von Okan.
Er zuckte hilflos die Schultern. Sein ganzes Leben lang hatten ihm die uralten Weisheiten Trost, Zuversicht und Hoffnung gespendet. Die Gefahr konnte noch so groß erscheinen, Gwydd konnte sich darauf verlassen, einer Meditation über die weisen Worte ging er gestärkt hervor. Das war nicht mehr der Fall, seit er in diese ebenso entlegene wie gefährliche Randregion der großen Sterneninsel, wie sein Volk die Milchstraße nannte, zur Strafe gebracht worden war.
Gwydd setzte sich wieder und beobachtete die Darstellung auf dem Panoramabildschirm. Er befand sich im Zentrum des Todesrings der siebten Sonne, auf einer Kreisbahn um den Mond Frosttod, und war dort zu Überprüfungsarbeiten eingeteilt.
»Überprüfungsarbeiten in der Zentralstadt. Was für ein Hohn«, murmelte er erbost. Diese Aufgabe war unglaublich hart, weshalb sie in fast allen anderen Fällen – außer seinem – von Robotern gelöst wurde.
Es gab einen weiteren Grund, warum Maschinen eingesetzt wurden. Bei der Aktivierung des Todesrings wurde Strahlung in tödlicher Konzentration ausgesandt. Und dies war sogar erwünscht, damit der große Plan in seine entscheidende Phase treten konnte. Gwydd selbst würde langsam verseucht werden.
Er wusste genau, was das bedeuten sollte. Wenn er nicht beitragen konnte, den Baron zu finden, hatte er nach Meinung des Rates von Kasooun das Leben nicht verdient.
Der große Plan ist angelaufen, dachte er, und alles in ihm...