E-Book, Deutsch, Band 3, 411 Seiten
Reihe: Zisterziensermönch Johannes
Rückert Der Abt von Salem
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-8392-7066-0
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Historischer Kriminalroman
E-Book, Deutsch, Band 3, 411 Seiten
Reihe: Zisterziensermönch Johannes
ISBN: 978-3-8392-7066-0
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Anno Domini 1494: Bei der Generalversammlung der Zisterzienser im Kloster Cîteaux geht das Böse um: Ein toter Knecht in der Weinpresse und ein im Kreuzgang erhängter Laienbruder wecken die Neugier von Bruder Johannes aus Salem, der von seinem Abt und von König Maximilian in besonderer Mission nach Cîteaux geschickt worden war. Bevor Johannes die mysteriösen Todesfälle aufklären kann, gerät er selbst in Verdacht. Er erkennt: Machthungrige Äbte und skrupellose Kardinäle bestimmen die große Politik.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Prolog
Von Bormio nach Nauders, im Dezember 1493 Die Hölle ist kein Feuerschlund, sondern ein Gebirge aus Eis und Schnee. Und sie steckte mittendrin – zumindest bis zur Hüfte. Bianca hatte bereitwillig die langen Hosen angezogen, die man ihr gegeben hatte gegen die Kälte und die sie nun unter ihrem wollenen Rock trug. Und die hohen Lederstiefel, wie sie auch die Reiter ihres Onkels Ludovico Sforza, des Herrschers von Mailand, zu tragen pflegten. Sie hatte von ihrem Pferd absteigen müssen, als die Steigung den Berg hinauf immer steiler, der Schnee immer tiefer wurde. Das Pferd führte nun einer ihrer Knechte; vor ihr bahnte sich ihr jüngerer Bruder Hermes einen Weg durch den Schnee. Sie folgte ihm in der Spur und versuchte, mit ihm Schritt zu halten. Am wollenen Rocksaum hafteten gefrorene Schneeklumpen; ihren pelzgefütterten Mantel, der schwer auf ihre Schultern drückte, hätte sie am liebsten abgeworfen, denn trotz der Kälte war ihr vom anstrengenden Aufstieg heiß geworden. Ihr Untergewand klebte schweißnass am Körper. Hermes wandte sich ab und an zu ihr um und lächelte ihr aufmunternd zu. Dann stapfte er weiter durch den Schnee, den Berg hinauf zum Pass. Hinter Bianca folgten in großem Abstand die Pferdeknechte, die mit den widerspenstigen Reit- und Lasttieren am Zügel dem kleinen, kaum weniger widerspenstigen Grüppchen der Hofdamen den Weg spurten. Die Pferdekörper dampften – für Mensch und Tier war die Reise über das verschneite Gebirge gleichermaßen quälend. Für zwei Mädchen aus dem Gefolge der jungen Königin war die Tortur zu groß gewesen; sie hatten erschöpft aufgeben müssen und durften nun nach Bormio zurückkehren. Jetzt, in diesem Moment, hätte es Bianca ihnen am liebsten gleichgetan. Die Anstrengung hatte ihre Vorfreude auf ihr zukünftiges Leben als Königin an der Seite von Maximilian, dem römisch-deutschen König, ausgelöscht. Voller Neugier und Abenteuerlust hatte sie sich noch eine Woche zuvor in Como von ihrer Mutter Bona, ihrem Onkel Ludovico und ihrem älteren Bruder Gian Galeazzo verabschiedet. Ihr Brautgefolge hatte von dort den Rückweg nach Mailand angetreten, wo – es war erst wenige Tage her – ihre Vermählung mit einem grandiosen Fest gefeiert worden war. Gewiss, ihr Gemahl Maximilian hatte an den Feierlichkeiten nicht teilnehmen können. Er hatte seinen Vetter Markgraf Christoph von Baden geschickt, dem Bianca im Dom von Mailand vor Gott, dem Erzbischof und dem Volk von Mailand als Stellvertreter Maximilians das Ja-Wort gegeben hatte. Christoph hatte ihr Maximilians Ring an den Finger gesteckt, und der Bischof hatte ihr als Königin eine edelsteingeschmückte Krone auf das Haupt gesetzt. Nun war sie die Gemahlin des deutschen Königs und zukünftigen Kaisers des Heiligen Römischen Reiches – eines Mannes, den sie noch nie gesehen hatte. Sie kämpfte mit den Tränen, vor Anstrengung, vor Angst, aber auch vor Wut. Worauf hatte sie sich da eingelassen, was tat man ihr an? Sie fühlte sich verlassen – von ihrer Familie, ihrem Onkel, der diese Ehe eingefädelt hatte; von ihrem Gemahl, der es nicht für nötig befunden hatte, sie persönlich in Mailand abzuholen. Von Markgraf Christoph, der doch so freundlich und einfühlsam gewesen war, sogar einige Worte auf Italienisch mit ihr gewechselt hatte. Aber gleich am Tag der Vermählung war er vorausgeritten, um ihren Empfang durch Maximilians Gesandtschaft in Tirol vorzubereiten. Hätte sie nicht darauf bestehen sollen, dass er an ihrer Seite blieb auf dem Weg durch diese eiskalte Hölle? Trotzig überwand sie den Impuls, sich einfach in den Schnee zu werfen und liegenzubleiben. Sie raffte ihren Rock und trat Schritt für Schritt in die Fußstapfen ihres Bruders; so kämpfte sie sich mühsam vorwärts. Die Fellmütze hatte sie in die Hand genommen, mit der anderen griff sie in den Schnee und kühlte mit einem schmelzenden Schneeball ihre heiße Stirn. Strähnen lösten sich aus den Zöpfen ihres geflochtenen Haars, das, von der Wintersonne beschienen, golden schimmerte. Sie wusste, sie durften sich keine lange Pause gönnen, denn vor Einbruch der Dunkelheit mussten sie ihre Unterkunft erreicht haben. Eine Nacht im Freien konnte bei der Eiseskälte den Tod bedeuten. Bianca blieb kurz stehen, um zu verschnaufen. Sie drehte sich um und sah, wie sich ihr Gefolge wie ein schwarzes Gewürm aus Menschen, Hunderten von Pferden und Maultieren, die schwer bepackt ihre Mitgift trugen, den Berg hinauf schlängelte. Am späten Nachmittag hatten sie die Passhöhe des Umbrailpasses erreicht. Ihr Bruder Hermes hatte oben auf der Passhöhe auf Bianca gewartet. Ihr Blick folgte den letzten Sonnenstrahlen, die sich hinter die spitzen Schneegipfel des Gebirges zurückzogen. Nach kurzer Rast befahl der Anführer des Trosses, ein Vertrauter Ludovico Sforzas, wieder aufzusitzen, der Weg nach unten könne nun wieder zu Pferd zurückgelegt werden. Der Pfad war breiter, der Schnee unter den Hufen vieler Saumtiere, die den Weg vor ihnen begangen hatten, festgetreten. Zur Sicherheit führten die Knechte die Pferde Biancas und ihrer Hofdamen. Bianca konnte sich vor Erschöpfung kaum im Sattel halten, geschweige denn ein Pferd lenken. Zwar verloren sie rasch an Höhe, aber es war bereits stockfinstere Nacht, als sie ihre Unterkunft im Nonnenkloster Sankt Johann in Müstair erreichten. Die Nonnen waren überrascht von dem hohen Besuch einer Königin mitsamt ihrem Tross und konnten nichts bieten außer einem kargen Abendessen und zum Schlafen blanke Holzbänke in ungeheizten kleinen Zellen. Bianca hatte noch nie in ihrem Leben so gefroren wie in dieser Nacht. * Eine stürmische Nacht in der Burg Naudersberg, 15. Dezember 1493 Magdalena schreckte hoch. Hatte sie ihren Namen gehört? Oder hatte sie sich getäuscht. Hier im Dunkeln, in dem kleinen Zimmer in der zugigen Burg in Nauders, konnte sie die vielen Geräusche nicht zuordnen: Draußen tobte ein Wintersturm, der die Fensterläden schlagen ließ und das Dachgebälk zum Knarren brachte. Nach einem kurzen unruhigen Schlaf war sie jetzt hellwach und lauschte: Tatsächlich, irgendwer rief ihren Namen, begleitet von einem kräftigen Klopfen an die Zimmertür. Barfuß hüpfte sie vom Bett und wickelte sich in ihren Mantel, den sie wegen der Kälte in dem unbeheizten Kämmerchen als Zudecke benutzt hatte. Tags zuvor, in dem Örtchen Mals, hatte sie zusammen mit Markgraf Christoph die junge Königin in Empfang genommen. Maximilian hatte das Empfangskomitee – in Anbetracht seiner eingeschränkten finanziellen Verhältnisse und ebenso eingeschränkter Zuneigung zu seiner italienischen Braut – ganz ordentlich ausgestattet. Zu den königlichen Gesandten unter der Führung des Markgrafen gehörten zahlreiche Ritter und Edelleute, die von 200 Fußknechten begleitet wurden. Bianca musste nun nicht mehr reiten, sondern durfte die Reise nach Innsbruck in einem von drei prächtig geschmückten Wagen fortsetzen, der von sechs weißen Pferden gezogen wurde. Bianca hatte sich in Mals aber von ihrem Bruder Hermes und von fast allen ihrer Edeldamen verabschieden müssen. Darum sollte sie mit Magdalena Reichlin von Meldegg, verwitwete Sforza, die einige Zeit am Mailänder Hof gelebt hatte, eine Vertraute an ihrer Seite haben. So hatte es Maximilian gewünscht. Magdalena öffnete die Tür. Vor ihr stand, mit einer Kerze in der Hand, Markgraf Christoph in Reitstiefeln und ledernen Hosen; die Kälte schien ihm nichts auszumachen, er trug weder Wams noch Mantel, nur ein dünnes leinernes Hemd bedeckte seinen Oberkörper. Er hatte schon kältere Nächte erlebt auf dem Feld, in Schlachten, die er für den Kaiser ausfocht. Offenbar war die Angelegenheit so dringend, dass er sich nicht um höfische Etikette scherte, sondern sich direkt, kaum angemessen bekleidet, von seiner Schlafstatt auf den Weg zu Magdalenas Zimmer gemacht hatte. Magdalena mochte ihn, sie mochte seine ruhige, besonnene Art, er war nicht so aufbrausend und ungeduldig wie Maximilian. Daher war der Markgraf auch Maximilians Mann für besonders heikle Angelegenheiten, die einen Ausgleich erforderten. Bei Friedensverhandlungen oder, wie nun schon zum zweiten Mal, in Heiratsdingen schickte Maximilian gerne Christoph als seinen Unterhändler, mehr noch: als seinen Stellvertreter. Jetzt machte der Markgraf allerdings einen ungewohnt nervösen Eindruck, seine Locken hingen ihm wirr ins Gesicht. »Magdalena, du sprichst doch Italienisch. Du musst mitkommen, die Königin … ich glaube, es geht ihr nicht gut.« Dann drehte er sich um und eilte den Gang entlang. Magdalena konnte in der dunklen Kammer soeben noch in ihre Schuhe schlüpfen, dann folgte sie dem Schein von Christophs Kerze bis ans Ende des Gangs. An einer Tür hielt Christoph an und legte sein Ohr an das Holz der Tür. »Sie weint, bitterlich … Das geht schon die ganze Nacht so. Kannst du nachsehen, Magdalena, was der Königin fehlt? Frag’ sie, ob sie krank ist. Du weißt, ich bin für ihr Wohlergehen verantwortlich, ich muss sie wohlbehalten nach Innsbruck bringen. Aber ich kann ja nicht einfach ihre Kammer betreten …« Magdalena hatte verstanden. Wortlos zwängte sie sich an Christoph vorbei, klopfte sachte an die Tür und rief auf Italienisch: »Bianca, hörst du mich? Ich bin es, deine Zia, Tante Magdalena. Darf ich eintreten?« Der Markgraf drückte Magdalena den Halter mit der flackernden Kerze in die Hand und schob die schwere Holztür auf. Magdalena schlüpfte durch die nur eine Handbreit geo¨ffnete Tu¨r. Mit der Rechten schützte sie die Kerzenflamme vor dem kalten Luftzug im Zimmer. Das Licht der Kerze vermochte kaum, die Kammer zu erhellen....