Eine Einführung
E-Book, Deutsch, 308 Seiten, E-Book
ISBN: 978-3-7910-6428-4
Verlag: Schäffer-Poeschel Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Praxisnah vermittelt der Autor die Grundlagen einer erfolgreichen Handelstätigkeit und erläutert - jeweils auch anhand einer Fallstudie - die zentralen Kompetenzen des Handelsmanagements: Prozesse, Strategie, Kunden, Verkauf, Logistik, Beschaffung, Finanzierung, Controlling, Personal und Information.
Die 5. Auflage wurde durchgängig überarbeitet und um neue Themen, wie z.B. Social Commerce, Metaverse und den Einsatzmöglichkeiten von KI im Handel, sowie neue Fallstudien ergänzt.
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1.2 Prozesskompetenz und vernetzte Wertschöpfung
Die Bedeutung der Prozesskompetenz für die Handelstätigkeit nimmt stark zu. Der Handelserfolg hängt maßgeblich von der Fähigkeit ab, Prozesse kundenorientiert und kostenminimal zu managen. Fallbeispiel Der Online-Lebensmittelhändler Migros Online In der Schweiz ist das Onlineshopping schon weit fortgeschritten. Der führende schweizerische Online-Lebensmittelhändler Migros Online wurde 1997 unter dem Namen LeShop.ch gegründet. Er bietet auf seiner Website und in der App rund 12.500 Produkte des täglichen Bedarfes an: ein Supermarktangebot von Lebensmitteln, Near- & Non-Food-Artikeln. Mehrere tausend Bestellungen gehen täglich in den drei Verteilzentren (Bremgarten, Pratteln, Ecublens) ein. Hauptzielgruppe sind Familien, die sich über das zeitsparende »One Click Shopping« freuen. Von frischem Obst und Gemüse über Babyartikel, Tiefkühlkost, Wein und Putzmittel bis hin zu Kosmetik und Tierbedarf bietet der Onlineshop ein umfassendes Sortiment. E-Food bleibt in der Schweiz nach wie vor ein Nischengeschäft. Nach den Coronajahren 2020 (+46?%) und 2021 (+26?%) ist der Lebensmittel-Onlinehandel 2023 nur langsam gewachsen. Für eine noch effizientere und kundenorientiertere Zustellung investiert Migros Online verstärkt in den IT-Bereich und Lagerautomatisierung. Zur Generierung eines nachhaltig profitablen Wachstums setzt Migros Online auf die Verbesserung seiner Prozesskompetenz sowie auf die konsequente Anwendung von unterstützenden Technologien wie der Datenanalyse, Künstlicher Intelligenz (KI) und Automatisierung in den Verteilzentren. In weniger als 24 Stunden kommt die bestellte Ware zum Konsumenten: Mehrmals täglich werden die Waren in die drei Verteilzentren von Migros Online geliefert. Dort werden die Bestellungen rund um die Uhr zusammengestellt und in stabilen grauen Transportboxen versandfertig gemacht. Anschließend werden die fertigen Bestellungen zweimal pro Tag an die Verteilzentren der Post geliefert. Die Post übernimmt die Auslieferung bis an die Haustür der Kund*innen zu den gewünschten Lieferzeiten (von 6.30 bis 21.00 Uhr). So beliefert der Onlinehändler die gesamte Schweiz und Liechtenstein. Das »zentrale Nervensystem« von Migros Online ist die technologiebasierte Informationskompetenz. Diese koordiniert das Zusammenspiel zwischen unterschiedlichen Teilprozessen, wie z.?B. der Beschaffung, der Logistik und des Verkaufs. Die einzelnen Teilprozesse sind exakt aufeinander abgestimmt: Mittels Datenanalyse und künstlicher Intelligenz wird der tägliche Warenbedarf pro Verteilzentrum errechnet. Dadurch wird Foodwaste minimiert. Das Monitoring der eingehenden Bestellungen optimiert zusätzlich den Wareneinkauf und die Personalplanung. Spezifische Marketingmaßnahmen helfen beim Load Balancing, der gleichmäßigen Auslastung von Lieferzeiten innerhalb einer Woche. Dies ist ein wichtiger Faktor für die Personalplanung und für eine umweltfreundlichere Lieferung, da Fahrten gebündelt werden können. Der Wareneingang wird minutengenau festgelegt, um einen reibungslosen Ablauf im Verteilzentrum zu garantieren. Neue Automatisierungsprozesse in den Verteilzentren bringen die Ware zur Person, statt die Person zur Ware. Die bedeutet weniger physische Belastung des Personals und Zeitersparnis. Eine neue Logistikanlage, vollautomatische Shuttlelager und Paletten-Stapler komplettieren die Prozesskompetenz der Verteilzentren. Durch spezifisches Tracking können Kund*innen ihre Bestellungen minutengenau verfolgen (Pilotprojekt). Neueste Technologien und hochmoderne Automatisierung ermöglichen dem Schweizer Onlinepionier, die einzelnen Teilprozesse exakt aufeinander abzustimmen und dadurch eine optimale Prozesskompetenz zu erzielen. 1.2.1 Prozesskenntnisse und Kompetenzaufbau
Prozesse verstehen wir als logisch verknüpfte Aufgaben, die ein spezifisches Geschäftsresultat erzeugen (Davenport/Short 1990). Es handelt sich um ganzheitliche Aufgaben, die aus wiederholenden Tätigkeiten bestehen. Prozesse beschreiben das zeitliche Zusammenspiel von Unternehmensfunktionen in strukturierter Form. Es lassen sich zwei Prozessarten unterscheiden: Kernprozesse und Unterstützungsprozesse. Kernprozesse sind für das Funktionieren eines Handelsunternehmens von grundlegender Bedeutung. Beschaffung, Logistik und Verkauf zählen zu den sogenannten Primäraktivitäten im Wertschöpfungsprozess eines Handelsunternehmens. Während die Produktion bei Produktionsbetrieben den Kernprozess bestimmt, stehen im Handel die Beschaffung und Verteilung von Waren und Dienstleistungen im Mittelpunkt dieser drei Kernprozesse. Handelsmanager versuchen, ein für ihre Kunden interessantes Sortiment anzubieten. Diesem Ziel entsprechend beschaffen Einkäufer bzw. Category-Manager, distribuieren Logistikexperten und verkaufen Mitarbeiter in den Verkaufsstellen. Ohne Unterstützungsprozesse, wie z.?B. eine ausgefeilte Informatik und ein gutes Controlling, können die Kernprozesse nicht optimal funktionieren. Die Abstimmung beider Prozessarten ist aus diesem Grunde von großer Bedeutung. Prozessbeschreibungen stiften jedoch erst dann Erfolge, wenn kompetente Mitarbeiter mit Wissen und Engagement diese Pläne realisieren. Die Entstehung der damit angesprochenen Kompetenz erklärt die Abbildung 1-10. Kompetenz verstehen wir als eine Verknüpfungsleistung der Organisation. Verknüpft werden die in Abbildung 1-10 erwähnten vor- und nachgelagerten Faktoren, mit dem Ziel, für Problemsituationen erfolgreiche Lösungen zu generieren. Abb. 1-10 Entstehung und Auswirkung von Kompetenzen
Quelle: In Anlehnung an Hill/Jones (2001), S. 138. Kompetenz basiert in erster Linie auf guten Prozesskenntnissen. Sowohl Erfahrungen mit dem Prozessablauf als auch Aus- und Weiterbildung führen in der Regel zu guten Prozesskenntnissen bei den Mitarbeitern. Fallen darüber hinaus die Motivation der Mitarbeiter, aber auch deren Fähigkeiten – was die konkrete Aufgabenerfüllung anbelangt – hoch aus, so sind die Voraussetzungen für ein überdurchschnittliches Kompetenzniveau gegeben. Zusätzlich müssen die dafür notwendigen Ressourcen (z.?B. Finanzen, Anzahl Mitarbeiter, Materialien etc.) bereitgestellt werden. Kompetenzen helfen, Strategien zu entwickeln und fokussiert umzusetzen. Die koordinierte und fokussierte Umsetzung von Strategien führt zu Wettbewerbsvorteilen. Werden diese von Zielkunden als begehrenswert eingestuft, so entsteht eine überdurchschnittlich hohe Profitabilität, die zur Stärkung bestehender Ressourcen dient und Mitarbeiter motiviert. Ziel der Unternehmensführung muss es demnach sein, nicht nur Prozesse zu beschreiben, sondern systematisch und kontinuierlich prozessverbessernde Kompetenzen aufzubauen. Eine detaillierte Aufgabenbeschreibung sowie der Prozessvergleich mit anderen Unternehmen (auch Benchmarking genannt) bilden im Zuge des Kompetenzaufbaus eine gute Grundlage. Entscheidend für den Kompetenzaufbau sind letztlich aber die weichen Faktoren wie Vertrauen, Motivation und Kreativität. Fallbeispiel Kern- und Unterstützungsprozesse bei Tchibo Tchibo verkauft europaweit in ca. 900 Filialen und rund 9.400 Non Food führenden Depots (Flächen im Lebensmittel- und Fachhandel) hochwertigen Kaffee und wöchentlich wechselnde Gebrauchsartikel. Ab 1997 nutzt Tchibo mit dem aus dem Versandhandel hervorgegangen Internetgeschäft einen weiteren stark wachsenden Vertriebskanal für seine Produkte und Dienstleistungen. Stationär und online (Cross-Channel-Retailing) wird ein breites Sortiment angeboten: vom Sport-BH über Premium-Kaffees, Kaffeevollautomaten, Mobilfunktarife bis hin zu Gartenmöbeln. Der Umsatz betrug im Jahr 2022 3,25 Mrd. Euro. Die Kernprozesse sind bei Tchibo eng aufeinander abgestimmt. Ein funktionsübergreifendes Team von Managern verantwortet die Suche nach den wöchentlich wechselnden Sortimentsangeboten. Sie suchen nach Trends, entwickeln Produkte, testen, kaufen ein, planen die Logistik und den Verkauf. Nachdem die neue Ware bei Tchibo eingegangen ist, wird sie geprüft und über wissensbasierte Systeme ein Mengenverteilplan für jede einzelne Verkaufsstelle berechnet. In den Filialen und dem Onlineshop steht die Ware bis zu maximal sechs Wochen zum Verkauf. Durch eine professionelle Abstimmung der Kern- und Unterstützungsprozesse wird dabei vermieden, dass Überbestände mit entsprechend hohen Kosten entstehen. Ocado – eine Revolution im Logistikprozess Der Unterschied Im März 2020 stiegen die Besuche auf der Ocado-Webseite um den Faktor 100. Man ging fälschlicherweise von einem Cyberangriff aus. Es lag aber an der explodierenden Nachfrage nach Online-Lebensmittelbestellungen in der Corona-Krise (vgl. Pfanner 2020). Viele andere Online-Anbieter erging es ähnlich, doch bei Ocado, dem führenden englischen Anbieter, war die Nachfrage so massiv, dass die Webseite mehr als eine Woche keine Bestellungen mehr annehmen konnte. In der Woche ohne neue Bestellungen gelang es Ocado, mit Hilfe hunderter Roboter, die bestellten Waren zu bündeln und auszuliefern. Und genau dort, im Logistikprozess unterscheidet sich Ocado von der Konkurrenz. Normalerweise spielen Mitarbeiter aus Fleisch und Blut eine wichtige Rolle. Viele Konkurrenten stellen Bestellungen von Kunden mit Mitarbeitern in ihren...