E-Book, Deutsch, 368 Seiten
Rosenhart Mein Land, mein Leben
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-7751-7648-4
Verlag: Hänssler
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Israel-Roman
E-Book, Deutsch, 368 Seiten
ISBN: 978-3-7751-7648-4
Verlag: Hänssler
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eline Rosenhart ist in den Niederlanden geboren und hat über acht Jahre lang in Israel gelebt. Sie studierte 'Geschichte des mittleren Ostens und Afrika' in Tel Aviv und arbeitet in einer Non-Profit-Organisation in der Ukraine. Ihr Debüt schrieb sie mit siebzehn Jahren.
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2
Yahav
September 2015
»Es sind Demonstrationen geplant, unter anderem in Bethlehem und Hebron. Die Tour ist abgesagt«, las Yahav laut von ihrem Smartphone ab. »Gut, dann geh ich einfach alleine.«
Nachdem sie sechs Kartons gepackt und ausgiebig gefrühstückt hatte, nahm sie den Bus vom Zentrum Tel Avivs zum Arlozorov-Busbahnhof. Sie stieg aus und wartete im Schatten, bis der Egged-Bus 480 seine grüne Tür öffnete und die Schlange wartender Passagiere einließ. Zwei Teenager versuchten, sich vorzudrängen.
»Wartet gefälligst, bis ihr dran seid«, sagte Yahav schnippisch. Sie ignorierte deren Reaktion und schob sich nach vorn in den Bus hinein. »Jerusalem«, sagte sie zum Fahrer, während sie ihren giftgrünen Pass auf das Kartenlesegerät legte.
Sie ging durch den Gang und suchte sich einen Platz hinten im Bus. Dann nahm sie ihre Kopfhörer aus dem Rucksack und klickte auf dem Handy ihre Lieblings-Playlist an. Mit Bob Marley im Hintergrund scrollte sie durch ihren Facebook-Newsfeed. Sie sah ein Foto von ihrem jüngeren Cousin in seiner Uniform, der nun im Schimschon-Bataillon der Etzion-Brigade diente. Schnell scrollte sie herunter. Dann bekam sie eine Textnachricht von jemandem, der ihr Sofa ersteigern wollte. Der Bus fuhr durch die gelben Felder im Jerusalemer Korridor. Yahav starrte aus dem Fenster zu dem Baugelände, auf dem die neuen Bahnschienen verlegt werden sollten.
Nun kam eine WhatsApp-Nachricht von Dor herein. Das Bett ist verkauft. 1000 Schekel.
Okay, antwortete sie und legte ihr Smartphone hin.
Zwei weitere Nachrichten von Dor. Seufzend öffnete Yahav die App erneut. Bist du in der Wohnung?, wollte er wissen. Der Mann kommt das Bett ungefähr um 18 Uhr abholen.
Ich bin heute Abend nicht da, erwiderte sie.
Wo bist du?
Yahav hob den Blick und betrachtete die Landschaft, die immer hügeliger und bewaldeter wurde, und holte tief Luft.
Drei neue Nachrichten von Dor: Ich muss arbeiten. Das weißt du doch, oder? Der Mann kommt aus Rechovot und ist nur heute Abend in Tel Aviv. Wo bist du?
Geht dich nichts an, tippte sie.
Sie öffnete die Nachrichtenseite der Haaretz und las einen Artikel über die neuen Maßnahmen von Präsident Netanjahu gegen die steinewerfenden Demonstranten am westlichen Jordanufer. »Lächerlich«, murmelte sie, während sie einen zwei Wochen alten Hintergrundartikel über die Spannungen auf dem Tempelberg in Jerusalem anklickte.
Die Klänge von Taylor Swifts Stimme gingen in die »Worldmusic« von Idan Raichel über. Yahav hörte die ersten paar Verse des amharischen Textes an, doch sobald sie die ersten hebräischen Worte hörte, stellte sie die Musik sofort wieder ab.
Inzwischen war der Bus nach Jerusalem hineingefahren und hielt kurz darauf am zentralen Busbahnhof. Yahav stieg aus und lief schnell zur Straßenbahn, wo sie sich durch die Menschenmenge hindurchschlängelte. Die Türen gingen direkt hinter ihr zu. Als die Straßenbahn losfuhr, prallte Yahav mit einem bärtigen Mann zusammen, der ganz in Schwarz-Weiß gekleidet war. Er trug einen Fedora, ebenso wie ihr älterer Bruder. Sein Gesicht wirkte so sauer wie eine Zitrone.
»Mann, geh doch wieder zurück in dein Schtetl in Polen«, flüsterte sie unhörbar.
Zu dem Zeitpunkt, als sie am Damaskustor ankamen, war die Straßenbahn halb leer. Yahav stieg aus und musste kurz suchen, bevor sie den palästinensischen Kleinbus nach Hebron fand. Eine junge Frau mit grünem Kopftuch und langer Überjacke sah Yahav stirnrunzelnd an, während sie durch den Gang nach hinten ging. Yahav strich sich das dunkelblonde, halblange Haar aus dem Gesicht und setzte sich auf einen Fensterplatz auf der linken Seite.
Das Display ihres Handys leuchtete auf. Zwei verpasste Anrufe von Dor und eine Nachricht von ihrer Mutter, die fragte, wann sie am nächsten Tag das Auto brauchte, um ihre Kartons zu transportieren. Morgens, antwortete Yahav.
Während sie an den Apartmentkomplexen von Talpiot und Givat HaArbaa vorbeifuhren, sah Yahav sich selbst in Gedanken wieder in der steifen Armee-Uniform mit den schwarzen Stiefeln, Sybil an der Leine, auf dem Weg zu einem neuen Einsatz.
»Was wirst du nach der Armee machen?«, fragt Jonathan.
»Ich gehe nach Indien und komme vorläufig nicht mehr hierher zurück.«
An der Ausfahrt nach Bethlehem kam der Kleinbus langsam zum Stehen, und es ertönte ein immer heftiger werdendes Hupkonzert. Der Blick auf die Stadteinfahrt nach Bethlehem wurde von einem Meer von Autos versperrt. In der Dämmerung konnte Yahav den Kontrollposten 300 am Stadteingang nicht ausmachen.
»Letzte Karte!«, sagt Jonathan.
Sie betrachtet ihre eigenen Karten und legt eine blaue Vier ab.
Talal muss eine Karte ziehen und nimmt einen Zug von seiner Zigarette.
»Fertig!«, verkündet Jonathan grinsend.
»Nächstes Mal gewinne ich«, sagt sie.
»Ja, wenn es einen palästinensischen Staat gibt«, witzelt Talal.
Auf Jonathans Stirn bildet sich eine Falte. »Dann haben wir keine Zeit mehr, um Taki zu spielen …«
Der Busfahrer öffnete sein Fenster und eine erstickende Abgaswolke drang ins Businnere. In der Ferne hörte Yahav das Geräusch von Schüssen und Protestparolen. Eine Demonstration!
Sofort nahm sie ihr Handy und begann zu filmen. Eine Rauchwolke trieb in ihre Richtung, und sie spürte die brennende Wirkung des Tränengases. Der Busfahrer machte das Fenster wieder zu. Yahav begann zu husten.
Der Busfahrer hupte, aber das Auto vor ihm bewegte sich keinen Zentimenter.
Yahav öffnete ihr Facebook, lud ihr neues Video hoch und schrieb: Seht mal, was gerade in Bethlehem los ist. Beendet die Besetzung!
Die Lichter der Straßenlaternen auf der Autobahn glitten rhythmisch über den Bus hin, der nach Tel Aviv unterwegs war. Allmählich schlief sie ein.
Gegen ein Uhr nachts kamen sie an. Yahav stieg aus und ging an den hypermodernen, hohen Bürotürmen der Jabotinsky Street vorbei. Sie war auf dem Weg zum Apartment ihrer Eltern in dem Teil von Ramat Gan, in dem die »normalen Menschen« wohnten.
Am nächsten Morgen um sechs Uhr klingelte ihr Wecker. Sie tastete nach ihrer Brille, die neben ihr auf dem Fußboden lag, wie sich herausstellte. Yahav merkte, dass sie in Kleidern und Schuhen auf dem Wohnzimmersofa eingeschlafen war. Zum Glück war Oma noch nicht wach, denn die hätte das bestimmt nicht unkommentiert gelassen.
Yahav ging an dem großen, eingerahmten Bild ihrer Tante vorbei in die Küche, um Kaffeewasser aufzusetzen. Es fühlte sich an wie damals, als sie noch ein Teenager gewesen war und sich für die Schule fertig gemacht hatte. Während sie darauf wartete, dass das Wasser kochte, öffnete sie die Schiebetür zum Balkon und zündete sich eine Zigarette an. Der Rauch verflog in der kühlen Morgenluft. Sie starrte auf die sandfarbenen Häuserblocks und hörte die Autos auf der Jabotinsky Street hupen.
Es ist ein normaler Tag, dachte sie.
Der Wasserkocher schaltete sich aus, und Yahav ging zurück, um sich eine Tasse Nescafé zu machen. Den Schlüssel vom Skoda Octavia ihrer Eltern fand sie auf dem Wohnzimmertisch. Mit ihrem Kaffee in der einen und ihrer Tasche in der anderen Hand ging sie aus der Tür. In dem Moment, als sie das Auto anließ, konnte sie ihren eigenen Schweiß riechen. Was macht es schon aus.
Eine Viertelstunde später war sie in ihrem alten Apartment. Sie schloss auf und trat fest gegen die Tür, so wie sie es gewöhnt war. In der Wohnung roch es muffig und die Dunkelheit war bedrückend. Yahav ließ die Handtasche auf den staubigen Fußboden fallen und machte das Licht an. Es war kaum Platz, um zu laufen. Der ganze Flur stand voller Kartons, teils gepackt und teils noch leer.
»Da bist du ja!«
Sie machte einen Schritt zurück und schaute in die Richtung, aus der die Stimme kam.
Dor saß auf dem Sofa. Seine dunklen Augen waren glasig, sein dunkelbraunes Haar war zerzaust, und sein abgeschnittenes Armee-Hemd sah schmutzig und zerknittert aus. Auf dem Tisch standen in Reih und Glied sieben leere Bierflaschen.
»Na, kleine Party gefeiert gestern?«, fragte Yahav trocken und ging in die Küche.
Dor stand vom Sofa auf und trottete hinter ihr her zum Kühlschrank.
»Hast du das Bett noch verkaufen können?« Sie nahm ein Glas aus dem halb leeren Küchenschrank und schenkte sich Wasser ein.
Dor lehnte am Kühlschrank. »Nicht, dass wir das dir zu verdanken hätten – aber ja, das Bett ist verkauft.«
Sie wich seinem bohrenden Blick aus. »Schön.«
»Du warst also in Bethlehem gestern?«
Yahav verließ die Küche, ohne darauf einzugehen, und hörte, wie er hinter ihr herkam.
»Was in aller Welt machst du in Gebiet A? Die roten Schilder stehen da nicht umsonst! Es gibt schon einen Grund dafür, warum wir da nur in gepanzerten Fahrzeugen und in Uniform hingehen.«
»Ach, jetzt machst du dir auf einmal Sorgen um meine Sicherheit?« Sie starrte vor sich hin und nahm einen Schluck Wasser.
»Siehst du denn nicht, dass du zu weit gegangen bist, Yahav?« Er legte ihr eine Hand auf die Schulter, aber sie wandte sich ab.
»Ich sehe, dass du zu weit gehst. Du mischst dich zu sehr in mein Leben ein. Ich bin nicht hergekommen, um mir eine neue Predigt anzuhören. Ich bin hier, um meine Kartons zu packen und meine Sachen mitzunehmen.«
»Bitte schön, kein Problem.«
Sie machte den Fehler, ihm in die Augen zu sehen. Er kam näher,...