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E-Book, Deutsch, 832 Seiten

Rosen The Best Minds

Vom Gipfel des akademischen Ruhms in die Psychiatrie: Die packende Geschichte von Jonathan Rosens bestem Freund, der zum Mörder wurde. -
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-641-16683-0
Verlag: btb
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Vom Gipfel des akademischen Ruhms in die Psychiatrie: Die packende Geschichte von Jonathan Rosens bestem Freund, der zum Mörder wurde. -

E-Book, Deutsch, 832 Seiten

ISBN: 978-3-641-16683-0
Verlag: btb
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Shortlist Pulitzer Prize 2024 / »Best Book of the Year« bei u.a. Guardian, New York Times, The Atlantic und Wall Street Journal

Der oft zitierte schmale Grat zwischen Genie und Wahnsinn steht im Mittelpunkt dieser ergreifenden wahren Geschichte. Jonathan Rosen erzählt davon, wie die Diagnose Schizophrenie seinen besten Freund aus Kindertagen, den Shooting-Star der Ivy-League-Universität Yale Michael Laudor, vom Gipfel des akademischen Ruhms und eines großen Film- und Buchvertrags in eine psychiatrische Klinik und schließlich sogar zu einem grausamen Verbrechen führte. Es ist eine »amerikanische Tragödie«, jedoch mit universeller Relevanz. Rosen verbindet eine zärtliche und berührende Geschichte über Freundschaft mit einer knallharten Anklage darüber, wie sträflich wir die psychisch Kranken in unserer Gesellschaft vernachlässigen – und damit sie und auch uns selbst in Gefahr bringen.

Jonathan Rosen studierte in Yale und Berkeley und brach seine akademische Karriere ab, um Autor zu werden. Er hat mehrere Romane und Sachbücher verfasst. Seine Texte sind in der New York Times, im New Yorker, The Atlantic und zahlreichen anderen Medien erschienen. Für »The Best Minds« war er 2024 für den Pulitzer Prize nominiert. Er lebt mit seiner Familie in New York City.
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2
Die gute Erde


Doch wenn Quinn, der Eskimo, endlich kommt,

hüpft alles voller Glück im Kreis

Bob Dylan, »The Mighty Quinn
(Quinn the Eskimo)«

Ich hatte keine Ahnung, wer Norman Rockwell war, bis Michael und ich in der Junior Highschool den Film sahen und hörten, wie Woody Allen Diane Keaton vorwarf, sie wäre in einem Gemälde von Norman Rockwell aufgewachsen – der typische Ausdruck der Geringschätzung der New Yorker für alle jene anderen Orte, an denen bedauernswerte Menschen das Pech hatten, geboren worden zu sein.

Rockwell selbst war aber in New York City auf die Welt gekommen, als Heranwachsender nach New Rochelle gezogen und hatte dann dort 25 Jahre lang gelebt. Hier, in New Rochelle, hatte er seinen Stil gefunden und die Grundlagen für seine spätere Berühmtheit gelegt, unter den auf der Straße spielenden Kindern Motive für seine Gemälde entdeckt, ein am Wasser gelegenes Ferienhaus im Süden der Stadt und ein Wohnhaus nebst Atelier an deren Nordseite erworben, seinen Sohn Jarvis auf die Theodore Roosevelt Elementary School geschickt und sogar eines der drolligen Schilder gemalt, mit denen New Rochelle seine Besucher willkommen hieß.

Mit anderen Worten: Michael und ich waren in einem Norman-Rockwell-Gemälde aufgewachsen. Jeden Morgen ging ich ans andere Ende unserer nur aus einem Häuserblock bestehenden Straße, läutete an Michaels Haustür und wartete, bis er, immer noch recht verschlafen, aus dem Chaos des Laudorschen Haushalts auftauchte. Dann erklommen wir die zum Basketballfeld führenden verborgenen Stufen hinter seinem Elternhaus und gelangten über ein paar weitere Stufen zu einer Hintertür des Schulgebäudes, die wir als unseren Privateingang betrachteten.

Eines Morgens – wir waren gerade in die fünfte Klasse gekommen – trat Michael mit einem Filzhut auf dem Kopf und einem lässig über die eine Schulter geworfenen Männersakko aus der Haustür. Zwischen den Zähnen hielt er eine altmodische Zigarettenspitze. Dabei grinste er selbstzufrieden – aber vielleicht war es auch mein Anblick, der ihn so amüsierte. Ich trug nämlich eine schwarze Samtweste über einem zerknitterten weißen Hemd und hatte eine große weiße Feder in der Hand.

In unserem Klassenzimmer herrschte bereits die fröhliche Stimmung eines Kostümfestes, als wir dort eintrafen. Alle hatten sich für den »Biography Day« zurechtgemacht, an dem man sich als eine berühmte Person aus der Geschichte verkleiden sollte, und warteten darauf, den Klassenkameraden Tipps zum Erraten der jeweiligen Persönlichkeit zu geben oder gezielte Fragen zu beantworten. Miss Waldman hatte selbst gebackene Brownies mitgebracht.

Als Michael an der Reihe war, schwang er sich auf Miss Waldmans Schreibtischdrehstuhl, den sie auch ohne Weiteres an ihn abtrat, und ließ sich von mir im Klassenraum umherschieben. Miss Waldman nahm derweil auf ihrem Pult Platz. Sein Sakko trug Michael jetzt wie einen Umhang über beiden Schultern, zog immer wieder seinen Hut und hielt salbungsvoll eine Hand in die Höhe, als würde er einer jubelnden Menge zuwinken.

Dann hob er herausfordernd das Kinn, klemmte die Zigarettenspitze zwischen seine Zähne, sodass sie in spitzem Winkel nach oben gerichtet war, und proklamierte: »Gestern, am 7. Dezember 1941, einem Tag, der in die Geschichte eingehen wird, wurden die Vereinigten Staaten von Amerika unvermutet und von der Kriegsflotte und den Luftstreitkräften des japanischen Kaiserreiches angegriffen.«

Dann warf er einen triumphierenden Blick in die Runde und ließ sich auch von den ratlosen Blicken um ihn herum nicht aus der Ruhe bringen: Er war der mächtigste Mann der freien Welt und hatte soeben eine Kriegserklärung ausgesprochen, und es war ja nicht sein Problem, dass niemand wusste, wer er war – außer Miss Waldman, die der Klasse dann auch gleich von dem Präsidenten erzählte, der eine Kinderlähmung überstanden und das Land gerettet hatte. Gerade so, als wäre er eine Weile lang gelähmt gewesen, erhob sich Michael steif von seinem Stuhl und schob ihn Miss Waldman wieder hin.

Bei mir wusste auch niemand, wen ich darstellen wollte. Ich war mir dessen auch selbst nicht ganz sicher, aber meine Mutter war richtig Feuer und Flamme gewesen, als sie Nathaniel Hawthorne vorschlug und mir auch gleich ins Gedächtnis rief, wie wir einmal sein Haus in Concord, Massachusetts, besucht hatten und von dort nach Salem weitergefahren waren, wo die Vorfahren des Dichters noch Hexen an den Galgen geliefert hatten – was mich davon überzeugte, über Nathaniel Hawthorne Bescheid zu wissen. Außerdem fand ich, dass die schwarze Weste mir ein wehrhaft-männliches Erscheinungsbild verlieh, dem das wogende weiße Hemd noch einen Mantel-und-Degen-Effekt hinzufügte: ein Pirat des Königs mit einem Federkiel.

Doch erst, als ich vor der Klasse stand und krampfhaft versuchte, mich an die Handlung von , einem von Hawthornes Romanen, zu erinnern, merkte ich, dass mir plötzlich Schweißtropfen auf die Stirn traten, als ich nämlich einen Hauch von etwas wahrnahm, was aus meinem Hemdkragen oder vielleicht auch aus der Samtweste drang und mich mit Angst und Schrecken erfüllte: Parfüm! Mir wurde schwarz vor Augen, als Miss Waldman vortrat und mich freundlich bat, der Klasse zu sagen, wer ich sei. Sie wusste es natürlich nicht. Wie sollte sie auch? Ich war als meine eigene Mutter verkleidet in der Schule erschienen.

Auf meinen Rundgängen mit Michael durch New Rochelle erfuhr ich eine ganze Menge Neues. Michael liebte es, Geschichten von Personen und Orten zu erzählen. So war der Wykagyl Country Club, ein unserer Schule unmittelbar gegenüberliegendes, großes, an ein Herrenhaus in den Südstaaten erinnerndes Gebäude, nicht nur berühmt für seinen Golfplatz, sondern auch dafür, dass der Zugang selbst zu jener Zeit noch war. Weil ich den Ausdruck nicht kannte, erklärte Michael ihn mir: »Kein Zutritt für Schwarze oder Juden«, sagte er.

Das entsetzte mich doch sehr, aber als ich meinem Vater davon berichtete, schien ihn das nicht sonderlich zu überraschen. Das gesamte Land wäre früher einmal »restringiert« gewesen – sonst wären ja mehr von meinen Verwandten heute noch am Leben.

Der Gedanke, dass wir im Wykagyl Country Club unerwünscht waren, ließ es nur umso verlockender erscheinen, im Winter auf dessen Gelände vorzudringen. Hier gab es tolle Pisten zum Schlittenfahren, aber allein schon das Pinkeln in den Schnee sei ein , sagte Michael – wieder so eine Phrase, die er mir erklären musste. Für ihn gab es viele Dinge, die er als Akte des politischen Widerstandes betrachtete.

Ob der Country Club im Jahre 1973 nun immer noch Juden aussperrte oder nicht – das restliche New Rochelle hatte seine Tore auf jeden Fall weit geöffnet. Selbst die Feldsteinkirche neben unserer Schule mit ihrem winzig kleinen Hugenottenfriedhof war inzwischen eine orthodoxe Synagoge. Diese Umwidmung hatte 1960 stattgefunden, aber sowohl der Kirchturm als auch die Hugenotten darunter, deren windschiefe Grabsteine dringend der kieferorthopädischen Dienste der Glideman-Brüder bedurften – den beiden Zwillingen, die in ihrer Praxis in der Quaker Ridge Road abwechselnd meine Zahnspangen zurechtbogen –, hatten davon nicht viel mitbekommen.

Michaels Familie gehörte zur liberalen, reformierten jüdischen Gemeinde, die ursprünglich auch in der Ortsmitte von New Rochelle ihren Sitz gehabt hatte, bevor sie weiter nach Norden, nach Scarsdale, umsiedelte – angeblich, um dem Zuzug »nicht-weißer« Familien auszuweichen. Unsere orthodoxe Synagoge mochte zwar wie eine Kirche, sagte Michael, aber der Israelitische Tempel ihrer reformierten Gemeinde eine, sodass er ihn »Unsere Heilige Jungfrau des Pinebrook Boulevard« nannte.

Unsere Eltern hatten kein Interesse daran, Mitglieder des Country Club zu werden, auch wenn sie dort inzwischen gern gesehen wären, denn leisten konnten sie es sich sowieso nicht – und selbst sie es sich hätten leisten können, wäre es für sie nicht infrage gekommen.

Sein Vater, erzählte mir Michael, und dies mehr voller Stolz als Bedauern, sei einer jener Volkswirte, die einerseits die Spielregeln des Marktes voll und ganz durchschauten, denen es aber andererseits nie gelang, Profit daraus zu schlagen. Mein Vater war in seiner Jugend Sozialist gewesen und gab Balzac recht, der behauptete, hinter jedem großen Vermögen stehe ein Verbrechen – ein Zitat, das meine Mutter ebenfalls gern in den Mund nahm, obgleich sie nichts dagegen gehabt hätte, Mitglied in einem der mondänen Beach Clubs am südlichen Ende der Stadt zu werden. Sie hielt sich gern am Wasser auf und wäre dann auch ihrer Freundin Cynthia näher gewesen.

Es gab noch etwas, was den Bund zwischen Michael und mir festigte: Viele unserer Schulkameraden hatten Eltern, die an verlängerten Wochenenden mit ihrem BMW oder ihrem Mercedes-Benz zu ihren Zweitwohnsitzen zu fahren pflegten, in Restaurants aßen, auch wenn es nichts zu feiern gab, und aus den Winterferien mit einer Sonnenbräune aus Florida oder von den Reißverschlüssen ihrer Parkas baumelnden Skiabzeichen zurückkamen.

Michael und ich lebten in dem bescheidensten Viertel von New Rochelle und verbrachten unsere Ferien damit, uns gegenseitig zu besuchen und im Haus des anderen herumzuhängen. Mir taten die Kinder leid, die sich nicht mal eben ein Stück Pizza holen oder sich im Tierladen umgucken konnten, aber offenbar passte das nicht in das...


Rosen, Jonathan
Jonathan Rosen studierte in Yale und Berkeley und brach seine akademische Karriere ab, um Autor zu werden. Er hat mehrere Romane und Sachbücher verfasst. Seine Texte sind in der New York Times, im New Yorker, The Atlantic und zahlreichen anderen Medien erschienen. Für »The Best Minds« war er 2024 für den Pulitzer Prize nominiert. Er lebt mit seiner Familie in New York City.



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