Rose | Geliebter Unbekannter | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 400 Seiten

Rose Geliebter Unbekannter


1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-95530-635-9
Verlag: Edel Elements - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, 400 Seiten

ISBN: 978-3-95530-635-9
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'Marcia Rose versteht es meisterhaft, ihren Figuren Leben einzuhauchen und sie zu starken Charakteren zu formen. Große Emotionen vor einem stimmungsvollen, farbenprächtigen Hintergrund.' (Publishers Weekly) Alle Frauen lieben ihn - doch keine kennt ihn wirklich: Der Millionär Jack führt seit Jahrzehnten ein Doppelleben. Als er mit siebzig in den Ruhestand gehen und sein Unternehmen verkaufen will, kann er seine Geliebte und deren Sohn nicht mehr länger verheimlichen. Jacks Familie, die sein ganzer Stolz ist, zerbricht beinahe daran. Seine Frau will ihn verlassen, seine Töchter verachten ihn, er steht vor dem Ruin. Auch finanziell - denn in der Chefetage seiner Firma gibt es einen Verräter. Jetzt muss Jack Farbe bekennen und endlich handeln... 'Ein Schmöker im allerbesten Sinne des Wortes!' (Library Journal)

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KAPITEL 1


Erntedanktag, 28. November 1985


Die Küche der Mutter kam Deena Berman vor wie das Bühnenbild für ein Theaterstück, in dem es um eine wohlhabende jüdische Familie ging, die sich am Erntedanktag in einer der großzügigen alten Luxuswohnungen an der Westseite des Central Parks zum Abendessen versammelt hatte.

Jedes Teil war an seinem Platz: die dampfenden Töpfe auf dem Herd, Porzellanschüsseln und silberne Servierteller griffbereit. In der Speisekammer warteten Tabletts mit Bergen von frischem Obst, das zur Versorgung eines kleinen Landes ausgereicht hätte. Und der Teewagen war auf jedem Zentimeter mit köstlichen Desserts bedeckt. Es gab Körbe mit Brot, Brötchen und Zwieback, und durch das Fenster der Backröhre war der obligatorische Truthahn dunkel zu erkennen.

Die Bühne war bereit, der Vorhang konnte sich öffnen, alle waren da: Die mitwirkenden Frauen waren geschäftig beim Kochen – fröhlich, vertraut, lustig, liebevoll –, Papas vier Strauss-Mädchen. In Gedanken ging Deena die Besetzungsliste in der Reihenfolge der Auftritte durch: Mutter Sylvia Weinreb Strauss, neunundsechzig Jahre alt, die älteste Schwester Elaine Strauss Barranger, fünfundvierzig, und die jüngste Schwester Marylin Strauss, Ärztin, sechsunddreißig Jahre alt und – oh Himmel! – noch nicht verheiratet. Und dann natürlich sie selbst, Deena Strauss Berman, Ehefrau und Mutter und – verdammt – dreiundvierzig Jahre alt.

Doch das hier war kein Theaterstück und auch keine Bühnendekoration. Es handelte sich vielmehr um das Zuhause ihrer Kindheit und um ihre Familie. Aus der Küche drangen die Gerüche, die sie seit jeher vom Erntedanktag kannte: eine Mischung aus Butter, Honig, Orangen, Salbei, Nelken, Truthahn, Zwiebeln, Apfelkuchen ... einfach köstlich! Und so vertraut! Deena blieb in der Küche stehen und schnupperte tief und zufrieden.

»Aufpassen!« Elaine schob sich lachend mit einem großen Teller voller rohem Gemüse hinter ihr vorbei. »Ich habe den Auftrag, die crudités hineinzutragen.« Sie sprach das Wort französisch aus.

»Crudités?«, wiederholte Deena. »Kannst du dich vielleicht noch daran erinnern, dass es sich dabei früher schlicht um rohes Gemüse handelte?«

»Das war, kurz bevor aus der Hühnersuppe ein consommé wurde«, schaltete sich Marilyn ein.

»Und aus Schokoladenspeise Mousse ...«, ergänzte Elaine.

Deena musste lachen. »Erinnert ihr euch noch daran, als Sylvia zum ersten Mal verkündete, dass es Mousse geben würde? Und Marilyns Gesichtsausdruck – pure Panik!«

»Die Geschichte haben wir doch alle schon tausendmal gehört, Deena«, sagte Marilyn.

Jetzt lachte auch Elaine. »Das war aber auch komisch! Wir haben dir alles Mögliche erzählt, und du konntest dir nichts darunter vorstellen. Weil bei dir nur zählte, was mit nüchternem Verstand zu erfassen war, warst du so leicht durcheinander zu bringen, Moo.«

»Ach ja, beim Rest dieser Familie von Stehaufmännchen und Komikern ist das ganz anders. Schmerz meiner Kindheit! Es war mir immer peinlich, meine Freunde mit nach Hause zu bringen, weil ich mich wegen euch allen geschämt habe.«

»Und jetzt schämst du dich immer noch?«, zog Deena sie auf. Doch als Marilyn ihr einen bösen Blick zuwarf, fügte sie schnell hinzu: »Ich mach doch nur Spaß. Es ist doch nur ... na ja, es hat ja lange genug gedauert, bis du diesen Knaben mitgebracht hast.«

»Klugscheißer sind nicht gefragt«, kam Marilyns beleidigte Antwort.

»Mädchen!«, ermahnte die Mutter. »Hört doch auf damit. Dafür hat Marilyn ihren Doktortitel ...«

»Ach, Sylvia! Meine Tochter mit dem Doktortitel – willst du darauf hinaus?«

»Ist doch egal. Aber hackt doch nicht immer auf eurer kleinen Schwester herum!« Deena glaubte, ein verstecktes Lächeln um die Mundwinkel ihrer Mutter bemerkt zu haben. Sylvia Strauss gehörte zur alten Schule. Es war leicht vorstellbar, dass sie auf die Idee käme, alle drei Mädchen auf ihre Zimmer zu schicken – die sie bereits seit über zwanzig Jahren nicht mehr bewohnten.

Noch immer kichernd nahm Deena das Tablett mit den Gläsern hoch und stieß mit der Hüfte die Schwingtür zum Esszimmer auf. Auf dem Tisch lag die weiße Damastdecke von Großmutter Strauss, das Silber von Großmutter Weinreb war aufgedeckt, und das Zimmer roch nach Sauberkeit und Möbelpolitur. Earline, Sylvias Haushaltshilfe, die einmal in der Woche kam, hatte am Tag zuvor eine Sonderschicht eingelegt. Als Deena nach sechs Uhr mit dem Kürbiskuchen, ihrem Beitrag zum Fest, ankam, war die große, schwarze Earline noch damit beschäftigt, die Messingtürklinken zu putzen. »Earline«, hatte Deena protestiert, »gibt es bei dir zu Hause nichts für das Erntedankfest vorzubereiten? Der Himmel stürzt nicht gleich ein, wenn hier nicht alles blitzt und blinkt!« Earline hatte voller Stolz geantwortet: »Ich geh ja schon, hab keine Eile. Dieses Jahr kochen meine Enkel für die ganze Familie.« Vier von Earlines sieben Enkeln arbeiteten als Küchenchefs. »Wir sind eine Familie von lauter Kochverrückten.«

Und die Strauss-Familie, dachte Deena, ist eine Familie von Essverrückten. Es gab immer zu viel zu essen und zu trinken. Sylvia hatte eine Neigung zum Übermaß.

Das war schon immer so gewesen und würde sich wohl auch nicht mehr ändern. Alle anderen Dinge in dieser Welt änderten sich – manchmal auf eine Weise, die Deena nicht sonderlich gefiel und über die sie nicht einmal nachdenken mochte, schon gar nicht am Erntedanktag. Nur der Haushalt ihrer Mutter änderte sich nicht. Sie sah sich den wunderbar gedeckten Tisch an und brauchte nun nur noch die Weingläser hinzustellen.

Beim Zurückgehen sah sie in dem gläsernen Flügel der Schwingtür ihr Spiegelbild. Es überraschte sie. Gut sah sie aus, bei Gott! Ihr neuer, kürzerer Haarschnitt umspielte locker das Gesicht und gab den Blick auf die Brillantstecker frei, die Papa ihr zum vierzigsten Geburtstag geschenkt hatte. Sie war zufrieden, dass sie die hohen Wangenknochen der Weinrebs geerbt hatte, nur hätte sie auch noch gern deren große runde, blaue Augen gehabt. Ihre waren haselnussbraun. Aber das reichte doch trotzdem, um sexy zu wirken, oder? Sie lachte über sich selbst. Sexy! Niemand würde sie so bezeichnen. Na ja, eigentlich war sie es ja auch nicht. Sie war dreiundvierzig, Mutter von vier Kindern, Hausfrau, in Teilzeitarbeit Beraterin an der Clayton Schule und seit kurzem zeitweise Studentin an der Hochschule.

Doch eigentlich wirkte sie doch jünger als Marilyn, obwohl sie sieben Jahre älter war. Sie fand, dass Marilyn schrecklich aussah – völlig ungeschminkt und verwittert wie die Frauen aus den Bergen. Vielleicht war das aber auch unfair! Marilyn war von Natur aus blond; sie benutzte keinerlei Schminke und legte keinen Wert darauf, modisch auszusehen. Heute beispielsweise trug sie Hosen und einen Herrenpullover. Und das zum Erntedankfest! Ihr helles, lockiges Haar war schlicht aufgetürmt und wurde von zwei Holzstäbchen zusammengehalten. Warum war ihr das eigentlich so egal?

Schade um Marilyn! Zwar war sie Ärztin, aber sehr glücklich und zufrieden sah sie nicht aus – kleiner, dünner und blasser als der Rest der Familie. Als kleines Mädchen war sie goldig – eine Blondine unter diesen dunkelhaarigen, etwas grobknochigen Frauen. Damals sagte jeder, dass Marilyn eine Schönheit werden würde. Gemeint war aber, dass sie wie eine Schickse, eine Nichtjüdin, eine angelsächsische Protestantin aussehen würde. So kam es auch, schön wurde sie nicht.

Schließlich musste Deena über ihre Übertreibungen selbst schmunzeln. So schlecht sah Marilyn doch gar nicht aus! Und wenn schon Übertreibungen, so würden sie doch eher auf Elaine zutreffen. Sie war die größte – fast eins fünfundsiebzig – und die schönste der drei Schwestern: mit ihren großen blauen Augen, dem dicken, schwarzen, glänzenden Haar, den hohen Wangenknochen und ihrer Adlernase. Sie war aber auch die dickste – knapp zwanzig Kilo zu stattlich, wie sie es selbst gern ausdrückte. Die Männer liefen ihr jedoch noch immer nach.

Und was strahle ich aus?, überlegte Deena. Eigentlich gar nichts. Sie war in jeder Beziehung typisch für das mittlere Kind: mittelschlank, mittelintelligent, mittelzufrieden, nicht so umwerfend wie Elaine, aber auch nicht so langweilig wie Marilyn ...

Doch Tag und Nacht herumzugrübeln wurde langsam zu einer ärgerlichen Angelegenheit. Neulich war sie morgens um drei aufgewacht und hatte sich dabei ertappt, dass sie an ihre Kinder dachte, als die noch Babys waren, und hatte eine unbändige Wut auf Michael empfunden, der während der schwierigsten Jahre meist abwesend war. Sie war zu Tode erschöpft gewesen, weil sie sich um vier Kinder zu kümmern hatte, die jetzt alt genug waren, um sich selbst zu beschäftigen ... Und dazu hatte sie einen Ehemann, der mit seiner Anwaltskanzlei und zahlreichen Versammlungen, die dem Jagen von Nazis galten, so ausgefüllt war, dass sie ihn kaum noch zu sehen bekam.

Doch was sollte das ganze Wühlen in Erinnerungen! Sie schüttelte sich und ging eilig in die Küche zurück. Genau in dem Moment, als Sylvia rief: »Deena! Es ist drei Uhr und neun Minuten!«

»Ich bin ja hier, Syl, du brauchst nicht zu schreien.«

»Es ist höchste Zeit ...« Deena wusste, was das bedeutete. Es gab einen säuberlich notierten Arbeitsplan, der über dem Herd an der Wand hing. Deenas grüne Bohnen mit Mandeln waren für drei Uhr vorgesehen. Sie musste lachen. Diese Sylvia! Die beste Planerin des gesamten Stadtteils! Als sie begann, die Bohnen zu bündeln, sahen ihre Schwestern auf die Uhr und zählten laut die Sekunden.

»Drei Uhr...



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